109 Ia 203
Urteilskopf
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39. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 21. Dezember 1983 i.S. Elisabeth Schulte-Wermeling gegen Kantonsrat Zürich (staatsrechtliche Beschwerde)
Regeste
Art. 85 lit. a OG; Verteilung der Kantonsratsmandate im Kanton Zürich.
Die Zuteilung der Kantonsratsmandate im Kanton Zürich nach dem System Hagenbach-Bischoff entspricht dem durch Verfassung und Gesetz vorgeschriebenen Grundsatz der Verhältniswahl (E. 4, 5).
Im Kanton Zürich fand am 24. April 1983 die Erneuerungswahl der Mitglieder des Kantonsrates statt. Im Wahlkreis IX Horgen, der über 16 Kantonsratsmandate verfügt, entfielen auf die Listengruppe 14/18/19, Schweizerische Volkspartei, Christlichdemokratische Volkspartei und Freisinnig-Demokratische Partei, insgesamt 11 Mandate, auf die Listengruppe 4/21, Evangelische Volkspartei und Landesring der Unabhängigen, drei Mandate und auf die Liste 3, Sozialdemokraten und Gewerkschafter, deren zwei; die übrigen Parteien gingen leer aus.
Frau Elisabeth Schulte-Wermeling führte gegen diese Sitzverteilung im Wahlkreis Horgen Einsprache, die der Kantonsrat von Zürich am 13. Juni 1983 abwies. Eine gegen diesen Beschluss
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erhobene staatsrechtliche Beschwerde von Frau Schulte-Wermeling weist das Bundesgericht ebenfalls ab.Aus den Erwägungen:
4. a) In der Sache rügt die Beschwerdeführerin, das in den §§ 78 und 79 der Vollziehungsverordnung zum Gesetz über die Wahlen und Abstimmungen vom 23. Januar 1956 (VV z. WahlG) umschriebene Verfahren zur Zuteilung der Mandate entspreche nicht der gesetzlichen Vorschrift, wonach den verschiedenen Listen oder Listengruppen Kantonsratssitze "im Verhältnis der gültigen Stimmen" zuzuweisen seien. Dies versucht sie, mit folgenden Zahlen für den Wahlkreis IX Horgen zu belegen:
Liste Stimmenzahl Stimmenanteil rechnerischer zugeteilte zugeteilter
(%) Sitzanspruch Sitze Sitzanteil(%)
3 62'563 17,24 2,7584 2 12,5
14/18/19 231'887 63,9 10,224 11 68,75
4/21 68'481 18,86 3,0176 3 18,75
-------------------------------------------------------------------------
TOTAL 362'931 100,00 16,000 16 100,00
Dieser tatsächlich erfolgten Mandatsverteilung stellt sie eine hypothetische Verteilung gegenüber, die dem Stimmenanteil der einzelnen Listen bzw. Listengruppen besser gerecht würde:
Liste Anteil Sitze Stimmen-pro- Anzahl Sitze Stimmen-pro-Sitz-
gemäss VO Sitz-Verhältnis (gesetzeskonf.) Verhältnis
3 2 31'281.5 3 20'854.33
14/18/19 11 21'080.64 10 23'188.70
4/21 3 22'827.00 3 22'827.00
Den grundlegenden Fehler erblickt die Beschwerdeführerin in der Art, wie gemäss § 78 Abs. 2 VV z. WahlG die sogenannte Verteilungszahl ermittelt wird, nämlich durch Teilung der Gesamtstimmenzahl durch die um eins vermehrte Zahl der im Wahlkreis zu wählenden Vertreter, unter Aufrundung des Ergebnisses auf die nächsthöhere ganze Zahl. Sie hält dafür, diese Methode sei für die Mandatszuteilung "im Verhältnis der gültigen Stimmen" ungeeignet; der Quotient müsste vielmehr durch Teilung der Stimmenzahl durch die Sitzzahl selbst (und nicht durch die um eins vermehrte Sitzzahl) erfolgen, um eine dem Stimmenverhältnis möglichst entsprechende Sitzverteilung zu erhalten.
