BGE 106 Ib 1
 
1. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 15. Februar 1980 i.S. Eising gegen Eidg. Justiz- und Polizeidepartement (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
 
Regeste
Erleichterte Einbürgerung (Art. 28 BüG); Wohnsitz (Art. 36 BüG).
2. Der Gesuchsteller muss gemäss Art. 28 Abs. 1 lit. a BüG sowohl anlässlich der Gesuchseinreichung, als auch während der Dauer des Einbürgerungsverfahrens und im Zeitpunkt des erstinstanzlichen Entscheides in der Schweiz wohnen (E. 2a).
3. Begriff des bürgerrechtlichen Wohnsitzes im Sinne von Art. 28 Abs. 1 lit. a und 36 BüG (E. 2b).
 
Sachverhalt


BGE 106 Ib 1 (1):

Die Schweizer Bürgerin Ruth Fricker heiratete am 25. Juli 1955 den amerikanischen Staatsangehörigen Albert Josef Eising. Sie erklärte, das Schweizer Bürgerrecht beibehalten zu wollen.


BGE 106 Ib 1 (2):

Der gemeinsame Sohn, Gregory Paul, geboren am 7. August 1959 besitzt das amerikanische Bürgerrecht. Am 19. Mai 1975 verstarb der Vater, Albert Josef Eising, in München. Die Familie Eising wohnte stets in der Bundesrepublik Deutschland, doch erhielt sie die Beziehungen zur Schweiz und zu den hier wohnhaften Verwandten der Mutter aufrecht. Gregory Paul reiste oft in die Schweiz, wohnte unter anderem im Sommer 1979 bei seinem Onkel in Luzern und arbeitete während dieser Zeit in einem Spital. Er möchte sein Medizinstudium in der Schweiz abschliessen und sich hier niederlassen.
Am 5. März 1979 reichte Gregory Paul Eising beim Eidg. Justiz- und Polizeidepartement (EJPD), ein Gesuch um erleichterte Einbürgerung gemäss Art. 28 Abs. 1 lit. a BüG ein. Das EJPD wies das Gesuch am 6. August 1979 ab mit der Begründung, der Gesuchsteller sei im Zeitpunkt der Einbürgerung nicht mehr minderjährig gewesen und habe überdies nicht in der Schweiz gewohnt. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut aus den folgenden
 
Erwägungen:
1. Nach Art. 28 Abs. 1 lit. a BüG können "unmündige Kinder, deren Mutter bei der Heirat mit einem Ausländer ... das Schweizerbürgerrecht beibehalten hat, erleichtert eingebürgert werden, wenn sie in der Schweiz wohnen und der Vater gestorben ist ...". Zunächst ist streitig, in welchem Zeitpunkt das Erfordernis der Unmündigkeit gegeben sein muss. Der Beschwerdeführer ist der Ansicht, massgebend sei der Zeitpunkt der Gesuchseinreichung. Die Vorinstanz vertritt dagegen die Meinung, der Bewerber müsse nicht nur im Zeitpunkt der Gesuchstellung, sondern auch in demjenigen der Einbürgerung unmündig sein. Sie begründet ihre Auffassung damit, dass Art. 28 BüG an Art. 20 BüG anknüpfe, wonach Kinder unter gewissen Voraussetzungen in die Wiedereinbürgerung ihrer Mutter einbezogen werden können. Dies entspreche dem Grundsatz der Kollektivwirkung der Einbürgerung, der auch in Art. 33 BüG zum Ausdruck komme. Voraussetzung bei Art. 20 und 33 BüG sei aber, dass die in die Einbürgerung der Eltern eingezogenen Kinder im Zeitpunkt des Einbürgerungsentscheides unmündig seien. Art. 28 BüG verfolge das Ziel, Kinder von Schweizerinnen, die ihr Bürgerrecht bei der

BGE 106 Ib 1 (3):

