BGE 100 Ib 455
 
75. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 3. Dezember 1974 i.S. Weissenbach gegen Produco AG und Regierungsrat des Kantons Bern.
 
Regeste
Handelsregister.
Art. 42 Abs. 2 und 43 Abs. 1 HRegV. Begriff des Geschäftsbüros oder Geschäftslokales im Sinne dieser Bestimmungen (Erw. 4).
 
Sachverhalt


BGE 100 Ib 455 (455):

A.- Im Handelsregister des Amtes Konolfingen ist die Produco AG mit Sitz in Münsingen eingetragen. Als Geschäftslokal ist angegeben: Äschistrasse 25, Münsingen. Das

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betreffende Haus gehört Walter Weissenbach. Die Produco AG hat zur Zeit keinen Zugang zu den Räumlichkeiten dieses Hauses. Weissenbach verlangte deshalb die Löschung dieses Geschäftslokals im Handelsregister. Die Produco AG weigerte sich, einer entsprechenden Aufforderung des Handelsregisterführers nachzukommen, worauf dieser die Akten gemäss Art. 60 Abs. 2 HRegV der kantonalen Aufsichtsbehörde, der Justizdirektion des Kantons Bern, überwies. Diese stellte mit Entscheid vom 12. November 1973 das Verfahren ein "bis zur rechtskräftigen Erledigung des anzuhebenden Zivilprozesses".
Am 7. Januar 1974 ersuchte Weissenbach die Justizdirektion erneut, die Löschung zu verfügen, da die Klageerhebung für die Frage der Domiziländerung unerheblich sei. Die Justizdirektion verfügte jedoch mit Entscheid vom 11. Januar 1974 wiederum, das Verfahren bleibe bis zur rechtskräftigen Erledigung des (nunmehr) vor dem Handelsgericht des Kantons Bern eingeleiteten Prozesses eingestellt.
B.- Weissenbach focht diesen Entscheid gemäss der ihm darin erteilten Rechtsmittelbelehrung beim Regierungsrat des Kantons Bern mit Beschwerde an, welche am 3. Juli 1974 abgewiesen wurde.
C.- Gegen den Entscheid des Regierungsrates reichte Weissenbach Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht ein, mit der er beantragt, den Handelsregistereintrag des Geschäftslokals der Produco AG zu löschen, eventuell der Produco AG zum Eintrag eines andern Geschäftslokals Frist zu setzen.
D.- Der Regierungsrat des Kantons Bern und die Produco AG (sowie deren Hauptaktionär Albert Winterhalder) beantragen die Abweisung der Beschwerde, das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement dagegen ihre Gutheissung.
 
Aus den Erwägungen:
Nach Art. 927 Abs. 3 OR ist im Gegensatz zu Art. 859 Abs. 3 aoR nur noch eine kantonale Aufsichtsbehörde in

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Handelsregistersachen zulässig. Diese Regelung hat eine vermehrte Vereinheitlichung der Rechtsanwendung zum Zweck. Zwar steht es den Kantonen nach wie vor frei, entweder richterliche oder administrative Behörden oder Einzelpersonen als Aufsichtsbehörde zu bezeichnen (HIS, N 24 zu Art. 927 OR). Dieser stehen aber die durch das Bundesrecht, insbesondere die Handelsregisterverordnung bestimmten Kompetenzen (vgl. z.B. Art. 3, 31, 37, 57, 58, 60, 63, 67, 68, 85, 89 und 100) ungeteilt zu. Wäre es den Kantonen nach geltendem Recht unbenommen, eine untere und eine obere Aufsichtsbehörde in Handelsregistersachen einzusetzen, so hätte der Gesetzgeber - wie in anderen Fällen - das entweder ausdrücklich gesagt (vgl. z.B. Art. 361 Abs. 2 ZGB) oder die Ordnung der Aufsicht den Kantonen überlassen (vgl. z.B. Art. 953 Abs. 1 ZGB).
Nach Art. 4 der Verordnung des Regierungsrates des Kantons Bern über die Delegation von Verwaltungsbefugnissen des Regierungsrates vom 15. Mai 1970 ist die Justizdirektion Aufsichtsbehörde in Handelsregistersachen. Indessen sieht Art. 10 des Gesetzes über Grundsätze des verwaltungsinternen Verfahrens sowie die Delegation von Verwaltungsbefugnissen des Regierungsrates vom 7. Juni 1970 vor, dass gegen Verwaltungsverfügungen der Direktionen des Regierungsrates oder ihrer Unterabteilungen die Betroffenen "Einspruch" erheben können. Diese Bestimmung ist bundesrechtswidrig, falls sie so verstanden werden muss, dass der Regierungsrat als obere kantonale Aufsichtsbehörde in Handelsregistersachen eingesetzt ist.
a) Der Beschwerdeführer hätte demnach den Entscheid der kantonalen Justizdirektion direkt beim Bundesgericht statt beim Regierungsrat des Kantons Bern anfechten sollen. Die Beschwerde wäre verspätet, wenn er die Frist von 30 Tagen nach Art. 106 Abs. 1 OG hätte einhalten müssen. Indessen handelt es sich, wie noch auszuführen sein wird, um eine Beschwerde wegen Rechtsverweigerung oder Rechtsverzögerung, die jederzeit erhoben werden kann (Art. 106 Abs. 2 OG). Ausserdem enthält der Entscheid der Justizdirektion eine

