98 Ib 400
Urteilskopf
98 Ib 400
59. Urteil des Kassationshofes vom 22. November 1972 i.S. Nater gegen Eidgenösssiches Militärdepartement.
Regeste
1. Art. 100 lit. f OG, "Verfügungen auf dem Gebiete der Strafverfolgung". Solche sind Entscheide, mit denen die Militärbehörden gemäss Art. 32 Ziff. 3 MStG den bedingten Strafvollzug widerrufen (Erw. 1, 2).
2. Art. 32 Ziff. 3 Abs. 2 MStG. Begriff des besonders leichten Falles (Erw. 3).
A.- Hans Rudolf Nater wurde am 16. Dezember 1966 vom Divisionsgericht 11 wegen Dienstversäumnis und wiederholter Nichtbefolgung von Dienstvorschriften zu einer auf vier Jahre
BGE 98 Ib 400 S. 401
bedingt vollziehbaren Gefängnisstrafe von vier Monaten verurteilt. Am 12. November 1970 auferlegte ihm das Bezirksgericht Bülach wegen wiederholten Diebstahls, begangen in der Zeit vom November 1969 bis April 1970, eine Strafe von 28 Tagen Gefängnis.Der Oberauditor widerrief daraufhin am 2. November 1971 den vom Divisionsgericht 11 gewährten bedingten Strafvollzug.
Nater focht diesen Entscheid mit der Beschwerde an das Eidgenössische Militärdepartement an, das sie am 19. September 1972 abwies. Das Departement fügte seinem Entscheid eine Rechtsmittelbelehrung bei, wonach dieser innert 30 Tagen mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht weitergezogen werden könne.
B.- Nater führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, die Verfügung des Oberauditors vom 2. November 1971 sei aufzuheben und der Vollzug der am 16. Dezember 1966 vom Divisionsgericht 11 ausgesprochenen Strafe auf weitere zwei Jahre aufzuschieben. Ferner seien die Akten des Divisionsgerichts 11, des Bezirksgerichts Bülach und des Beschwerdeverfahrens vor dem Eidgenössischen Militärdepartement von Amtes wegen beizuziehen. Nater macht eine Verletzung von Art. 32 Ziff. 3 Abs. 2 MStG geltend.
Das Eidgenössische Militärdepartement beantragt Abweisung der Beschwerde.
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1. Gemäss Art. 32 Ziff. 3 Abs. 1 MStG lässt das Eidgenössische Militärdepartement die Strafe vollziehen, wenn der Verurteilte während der Probezeit vorsätzlich ein Verbrechen oder Vergehen begeht, sich bei der Leistung eines Militärdienstes schlecht führt, wiederholt zu einer militärischen Disziplinarstrafe verurteilt wird, trotz förmlicher Mahnung der Schutzaufsichtsbehörde einer ihm erteilten Weisung zuwiderhandelt, sich beharrlich der Schutzaufsicht entzieht oder in anderer Weise das in ihn gesetzte Vertrauen täuscht. Nach Absatz 2 kann das Militärdepartement statt den Strafvollzug anzuordnen, in besonders leichten Fällen den Verurteilten verwarnen, ihm weitere Bedingungen auferlegen oder die Probezeit höchstens um die Hälfte ihrer ursprünglichen Dauer verlängern.
