BGE 119 Ia 342 |
41. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 27. September 1993 i.S. H. gegen B., G., Bezirksanwaltschaft und Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde) |
Regeste |
Art. 4 BV, § 395 Abs. 1 Ziff. 2 StPO/ZH, Art. 251 StGB; Willkür; Strafverfahren, Rekurslegitimation des Geschädigten. |
Eine Schädigung von Individualinteressen durch eine Urkundenfälschung ist möglich, namentlich wenn sie Bestandteil eines schädigenden Vermögensdeliktes ist; es ist deshalb willkürlich, die Rekurslegitimation eines Geschädigten zu verneinen, weil es bei der Urkundenfälschung keinen Geschädigten gebe (E. 2b). |
Sachverhalt |
A.- Mit Wirkung ab 1. Januar 1969 wurde die einfache Gesellschaft Haus L. gegründet, an der Dr. med. A. mit 52% und seine vier Söhne H., B., G. und P. mit je 12% beteiligt waren. Nach dem Tode von Dr. med. A. im April 1982 amtierte von 1982 bis 1983 G. als Geschäftsführer, von 1984 bis zu seinem Tode 1986 P., danach bis 1988 B. In seiner öffentlichen letztwilligen Verfügung vom 7. Mai 1980 bestimmte Dr. med. A., dass sein Anteil von 52% an der einfachen Gesellschaft an seinen Sohn H. übergehen solle, unter Beachtung der Teilungsvorschrift in Art. 608 ZGB. Die erbrechtliche Auseinandersetzung zwischen den Erben ist noch nicht abgeschlossen. |
B.- Im Juli 1987 reichte H. gegen B. und G. Strafanzeige wegen Betrugs, Urkundenfälschung, Veruntreuung und ungetreuer Geschäftsführung ein, weil sie nach dem Tod des Vaters hohe Geldbeträge aus den Mitteln der einfachen Gesellschaft bzw. der Erbengemeinschaft bezogen und auf diese Weise faktisch die unverteilte Erbschaft eigenmächtig und einseitig geteilt hätten. Diese unrechtmässigen Geldbezüge seien in den Bilanzen verschleiert worden. Durch das Vorlegen falscher Bilanzen bzw. Erfolgsrechnungen und Unterlassen einer entsprechenden Orientierung an den Gesellschafterversammlungen sei er regelmässig über die getätigten Bezüge getäuscht worden.
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C.- Mit Verfügung vom 22. August 1988 stellte die Staatsanwaltschaft Zürich die Strafuntersuchung ein. Dagegen rekurrierte H. bei der Direktion der Justiz des Kantons Zürich, die den Rekurs mit Verfügung vom 17. Oktober 1989 guthiess und die Fortführung der Untersuchung anordnete.
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Die Bezirksanwaltschaft stellte das Strafverfahren nach ergänzenden Untersuchungen am 4. März 1992 wiederum ein. Mangels Bereicherungsabsicht seien weder Betrug noch Veruntreuung gegeben, da die beschuldigten Brüder geglaubt hätten, sie seien berechtigt, Bezüge zulasten ihres Erbanteils vorzunehmen. Die Untersuchung habe keine Hinweise dafür ergeben, dass sich die Brüder entweder im Innenverhältnis gegenüber H. oder im Aussenverhältnis gegenüber Dritten betrügerisch verhalten hätten. Zur behaupteten Urkundenfälschung bemerkte die Bezirksanwaltschaft, lediglich die Bilanz per Ende 1984 sei falsch. Die Abweichungen hätten aber auf einem unabsichtlichen Fehler beruht und dieser sei in der Bilanz per Ende 1985 bereinigt worden.
