Urteilskopf
109 Ia 173
32. Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 3. Oktober 1983 i.S. Schwellenbezirk der Einwohnergemeinde Beatenberg gegen Schweizerische Eidgenossenschaft (PTT-Betriebe) und Verwaltungsgericht des Kantons Bern (staatsrechtliche Beschwerde)
Regeste
Art. 88 OG. Legitimation öffentlichrechtlicher Korporationen zur staatsrechtlichen Beschwerde.
1. Grundsatz (E. 1).
2. Ausnahmen (E. 2).
3. Den Schwellenbezirken des bernischen Rechts steht kein geschützter Autonomiebereich zu, weshalb sie nicht legitimiert sind, Eingriffe kantonaler Behörden in ihr hoheitliches Handeln mit staatsrechtlicher Beschwerde anzufechten (E. 3).
Der Schwellenbezirk der Einwohnergemeinde Beatenberg ist eine Korporation im Sinne des bernischen Gesetzes über den Unterhalt und die Korrektion der Gewässer und die Austrocknung von Mösern und anderen Ländereien vom 3. April 1857 (WPG). Er hat den statutarischen Zweck, die in seinem Bereich gelegenen Fluss- und Bachstrecken zum Schutz des unmittelbar oder mittelbar gefährdeten Eigentums und des Verkehrs richtig zu erhalten und auszubauen. Die Aufgaben des Schwellenbezirks werden in erster Linie durch Schwellenbeiträge der interessierten Eigentümer finanziert, die von der Generalversammlung der Korporation jährlich festgesetzt werden.
In einem Streit um Schwellenbeiträge der Schweizerischen Eidgenossenschaft für die Mehrzweckanlage der PTT-Betriebe auf dem Niederhorn verneinte das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Urteil vom 21. März 1983 die Beitragspflicht der Eidgenossenschaft; die Forderungsklage des Schwellenbezirks der Einwohnergemeinde Beatenberg wies es ab. Mit staatsrechtlicher Beschwerde macht der Schwellenbezirk eine Verletzung der Gemeindeautonomie und des Art. 4 BV geltend.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Gemäss
Art. 88 OG steht das Recht zur Beschwerdeführung Bürgern (Privaten) und Korporationen bezüglich solcher Rechtsverletzungen zu, die sie durch allgemein verbindliche oder sie persönlich treffende Erlasse oder Verfügungen erlitten haben.
Die staatsrechtliche Beschwerde ist ein Rechtsmittel zum Schutz der Träger verfassungsmässiger Rechte gegen Übergriffe der Staatsgewalt; allein diesen Trägern steht sie zur Verfügung. Der Staat als Inhaber hoheitlicher Gewalt ist nicht Subjekt verfassungsmässiger Rechte. Diese bestehen vielmehr gegenüber ihm. Daraus folgt, dass eine öffentlichrechtliche Korporation zur staatsrechtlichen Beschwerde nicht legitimiert ist, um als solche einen gegen sie gerichteten Entscheid anzufechten. Diese Regel ist
BGE 109 Ia 173 S. 175
nicht nur auf die Kantone und Gemeinden, sondern auch auf ihre Behörden anwendbar, die als Träger der öffentlichen Gewalt handeln. Ebenso gilt sie für öffentlichrechtliche Körperschaften, die allgemeine Interessen verfolgen oder vom Staat übertragene Aufgaben erfüllen (
BGE 107 Ia 177 E. 1;
BGE 103 Ia 468 ff.).
2. Die Rechtsprechung lässt indessen Ausnahmen von dieser Regel zu. Das betrifft in erster Linie die Gemeinden, die sich mit staatsrechtlicher Beschwerde gegen eine Verletzung ihrer Autonomie, einen Angriff auf ihre Existenz oder einen Eingriff in ihr Hoheitsgebiet zur Wehr setzen können. Im weitern steht die staatsrechtliche Beschwerde den öffentlichrechtlichen Körperschaften dann zu, wenn sie nicht hoheitlich, sondern privatrechtlich handeln, d.h., wie ein privates Rechtssubjekt auftreten. In solchen Fällen trifft sie der Entscheid einer Gerichts- oder Verwaltungsbehörde in gleicher Weise wie einen Privaten. Dabei kommt es nicht darauf an, ob Rechte und Pflichten einer öffentlichrechtlichen Korporation als Eigentümerin des Finanz- oder des Verwaltungsvermögens in Frage stehen (
BGE 104 Ia 387 E. 1;
BGE 103 Ia 59 E. 1, 64 E. 2, 68 E. 1a, je mit Hinweisen).
