109 Ia 332
Urteilskopf
109 Ia 332
56. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 1. Dezember 1983 i.S. K. gegen Regierungsrat des Kantons Luzern (staatsrechtliche Beschwerde)
Regeste
Art. 6 Ziff. 1 EMRK. Gerichtliche Überprüfung des Entscheides einer Verwaltungsbehörde im Bereich des Adoptionsrechts.
Die letztinstanzliche Überprüfung der Verweigerung einer Adoption durch das Bundesgericht als erstes und einziges Gericht genügt den Anforderungen des in Übereinstimmung mit der Schweizer Erklärung ausgelegten Art. 6 Ziff. 1 EMRK.
Am 7. November 1980 stellte K. ein Adoptionsgesuch, das der Regierungsstatthalter des Amtes Luzern am 21. Juni 1982 ablehnte. Eine gegen diesen Entscheid erhobene Verwaltungsbeschwerde wies der Regierungsrat des Kantons Luzern am 16. Mai 1983 ab. Mit staatsrechtlicher Beschwerde beantragt K. die Aufhebung dieses Entscheides.
Aus den Erwägungen:
3. Schliesslich macht die Beschwerdeführerin auch eine Verletzung von Art. 6 Ziff. 1 EMRK geltend. Fraglich bleibt, ob die Beschwerde diesbezüglich im Sinne von Art. 90 Abs. 1 lit. b OG hinreichend begründet ist. Indessen ist die Rüge des fehlenden Richters in jedem Fall materiell unbegründet.
Bei der Ratifikation der EMRK (SR 0.101) hat der Bundesrat zu Art. 6 Ziff. 1 folgende auslegende Erklärung abgegeben: "Für den Schweizerischen Bundesrat bezweckt die in Absatz 1 von Art. 6 der Konvention enthaltene Garantie eines gerechten Prozesses, sei es in bezug auf Streitigkeiten über zivilrechtliche Rechte und Pflichten, sei es in bezug auf die Stichhaltigkeit der gegen eine Person erhobenen strafrechtlichen Anklage, nur, dass eine letztinstanzliche richterliche Prüfung der Akte oder Entscheidungen der öffentlichen Gewalt über solche Rechte und Pflichten oder über die Stichhaltigkeit einer solchen Anklage stattfindet." (SR 0.101, S. 26 f.) Der Bundesrat gab diese Erklärung ab, weil er sich bewusst war, dass zivilrechtliche Streitigkeiten gerade auch im Bereiche des Familienrechts aufgrund von Art. 64 Abs. 3 BV und des Bundeszivilrechts in verschiedenen Kantonen weiterhin von Verwaltungsbehörden entschieden werden und das Bundesgericht auf eine staatsrechtliche Beschwerde oder eine zivilrechtliche Berufung hin den Streit als erstes und einziges Gericht beurteilt. Der Bundesrat trug sich vorerst mit den Gedanken zu einem entsprechenden formellen Vorbehalt (Ergänzungsbericht vom 23. Februar 1972, BBl 1972 I 996 f.). Indessen gaben ihm Äusserungen des Delegierten der Europäischen Kommission für Menschenrechte vor dem Gerichtshof im Falle Ringeisen (Urteil vom 16. Juli 1971, in EGMR Serie B Bd. II, S. 242-244) Anlass zur Annahme, dass eine letztinstanzliche Überprüfungsmöglichkeit durch den Richter den Anforderungen von Art. 6 Ziff. 1 EMRK genüge (Botschaft vom 4.3.1974, BBl 1974 I 1045 ff.). So oder so kommt jedoch der auslegenden Erklärung gestützt auf die konkrete Abwicklung der Ratifikation der EMRK durch den Schweizerischen Bundesrat die Bedeutung eines formellen Vorbehaltes im Sinne von Art. 64 EMRK zu. Entsprechend hat das Bundesgericht in seinem Entscheid 106 Ia 214 die weitere auslegende Erklärung des Schweizerischen Bundesrates zu Art. 6 Ziff. 3 lit. c und e betreffend die Garantie der Unentgeltlichkeit des Beistandes eines amtlichen Verteidigers und eines Dolmetschers qualifiziert. Es ist kein Grund
BGE 109 Ia 332 S. 334
ersichtlich, die auslegende Erklärung zu Art. 6 Ziff. 1 EMRK anders zu würdigen (BGE 108 Ia 313; vgl. auch WAGNER und WILDHABER, Der Fall Temeltasch und die auslegenden Erklärungen der Schweiz, in EuGRZ 1983, S. 145 ff., insbesondere S. 149).Referenzen
BGE: 108 IA 313
Artikel: Art. 6 Ziff. 1 EMRK, Art. 90 Abs. 1 lit. b OG, Art. 64 Abs. 3 BV, Art. 64 EMRK