BGE 104 Ib 100 |
18. Auszug aus dem Urteil vom 11. Juli 1978 i.S. Kobel gegen Regierungsrat des Kantons Zürich |
Regeste |
Entzug des Führerausweises: Gesichtspunkte, nach denen die Frage des "leichten Falles" im Sinne des zweiten Satzes von Art. 16 Abs. 2 SVG zu beurteilen ist. |
Sachverhalt |
Als Kobel am 29. Dezember 1975 gegen 22 Uhr seinen Personenwagen bei dichtem Nebel auf der Witikonerstrasse in Zürich stadtauswärts steuerte, kollidierte er mit einem Schutzinselpfosten. Dieser wurde durch den Anprall vom Sockel gerissen und auf die Gegenfahrbahn geschleudert. Kobel verliess sein Fahrzeug nicht und entfernte sich mit ihm von der Unfallstelle. Der Pfosten wurde sofort nach dem Unfall von zwei Passagieren eines in der Nähe haltenden Busses auf das Trottoir geschleppt. Die Polizeidirektion des Kantons Zürich nahm an, Kobel habe sein Fahrzeug nicht beherrscht und sich nach dem Unfall pflichtwidrig verhalten; dadurch habe er den Verkehr gefährdet. Sie entzog ihm deshalb den Führerausweis für die Dauer eines Monats. Hiegegen erhob er Rekurs, der vom Regierungsrat des Kantons Zürich abgewiesen wurde. Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt Kobel, der Entscheid des Regierungsrates sei aufzuheben und von einem Führerausweisentzug sei abzusehen, da der Fall als "leicht" im Sinne des zweiten Satzes von Art. 16 Abs. 2 SVG zu qualifizieren sei. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab. |
Aus den Erwägungen: |
1. ... Da Kobel durch Verletzung dieser Verkehrsregeln (Art. 31 Abs. 1 und 51 Abs. 1 SVG) den Verkehr gefährdet hat, sind die Voraussetzungen für eine Administrativmassnahme nach Art. 16 Abs. 2 SVG erfüllt. Freilich scheint es nicht, dass er durch sein Fehlverhalten andere Verkehrsteilnehmer einer konkreten Gefahr ausgesetzt hat. Für die Anwendung des Art. 16 Abs. 2 SVG genügt es aber, dass sein Verhalten nach den Umständen geeignet war, den Verkehr zu gefährden (sog. erhöhte abstrakte Gefährdung, BGE 103 Ib 39 E. 3). |
b) Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den Gesamtumständen, dass die kantonalen Behörden dem Beschwerdeführer nicht eine schwere Verkehrsgefährdung im Sinne von Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG vorwerfen. Andernfalls hätten sie ihm nach Art. 17 Abs. 1 lit. c SVG den Führerausweis mindestens für die Dauer von sechs Monaten entziehen müssen; denn am 29. Dezember 1975 waren seit dem Ablauf des letzten Entzuges, den die Polizeidirektion Zürich am 7. Februar 1974 für die Dauer von sieben Monaten mit Wirkung ab 26. November 1973 verfügt hatte, noch nicht zwei Jahre verstrichen. Die Dauer des neuen Entzuges wurde auf das in Art. 17 Abs. 1 lit. a SVG vorgesehene Mindestmass von einem Monat festgesetzt, was auf einen fakultativen Entzug im Sinne des ersten Satzes in Art. 16 Abs. 2 SVG schliessen lässt. Von dieser Auffassung hat auch das Bundesgericht auszugehen. Es hat nicht zu untersuchen, ob eine schwere Verkehrsgefährdung gemäss Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG vorliege; denn falls es diese Frage bejahte, könnte es die daraus nach Gesetz folgende Erhöhung der Entzugsdauer doch nicht anordnen, da ein dahingehender Antrag nicht gestellt worden ist (Art. 114 Abs. 1 OG).
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c) Dagegen hat das Gericht zu prüfen, ob der Fall als "leicht" im Sinne des zweiten Satzes von Art. 16 Abs. 2 SVG zu qualifizieren sei, wie der Beschwerdeführer dies geltend macht.
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Das Gesetz sagt nicht, nach welchen Gesichtspunkten diese Frage zu beurteilen ist. Ohne Zweifel sind die objektiven Tatumstände und das Verschulden des Fehlbaren in Betracht zu ziehen. Fraglich kann nur sein, ob auch sein Vorleben als Motorfahrzeugführer zu berücksichtigen sei.
