3. Urteil der I. Zivilabteilung vom 3. Mai 1983 i.S. Zimmermann gegen Obergericht des Kantons Solothurn (staatsrechtliche Beschwerde)
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Regeste
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Unentgeltliche Rechtspflege im Zivilprozess.
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2. Art. 31 Abs. 3 OR. Bedeutung des Vorbehalts (E. 4b).
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3. Art. 159 Abs. 2 OG. Entschädigungspflicht der unterliegenden Behörde (E. 5).
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Sachverhalt
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BGE 109 Ia 5 (6):
A.- Zimmermann pachtete am 1. Mai 1979 das Parktheater Grenchen, das zu einem Hotel-Restaurant gehört. Im September 1980 wurde über ihn der Konkurs eröffnet, in dem er gegen die Einwohnergemeinde und die Verpächterin Schadenersatzansprüche vormerken liess; Konkursmasse und Gläubiger verzichteten jedoch darauf, die Ansprüche gerichtlich geltend zu machen. Das Konkursverfahren wurde am 10. August 1981 geschlossen.
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Mit Eingabe vom 10. Dezember 1981 beantragte Zimmermann dem Richteramt Solothurn-Lebern, die Genossenschaft Konzert- und Theatersaal Grenchen, von der er rund Fr. 500'000.-- Schadenersatz verlange, zum Sühneversuch vorzuladen. Er begründete seine Ansprüche namentlich damit, die Genossenschaft habe ihm beim Abschluss des Pachtvertrages nicht nur den finanziellen Misserfolg früherer Pächter verschwiegen, sondern ihn wider besseres Wissen in den Glauben versetzt, es handle sich beim gepachteten Unternehmen um einen lebensfähigen Betrieb. Am 1. Februar 1982 ersuchte Zimmermann das Richteramt um Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege.
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Der Gerichtspräsident von Solothurn-Lebern wies das Gesuch ohne Begründung ab. Der Gesuchsteller rekurrierte an das Obergericht des Kantons Solothurn, das am 4. November 1982 im gleichen Sinne entschied.
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BGE 109 Ia 5 (7):
B.- Zimmermann führt gegen diesen Entscheid staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 BV. Gleichzeitig ersucht er das Bundesgericht, ihm für das Beschwerdeverfahren die unentgeltliche Prozessführung zu bewilligen.
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Das Obergericht beantragt, die Beschwerde abzuweisen.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
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Das Obergericht hat diese Bestimmungen, wie aus seinen Hinweisen auf die Rechtsprechung erhellt, gemäss den vom Bundesgericht aus Art. 4 BV abgeleiteten Grundsätzen angewendet. Der Beschwerdeführer wirft ihm denn auch nicht willkürliche Anwendung kantonalen Rechts vor; er macht vielmehr geltend, das Obergericht habe den unmittelbar aus Art. 4 BV fliessenden Anspruch auf unentgeltliche Prozessführung missachtet (BGE 105 Ia 113 E. 2, BGE 104 Ia 73 E. 1 mit Hinweisen). Wie es sich damit verhält, kann das Bundesgericht in rechtlicher Hinsicht frei, in tatsächlicher dagegen nur unter dem Gesichtspunkt der Willkür prüfen (BGE 104 Ia 33 und 326, BGE 103 Ia 100).
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Dem kann nicht beigepflichtet werden. Es ist dem Gemeinschuldner nicht verwehrt, nach dem Verzicht der Masse und der BGE 109 Ia 5 (8):
Gläubiger seinen Anspruch persönlich geltend zu machen, wie wenn es nicht zum Konkurs gekommen wäre. Dagegen ist mit den Gründen, aus denen ein Armenrecht zugunsten der Konkursmasse abzulehnen ist, zum vorneherein nicht aufzukommen. Reichen die Aktiven der Masse für einen Prozess nicht aus, so ist es Sache der Gläubiger, ihn zu finanzieren, wenn sie an dessen Fortführung interessiert sind (BGE 61 III 172). Diesfalls kann aber ein Gläubiger, der sich streitige Rechte der Masse gemäss Art. 260 SchKG abtreten lässt, die unentgeltliche Prozessführung beanspruchen, wenn er bedürftig und der Prozess nicht aussichtslos ist (BGE 62 I 215 mit Hinweisen). Das muss in Fällen wie hier sinngemäss auch für den Gemeinschuldner gelten. Die gegenteilige Auffassung des Obergerichts wird daher vom Beschwerdeführer zu Recht angefochten.
