BGE 98 Ib 81 |
12. Urteil vom 10. März 1972 i.S. Eidg. Justiz- und Polizeidepartement gegen X. und Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt. |
Regeste |
Erwerb des Bürgerrechts von Gesetzes wegen; analoge Anwendung des Art. 5 Abs. 1 BüG. |
Sachverhalt |
A.- X. wurde 1931 in Polen als polnischer Staatsangehöriger geboren. Im August 1956 reiste er nach Schweden. Er gab dort seinen polnischen Pass ab und es wurde ihm auf sein Begehren politisches Asyl gewährt. 1958 kam er nach Zürich, beendete dort seine Studien und heiratete im August 1965 Y., Bürgerin von Basel und Appenzell. Die Ehefrau hat das Schweizerbürgerrecht gemäss Art. 9 BüG beibehalten. Seit 1967 wohnen die Eheleute X.-Y. in Basel. |
Am 30. August 1970 wurde die Tochter Z. geboren. Das Zivilstandsamt Basel-Stadt lehnte es ab, das Kind im Familienregister als Schweizerbürgerin einzutragen. Das Amt vertrat die Auffassung, die Voraussetzungen von Art. 5 BüG seien nicht erfüllt; der Vater sei zwar anerkannter Flüchtling; da aber der Nachweis eines Verlustes des polnischen Bürgerrechts fehle, sei er als polnischer Staatsangehöriger zu betrachten; sein Kind habe durch Geburt das polnische Bürgerrecht erworben. |
Den gegen diesen Entscheid eingereichten Rekurs wies das Justizdepartement des Kantons Basel-Stadt gestützt auf eine Auskunft des Bürgerrechtsdienstes der Eidg. Polizeiabteilung ab. Ein Angebot des Bürgerrechtsdienstes, durch Rückfrage in Polen abzuklären, ob er noch als polnischer Staatsangehöriger gelte, lehnte X. ab, weil er alles vermeiden wolle, was die polnischen Behörden an seine Flucht erinnern und seine betagten Eltern erneut gefährden könnte.
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B.- Der Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt hiess die gegen den Entscheid des Justizdepartements eingereichte Beschwerde gut und stellte fest, die Tochter Z. besitze das Schweizerbürgerrecht.
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C.- Das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement reicht gegen den Beschluss des Regierungsrates gemäss Art. 50 Ziff. 2 lit. c und Art. 52 lit. b BüG Verwaltungsgerichtsbeschwerde ein mit dem Antrag, der angefochtene Beschluss sei aufzuheben und es sei festzustellen, dass das Kind Z. die Bürgerrechte der Gemeinden Basel und Appenzell sowie der Kantone Basel-Stadt und Appenzell I. Rh. und das Schweizerbürgerrecht nicht besitze.
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Zur Begründung seines Antrages macht das Departement vor allem geltend, für eine formelle Ausbürgerung von X. in Polen beständen keine Anhaltspunkte; bis zum Beweis des Gegenteils müsse somit angenommen werden, er besitze die polnische Staatsangehörigkeit noch und sein Kind habe mit der Geburt ebenfalls das polnische Bürgerrecht erworben.
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D.- Der Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt sowie X. und seine Frau beantragen die Abweisung der Beschwerde des Eidg. Justiz- und Polizeidepartementes.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: |
2. Art. 5 Abs. 1 BüG bestimmt, dass das eheliche Kind eines ausländischen Vaters und einer schweizerischen Mutter von Geburt an das Kantons- und Gemeindebürgerrecht der Mutter und damit das Schweizerbürgerrecht erwirbt, "wenn es nicht von Geburt an eine andere Staatsangehörigkeit erwerben kann". |
Bei der Schaffung des neuen Bürgerrechtsgesetzes wurde darüber diskutiert, ob die Bestimmungen, welche wie der zitierte Art. 5 Abs. 1 die Staatenlosigkeit vermeiden wollen, nur anzuwenden seien, wenn eine rechtliche Staatenlosigkeit eintritt oder ob auch die tatsächliche Staatenlosigkeit - so bei Schriftenlosigkeit oder bei Abbruch der Beziehungen mit dem frühern Heimatstaat ohne formelle Ausbürgerung - entsprechende Rechtswirkungen in unserer Ordnung des Bürgerrechts haben soll. Der Vorschlag der Expertenkommission wollte auch die tatsächliche Staatenlosigkeit berücksichtigen; der Bundesrat hatte dagegen Bedenken, weil sich wohl kaum je eindeutig umschreiben lasse, was unter tatsächlicher Staatenlosigkeit verstanden werde (Botschaft des Bundesrates zum BüG vom 9. August 1951, BBl 1951 II 677). Das Parlament stimmte der bundesrätlichen Zurückhaltung zu. Favre führte als Referent im Nationalrat aus: "Il serait absolument inconcevable de faire dépendre l'acquisition de la nationalité suisse, qui demande sécurité et stabilité, de faits aussi incertains. Nous estimons donc qu'il y a lieu de s'en tenir à la notion juridique de l'apatridie telle qu'elle a été admise jusqu'à ce jour et de laisser aux tribunaux, dans les cas théoriquement douteux mais dans ces cas seulement, le soin d'apprécier libéralement cette notion" (StenBull NR 1951, S. 765).