b) Die Argumentation der Beschwerdeführerin leidet an einem grundsätzlichen Fehler: Die Gesetz- und Verfassungswidrigkeit
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des hier angewendeten Verteilungssystems müsste in abstrakter Form dargetan sein. Es liegt auf der Hand, dass nicht für jeden Wahlkreis eine andere Methode der Mandatszuteilung gewählt werden kann. Unter dem Vorbehalt spezieller Lösungen für Wahlkreise mit sehr wenigen Mandaten, für die sich wegen der unter Umständen besonders stossenden Auswirkung eines bestimmten Berechnungssystems Korrekturen aufdrängen können (vgl. dazu BGE 107 Ia 217 ff.), muss die Wahl der Abgeordneten für die kantonalen Parlamente innerhalb eines Kantons nach einheitlichen, vor dem Wahlgang eindeutig umschriebenen Gesichtspunkten vor sich gehen. Wenn ein bestimmtes Mandatszuteilungssystem im Grundsatz dem Prinzip der Verhältnismässigkeit entspricht, kann die Wahl in einem bestimmten Wahlbezirk vorbehältlich des erwähnten Sonderfalles nicht deshalb aufgehoben werden, weil hier (und nur gerade hier) ein anderes System vielleicht eine gerechtere Verteilung ermöglicht hätte.c) Die angefochtene Verteilungsart beruht auf dem vom Basler Mathematiker Hagenbach-Bischoff Ende des 19. Jahrhunderts entwickelten System, das auch für die Nationalratswahlen gilt (Bundesgesetz über die politischen Rechte, SR 161.1, Art. 40) und in der weit überwiegenden Zahl der Kantone bei der Bestellung ihrer Parlamente Anwendung findet (vgl. Bericht der Studienkommission zur Prüfung von Reformvorschlägen für die Wahl des Nationalrates und das Stimmrechtsalter, Bern 1972, S. 14 unten). Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin bedeutet die Bestimmung der Verteilungszahl nach dieser Methode, d.h. die Teilung der Gesamtstimmenzahl durch die um eins vermehrte Zahl der zu verteilenden Mandate unter Aufrundung des Ergebnisses auf die nächsthöhere ganze Zahl, verglichen mit dem auf den ersten Blick näher liegenden System der Teilung durch die Mandatszahl selbst, keine Benachteiligung der kleineren Parteien und Parteigruppen gegenüber den stärkeren. Es liegt auf der Hand, dass die Teilung einer gegebenen Zahl (der Gesamtstimmenzahl) durch eine grössere Zahl (Mandatszahl + 1) einen kleineren Quotienten (Verteilungszahl) ergibt als die Teilung durch eine kleinere Zahl (Mandatszahl). Daraus folgt, dass die Chancen kleinerer Parteien und Parteigruppen, schon bei der ersten Verteilungsart ein Mandat zugeteilt zu erhalten (also ein sogenanntes Vollmandat), bei der Methode Hagenbach-Bischoff grösser sind als bei dem von der Beschwerdeführerin vorgeschlagenen System. Die von Hagenbach-Bischoff entwickelte Methode stellt lediglich eine
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Vereinfachung der ersten Verteilung dar: es geht darum, den grössten Quotienten zu finden, der unter Einhaltung des Verhältnisgrundsatzes Gewähr dafür bietet, dass nicht mehr Mandate zugeteilt werden, als zu vergeben sind. Dieser Anforderung wird die Methode Hagenbach-Bischoff, die lediglich eine Weiterentwicklung des von der Beschwerdeführerin postulierten Systems darstellt, gerecht. Eine Berechnung der Verteilungszahl unter Teilung der Gesamtstimmenzahl durch die Mandatszahl selbst (statt durch die um eins erhöhte Mandatszahl) führt nur zur Verteilung einer grösseren Anzahl von Restmandaten und kommt deshalb kaum mehr vor (vgl. zum System Hagenbach-Bischoff, insbesondere zu seiner mathematischen Begründung, aus der umfangreichen Literatur vor allem: Emil Klöti, Die Proportionalwahl in der Schweiz, Bern 1901, S. 107 ff., 264 ff. und 369 ff.; PETER FELIX MÜLLER, Das Wahlsystem, Zürich 1959, S. 76 ff.; BENNO SCHMID, Die Listenverbindung im schweizerischen Proportionalwahlrecht, Zürich Diss. 1961, S. 21 ff.; MARCEL BRIDEL, Précis de droit constitutionnel et public suisse, Lausanne 1959/1965, 2e partie, S. 66 ff., N. 415-419; Bericht der Studienkommission, S. 14/15 und S. 27 ff.; ERWIN SCHILLINGER, Grundlagen und Möglichkeiten einer Neuordnung des Verfahrens für die Wahl des Nationalrates, Basler Diss. 1974, S. 7 ff.). Sämtliche Autoren stimmen darin überein, dass die Bestimmung des Wahlquotienten nach Hagenbach-Bischoff die Verhältniswahl nicht verfälscht und namentlich die kleineren Parteien nicht benachteiligt. Die entsprechende Rüge der Beschwerdeführerin ist damit unbegründet.