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a) Der Beschwerdeführer hält dem Obergericht entgegen, bei einem Streitwert von Fr. 500'000.-- sei mit Gerichtskosten zwischen Fr. 1'800.-- und 20'000.--, mit eigenen Anwaltskosten von Fr. 12'000.-- bis 15'000.-- und zudem mit einem gleichen Betrag für die Sicherstellung einer allfälligen Parteientschädigung zu rechnen; aus einem monatlichen Überschuss von Fr. 428.-- könne er aber unmöglich innert angemessener Zeit gegen Fr. 30'000.-- aufbringen.
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Die Rüge ist begründet. Die Ausführungen des Obergerichts zur Wohnungsmiete und zum Leasing-Vertrag beruhen nicht auf Abklärungen; sie vermögen an seiner eigenen Berechnung um so weniger etwas zu ändern, als dem angefochtenen Urteil nicht zu entnehmen ist, dass der Beschwerdeführer die monatlichen Verpflichtungen aus diesen Vertragsverhältnissen in kurzer Zeit erheblich vermindern könnte. Verfügt der Beschwerdeführer monatlich aber nur über Fr. 428.--, um die namhaften Vorschüsse für Gerichts- BGE 109 Ia 5 (9):
und Anwaltskosten aufzubringen und die Kosten der Beklagten gemäss deren Gesuch vom 8. Januar 1982 sicherzustellen, so lässt sich im Ernst auch nicht sagen, dass ihm dies in absehbarer Zeit, das heisst hier innert einiger Monate möglich wäre; unter den gegebenen Umständen hat er vielmehr als bedürftig zu gelten (unveröffentlichte Urteile der I. öffentlichrechtlichen Abteilung i.S. Würgler vom 8. Juli 1981 und Hommes vom 4. November 1981).
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b) Unter Hinweis auf Urkunden, die er nachgereicht hat, macht der Beschwerdeführer geltend, dass er inzwischen seine Stelle verloren habe und von Fr. 1'617.15 Arbeitslosenunterstützung im Monat lebe. Damit verkennt er, dass in staatsrechtlichen Beschwerden gegen letztinstanzliche kantonale Entscheide weder neue rechtliche oder tatsächliche Einwände erhoben noch neue Beweismittel vorgebracht werden dürfen (BGE 104 Ia 26, BGE 104 II 254). Im vorliegenden Verfahren kommt darauf übrigens nichts an, weil die Bedürftigkeit des Beschwerdeführers so oder anders zu bejahen ist. Da die augenblicklichen Verhältnisse massgebend sind (BGE 99 Ia 442 /43), stünde es ihm zudem frei, ein neues Gesuch zu stellen.
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a) Das Obergericht geht zu Recht davon aus, dass die Gewinnaussichten zugunsten des Gemeinschuldners vom Richter unbekümmert darum zu prüfen sind, ob die Masse und die Gläubiger auf den Prozess verzichten. Es gibt dann die Sachbehauptungen und die Rechtsauffassung des Beschwerdeführers wieder, der die beklagte Genossenschaft für Schaden belangen wolle, weil sie ihn beim Abschluss des Vertrages wider besseres Wissen im Glauben gelassen habe, mit dem Parktheater einen leistungsfähigen Betrieb BGE 109 Ia 5 (10):
zu übernehmen; sich habe ihm zudem verschwiegen, dass sein unmittelbarer Vorgänger grosse Verluste erlitten habe und ein weiterer wegen des Parktheaters in Konkurs gefallen sei. Die Beklagte hafte ihm aus culpa in contrahendo nicht nur für den Konkursverlust, sondern auch für die Folgeschäden; durch positive Vertragsverletzungen habe sie den Schaden noch vermehrt. Über das Ausmass des Schadens habe er sich angeblich erst bei Abschluss des Konkurses Rechenschaft geben können, weshalb er seinen Anspruch auf Schadenersatz nach Art. 60 OR nicht für verjährt halte.
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Das Obergericht findet sodann, der Beschwerdeführer habe bisher nicht dargetan, worin seine Schadenersatzansprüche wegen Verletzung des Vertrages während des Pachtverhältnisses bestehen sollen; dadurch habe er eine Beurteilung der Erfolgsaussichten verunmöglicht, weshalb in diesem eher nebensächlichen Klagepunkt derzeit Aussichtslosigkeit anzunehmen sei. Der Beschwerdeführer wendet dagegen nichts ein. Das angefochtene Urteil ist daher insoweit nicht zu überprüfen.