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Dass das Abstellen auf die formale Rechtslage im konkreten Fall zu Härten führen kann, kommt auch in der Botschaft des Bundesrates zum BüG zum Ausdruck. Die strikte rechtliche Ausgangsposition wird durch folgenden Passus deutlich abgeschwächt: "Das hat unseres Erachtens nicht notwendigerweise zu bedeuten, dass im Einzelfall nach rein formaljuristischen Erwägungen entschieden werden müsse. Man denke beispielsweise daran, dass in der jüngern Vergangenheit einzelne Staaten bestimmte Personen, die formell die Staatsangehörigkeit noch besassen, zwar in jeder Hinsicht nicht mehr als eigene Staatsangehörige behandelten, ihnen aber trotzdem nicht die in solchen Fällen oft als Wohltat empfundene Erklärung über den Entzug der Staatsangehörigkeit abgaben. Bundesgericht und Bundesrat werden in solchen Fällen jemanden als staatenlos im Sinne der Bestimmungen des Entwurfes betrachten dürfen. Dies schiene uns einer vertretbaren, vernünftigen Rechtsanwendung zu entsprechen und würde gleichzeitig gestatten, besonders stossende Einzelfälle angemessen zu ordnen" (a.a.O. S. 677). Diesen Äusserungen ist zu entnehmen, dass der Gesetzgeber bei der Schaffung des BüG gegen irgendeine gesetzliche Anerkennung der schwer definierbaren "tatsächlichen Staatenlosigkeit" Bedenken hatte und daher prinzipiell an der rechtlichen Staatenlosigkeit festhalten wollte, aber doch von der Praxis eine gewisse Grosszügigkeit bei der Feststellung des Vorhandenseins oder Fehlens einer Staatsangehörigkeit erwartete. |
"1. seine Treuepflicht gegenüber der Polnischen Volksrepublik verletzt hat,
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2. zum Nachteil lebenswichtiger Interessen der Polnischen Volksrepublik gehandelt hat,
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3. nach dem 9. Mai 1945 das Gebiet der Polnischen Volksrepublik illegal verlassen hat,
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4. auf eine diesbezügliche Aufforderung des zuständigen Staatsorgans die Rückkehr nach Polen verweigert hat,
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5. sich der durch polnisches Recht vorgeschriebenen Erfüllung der Militärdienstpflicht entzieht, ..."
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Nachdem X. vor 15 Jahren aus Polen flüchtete, später an einer Exilzeitschrift und am Sender "Freies Europa" mitarbeitete, ist anzunehmen, dass die Voraussetzungen einer Ausbürgerung erfüllt wären. Trotzdem ist es nicht ausgeschlossen, dass Polen X. nie ausgebürgert hat und sein Kind die polnische Staatsangehörigkeit erwerben kann beziehungsweise erworben hat.
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Wiewohl daraus erhellt, dass bei einer derartigen Sachlage die objektiven Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 1 BüG nicht erfüllt sind, befindet sich das Kind Z. im Ergebnis doch in einer Situation, die jener eines ehelichen Kindes eines ausländischen Vaters und einer schweizerischen Mutter, das von Geburt an eine andere Staatsangehörigkeit nicht erwerben kann, gleichkommt. Auf einen solchen Fall ist Art. 5 Abs. 1 - im Sinne der vom Gesetzgeber angestrebten Grosszügigkeit bei der Interpretation dieser Bestimmung (vgl. Erw. 2) - analog anzuwenden. Das Kind Z. erwirbt demnach die Kantons- und Gemeindebürgerrechte seiner Mutter und damit das Schweizerbürgerrecht. Sollte es vor der Mündigkeit die fragliche Staatsangehörigkeit seines Vaters besitzen, verliert es das Schweizerbürgerrecht (Art. 5 Abs. 2 BüG); es verliert die Kantons- und Gemeindebürgerrechte seiner Mutter und erwirbt dasjenige seiner Vaters, wenn dieser vor der Mündigkeit des Kindes Schweizerbürger wird (daselbst Abs. 3). |
Zu diesem Ergebnis - allerdings mit anderer Begründung - ist auch der Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt gelangt. Sein Entscheid ist mithin zu bestätigen und die Beschwerde des Eidg. Justiz- und Polizeidepartementes abzuweisen.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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