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D.- Die Rekurskommission der Staatsanwaltschaft wies den dagegen erhobenen Rekurs von H. mit Entscheid vom 13. April 1993 ab, soweit sie überhaupt darauf eintrat. B. und G. würden Delikte hinsichtlich eines erb- und gesellschaftsrechtlich mit H. gehaltenen Gesamthandvermögens vorgeworfen. Der an einem Gesamthandverhältnis Berechtigte sei aber, da nicht unmittelbar betroffen, nicht als Geschädigter im Sinne von § 395 Abs. 1 Ziff. 2 StPO/ZH zum Rekurs legitimiert, wenn die Delikte zum Nachteil des Gesamthandvermögens verübt worden seien. H. hätte den Rekurs nur zusammen mit allen anderen Gesellschaftern oder in Ausübung eines entsprechenden Vertretungsauftrags gültig erheben können. Bezüglich der Urkundenfälschung gebe es keinen Geschädigten im Sinne von § 395 Abs. 1 Ziff. 2 StPO/ZH, weshalb auch insoweit auf den Rekurs nicht einzutreten sei. Selbst wenn auf den Rekurs eingetreten werden könnte, wäre er hinsichtlich des Betrugs unbegründet, da allenfalls ein sogenannter Deckungs- oder Sicherungsbetrug und deshalb lediglich mitbestrafte Nachtat von Veruntreuung oder ungetreuer Geschäftsführung vorläge. |
E.- Mit der staatsrechtlichen Beschwerde rügt H. eine Verletzung von Art. 4 BV, namentlich eine formelle Rechtsverweigerung, da seine Geschädigtenstellung und damit seine Rekurslegitimation gemäss § 395 Abs. 1 Ziff. 2 StPO/ZH zu Unrecht verneint worden sei. Wenn ein Gesamteigentümer in Gesamthand gehaltene Werte in seinen Besitz überführe, verletze er das Eigentum der übrigen Gesamteigentümer, auch wenn diese nicht alleine über ihre Eigentumsrechte verfügen könnten. Die übrigen Eigentümer erlitten so einen Schaden im zivilrechtlichen Sinn, der sich nicht erst bei der Liquidation auswirke. Weiter sei die Annahme realitätsfremd, er hätte den Rekurs nur zusammen mit allen andern Gesellschaftern erheben können, denn die einfache Gesellschaft Haus L. bestehe nur aus drei Mitgliedern, nämlich ihm und seinen zwei Brüdern: Ein Mehrheits- oder sogar einstimmiger Beschluss zugunsten eines Strafverfahrens sei aber bei dieser Konstellation überhaupt nicht denkbar.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
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Aus den Erwägungen: |
2. Gemäss § 395 Abs. 1 Ziff. 2 StPO/ZH sind zur Ergreifung der Rechtsmittel legitimiert "die Privatkläger sowie die Personen, welchen durch die der gerichtlichen Beurteilung unterstellten Handlungen unmittelbar ein Schaden zugefügt wurde oder zu erwachsen drohte (Geschädigte)". Nach der Rechtsprechung der zürcherischen Gerichte wie auch nach der in der Literatur vorherrschenden Auffassung ist Geschädigter nur der unmittelbar Verletzte, d.h. der Träger des durch die Strafdrohung geschützten Rechts oder Rechtsgutes, gegen das sich die Straftat ihrem Begriff nach richtet (Urteile des Obergerichts und des Kassationsgerichts des Kantons Zürich, publiziert in SJZ 71/1975 S. 64 Nr. 30 und S. 282 ff.; BAUMANN, Die Stellung des Geschädigten im schweizerischen Strafprozess, Diss. Zürich 1958, S. 21 f.; HARTMANN, Die Stellung des Geschädigten sowie von Dritten im zürcherischen Strafprozess, Kriminalistik 1970, S. 458; BRUNNER, Die Stellung des Geschädigten im zürcherischen Offizial- und subsidiären Privatstrafklageverfahren, Diss. Zürich 1976, S. 27; HAUSER, Kurzlehrbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, 2. Aufl., S. 82; SCHMID, Strafprozessrecht, 2. Aufl. 1993, N 502 ff.). |
a) Sofern der Gesellschaftsvertrag nicht anders bestimmt, gehören bei einer einfachen Gesellschaft alle Vermögenswerte den Gesellschaftern gemeinschaftlich, zu gesamter Hand (Art. 544 Abs. 1 OR); das Recht eines jeden Gesellschafters geht auf die ganze Sache (Art. 652 ZGB). Die Rechte der Gemeinschaft können daher nur von allen Gesellschaftern gemeinsam, gegebenenfalls durch bevollmächtigte Stellvertreter, wahrgenommen werden (Art. 653 Abs. 2 ZGB; VON STEIGER, Schweizerisches Privatrecht, Bd. VIII/1, Basel 1976, S. 382; GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3. Aufl., S. 296-298; vgl. auch BGE 102 Ia 430 E. 3). Dies betrifft jedoch nur Fälle, in denen es um Ansprüche der Gesellschaft gegenüber Dritten geht.
