BGE 100 Ib 71
 
12. Auszug aus dem Urteil vom 8. Mai 1974 i.S. Zimmermann gegen SBB.
 
Regeste
Art. 19 lit. c EntG, kantonale Grundstückgewinnsteuer.
 


BGE 100 Ib 71 (72):

Aus den Erwägungen:
9. In letzter Linie verlangt der Beschwerdeführer von der Enteignerin die Rückzahlung von mindestens 3% der von ihm zu bezahlenden Grundstückgewinnsteuer. Hätte er nämlich sein Land erst später an Dritte verkauft, so hätte er anstelle von 53% nur 50% bezahlen müssen. Wenn seine Argumentation zuträfe, müsste in Zukunft allen Enteigneten gestattet werden, die Grundstückgewinnsteuer mindestens teilweise auf die Enteigner zu überwälzen, sofern sie wegen der vorzeitigen Veräusserung ihres Grundbesitzes eine höhere Gewinnsteuer bezahlen müssen, als wenn sie ihn noch länger hätten behalten können. Der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers beruft sich für die von ihm vertretene Rechtsauffassung auf seine eigene Dissertation, in der wiederum verwiesen wird auf einen Aufsatz von Prof. FRITZ GYGI (Die Berücksichtigung der Grundstückgewinnsteuer bei der Bemessung der Enteignungsentschädigung, in: ASA Bd. 34, S. 9 ff.). Dieser befasst sich jedoch hauptsächlich mit einem Urteil des Berner Obergerichts über einen Fall, der dem hier zu beurteilenden entgegengesetzt ist; er setzt sich nämlich mit der Frage auseinander, ob der Enteignete sich den besonderen Vorteil des Berner Steuerrechts, dass bei Enteignungen gerade keine Grundstückgewinnsteuern geschuldet sind, bei der Landentschädigung anrechnen lassen müsse, wie das Obergericht annahm. Im vorliegenden Fall hat das Bundesgericht jedoch lediglich zu prüfen, ob bundesrechtlich der Enteignete einen Teil der Steuer auf den Enteigner überwälzen kann, wenn die zeitlich frühe Veräusserung des Grundstückes zu einer höheren Grundstückgewinnsteuer führt als bei einer Fortdauer des bisherigen Besitzes.
a) Die geltende Rechtsprechung zu dieser Frage geht auf BGE 50 I 141 zurück, wo u.a. ausgeführt wurde, die Enteignung sei nicht der Rechtsgrund, sondern nur der äussere Anlass zur Besteuerung eines Grundstückgewinns, der unabhängig von der Enteignung entstanden sei. Es gehe auch nicht an, aus der

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Vorverlegung der Fälligkeit der Steuer einen Schadenersatzanspruch des Enteigneten abzuleiten, weil dies im Widerspruch zu Art. 44 des alten Enteignungsgesetzes stände. Diese Bestimmung ist 1930 durch Art. 92 EntG ersetzt worden, der zwar etwas enger gefasst ist, aber hinsichtlich der Nichtüberwälzbarkeit der Grundstückgewinnsteuer keine Änderung bewirkt hat (BGE 70 I 304, BGE 75 I 208; HESS, Das Enteignungsrecht des Bundes, N. 1 zu Art. 92). Das Bundesgericht hat in der Folge an seiner Auffassung festgehalten. Die Literatur stimmte ihr vorwiegend zu: vgl. HESS, a.a.O.; IMBODEN, Schweiz. Verwaltungsrechtsprechung, 3. A. Nr. 358 V e, S. 280/81; KUTTLER, Die Bodenverteuerung als Rechtsproblem, ZSR 1964, S. 212 ff.; WOLFER und AUBERT, Voten am Schweiz. Juristentag 1964, ZSR 1964 II S. 701 und 716; WIEDERKEHR, Die Expropriationsentschädigung, S. 113 ff. Die vier letztgenannten Autoren bringen zwar hinsichtlich besonderer Fälle einige Bedenken an, erachten es aber als Aufgabe der Steuergesetzgebung, hier die richtige Lösung zu treffen. In keinem der Vorbehalte wird verlangt, dass der Enteigner die Grundstückgewinnsteuer als Ganzes oder auch nur die finanziellen Folgen der zeitlichen Vorverschiebung des Steuerfalles zu tragen habe.
Der Beschwerdeführer wendet ein, durch die enteignungsbedingte Vorverlegung des Steuerfalles werde in all jenen Fällen ein Kausalzusammenhang geschaffen, in denen nach Ablauf einer bestimmten Frist überhaupt keine oder eine nach der Besitzdauer herabgesetzte Steuer geschuldet werde und die Enteignung einen "Veräusserungsunwilligen" treffe. Dieses Argument, das in ähnlichem Sinne auch von GYGI (a.a.O., S. 14) und WIEDERKEHR (a.a.O., S. 115) angeführt wird, ist vertretbar, weil in diesen Fällen in der Tat zwischen der Enteignung und der Besteuerung eine massgebliche kausale Verbindung besteht. An der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist indessen aus andern Gründen festzuhalten.
b) Zunächst ist einmal zweifelhaft, ob es sich bei den Grundstückgewinnsteuern überhaupt um Nachteile im Sinne des Art. 19 lit. c EntG handelt. Steuern sind kein Schaden, sondern vielmehr öffentliche Lasten, die jedermann nach Massgabe der entsprechenden Gesetze zu tragen hat. Im allgemeinen Haftpflichtrecht wird denn auch nirgendwo verlangt, dass der Haftpflichtige neben der Kapitalabfindung oder Rente noch die