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Die Vorinstanz bejaht dies. Ihre Auffassung, die vom Beschwerdeführer grundsätzlich nicht bestritten wird, entspricht der Praxis des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartementes (VPB 39/1975 Nr. 24 S. 72) und der Ziff. 34 der von der Interkantonalen Kommission für den Strassenverkehr herausgegebenen Richtlinien über die Administrativmassnahmen; sie stimmt auch überein mit Art. 31 Abs. 2 der Verordnung des Bundesrates vom 27. Oktober 1976 über die Zulassung von Personen und Fahrzeugen zum Strassenverkehr (VZV), wonach eine Verwarnung verfügt werden kann, wenn die Voraussetzungen für einen fakultativen Führerausweisentzug nach Art. 16 Abs. 2 Satz 1 SVG erfüllt sind, der Fall aber "unter Berücksichtigung des Verschuldens und des Leumundes als Motorfahrzeugführer" als leicht erscheint. |
Das Bundesgericht hatte indes im nicht publizierten Urteil Portugalli vom 18. Mai 1973 angenommen, das automobilistische Vorleben des Fehlbaren falle bei der Prüfung, ob ein leichter Fall im Sinne des Art. 16 Abs. 2 SVG vorliege, nicht ins Gewicht, sondern sei erst bei der Bemessung der Dauer eines allfälligen Entzuges zu berücksichtigen. In einem späteren Entscheid konnte das Gericht die Frage offenlassen, weil der damals beurteilte Fall ohnehin nicht als leicht anzusehen war (BGE 103 Ib 41 E. 5). Im vorliegenden Fall ist die Auffassung, die das Gericht im Urteil Portugalli vertreten hat, zu überprüfen. Damit stellt sich zugleich die Frage, ob Art. 31 Abs. 2 VZV gesetzmässig sei.
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d) Ein wegen Verletzung von Verkehrsregeln verfügter - fakultativer oder obligatorischer - Führerausweisentzug dient der Besserung des Führers und der Bekämpfung von Rückfällen (Warnungsentzug, Art. 30 Abs. 2 VZV). Auch er soll, wie der Entzug des Ausweises eines unfähigen Führers (Sicherungsentzug, Art. 30 Abs. 1 VZV), zur Sicherung des Strassenverkehrs beitragen (BGE 102 Ib 60 f.; 96 I 772). Die Verwarnung, die in leichten Fällen anstelle des fakultativen Warnungsentzuges angeordnet werden kann, hat den gleichen Zweck wie dieser. Die eine wie die andere Massnahme muss Gewähr dafür bieten, dass ihr Zweck erreicht werden kann. Bei der Bemessung der Dauer eines Warnungsentzugs ist daher Rücksicht darauf zu nehmen, wie der Fehlbare sich bisher im Strassenverkehr verhalten hat; ist sein Leumund in dieser Beziehung getrübt, so muss daraus unter Umständen geschlossen werden, er würde sich durch einen Entzug von nur kurzer Dauer nicht davon abhalten lassen, den Strassenverkehr erneut durch Verletzung von Verkehrsvorschriften zu gefährden. Auch eine blosse Verwarnung anstelle eines Entzuges kommt nur in Betracht, wenn erwartet werden kann, sie werde zur Besserung des Führers und zur Vermeidung von Rückfällen genügen. Dieser günstigen Prognose kann aber mitunter das Vorleben des Fehlbaren als Motorfahrzeugführer entgegenstehen. Der Leumund, den er in dieser Hinsicht hat, ist demnach nicht nur bei der Festsetzung der Dauer eines allfälligen Warnungsentzuges zu berücksichtigen, sondern auch schon bei der Beurteilung der Frage, ob ein leichter Fall im Sinne des Art. 16 Abs. 2 SVG vorliege. Art. 31 Abs. 2 VZV entspricht somit dem Sinn dieser gesetzlichen Bestimmung. |
e) Der Beschwerdeführer hat am 29. Dezember 1975 durch sein vorschriftswidriges Verhalten eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer Verkehrsteilnehmer geschaffen. Sein Verschulden, das von der Vorinstanz als "verhältnismässig leicht" gewertet wird, kann jedenfalls nicht als ganz geringfügig betrachtet werden. Dazu kommt, dass er am 25. November 1973, wie auch schon neun Jahre vorher, in angetrunkenem Zustand gefahren war; wegen des zweiten Vorkommnisses war ihm durch Verfügung der Polizeidirektion Zürich vom 7. Februar 1974 der Führerausweis für die Dauer von sieben Monaten entzogen worden. Daraus durfte die Vorinstanz schliessen, es sei nicht zu erwarten, dass er durch eine blosse Verwarnung wegen des Vorfalls vom 29. Dezember 1975 dazu gebracht werden könne, sich künftig im Strassenverkehr wohl zu verhalten. Werden alle Umstände berücksichtigt, so kann dieser Fall nicht als leicht im Sinne des Art. 16 Abs. 2 SVG qualifiziert werden. Der angefochtene Führerausweisentzug für die Dauer eines Monats ist nicht zu beanstanden.
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