18. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 14. April 1992 i.S. Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle NAGRA gegen Kanton Nidwalden und Verfassungsgericht des Kantons Nidwalden (staatsrechtliche Beschwerde)
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Regeste
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Art. 15 Abs. 3 und Art. 36b OG (gemäss Revision 1991).
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Art. 6, Art. 85 Ziff. 7 und Art. 113 BV; Art. 84 Abs. 1 OG: Überprüfung kantonaler Verfassungsbestimmungen?
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Änderungen von Kantonsverfassungen können nicht mit staatsrechtlicher Beschwerde im abstrakten Normkontrollverfahren angefochten werden; sie unterliegen ausschliesslich der Gewährleistung der Bundesversammlung (E. 3).
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Sachverhalt
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BGE 118 Ia 124 (124):
Aufgrund von Volksinitiativen beschloss die Landsgemeinde des Kantons Nidwalden im Jahre 1990 Änderungen der Kantonsverfassung, BGE 118 Ia 124 (125):
des Einführungsgesetzes zum Zivilgesetzbuch und des Gesetzes über die Gewinnung mineralischer Rohstoffe (Bergregalgesetz). Diese Neuerungen betreffen die Benützung des Untergrundes für Ausbeutung, Produktion und Lagerung und verlangen hierfür eine von der Landsgemeinde zu erteilende Konzession.
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Die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle NAGRA focht u.a. die Änderungen der Kantonsverfassung erfolglos beim Verfassungsgericht des Kantons Nidwalden an. In der Folge machte sie beim Bundesgericht geltend, die neuen Bestimmungen in Art. 52 Abs. 3 Ziff. 6 und Art. 65 Abs. 2 Ziff. 8 KV verstiessen insbesondere gegen die derogatorische Kraft des Bundesrechts. Das Bundesgericht tritt auf die Beschwerde nicht ein.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
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1. Nach Art. 15 Abs. 3 OG (in der hier anwendbaren Fassung vom 4. Oktober 1991, AS 1992 288 und 337) entscheiden die öffentlichrechtlichen Abteilungen in der Besetzung mit sieben Richtern u.a. über referendumspflichtige Erlasse. Diese Besetzung stellt die ordentliche dar und gilt unabhängig von der Frage, ob Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden sind (JEAN-FRANÇOIS POUDRET, Commentaire de la loi fédérale d'organisation judiciaire, Band I, N 3.3 zu Art. 15). In Anlehnung an die frühere Rechtsprechung zum summarischen Verfahren nach Art. 92 aOG (BGE 108 Ia 280 f.) ist anzunehmen, dass auch bei der Anfechtung von referendumspflichtigen kantonalen Erlassen (und den entsprechenden Stimmrechtsbeschwerden) das vereinfachte Verfahren nach Art. 36a nicht grundsätzlich ausgeschlossen ist (POUDRET, a.a.O.). Die Bestimmung von Art. 15 Abs. 3 OG über die ordentliche Besetzung gebietet indessen eine gewisse Zurückhaltung bei der Anwendung des vereinfachten Verfahrens. Dieses kommt für den Fall einer Gutheissung kaum oder nur unter ganz besonderen Umständen in Frage (vgl. POUDRET, a.a.O.), entspricht nicht dem Normalfall und ist demnach im wesentlichen auf offensichtlich unbegründete oder unzulässige und damit geradezu trölerische oder missbräuchliche Beschwerden zu beschränken (vgl. POUDRET, a.a.O.). Auf der andern Seite erlauben die neuen, hier anwendbaren Bestimmungen des Organisationsgesetzes, bei Einstimmigkeit grundsätzlich alle Entscheidungen nach Art. 36b OG im Zirkulationsverfahren zu beurteilen. Das gilt auch für Beschwerden wie die vorliegende, für welche Art. 15 Abs. 3 OG eine Besetzung von sieben Richtern erfordert.
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BGE 118 Ia 124 (126):
Im vorliegenden Fall kann nicht im vereinfachten Verfahren im Sinne von Art. 36a OG entschieden werden. Angesichts der Einstimmigkeit ist es aber zulässig, im Zirkulationsverfahren nach Art. 36b OG in der Besetzung mit sieben Richtern zu entscheiden.
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Die vorliegende staatsrechtliche Beschwerde hat ausschliesslich die Frage der Zulässigkeit der Änderung der Verfassung des Kantons Nidwalden bzw. die Einfügung der Art. 52 Abs. 3 Ziff. 6 und Art. 65 Abs. 2 Ziff. 8 zum Gegenstand.
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... Es stellt sich die Frage, ob eine Änderung einer Kantonsverfassung angesichts des Erfordernisses der Gewährleistung durch die Eidgenössischen Räte im Verfahren der abstrakten Normkontrolle vor dem Bundesgericht überhaupt angefochten werden kann.
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In Anbetracht dieser Kompetenz der Bundesversammlung zur Gewährleistung von Kantonsverfassungen hat das Bundesgericht in einer auf das Jahre 1891 zurückgehenden Rechtsprechung angenommen, es sei zur Überprüfung von Kantonsverfassungen nicht zuständig. Es hat daran trotz der in der Literatur geübten Kritik festgehalten und ist auf entsprechende Beschwerden nicht eingetreten (BGE 17, 630, BGE 89 I 392 ff., BGE 104 Ia 219 ff., mit weiteren Hinweisen auf Judikatur und Doktrin). Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt, Art. 85 Ziff. 7 BV stelle gegenüber Art. 113 BV eine lex specialis dar, weshalb Kantonsverfassungen nicht Gegenstand der staatsrechtlichen Beschwerde im Sinne von Art. 113 BV bzw. Art. 84 OG sein könnten. Es könne nicht angenommen werden, dass der Verfassungsgeber die (abstrakte) Überprüfung von Verfassungen zwei verschiedenen Organen übertragen habe. Eine zweifache Kontrolle brächte zudem die Gefahr unterschiedlicher Entscheidungen mit sich. Ferner sei die Prüfung durch die Bundesversammlung nicht anderer Natur als diejenige durch das Bundesgericht (vgl. insbes. BGE 89 I 393 ff. E. 3 und 4, BGE 104 Ia 220 f.).
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BGE 118 Ia 124 (127):
Diese Rechtsprechung bezog sich zu Beginn auf Fälle, in denen im Anschluss an den Erlass einer Verfassungsänderung im Verfahren der abstrakten Normkontrolle staatsrechtliche Beschwerde erhoben wurde (vgl. BGE 17, 622 ff., BGE 89 I 392, 104 Ia 219 ff., mit Hinweisen). Später hat das Bundesgericht diese Rechtsprechung auf die vorfrageweise Überprüfung kantonaler Verfassungsbestimmungen ausgedehnt und es abgelehnt, im Einzelfall deren Vereinbarkeit mit dem Bundesverfassungsrecht zu prüfen (BGE 83 I 181 ff., BGE 100 Ia 364, vgl. 104 Ia 220). Diese Rechtsprechung ist in der Literatur ebenfalls auf Kritik gestossen (vgl. BGE 111 Ia 241, mit zahlreichen Hinweisen). Das Bundesgericht hat ihr im Jahre 1984 teilweise Rechnung getragen und unter Präzisierung der Rechtsprechung eine gewisse Ausdehnung der vorfrageweisen Überprüfung kantonaler Verfassungsbestimmungen anerkannt; danach kann die vorfrageweise Überprüfung kantonaler Verfassungsbestimmungen auf ihre Vereinbarkeit mit den vor der Europäischen Menschenrechtskonvention gewährleisteten Rechten und mit dem übrigen Bundesrecht jedenfalls dann mit staatsrechtlicher Beschwerde verlangt werden, wenn das übergeordnete Recht im Zeitpunkt der Gewährleistung durch die Bundesversammlung noch nicht in Kraft getreten ist (BGE 111 Ia 241 f.). Diese Rechtsprechung ist mit allgemeiner Formulierung kürzlich bestätigt worden (BGE 116 Ia 366 f.).
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b) Im vorliegenden Fall steht einzig in Frage, ob eine Änderung der Kantonsverfassung direkt im Anschluss an deren Erlass mit staatsrechtlicher Beschwerde angefochten werden kann. Die bundesgerichtliche Praxis hat dies - soweit ersichtlich - in der Sache selbst stets verneint, und dementsprechend ist das Bundesgericht auf staatsrechtliche Beschwerden nicht eingetreten (BGE 17, 622 ff., BGE 89 I 392, BGE 104 Ia 209 ff.); daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass es im gleichen Zusammenhang erhobene Stimmrechtsbeschwerden im Sinne von Art. 85 lit. a OG behandelt hat (vgl. BGE 89 I 399 E. 6, BGE 104 Ia 222 E. 2). In der heutigen Doktrin wird diese Ansicht weitgehend geteilt (vgl. PETER SALADIN, BV-Kommentar, Rz. 24 zu Art. 6; WALTER KÄLIN, Das Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde, S. 63; WALTER KÄLIN, Überprüfung kantonaler Verfassungsbestimmungen durch das Bundesgericht, in: recht 1986 S. 135). Zum Teil wird der Ausschluss des abstrakten Normkontrollverfahrens in Beziehung zur Möglichkeit der vorfrageweisen Überprüfung gesetzt (vgl. ANDREAS AUER, La juridiction constitutionnelle en Suisse, S. 152 N 270; ROLAND VETTERLI, Kantonale Erlasse als Anfechtungsobjekte der staatsrechtlichen Beschwerde, Diss. BGE 118 Ia 124 (128):
St. Gallen 1989, S. 124 ff., je mit weiteren Hinweisen); mit der erwähnten Ausdehnung der Rechtsprechung zur vorfrageweisen Überprüfung der Kantonsverfassungen ist auch diesen Überlegungen weitgehend Rechnung getragen. Aus all diesen Gründen ist an der Praxis festzuhalten, dass Änderungen von Kantonsverfassungen mit staatsrechtlicher Beschwerde im abstrakten Normkontrollverfahren nicht angefochten werden können.
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c) Aufgrund dieser Rechtslage ist die gegen den Erlass von Art. 52 Abs. 3 Ziff. 6 und Art. 65 Abs. 2 Ziff. 8 der Kantonsverfassung gerichtete staatsrechtliche Beschwerde der NAGRA nicht zulässig.
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