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In seiner Rechtsprechung zur Erbengemeinschaft, gemäss Art. 602 Abs. 2 ZGB ebenfalls eine Gemeinschaft in Gesamthand, hat das Bundesgericht Rechtsmittel einzelner Erben zugelassen, wenn ein zur Erbschaft gehörender Anspruch gegenüber einzelnen Miterben von allen übrigen Erben geltend gemacht wird, oder wenn der Rechtsstreit Schulden der Gesamthand betrifft, für welche die einzelnen Erben solidarisch haften (BGE 102 Ia 430 E. 3, BGE 93 II 11 E. 2b, je mit Hinweisen). Bereits in BGE 54 II 243 wurde die Legitimation zweier Erben in einer aus drei Personen bestehenden Erbengemeinschaft bejaht, die gegen den dritten Miterben einen Anspruch gerichtlich durchsetzen wollten; denn mit dem Prinzip der gemeinsamen Klageerhebung solle vermieden werden, dass ein einzelner Erbe ohne Rücksicht auf seine Miterben Klage erhebe und diese durch unsorgfältige Prozessführung um ihren Anspruch bringe; es bestehe aber kein Grund, einzelne Erben nicht von sich aus gegen alle übrigen Miterben vorgehen zu lassen, weil in diesem Fall alle Erben Prozesspartei seien und sich über ihre gegenseitigen Rechtsansprüche auseinandersetzen könnten.
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Entsprechendes muss auch für die einfache Gesellschaft gelten, um die es im zu beurteilenden Fall geht. Bei strafbaren Handlungen Dritter zum Nachteil der einfachen Gesellschaft werden deren Mitglieder gemeinsam als Geschädigte bzw. als für die Gesellschaft Handlungsberechtigte gemäss § 395 Abs. 1 Ziff. 2 StPO/ZH betrachtet; also muss auch der einzelne Gesellschafter ein Rechtsmittel ergreifen können, wenn die übrigen Mitgesellschafter Straftaten zum Nachteil der einfachen Gesellschaft begangen haben, denn nur so können deren Rechte gewahrt werden. Dadurch wird der einzelne Gesellschafter nicht als unmittelbar Geschädigter betrachtet, es wird ihm nur das Recht zugestanden, ausnahmsweise allein für die einfache Gesellschaft zu handeln. Diese Ausnahme drängt sich auf, weil der Umstand, dass die Mitglieder einer einfachen Gesellschaft nur gemeinsam oder in Ausübung eines Vertretungsauftrags für die Gesellschaft handeln können, nicht dazu führen darf, dass die einfache Gesellschaft im Verhältnis zu ihren Gesellschaftern des strafprozessualen Schutzes verlustig geht, den § 395 Abs. 1 Ziff. 2 StPO/ZH gewährt. Diese Alleinvertretungsbefugnis eines Gesellschafters ist, wie oben angeführt, auch unbedenklich, weil die übrigen Mitgesellschafter vom Rekurs gegen die Einstellungsverfügung betroffen und Partei im Rekursverfahren sind, so dass eine Auseinandersetzung unter allen Gesellschaftern stattfindet. Es ist also sachlich in keiner Weise gerechtfertigt, H. die Rekurslegitimation abzusprechen, und die Auffassung der Staatsanwaltschaft, dieser hätte den Rekurs nur zusammen mit allen anderen Gesellschaftern oder in Ausübung eines entsprechenden Vertretungsauftrags erheben können, ist offensichtlich unhaltbar. Dies war klarerweise nicht möglich, da es ausgeschlossen war, dass die Mitgesellschafter einem Rekurs gegen die Einstellung der gegen sie gerichteten Strafuntersuchung zustimmen würden. Die Staatsanwaltschaft Zürich verletzte daher das Willkürverbot gemäss Art. 4 BV (BGE 118 Ia 497 E. 2a). |