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falsche Rechtsmittelbelehrung. Handelt aber der Betroffene darnach, so soll das ihm in der Regel nicht schaden (Art. 107 Abs 2 OG). Insoweit ist also auf die Beschwerde einzutreten.
b) Die Befugnis zur Beschwerdeführung folgt aus Art. 103 lit. a OG. Der Beschwerdeführer als Eigentümer der Liegenschaft, in welcher die Beschwerdegegnerin ein Domizil zu haben behauptet, wird durch die angefochtene Verfügung berührt und hat ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen zur Eintragung des Domizils an der Äschistrasse 25 in Münsingen zugunsten der Produco AG nicht oder nicht mehr gegeben sind (vgl. betreffend die Stellung des Dritten im Verfahren nach Art. 60 HRegV auch Abs. 3 dieser Bestimmung).
4. Nach schweizerischem Recht können die juristischen Personen im Gegensatz zu der Einzelfirma und den Personengesellschaften ihren Sitz frei wählen (vgl. BGE 56 I 374, BGE 76 I 159). Sie müssen aber wie alle anderen Firmen in der Eintragung das Geschäftslokal oder das Büro der Geschäftsführung bezeichnen, wenn möglich unter Angabe der Strasse und der Hausnummer (Art. 42 Abs. 2 HRegV). Hat eine juristische Person am Ort des statutarischen Sitzes kein Geschäftsbüro, so muss in die Eintragung aufgenommen werden, bei wem sich an diesem Ort das Domizil befindet (Art. 43 Abs. 1 HRegV). Im einen wie im andern Falle ist die Eintragung nur zulässig, wenn sie wahr ist, zu keinen Täuschungen Anlass gibt und keinem öffentlichen Interesse widerspricht (Art. 38 Abs. 1 HRegV). Stellt sich nach dem Vollzug der Eintragung heraus, dass sie diesen Anforderungen nicht entspricht, so ist sie im Verfahren gemäss Art. 60 zu ändern oder zu löschen (Art. 38 Abs. 2 HRegV).
Mit dem Eidg. Justiz- und Polizeidepartement ist unter Geschäftsbüro oder Geschäftslokal im Sinne der Art. 42 Abs. 2 und 43 Abs. 1 HRegV ein Lokal zu verstehen, über das die juristische Person aufgrund eines Rechtstitels (z.B. Eigentum, Miete, Untermiete, usw.) tatsächlich verfügen kann, welches der Mittelpunkt ihrer administrativen Tätigkeit bildet und wo ihr Mitteilungen aller Art zugestellt werden können. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.


BGE 100 Ib 455 (459):

Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.- Die Beschwerde wird gutgeheissen. Die Entscheide des Regierungsrates des Kantons Bern vom 3. Juli 1974 und der Justizdirektion des Kantons Bern vom 11. Januar 1974 werden aufgehoben.
2.- Der Handelsregisterführer des Amtes Konolfingen in Schlosswil wird angewiesen, die Eintragung des Geschäftslokals der Produco AG "Äschistrasse 25, Münsingen" im Handelsregister zu löschen und die Produco AG aufzufordern, ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Geschäftslokal oder die Person zur Eintragung anzumelden, bei der sich ihr Domizil befindet.