5. a) Weil die Parlamentsmandate nicht teilbar sind, können die nach der ersten Verteilung noch nicht verteilten Sitze, die sogenannten Restmandate, nicht genau verhältnismässig zugeteilt werden. Das im Kanton Zürich wie in den meisten übrigen Kantonen und im Bund gebräuchliche System nach Hagenbach-Bischoff (Weiterführung des Systems der Division: Stimmenzahl jeder Partei geteilt durch die Zahl der erhaltenen Mandate + 1; das Restmandat fällt jeweils an diejenige Partei, die nach dieser Division den grössten Quotienten aufweist) kann unbestrittenermassen eine gewisse Bevorzugung stärkerer Parteien und Parteienverbindungen gegenüber schwächeren zur Folge haben. Die Beschwerdeführerin beanstandet diese Erscheinung, ohne allerdings darzutun, welches System zu einer gerechteren Sitzverteilung führen würde; die rechnerische Darstellung eines Einzelfalles (Kantonsratswahlen im Wahlkreis Horgen 1983) mit einer dem Verhältnis der
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abgegebenen Stimmen besser entsprechenden Variante genügt nicht, um das System als solches als nicht mehr verfassungs- und gesetzeskonform erscheinen zu lassen. Hievon abgesehen ergibt sich aus dem Schrifttum, dass ein in jeder Hinsicht ideales System der Zuteilung von Restmandaten, das in der Praxis anwendbar und für den Bürger verständlich wäre, bis heute nicht gefunden worden ist. Das in verschiedenen ausländischen Staaten gebräuchliche System nach d'Hondt führt zu gleichen Ergebnissen wie dasjenige nach Hagenbach-Bischoff; seine Modifikation nach St.-Lague, wie sie in skandinavischen Ländern angewendet wird, setzt die Einführung künstlich anmutender Divisoren voraus; das System der Berücksichtigung der grössten Reststimmenzahl ist systematisch wenig folgerichtig (Durchbrechung des Proportionalitätsgedankens durch Subtraktion) und kann die Bevorzugung von in Splittergruppen aufgeteilten Parteien zur Folge haben; und ein neues, theoretisch möglicherweise gerechter scheinendes System, wie es PETER MÜLLER unter der Bezeichnung "Extremalsystem" zur Diskussion gestellt hat, liesse sich nach den eigenen Ausführungen des Autors höchstens mit Methoden der höheren Analysis durchführen; es scheidet daher für die praktische Anwendung im vornherein aus (vgl. zum Problem der Restmandatsverteilung: PETER MÜLLER, a.a.O. S. 109 ff., insbes. S. 119; BENNO SCHMID, a.a.O. S. 23 ff.; Bericht der Studienkommission, S. 19 ff. und 27 ff.; ERWIN SCHILLINGER, a.a.O. S. 8-13).b) Das Bundesgericht hat wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass es nicht nur ein zulässiges Verfahren zur Durchführung des Verhältniswahlsystems gebe. Der kantonale Gesetzgeber, dem von der Verfassung das Proportionalwahlverfahren vorgeschrieben ist, kann sich innerhalb dieses Gestaltungsspielraums frei für eine Lösung entscheiden. Dasselbe gilt für den Verordnungsgeber, sofern ihm der Gesetzgeber seine Zuständigkeit zur Regelung der Einzelfragen des Wahlsystems in gültiger Weise delegiert hat, wie dies im Falle des Kantons Zürich zutrifft. Es ist nicht Sache des Bundesgerichts, ein bestimmtes System der Mandatszuteilung an die Stelle desjenigen des kantonalen Gesetz- oder Verordnungsgebers zu setzen. Es schreitet vielmehr nur ein, wenn die getroffene Lösung nicht mehr als ein proportionales Wahlverfahren bezeichnet werden kann und sie damit zur kantonalen Verfassungsvorschrift (eventuell auch, sofern Delegation vorliegt, zur kantonalen Gesetzesvorschrift) in Widerspruch steht (BGE 107 Ia 220 E. 3a; BGE 103 Ia 561 E. 3b; Urteil Geissbühler vom 28. März 1962, veröffentlicht
BGE 109 Ia 203 S. 208
in Journal des Tribunaux 110/1962, S. 274, E. 2). In allen diesen Entscheiden wird dargelegt, dass sogar die Berücksichtigung gewisser dem Mehrheitswahlrecht entnommener Elemente, die der Parteienzersplitterung vorbeugen sollen, einem Wahlsystem den Charakter der Verhältniswahl noch nicht nimmt, sofern diese Elemente - wie z.B. ein Quorum, dessen Nichterreichen dazu führt, dass die betreffende Partei bei der Mandatszuteilung überhaupt nicht berücksichtigt wird - mit Zurückhaltung eingesetzt werden. Im Kanton Zürich liegt der Einfluss des Majoritätssystems einzig darin, dass die Restmandate nach der Methode Hagenbach-Bischoff zugeteilt werden. Da die Methode der Zuteilung der Vollmandate, wie dargetan, der Verhältnismässigkeitsregel uneingeschränkt entspricht, sind die Auswirkungen dieses Majorzeinflusses im vornherein recht beschränkt. Sie sind auf jeden Fall geringer als diejenigen eines Quorums. Hinzu kommt, dass kein System der Restmandatsverteilung besteht, das keinerlei Nachteile hätte. Die Rüge der Beschwerdeführerin, wonach das im Kanton Zürich zur Anwendung gelangende System der Zuteilung der Kantonsratsmandate dem durch Verfassung und Gesetz vorgeschriebenen Grundsatz der Verhältniswahl nicht entspreche, geht somit fehl. Da unbestritten ist, dass die Mandatszuteilung im Wahlkreis IX Horgen nach dieser in der Vollziehungsverordnung zum Wahlgesetz umschriebenen Methode erfolgt ist, erweist sich die Beschwerde als unbegründet und ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann.