66. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 18. Dezember 1990 i.S. Stadt Zürich gegen Schweiz Allgemeine Versicherungs AG und Verwaltungsgericht des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde)
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Regeste
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Art. 4 BV, Art. 27 RPG und § 234 des Zürcher Planungs- und Baugesetzes; planungsrechtliche Baureife für die Erstellung von Parkplätzen.
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2. Funktion der planungsrechtlichen Baureife (§ 234 PBG-ZH) und der Planungszone im Sinne von Art. 27 RPG in bezug auf die Änderung von Bestimmungen der Nutzungsplanung (E. 4a).
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3. Rechtsgleichheit bei der Beurteilung von Baugesuchen (E. 4b, c).
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Sachverhalt
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BGE 116 Ia 449 (450):
Die Bausektion II des Stadtrats Zürich verweigerte der Schweiz Allgemeine Versicherungs AG am 2. Juni 1989 die baurechtliche Bewilligung für die Erstellung von drei offenen Autoabstellplätzen auf dem Kernzonengrundstück Kat. Nr. 1693 an der Talstrasse 65 in Zürich 1. Die Bewilligungsverweigerung wurde damit begründet, das Baugrundstück liege im Reduktionsgebiet B. Gemäss der "heute gültigen Parkplatzverordnung" erfordere die bestehende Nutzung des Gebäudes ca. 36 Pflichtparkplätze. Zusätzlich dürfe maximal ein freiwilliger Parkplatz erstellt werden. Im Gebäude seien heute schon 46 Garagenplätze vorhanden, die aufgrund der Bestandesgarantie bestehen bleiben dürften. Die Pflichtparkplatzzahl sei damit mehr als erfüllt. Überdies sei ein weiterer oberirdischer Parkplatz mit Bausektionsbeschluss vom 7. März 1986 bewilligt worden. Dieser werde als freiwillig erstellter Parkplatz angerechnet. Die erlaubte Parkplatzzahl sei damit um 25% überschritten, weshalb weitere Plätze nicht bewilligt werden könnten.
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Die Schweiz Allgemeine Versicherungs AG gelangte gegen diese Verfügung vom 2. Juni 1989 an die Baurekurskommission I, welche den Rekurs abwies. Die Rekurskommission hielt fest, die Bausektion II habe in ihrer Vernehmlassung eingeräumt, dass die städtische Verordnung über Pflichtparkplätze (Parkplatzverordnung) vom 8. Januar 1986 keine Beschränkung von freiwillig erstellten Abstellplätzen vorsehe. Nach Auffassung der Rekurskommission bildet hingegen § 234 des Planungs- und Baugesetzes vom 7. September 1975 (PBG) i.V.m. Art. 10 der im Entwurf vorliegenden, am 11. Mai 1988 zuhanden des Gemeinderats verabschiedeten revidierten Parkplatzverordnung eine gesetzliche Grundlage für eine solche Beschränkung.
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Gegen den Entscheid der Baurekurskommission wandte sich die Schweiz Allgemeine Versicherungs AG mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich. Die Mehrheit dieses Gerichts hiess die Beschwerde am 5. April 1990 gut und hob den Rekursentscheid der Baurekurskommission und die Bauverweigerung der Bausektion II des Stadtrats Zürich vom 2. Juni 1989 auf. Diese städtische Baubehörde wurde eingeladen, die Baubewilligung für die drei umstrittenen Autoabstellplätze zu erteilen. Eine Minderheit des Verwaltungsgerichts hatte die Beschwerde abgewiesen. Dieser Minderheitsstandpunkt wird im Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 5. April 1990 ausführlich begründet.
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Gegen diesen Entscheid des Verwaltungsgerichts führt die Bausektion II des Stadtrats Zürich im Namen der Stadt Zürich BGE 116 Ia 449 (451):
staatsrechtliche Beschwerde beim Bundesgericht und beantragt dessen Aufhebung.
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Aus den Erwägungen:
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b) Der Gemeinderat der Stadt Zürich erliess am 8. Januar 1986 die Verordnung über Pflichtparkplätze (Parkplatzverordnung, PPV 1986). Diese Verordnung steht, soweit sie hier interessiert, seit dem 7. Februar 1986 in Kraft. Seither wurde die gesetzliche Grundlage dieser Verordnung geändert, indem § 243 PBG durch folgenden, am 1. Oktober 1987 in Kraft getretenen, neuen Absatz 2 ergänzt wurde:
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"Besteht ein überwiegendes öffentliches Interesse, insbesondere des Verkehrs oder des Schutzes von Wohngebieten, Natur- und Heimatschutzobjekten, Luft und Gewässern, können die Gemeinden die Zahl der erforderlichen Abstellplätze tiefer ansetzen und die Schaffung zusätzlicher Abstellplätze untersagen."
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Das Bundesgericht hat in einem Entscheid vom 18. Januar 1990 anerkannt, dass die genannte Bestimmung eine eindeutige gesetzliche Grundlage für die Beschränkung der zulässigen Autoabstellplätze darstellt (ZBl 91/1990, S. 355 f., E. 3a). Gemäss § 243 Abs. 3 PBG regeln die Gemeinden die Einzelheiten durch Verordnung, die der Genehmigung bedarf. Mit Beschluss vom 11. Mai 1988 beantragte der Stadtrat von Zürich dem Gemeinderat, die Parkplatzverordnung zu revidieren und dabei insbesondere von der Kompetenz gemäss § 243 Abs. 2 PBG in der neuen Fassung Gebrauch zu machen, d.h. die Zahl der freiwillig erstellten Abstellplätze, entsprechend den Verhältnissen in den verschiedenen Stadtgebieten, zu beschränken. Dazu legte der Stadtrat einen Entwurf für die Revision der Parkplatzverordnung (PPV-E 1988) vor. Am 20. Dezember 1989 erliess der Gemeinderat die "Verordnung über Fahrzeugabstellplätze (Parkplatzverordnung)" (PPV 1989). Diese Verordnung ist noch nicht in Kraft getreten. Sie wurde mit BGE 116 Ia 449 (452):
Rekurs angefochten und ist vom Regierungsrat noch nicht genehmigt worden. Inhaltlich weicht PPV 1989 in verschiedenen Punkten von der PPV-E 1988 ab. Der Gemeinderat reduzierte insbesondere die Zahl der Pflichtparkplätze (Art. 4 Abs. 1) und erhöhte die Zahl der freiwilligen Parkplätze (Art. 10 Abs. 1).
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Unter Bezugnahme auf diese verschiedenen Grundlagen bringt die Stadt Zürich vor, zur Zeit des erstinstanzlichen Entscheids, nämlich am 2. Juni 1989, sei bereits der stadträtliche Antrag für eine Revision der PPV 1986 (PPV-E 1988) vorgelegen. Gemäss der neu eingefügten Bestimmung von Art. 10 PPV-E 1988 sei die Zahl der freiwillig erstellten Abstellplätze im Gebiet B auf maximal 2,5% der Pflichtparkplatzzahl beschränkt worden. Für die Beschwerdegegnerin ergäbe sich hieraus eine maximal zulässige Parkplatzzahl von 37 Plätzen. Die Beschwerdeführerin habe die Bewilligung für die zusätzlichen drei Parkplätze aus der Überlegung verweigert, dass die Erstellung neuer, über Art. 10 PPV-E 1988 hinausgehender Parkplätze eine noch fehlende planungsrechtliche Festlegung im Sinne von § 234 PBG nachteilig beeinflussen würde. Zur Zeit des Verwaltungsgerichtsentscheids - noch nicht aber zur Zeit des Entscheids der Baurekurskommission I - sei die PPV 1989 bereits vom Gemeinderat verabschiedet gewesen. Diese habe zwar nicht im Resultat, aber doch in der Berechnungsweise erhebliche Abweichungen vom stadträtlichen Antrag (PPV-E 1988) mit sich gebracht. Die Berechnung gemäss Art. 4 und 10 PPV 1989 ergäbe eine maximal zulässige Parkplatzzahl von 38 Plätzen. Somit sei auch nach dem Massstab der PPV 1989 die höchst zulässige Parkplatzzahl auf dem Grundstück der Beschwerdegegnerin bereits heute massiv überschritten.
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c) Sowohl das Verwaltungsgericht als auch die private Beschwerdegegnerin gehen davon aus, die drei umstrittenen Abstellplätze würden über das nach der künftigen Parkplatzverordnung zulässige Mass hinausgehen. Das Verwaltungsgericht ist allerdings der Meinung, mit den drei zusätzlichen Abstellplätzen im Freien würde die künftig zulässige Abstellplatzzahl nur unwesentlich überschritten. Zur erwähnten Berechnung der zulässigen Parkplatzzahl gemäss Art. 4 und 10 PPV 1989 durch die städtische Behörde nimmt aber weder das Verwaltungsgericht noch die private Beschwerdegegnerin konkret Stellung. Letztere ist gar der Auffassung, diese Berechnung der höchst zulässigen Parkplatzzahl müsse im vorliegenden Verfahren unbeachtlich bleiben. Das Bundesgericht hat sich mit diesem Problem nicht weiter BGE 116 Ia 449 (453):
auseinanderzusetzen. Es genügt festzustellen, dass die Beschwerdeführerin, das Verwaltungsgericht und die private Beschwerdegegnerin übereinstimmend der Auffassung sind, die drei umstrittenen zusätzlichen Abstellplätze würden über das nach der künftigen Parkplatzverordnung zulässige Mass hinausgehen.
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a) Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts dient § 234 PBG ausschliesslich der Plansicherung und nicht allgemein der Voranwendung künftigen Rechts. Es muss sich bei einer planungsrechtlichen Festlegung im Sinne von § 234 PBG nach Auffassung des Verwaltungsgerichts stets um ein - unmittelbares oder wenigstens mittelbares - Planungsinstrumentarium handeln. Reine Messvorschriften würden keine planungsrechtlichen Festlegungen im Sinne von § 234 PBG darstellen. Nach ständiger verwaltungsgerichtlicher Praxis könne die Zielsetzung einer fehlenden Planung durch die Missachtung künftiger Bestimmungen über die Nutzweise selber, aber auch über die Ausnützung, die erlaubte Überbauungsart und insbesondere über die Geschosszahl nachteilig beeinflusst werden. Solche Normen seien von planerischer Bedeutung, weshalb sie im Rahmen von § 234 PBG beachtet werden müssten (Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 11. Juli 1990 i.S. K., E. 4 mit Hinweisen). Das Verwaltungsgericht geht somit in der erwähnten neuesten Rechtsprechung davon aus, die planungsrechtliche Baureife könne einem Bauvorhaben nicht nur vor der erstmaligen Festsetzung eines Nutzungsplans, sondern auch im Zusammenhang mit dessen Änderung entgegengehalten werden. Diese Auffassung ist auch im Hinblick auf Art. 27 RPG zutreffend, wonach die zuständige Behörde für genau bezeichnete Gebiete Planungszonen bestimmen kann, sofern Nutzungspläne angepasst werden müssen oder noch keine vorliegen. Da § 234 PBG im Kanton Zürich die Funktion der Planungszone im Sinne von Art. 27 RPG hat, kann diese kantonale Bestimmung auch aus diesem Grunde nicht nur zur Sicherung der erstmals festzusetzenden Nutzungsplanungen anwendbar sein.
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b) Im Lichte dieser Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts zu § 234 PBG muss auch die vom Gemeinderat der Stadt Zürich am 20. Dezember 1989 erlassene PPV 1989 und namentlich die in den Art. 4 Abs. 1 und 10 Abs. 1 dieser Verordnung vorgesehene BGE 116 Ia 449 (454):
Regelung über die maximal zulässigen Parkplätze gestützt auf § 234 PBG gesichert werden können.
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Das Verwaltungsgericht führt aus, mit den drei zusätzlichen Abstellplätzen im Freien würde die zulässige Abstellplatzzahl nur unwesentlich überschritten, wobei zudem zu überlegen wäre, ob sie nicht dem "Betriebszweck" des Ärztehauses dienten. Auf jeden Fall könne die Bewilligung der umstrittenen drei Parkplätze die künftige Parkplatzordnung nicht wesentlich ungünstig präjudizieren. Insbesondere könne keine Rede davon sein, dass andere Gesuche um Abstellplätze, die ebenfalls noch vor Inkrafttreten der neuen Parkplatzverordnung zu behandeln wären, aus Gründen der Rechtsgleichheit mit Rücksicht auf die Bewilligung dieser drei Parkplätze ebenfalls zu bewilligen wären.
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c) Diese Ausführungen sind verfassungsrechtlich nicht haltbar. Dass die Bewilligung der drei umstrittenen Parkplätze die neue Parkplatzverordnung nachteilig beeinflussen würde, ist offensichtlich. Weshalb bei einer Bewilligung der drei Abstellplätze gleichgelagerte Gesuche nicht auch zu bewilligen wären, ist im übrigen nicht ersichtlich. Im Lichte von Art. 4 BV wäre eine Gleichbehandlung im Gegenteil geboten. Zudem hat das Verwaltungsgericht auch schon entschieden, dass es bei der Prüfung der Frage, ob § 234 PBG verletzt sei, nicht auf die Bedeutung des einzelnen Falles ankomme. Im Zusammenhang mit der Änderung der Vorschriften über die zulässige Geschosszahl hat es erklärt, die Auswirkungen eines einzelnen Mehrgeschosses auf die Infrastruktur liessen sich vor allem in einem dicht bebauten Gebiet kaum messen. Ausschlaggebend sei vielmehr die präjudizielle Bedeutung, denn eine Vielzahl gleichartiger Projekte hätte spürbare Folgen für die Umgebung. Dementsprechend brauche nicht fallweise geklärt werden, ob ein Projekt messbare Auswirkungen zeitige (Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 11. Juli 1990 i.S. K., E. 5a). Werden diese Ausführungen des Verwaltungsgerichts auf die im vorliegenden Verfahren zur Diskussion stehende vergleichbare Problematik übertragen, so ergibt sich, dass sich das Verwaltungsgericht im angefochtenen Entscheid ohne sachliche Gründe über seine eigene Praxis hinweggesetzt hat. Es liegt auf der Hand, dass ein solches Vorgehen vor Art. 4 BV nicht standhält. Zu diesem Ergebnis ist im übrigen auch die Minderheit des Verwaltungsgerichts in Übereinstimmung mit der Baurekurskommission I gelangt. Zusammenfassend ergibt sich, dass der angefochtene Entscheid die Gemeindeautonomie verletzt und daher aufzuheben ist.
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