Auf der andern Seite ist eine öffentlichrechtliche Körperschaft im Sinne von
Art. 88 OG zur Anfechtung kantonaler Entscheide nicht legitimiert, die öffentlichrechtliche Forderungen wie jene aus der Verantwortlichkeit ihrer Organe, aus Enteignung oder aus Subventionsrecht betreffen (
BGE 99 Ia 111 /112 E. 2;
BGE 93 I 66 E. 2).
3. Die nach den §§ 18 ff. WPG errichteten Schwellenbezirke vereinigen die Eigentümer, die ein Interesse an den Arbeiten zum Schutz vor den Gefahren der Gewässer haben. Sie ermöglichen diesen Schutzvorkehren, die sowohl öffentlichen als auch privaten Interessen dienen und die sie allein nicht ausführen könnten. Es handelt sich somit um öffentlichrechtliche Korporationen, die das kantonale Recht gestützt auf die
Art. 702 und 703 ZGB eingeführt hat und die zur Erfüllung von Aufgaben im Allgemeininteresse mit öffentlicher Gewalt ausgestattet sind. Ihre Tätigkeit und ihre Organisation stehen unter der Aufsicht der kantonalen Verwaltungsbehörden; diese genehmigen namentlich ihre Reglemente und Kataster (§ 22 WPG). Weder das Schwellenreglement des Beschwerdeführers noch die Vorschriften der §§ 18 bis 24 WPG lassen an der Eigenschaft des Schwellenbezirks als öffentlichrechtliche Körperschaft zweifeln.
Dass der Schwellenbezirk eine öffentlichrechtliche Korporation darstellt, haben im übrigen weder das Verwaltungsgericht, die
BGE 109 Ia 173 S. 176
Beschwerdegegnerin noch der Beschwerdeführer selbst angezweifelt. Dieser sieht sich in eben dieser Eigenschaft als autonome Körperschaft des öffentlichen Rechts betroffen. Damit macht er zu Recht nicht geltend, dass er durch den angefochtenen Entscheid wie ein Privater berührt werde oder dass der Entscheid seine Rechte und Pflichten als Eigentümer von Finanz- oder Verwaltungsvermögen in Frage stelle. Wie er ausführt, fühlt er sich vielmehr als Träger der Gemeindeautonomie in seinen hoheitlichen Befugnissen berührt.
Die Anerkennung der Gemeindeautonomie als verfassungsmässiges Recht im Sinne von
Art. 113 Abs. 1 Ziff. 3 BV beziehungsweise
Art. 84 Abs. 1 lit. a OG beruht darauf, dass die Gemeinden als Grundzellen unseres demokratischen Staates betrachtet werden. Deshalb steht ihnen von alters her ein bestimmter, vor Eingriffen der staatlichen Behörden geschützter Bereich der Selbstgesetzgebung und Selbstverwaltung zu. Der verfassungsrechtliche Schutz bewahrt die Gemeinden davor, von einem selbständigen Wesen mit demokratischer Willensbildung zu einem blossen kantonalen Verwaltungsbezirk zu werden (
BGE 103 Ia 474 E. 4;
99 Ia 757). Diese Gründe, welche die Anerkennung eines verfassungsmässig geschützten Autonomiebereichs rechtfertigen, sind bei einer Bodenverbesserungskorporation (
BGE 83 I 268 ff.), Güterzusammenlegungskorporation (
BGE 95 I 45 ff. E. 4, 5) oder einer Wasserkorporation (unveröffentlichtes Urteil vom 15. Juni 1982 i.S. Gemeinde Disentis/Mustér und Corporaziun d'aua Spina, E. 2) nicht vorhanden. Selbst wenn die Entscheide solcher Körperschaften zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben auf demokratischer Willensbildung beruhen, kommt ihnen weder die Funktion noch die Bedeutung einer Gemeinde zu. Der Schwellenbezirk des bernischen Rechts ist den angeführten Korporationen in jeder Beziehung ähnlich. § 24 WPG bestätigt ausdrücklich, dass der bernische Gesetzgeber die Schwellenbezirke in rechtlicher Hinsicht nicht wie die Gemeinden einstufen wollte: Dem Staat gegenüber sind für die Erfüllung der Schwellen- und Dammpflicht unmittelbar die Gemeinden verantwortlich. Vorbehalten bleibt ihnen der Rückgriff auf die Schwellenbezirke und die interessierten Eigentümer.
Der Beschwerdeführer ist daher nach Art. 88 OG zur staatsrechtlichen Beschwerde nicht legitimiert; auf die Beschwerde ist nicht einzutreten.