98 Ib 177
Urteilskopf
98 Ib 177
25. Auszug aus dem Urteil vom 28. April 1972 i.S. X. gegen Regierungsrat des Kantons Zürich.
Regeste
Fremdenpolizeirecht; Ausweisung ( Art. 10 Abs. 1 lit. a und b ANAG ).
Der Vollzug der Ausweisung kann nicht - aufgrund berechtigter Hoffnungen hinsichtlich der Besserung des Betroffenen und um diesem Gelegenheit zur Bewährung einzuräumen - auf unbestimmte Zeit aufgeschoben werden.
Aus dem Sachverhalt:
Die 1949 als deutsche Staatsangehörige geborene Beschwerdeführerin kam 1959 in die Schweiz. Nach Abschluss der Schulen wurde sie wegen erzieherischer Schwierigkeiten in verschiedenen Heimen sowie Heil- und Pflegeanstalten untergebracht. Ab Januar 1968 ging sie keiner ordentlichen Erwerbstätigkeit nach, sondern lebte von Einkünften aus ihrer Dirnentätigkeit; dies obwohl die Fremdenpolizei des Kantons Zürich sie darauf aufmerksam gemacht hatte, dass sie mit einer Ausweisung aus der Schweiz zu rechnen habe, wenn sie ihr unsittliches Gewerbe nicht aufgebe. Nach mehreren Verurteilungen, u.a. wegen Anlockens zur Unzucht, Betrugs, Veruntreuung, Hehlerei, Sachbeschädigung, Gewalt und Drohung gegen Beamte, wurde sie vom Regierungsrat des Kantons Zürich mit Beschluss vom 18. März 1971 für dauernd aus der Schweiz ausgewiesen. Die Beschwerdeführerin erhebt dagegen Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Sie bringt vor, sich am 3. September mit einem im Kanton Zürich aufenthaltsberechtigten Österreicher verheiratet
BGE 98 Ib 177 S. 178
zu haben und seit anfangs 1971 ein geregeltes Leben zu führen. Der Regierungsrat beantragt die Abweisung der Beschwerde, erklärt sich jedoch im Hinblick auf die geänderten Verhältnisse bereit, den Vollzug der Ausweisung auf unbestimmte Zeit aufzuschieben. Das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement schliesst auf Abweisung der Beschwerde.Aus den Erwägungen:
1.- (Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde und Kognitionsbefugnis des Bundesgerichtes).
2.- (Feststellung, dass die Voraussetzungen für die Ausweisung erfüllt sind (a) und Erwägung der Umstände, welche bei der Ermessensfrage, ob die Beschwerdeführerin ausgewiesen werden soll, zu berücksichtigen sind (b).)
c) Bei der Würdigung der vorgenannten Umstände ist die Vorinstanz zum Schluss gekommen, das Interesse der Schweiz, von der Beschwerdeführerin als unerwünschter Ausländerin befreit zu werden, sei entscheidend. Diese Schlussfolgerung wäre grundsätzlich nicht zu beanstanden, hätte sich die Sachlage nicht nach dem Ausweisungsbeschluss des Regierungsrates geändert. Die Beschwerdeführerin hat sich nämlich am 3. September 1971 mit dem im Kanton Zürich aufenthaltsberechtigten Österreicher N. verheiratet. Der freien Gestaltung, die im allgemeinen das Verwaltungsgerichtsverfahren kennzeichnet und bei der der Richter vor allen Dingen einen sachlich richtigen Entscheid treffen sowie den Streitfall endgültig aus der Welt schaffen soll (BGE 56 I 370mit Hinweisen), entspricht es, dass selbst nach der angefochtenen Verfügung eingetretene Tatsachen im vorliegenden Verfahren berücksichtigt werden (BGE 89 I 337; BGE 92 I 327; Urteile vom 17. September 1971 i.S. P.T., Erw. 4 am Schluss; vom 26. November 1971 i.S. B. & Co., Erw. III/1; vom 22. Dezember 1971 i.S. P.F., Erw. 1c).
Der Regierungsrat hat in seiner Vernehmlassung zu dieser neuen Tatsache Stellung genommen. Er verkennt darin nicht, dass die Verheiratung der Beschwerdeführerin zu "gewissen Hoffnungen hinsichtlich ihres künftigen Lebenswandels berechtigt". Eine Gutheissung der Beschwerde im Sinne einer Umwandlung der Ausweisung in eine blosse Androhung dieser Massnahme oder gar einer Aufhebung der Ausweisung könne allerdings nicht befürwortet werden. Der Regierungsrat erklärt sich jedoch bereit, "den Vollzug der Ausweisung auf unbestimmte
BGE 98 Ib 177 S. 179
Zeit aufzuschieben. Damit erhielte die Beschwerdeführerin einerseits Gelegenheit, sich zu bewähren; anderseits stünde sie bis auf weiteres unter der dauernden unmittelbaren Drohung der sofortigen Ausweisung im Falle der Wiederaufnahme ihrer alten Lebensweise."Diesem vom Regierungsrat aufgezeigten Vorgehen ist nicht beizupflichten. Es geht nach Massgabe der Verfahrensordnung des ANAG nicht an, die Ausweisung zu verfügen, deren Vollzug jedoch - aufgrund berechtigter Hoffnungen hinsichtlich der Besserung der Betroffenen und um dieser Gelegenheit zur Bewährung einzuräumen - auf unbestimmte Zeit aufzuschieben. Für solche Fälle steht die fremdenpolizeiliche Massnahme der Androhung der Ausweisung zur Verfügung.
Der Aufschub des Vollzuges auf unbestimmte Zeit ist im übrigen deshalb ausgeschlossen, weil er zu einer willkürlichen Behandlung führen könnte; die Fremdenpolizei hätte es in der Hand, die Beschwerdeführerin jederzeit ohne Durchführung des gesetzlich vorgesehenen Verfahrens auszuweisen, wenn diese ihre "alte Lebensweise" wieder aufnimmt.
d) Der Entscheid, ob aufgrund der neuen Umstände die Ausweisung aufrechterhalten, d.h. die Beschwerdeführerin ausgewiesen werden, oder ob der Beschwerdeführerin die Ausweisung bloss angedroht werden soll, ist weitgehend Ermessensfrage. Der Regierungsrat hat daher in einem neuen Beschluss darüber zu befinden.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird gutgeheissen, der angefochtene Beschluss aufgehoben und die Sache zur Neuentscheidung an den Regierungsrat des Kantons Zürich zurückgewiesen.