2. In seiner Rechtsprechung zu Art. 41 Ziff. 3 StGB hat das Bundesgericht erkannt, dass der Richter, der darüber entscheidet,
BGE 98 Ib 400 S. 402
ob eine Strafe, für welche der Verurteilte den bedingten Strafvollzug genoss, gestützt auf Art. 41 Ziff. 3 StGB, zu vollziehen ist, nicht vollziehende, sondern richterliche Gewalt ausübt, da er darüber befindet, ob die Voraussetzungen erfüllt sind, eine dem Verurteilten gewährte Rechtswohltat zu widerrufen. Sein Entscheid wird in Fortsetzung des Verfahrens getroffen, in welchem der bedingte Strafvollzug eingeräumt wurde (BGE 68 IV 118). Dasselbe gilt für den Widerruf nach Art. 32 Ziff. 3 Abs. 1 MStG. Diese Bestimmung entspricht im wesentlichen Art. 41 Ziff. 3 Abs. 1 StGB in seiner Fassung von 1950. Ein Unterschied besteht bloss insoweit, als darin zusätzlich das Verhalten des Verurteilten während des Militärdienstes als eventueller Widerrufsgrund herangezogen und die Befugnis zum Widerruf statt dem Richter dem Eidgenössischen Militärdepartement zuerkannt wird. Das aber ändert nichts daran, dass der Widerruf des bedingten Strafvollzuges nach Art. 41 Ziff. 3 Abs. 1 StGB und derjenige nach Art. 32 Ziff. 3 Abs. 1 MStG gleicher rechtlicher Natur sind; denn richterliche Gewalt kann auch durch eine Verwaltungsbehörde ausgeübt werden (s. Art. 268 Ziff. 3 BStP), und dass die Behörde, welche den bedingten Strafvollzug gewährte, mit derjenigen nicht identisch ist, die ihn widerruft, tut ebenfalls nichts zur Sache, wie die 1971 revidierte Fassung des Art. 41 Ziff. 3 Abs. 3 StGB deutlich macht. Handelt es sich demnach auch beim Widerruf gemäss Art. 32 Ziff. 3 Abs. 1 MStG nicht um einen Akt des Strafvollzuges, so ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu seiner Anfechtung nicht gegeben. Nach Art. 100 lit. f OG ist dieses Rechtsmittel nämlich unzulässig gegenüber Verfügungen auf dem Gebiete der Strafverfolgung. Darunter fallen nach der Entstehungsgeschichte dieser Bestimmung alle Verfügungen auf dem Gebiet des Strafrechtes sowie des Strafverfahrens, die nicht den Strafvollzug betreffen (BBl 1965 II 1309ff; s. auch das nicht veröffentlichte Urteil des Kassationshofes vom 13. April 1970 i.S. Walther). Auf die Beschwerde ist deshalb nicht einzutreten.Es mag bedauerlich erscheinen, dass Widerrufsentscheide der Militärbehörden nicht vor den Richter getragen werden können. Das liegt jedoch in der Zuständigkeitsordnung des Art. 32 Ziff. 3 MStG begründet, die hierfür den Weg der verwaltungsinternen Rechtspflege vorsieht. Es wird deshalb Sache des Eidgenössischen Militärdepartements sein, zu prüfen, ob sein Entscheid allenfalls an den Bundesrat weitergezogen werden kann. Falls
BGE 98 Ib 400 S. 403
dies zutreffen sollte, wäre dem Beschwerdeführer durch eine neue Rechtsmittelbelehrung der entsprechende Rechtsweg zu öffnen.
3. Könnte auf die Beschwerde eingetreten werden, wäre sie übrigens als unbegründet abzuweisen. Die Auffassung des Beschwerdeführers und übrigens auch des Eidgenössischen Militärdepartements, wonach Art. 32 Ziff. 3 Abs. 2 MStG, der Ersatzmassnahmen nur bei Vorliegen eines "besonders leichten Falles" zulässt, im Sinne des revidierten Art. 41 Ziff. 3 Abs. 2 StGB als des milderen Rechts auszulegen sei, geht fehl. Sie übersieht einerseits, dass das Militärstrafrecht gegenüber dem bürgerlichen Strafrecht selbständigen Charakter hat und dass insbesondere das MStG einen allgemeinen abschliessenden Teil besitzt und nicht zum Nebenstrafrecht des bürgerlichen StGB gehört (BENDEL, Das materielle Militärstrafrecht, ZStR 1972, S. 187; BBl 1918 V 341). Anderseits verkennt sie, dass die bestehende Ordnung des Art. 32 Ziff. 3 Abs. 2 MStG, deren Wortlaut unmissverständlich von "besonders leichten Fällen" spricht, nicht auf dem Weg der richterlichen Auslegung, sondern nur durch den Gesetzgeber selber geändert werden kann (s. BGE 98 Ia 224 unten, sowie BBl 1949 II 137), wie das auch im Falle des Art. 41 Ziff. 3 Abs. 2 StGB geschehen ist. Ist demnach von Art. 32 Ziff. 3 Abs. 2 MStG auszugehen, so kann keinem Zweifel unterliegen, dass die vom Beschwerdeführer während der Probezeit verübten Straftaten, für die er mit 28 Tagen Gefängnis bestraft werden musste, nicht mehr als besonders leichter Fall gewertet werden können.
Demnach erkennt der Kassationshof:
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.
Inhalt
Ganzes Dokument
Regeste:
deutsch
französisch
italienisch