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b) Ansprüche aus culpa in contrahendo infolge Verletzung der Aufklärungspflicht während Vertragsverhandlungen sind, wie das Obergericht richtig annimmt, wie Schadenersatzansprüche wegen absichtlicher Täuschung zu behandeln (BGE 105 II 79 /80 und 81 E. 3 mit Hinweisen). Das Obergericht meint indes, der Beschwerdeführer habe sich nicht innert der Jahresfrist des Art. 31 Abs. 1 OR auf Täuschung berufen und damit auch Ersatzansprüche aus Art. 41 ff. OR verwirkt. Der Vorbehalt des Art. 31 Abs. 3 OR sei mit Vorsicht und nur dann anzuwenden, wenn dem Getäuschten aus der Vertragsanfechtung weitere unzumutbare Nachteile erwachsen würden, was hier weder ersichtlich noch behauptet sei. Der Beschwerdeführer will dagegen auf Anfechtung nur verzichtet haben, weil das Pachtverhältnis bereits aufgelöst gewesen sei, als er die Täuschung erkannt habe; sein Verhalten lasse sich schon deshalb nicht als Genehmigung ausgeben und stände einem Schadenersatzanspruch ohnehin nicht entgegen, weil er den früheren Rechtszustand auch durch Anfechtung nicht hätte wiederherstellen können.
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Nach Art. 31 Abs. 3 OR schliesst die Genehmigung eines Vertrages, der wegen Täuschung unverbindlich ist, den Anspruch des Getäuschten auf Schadenersatz nicht ohne weiteres aus. Damit sind Ansprüche aus unerlaubter Handlung gemäss Art. 41 ff. OR vorbehalten (BGE 66 II 159, BGE 47 II 186 E. 4), die jedoch ganz oder teilweise entfallen, wo der Getäuschte den Schaden durch Anfechtung BGE 109 Ia 5 (11):
des Vertrages hätte vermeiden oder doch vermindern können; das ist der Sinn von BGE 89 II 249 und BGE 40 II 43 und entspricht auch der herrschenden Lehre (OSER/SCHÖNENBERGER, N. 32/33 zu Art. 31 OR; BECKER, N. 14/15 dazu; VON TUHR/PETER, OR I S. 340; GUHL/MERZ/KUMMER, OR S. 130; BUCHER, OR Allg. Teil S. 196). Der Beschwerdeführer hat den Pachtvertrag weder in Kenntnis der Täuschung erfüllt noch hätte er durch dessen Anfechtung den inzwischen entstandenen Schaden vermindern können, da das Pachtverhältnis aufgelöst worden ist, bevor er nach Ansicht des Obergerichts die Täuschung erkannt hat. Indem das Obergericht den Schadenersatzanspruch als durch Genehmigung des Vertrages verwirkt erklärt, verkennt es Art. 31 Abs. 3 OR. Unter diesem Gesichtspunkt erscheint daher das Schadenersatzbegehren des Beschwerdeführers nicht als aussichtslos, und zwar unbekümmert darum, von welchem Zeitpunkt an die Jahresfrist des Art. 31 Abs. 1 OR zu berechnen wäre (BGE 108 II 105 und 107).
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c) Wann der Getäuschte vom Schaden Kenntnis erhalten hat, ist dagegen für die einjährige Verjährungsfrist des Art. 60 OR von Bedeutung. Der Beschwerdeführer will das Ausmass des Schadens erst bei Abschluss des Konkursverfahrens am 10. August 1981 erkannt und daher mit seiner Eingabe vom 10. Dezember 1981 die Frist gewahrt haben. Das Obergericht nimmt zwar an, er habe von der Täuschung schon Kenntnis gehabt, als er die Schadenersatzansprüche von der Konkursverwaltung am 27. Oktober 1980 vormerken liess; es schliesst die Möglichkeit, dass er die schädlichen Auswirkungen der Täuschung erst später überblicken konnte und rechtzeitig geklagt hat (BGE 93 II 502 E. 2, BGE 92 II 4, 89 II 404 und 417 mit weiteren Hinweisen), aber ausdrücklich nicht aus. Es begründet die Aussichtslosigkeit der Klage denn auch nicht mit der Verjährung.
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Bei diesem Ergebnis ist das Gesuch des Beschwerdeführers um Bewilligung des Armenrechts für das Beschwerdeverfahren gegenstandslos. Die Kosten sind auf die Gerichtskasse zu nehmen (Art. 156 Abs. 2 OG), und der durch einen Anwalt vertretene Beschwerdeführer hat für das bundesgerichtliche Verfahren BGE 109 Ia 5 (12):
Anspruch auf eine Prozessentschädigung, die dem Kanton Solothurn aufzuerlegen ist (Art. 159 Abs. 2 OG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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Die staatsrechtliche Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Obergerichts (Zivilkammer) des Kantons Solothurn vom 4. November 1982 aufgehoben.
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