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hiefür zu entrichtenden Einkommenssteuern zu übernehmen hat. Bei den Grundstückgewinnsteuern ist die Enteignung nur einer der Fälle, wo ein erzielter Wertzuwachs besteuert wird.
Der kantonale Gesetzgeber kann allerdings in Fällen einer Enteignung darauf verzichten, Liegenschaftsgewinne zu besteuern (so z.B. die Kantone Bern und Aargau). Hat er dies aber - wie im Kanton Zürich - nicht vorgesehen, so kann für die Steuern nicht der Entschädigungspflichtige belangt werden. Zwar kann es in einzelnen Fällen unbillig sein, den Enteigneten mit Steuern zu belasten: etwa wenn - was vorliegend nicht der Fall ist - die Enteignungsentschädigung für eine notwendige unmittelbare Ersatzanschaffung bestimmt ist. Die Belastung des Enteigners wäre jedoch stets unbillig, denn dieser hätte Steuern zu tragen, die weder auf ihn zugeschnitten noch für ihn bestimmt sind. Im übrigen erhöbe sich eher die Frage, ob eine hohe Besteuerung der Enteignungsentschädigung unter Umständen nicht die Eigentumsgarantie verletze (vgl. BGE 94 I 116); im vorliegenden Fall steht diese Frage jedoch ausser Diskussion.
In der Regel ist es jedenfalls zu rechtfertigen, dass der Enteignete den Nachteil auf sich zu nehmen hat, der infolge der vorzeitigen Besteuerung entsteht; denn er gelangt dafür auch früher in den Besitz des Gegenwerts des Wertzuwachses. Der zeitlich degressive Steuersatz bei der Zürcher Grundstückgewinnsteuer, den auch andere Kantone kennen, wurde gerade gewählt, weil es sich nach Auffassung des Gesetzgebers rechtfertigt, die Grundstückgewinnsteuer darnach abzustufen, wie lange der Steuerpflichtige eigene Mittel in einem Grundstück investiert hatte. Je rascher dieser den Gewinn realisieren kann, desto höher soll die gerechtfertigte Steuer liegen. Die Enteignung kürzt nun die Besitzdauer, während der die investierten Mittel immobilisiert sind, in gleicher Weise ab wie jeder freihändige Verkauf im gleichen Zeitpunkt; in vielen Fällen bedeutet die Möglichkeit, bedeutende liquide Mittel neu investieren zu können, für die Enteigneten einen entscheidenden Vorteil.
Auch beim Beschwerdeführer steht keineswegs fest, dass er ohne Enteignung ohne weiteres einen Käufer für seine Grundstücke hätte finden können, der ihm Fr. 763 180.-- + Umzugsentschädigung bar auf den Tisch gelegt und zusätzlich noch einen Teil der Grundstückgewinnsteuer übernommen hätte. Wohl sind Kaufverträge häufig geworden, in denen der Verkäufer auch die Gewinnsteuer auf den Käufer überwälzt. Dies

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geschieht aber immer im Rahmen des Höchstbetrages, den der Käufer zu zahlen bereit ist. Je höher der Kaufpreis, desto geringer ist die Bereitschaft des Käufers zur Übernahme der Grundstückgewinnsteuer. Der Verkehrswert entspricht grundsätzlich dem Preis, den ein Käufer normalerweise und ohne Übernahme der Gewinnsteuer bezahlt.
c) Schliesslich ist bedeutungsvoll, aber nicht entscheidend, dass sich aus der Entstehungsgeschichte des Art. 92 EntG klar ergibt, dass dem Enteigner grundsätzlich die Wertzuwachssteuern nicht überbunden werden sollten (vgl. hiezu BGE 75 I 208). Können aber die Wertzuwachssteuern als Ganzes nach dem Willen des historischen Gesetzgebers nicht als Inkonvenienzschaden betrachtet werden, so erschiene es problematisch, dann doch wieder einen Teil davon als solchen zu anerkennen, nämlich jenen Teil, den der Enteignete hätte einsparen können, wenn er erst einige Jahre später verkauft hätte. Hinzu käme bei einer solchen Lösung, dass die Schadensbemessung zumeist von willkürlichen Annahmen abhängig würde, da sich kaum sagen lässt, wann der Enteignete ohne das Dazwischentreten der Enteignung wahrscheinlich seinen Grundbesitz veräussert hätte. Eine Praxisänderung, wie sie der Beschwerdeführer anregt, würde die Verwaltungspraxis ungebührlich erschweren.