BGE 102 Ib 103 |
19. Urteil vom 28. Mai 1976 i.S. Tresch gegen Schweizerische Eidgenossenschaft |
Regeste |
Haftung des Bundesbeamten für Schaden, den er dem Bund unmittelbar zufügt (Art. 8 VG). |
2. Kann der Bund den Beamten in die Klägerrolle verweisen? Negative Feststellungsklage des Beamten im vorliegenden Fall zulässig erklärt (Erw. 2). |
3. Haftung des Klägers mangels grober Fahrlässigkeit verneint (Erw. 4). |
Sachverhalt |
Hans Tresch ist Magazinchef im Eidg. Zeughaus Amsteg. Als er am 3. August 1973 mit dem Lastwagen M + 3131 rückwärts aus einer zum Zeughaus gehörenden Garageboxe fahren wollte, übersah er, dass deren Schiebetor nicht völlig geöffnet war, und beschädigte es mit der hinteren linken Ecke des Lastwagens. Die Reparaturkosten beliefen sich auf Fr. 1'291.--. |
Mit Schreiben vom 12. August 1974 liess die Kriegsmaterialverwaltung Tresch wissen, er werde nach Art. 8 VG mit 10% am Schaden, den er grobfahrlässig verursacht habe, beteiligt werden müssen. Der Beamte bestritt, grobfahrlässig gehandelt zu haben, und wandte ausserdem ein, der Schadenersatzanspruch sei gemäss Art. 23 VG verjährt. |
Am 22. Januar 1975 "verfügte" das Eidg. Militärdepartement (EMD), Tresch habe zur teilweisen Deckung des Schadens Fr. 129.-- zu bezahlen. Es erklärte ihm, er könne, wenn er nicht einverstanden sei, innerhalb eines Jahres seit Erhalt der "Verfügung" beim Bundesgericht verwaltungsrechtliche Klage gegen den Bund erheben; vorher sei die Stellungnahme des Eidg. Personalamtes einzuholen.
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Das Personalamt, an das sich Tresch darauf wandte, gab ihm am 15. Juli 1975 den Bescheid, dass am Anspruch des Bundes festgehalten werde. Es fügte bei, gegen die Verfügung vom 22. Januar 1975 sei die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegeben.
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Am 29. Juli 1975 erhob Tresch beim Bundesgericht Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, die Verfügung des EMD vom 22. Januar 1975 sei aufzuheben, und von einer Schadenbeteiligung des Beschwerdeführers sei abzusehen.
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Das EMD beantragte, auf die Beschwerde sei mangels einer anfechtbaren Verfügung nicht einzutreten. Es bemerkte, Tresch sei nun dadurch in die Klägerrolle verwiesen worden, dass es die Verrechnung des Betrages von Fr. 129.-- mit der Besoldung für den September 1975 angeordnet habe; die Beschwerde könne als Klage entgegengenommen werden.
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Das Personalamt reichte eine "Vernehmlassung und Widerklage" ein, womit es dem Gericht beantragte, auf die Beschwerde nicht einzutreten und den Beschwerdeführer zur Zahlung des Betrages von Fr. 129.-- zu verpflichten bzw. die Verrechnung mit dem Lohnguthaben zu schützen. In der Duplik erklärte das Personalamt, der Bund erhebe selber Klage.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: |
1. Der Schadenersatzanspruch, den der Bund gegenüber Tresch erhebt, stützt sich auf Art. 8 VG, wonach der Beamte dem Bund für den Schaden haftet, den er ihm durch vorsätzliche oder grobfahrlässige Verletzung seiner Dienstpflicht unmittelbar zufügt. Art. 10 Abs. 1 VG schreibt vor, dass über streitige Ansprüche des Bundes oder gegen den Bund aus diesem Gesetz das Bundesgericht als einzige Instanz im Sinne der Art. 110 ff. (heute Art. 116 ff.) OG entscheidet. Gemäss Art. 116 OG beurteilt das Bundesgericht als einzige Instanz, unter Vorbehalt des Art. 117, Klagen in bestimmten Streitigkeiten aus dem Verwaltungsrecht des Bundes. Was Gegenstand der verwaltungsrechtlichen Klage sein kann, wird in Art. 116 lit. a-k OG umschrieben. Genannt werden u.a. Streitigkeiten über vermögensrechtliche Leistungen aus dem Dienstverhältnis von Bundespersonal (lit. a) und über ausservertragliche Entschädigungen (lit. c), ferner solche über andere Angelegenheiten, soweit ein Bundesgesetz die verwaltungsrechtliche Klage vorsieht (lit. k). Nach dieser Ordnung ist das Bundesgericht zuständig, über den hier streitigen Anspruch des Bundes im direkten Prozess zu entscheiden. |
Es liegt keiner der Fälle vor, in denen nach Art. 117 OG die verwaltungsrechtliche Klage unzulässig ist. Insbesondere ist der Ausschlussgrund der lit. c daselbst nicht gegeben. Nach dieser Bestimmung ist die Klage unzulässig, wenn die Erledigung des Streites einer Behörde im Sinne von Art. 98 lit. b-h OG zusteht, d.h. wenn eine solche Behörde kraft besonderer Bestimmung des Bundesrechtes befugt ist, über den Streit durch Verfügung zu entscheiden (BGE 99 Ib 119); gegen diese Verfügung ist nach dem Schlussatz von Art. 117 lit. c OG die Verwaltungsgerichtsbeschwerde zulässig. Es besteht indes keine besondere bundesrechtliche Bestimmung, welche eine der in Art. 98 lit. b-h OG erwähnten Behörden ermächtigen würde, über Streitigkeiten aus Art. 8 VG durch Verfügung zu entscheiden. Namentlich enthält Art. 5 der Vollziehungsverordnung zum VG (VV-VG) keine solche Ermächtigung. Er bestimmt in Abs. 1, dass die Wahlbehörde oder, wo der Bundesrat Wahlbehörde ist, das Departement darüber "entscheidet", "ob ein Beamter für dem Bunde unmittelbar zugefügten Schaden belangt werden soll"; bejaht die Behörde diese Frage im einzelnen Fall, so ist nach Abs. 3 dem Beamten davon schriftlich unter Angabe der Gründe Kenntnis zu geben, wobei ihm Einsicht in die Akten zu gewähren und eine angemessene Frist zur schriftlichen Stellungnahme anzusetzen ist; Abs. 4 fügt bei: "In streitig gebliebenen Fällen entscheidet das Bundesgericht (Art. 10 Abs. 1 des Gesetzes)." Diese Vorschriften der Verordnung stehen durchaus im Einklang mit dem darin zitierten Art. 10 Abs. 1 VG wie auch mit Art. 24 VG, der den Bundesrat beauftragt, die erforderlichen Ausführungsbestimmungen zu erlassen (Abs. 1) und insbesondere "die Zuständigkeit der Departemente und der Abteilungen ... zur Geltendmachung von Schadenersatz- und Rückgriffsansprüchen gegenüber Beamten und zur Durchführung der erforderlichen Prozesse" zu ordnen (Abs. 2). Die Stellungnahme der Wahlbehörde oder des Departements, die in Art. 5 Abs. 1 VV-VG als "Entscheid" bezeichnet wird, ist also nicht eine Verfügung, mit welcher im Sinne von Art. 117 lit. c OG über die Streitsache unter Vorbehalt der Beschwerde entschieden würde. Teilt die Wahlbehörde oder das Departement dem Beamten gemäss Art. 5 Abs. 3 VV-VG mit, dass er "belangt werden soll", so gibt sie ihm damit bloss einen Bescheid im Sinne des Art. 5 Abs. 3 VwVG, wonach Erklärungen von Behörden über Erhebung von Ansprüchen, die auf dem Klageweg zu verfolgen sind, nicht als Verfügungen gelten. |
Als solche Parteierklärung ist im vorliegenden Fall die Verlautbarung des EMD vom 22. Januar 1975 zu qualifizieren, obwohl sie als "Verfügung" bezeichnet ist. In dem Schriftstück wird denn auch der Weg der Klage beim Bundesgericht vorbehalten. Da der in ihm geltend gemachte Anspruch des Bundes streitig geblieben ist, hat darüber das Bundesgericht, dem der Streit unterbreitet worden ist, als einzige Instanz gemäss Art. 10 VG und Art. 116 OG zu entscheiden.
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Man kann sich fragen, ob an dieser Rechtsprechung festzuhalten sei. Die Frage kann jedoch im vorliegenden Falle offengelassen werden. Die Verwaltung durfte sich hier auf die bisherige Praxis des Gerichtes verlassen. Im Vertrauen auf sie hat das EMD Tresch in der Mitteilung vom 22. Januar 1975 darauf hingewiesen, dass er Klage beim Bundesgericht erheben könne, wenn er mit der "verfügten" Schadenbeteiligung nicht einverstanden sei. Tresch hat dann tatsächlich die Rolle des Klägers übernommen, indem er sich mit Eingabe vom 29. Juli 1975 an das Bundesgericht gewandt hat. Unter diesen Umständen rechtfertigt es sich, jedenfalls in der vorliegenden Angelegenheit noch der erwähnten Rechtsprechung zu folgen. |
Die Rechtsschrift vom 29. Juli 1975 ist deshalb als verwaltungsrechtliche Klage zu behandeln, obwohl Tresch sie, gemäss der unzutreffenden Belehrung im Bescheid des Personalamtes vom 15. Juli 1975, als Verwaltungsgerichtsbeschwerde bezeichnet hat.
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Die Verrechnung wurde von der Verwaltung offenbar erst angeordnet, nachdem Tresch das Bundesgericht angerufen hatte. Er konnte aber nach dem Gesagten schon vor der Verrechnung, die er ja zu gewärtigen hatte, eine negative Feststellungsklage einreichen. Ist die Klage gutzuheissen, so wird damit auch die Verrechnung hinfällig.
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Da als Kläger Tresch zu betrachten ist, haben die Erklärungen des Personalamtes, dass der Bund "Widerklage" bzw. seinerseits Klage erhebe, praktisch keine Bedeutung; der Bund ist einfach als Beklagter zu behandeln.
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4. Der Beamte kann nur dann nach Art. 8 VG haftbar gemacht werden, wenn er den Schaden durch vorsätzliche oder grobfahrlässige Verletzung seiner Dienstpflicht verursacht hat. Im vorliegenden Fall kommt nur Fahrlässigkeit in Betracht. Damit sie als grob bewertet werden kann, muss sie von einer gewissen Schwere sein. Bei der Beurteilung ihres Grades sind die gesamten Umstände des einzelnen Falles zu berücksichtigen (BGE 86 I 180 /1). Zu beachten ist auch, dass gemäss Art. 8 VG eine grobfahrlässige "Verletzung der Dienstpflicht" erforderlich ist. Die Fahrlässigkeit muss nach dem Wortlaut und Sinn dieser Bestimmung derart schwer sein, dass die Verwaltung begründeten Anlass zum Zweifel daran hat, ob der Beamte das Vertrauen, das sie ihm nach seiner amtlichen Stellung muss entgegenbringen können, noch uneingeschränkt verdiene. |
Als der Kläger sich am 3. August 1973 anschickte, den Militärlastwagen rückwärts aus der Garageboxe zu führen, übersah er, dass deren Schiebetor nicht weit genug geöffnet war. Er hätte sich vor dem Beginn der Rückwärtsfahrt darüber vergewissern müssen, dass der Ausführung des Vorhabens kein solches Hindernis entgegenstand. Indem der Kläger, der nach Art. 22 BtG zur treuen und gewissenhaften Erfüllung seiner dienstlichen Obliegenheiten und zur Wahrung der Interessen des Bundes verpflichtet ist, das Fahrzeug in Bewegung gesetzt hat, ohne sich Gewissheit über die Lage des Schiebetors verschafft zu haben, hat er sich offensichtlich einer fahrlässigen Verletzung seiner Dienstpflicht schuldig gemacht. Klar ist auch, dass ein adäquater Kausalzusammenhang zwischen seinem pflichtwidrigen Verhalten und dem eingetretenen Schaden besteht. Der Kläger gibt denn auch zu, seine Dienstpflicht fahrlässig verletzt und damit dem Bund Schaden zugefügt zu haben. Dagegen bestreitet er, dass seine Fahrlässigkeit als grob im Sinne des Art. 8 VG zu qualifizieren sei.
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Er macht geltend, das Schiebetor sei von einem anderen Beamten geöffnet worden; er selber habe die Boxe durch einen anderen Eingang betreten, und er habe sich darauf verlassen, dass der Mitarbeiter das Tor vollständig zur Seite geschoben habe. Diese Darstellung wird von der Verwaltung nicht bestritten. Sie ist in der Tat glaubwürdig. Es ist anzunehmen, dass Tresch nur deshalb nicht näher zugesehen hat, weil er darauf vertraut hat, dass das Schiebetor bereits von einem zweiten Beamten weit genug geöffnet worden sei; denn anders lässt sich das Verhalten des Klägers, der vom Verwalter des Zeughauses Amsteg als pflichtbewusster, erfahrener und zuverlässiger Chauffeur bezeichnet wird, nicht wohl erklären.
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Der Beamte, der das Schiebetor aufgestossen hat, muss angenommen haben, der Kläger würde das Hindernis ohne weiteres von sich aus rechtzeitig sehen. Die beiden müssen sich also missverstanden haben. Solche Missverständnisse können gelegentlich auch erfahrenen und pflichtbewussten Motorfahrzeugführern unterlaufen. Dazu kommt, dass der Kläger sich nicht etwa auf irgendeine ihm nicht näher bekannte Person, sondern auf einen anderen Beamten des Zeughauses verlassen hat. Unter den gegebenen Umständen erscheint die Unachtsamkeit, deren er sich schuldig gemacht hat, nicht als derart schwerwiegend, dass durch sie das Vertrauensverhältnis zwischen der Verwaltung und ihm ernstlich beeinträchtigt würde. Seine Fahrlässigkeit ist somit nicht als grob im Sinne des Art. 8 VG zu werten. |
Demnach erkennt das Bundesgericht:
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