b) Das gleiche gilt, soweit in bezug auf den Vorwurf der Urkundenfälschung auf den Rekurs des Beschwerdeführers nicht eingetreten wurde, weil es bei Art. 251 StGB keinen Geschädigten im Sinne von § 395 Abs. 1 Ziff. 2 StPO/ZH gebe.
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Bei einer Verletzung von Strafnormen, die nicht primär Individualrechtsgüter schützen, wird angenommen, diejenigen Personen könnten als Geschädigte betrachtet werden, die durch derartige Delikte tatsächlich in ihren Rechten beeinträchtigt werden, sofern diese Beeinträchtigung unmittelbare Folge der tatbestandsmässigen Handlung ist (BGE 118 Ia 14 E. 2b; BGE 117 Ia 135 E. 2a mit Hinweisen; SCHMID, a.a.O., N 508). Urkundenfälschung stellt sowohl ein Tätigkeits- als auch ein abstraktes Gefährdungsdelikt dar, eine Schädigung von Individualinteressen ist also grundsätzlich möglich, auch wenn in erster Linie Treu und Glauben im Geschäftsverkehr geschützt sind (BGE 101 IV 53 E. 3a S. 59, BGE 97 IV 205 E. 2 S. 209). Nach HAUSER (a.a.O., S. 83) ist bei Urkundendelikten die von der Tat betroffene Person Geschädigter, soweit der Beschuldigte auf dessen Benachteiligung abzielt (vgl. auch SCHUBARTH, Kommentar Strafrecht, 2. Band, Art. 148 N 127). Auch das Zürcher Kassationsgericht bejaht bei Urkundenfälschung die Geschädigtenstellung nach § 395 Abs. 1 Ziff. 2 StPO/ZH grundsätzlich, falls durch die tatbestandsmässige Handlung allein ein individuelles Recht bzw. Rechtsgut beeinträchtigt werde, wenn also die Urkundenfälschung gleichzeitig Bestandteil der schädigenden Vermögensdelikte sei (SJZ 71/1975, S. 283). |
H. wirft den beiden Beschwerdegegnern vor, unrechtmässige Geldbezüge durch Vorlage falscher Bilanzen und Erfolgsrechnungen verschleiert zu haben, wodurch er diesen in Unkenntnis der Entnahmen zugestimmt und dabei für sich einen zu tiefen Gewinnanteil akzeptiert habe. Mithin wäre er aber durch die Fälschung der Bilanzen im Sinne der zitierten Rechtsprechung geschädigt, da sowohl sein Anspruch auf Information gemäss Art. 541 OR als auch sein Anteil am jährlichen Gewinn gemäss Art. 533 OR und Ziffer 4.3 des Gesellschaftsvertrages durch die tatbestandsmässige Handlung unmittelbar beeinträchtigt wären. Die gegenteilige Annahme ist offensichtlich unhaltbar. Auch in diesem Punkte hält die Verneinung der Rekurslegitimation nach § 395 Abs. 1 Ziff. 2 StPO/ZH daher vor dem Willkürverbot nicht stand.
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