Heirat mit einem Ausländer beibehalten hatten, nach Auflösung der Ehe mit Kindern von solchen Schweizerinnen gleichzustellen, die das Schweizerbürgerrecht bei der Heirat verloren hatten und nachträglich wieder eingebürgert werden. In beiden Fällen müsse an den Erwerb des Schweizerbürgerrechts durch das Kind die gleichen Anforderungen gestellt werden.
Es braucht im vorliegenden Verfahren nicht geprüft zu werden, ob das Erfordernis der Unmündigkeit in den Fällen der Art. 20 und 33 BüG, in denen Kinder in die Einbürgerung der Eltern oder eines Elternteils einbezogen werden, stets im Zeitpunkt des Einbürgerungsentscheides gegeben sein muss. Bei der erleichterten Einbürgerung gemäss Art. 28 BüG liegt kein Fall der Kollektivwirkung der Einbürgerung Dritter vor, sondern das Einbürgerungsgesuch wird im Namen des Kindes eingereicht und dieses muss die gesetzlichen Voraussetzungen für die Einbürgerung selbständig erfüllen. Das Kind erwirbt daher das Bürgerrecht selbständig und nicht Von Gesetzes wegen als Folge der Einbürgerung der Eltern oder eines Elternteils, so dass dem Argument, der Gesetzgeber wolle den Vorteil der Kollektivwirkung nur den im Zeitpunkt des Entscheides minderjährigen Kindern gewähren, bei der erleichterten Einbürgerung nicht in gleicher Weise Bedeutung zukommen kann.
Art. 28 Abs. 1 BüG ordnet nicht ausdrücklich an, in welchem Zeitpunkt das Unmündigkeitserfordernis gegeben sein muss. Tatsächlich gibt es zahlreiche Bestimmungen, die zur Frage, wann die in ihnen aufgezählten Voraussetzungen erfüllt sein müssen, schweigen (Vgl. z.B. bezüglich des Bürgerrechts der Eltern in den Art. 5 und 57 Abs. 6 BüG: BGE 105 Ib 148). In diesem Fall muss die Bestimmung ausgelegt werden. Vorliegend fällt vor allem in Betracht, dass der Gesuchsteller selber lediglich den Zeitpunkt der Gesuchseinreichung beeinflussen kann, nicht aber denjenigen des Einbürgerungsentscheides. Wird das Gesuch daher verhältnismässig kurze Zeit vor der Erreichung des Mündigkeitsalters eingereicht - nur in diesem Fall ist von Bedeutung, in welchem Zeitpunkt das Erfordernis erfüllt sein muss -, wird die Erfüllung dieser Voraussetzung dem Einfluss des Gesuchstellers weitgehend entzogen. Ist die Behörde in der Lage und gewillt, den Entscheid rasch zu fällen, dann erfüllt der Gesuchsteller die Einbürgerungsvoraussetzung. Ist sie dagegen überlastet, oder nicht gewillt, das Gesuch rasch zu behandeln, dann ist der Gesuchsteller deswegen vom Erwerb des

BGE 106 Ib 1 (4):

Bürgerrechts ausgeschlossen. Diese Lösung ist nicht befriedigend und entspricht auch nicht dem Sinn des Gesetzes, das an die Einbürgerung zweckmässige und klare Anforderungen stellen will. Da kein überwiegendes Interesse für die Lösung der Vorinstanz spricht, ist diejenige zu wählen, die dem Sinn und Zweck des Gesetzes besser entspricht. Demnach muss das Erfordernis der Unmündigkeit im Zeitpunkt der Gesuchseinreichung gegeben sein (so auch BURGER, Die erleichterte Einbürgerung, Diss. Bern 1971, S. 77 ff.). Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall gegeben.
"Als Wohnsitz im Sinne dieses Gesetzes gilt für Ausländer Anwesenheit in der Schweiz in Übereinstimmung mit den fremdenpolizeilichen Vorschriften. Kurzfristiger Aufenthalt im Ausland mit der Absicht auf Rückkehr unterbricht den Wohnsitz nicht.
Dagegen gilt der Wohnsitz als bei der Abreise ins Ausland aufgegeben, wenn der Ausländer sich polizeilich abmeldet oder während mehr als sechs Monaten tatsächlich im Ausland weilt."
a) Zunächst muss geprüft werden, in welchem Zeitpunkt das Wohnsitzerfordernis erfüllt sein muss. Nach der Praxis des EJPD muss der Gesuchsteller sowohl anlässlich der Gesuchseinreichung als auch während der Dauer des Einbürgerungsverfahrens und im Zeitpunkt des Entscheides in der Schweiz wohnen (VPB 1962/1963 Nr. 88 und 90; so auch VON SALIS/BURCKHARDT, Schweizerisches Bundesrecht, Bd. 1 1930, S. 728 mit Hinweis auf einen bundesrätlichen Entscheid in Geschäftsbericht 1922, S. 93). Das Gesetz selber sagt nicht, welcher Zeitpunkt massgebend ist. Der Gesetzestext kann in dem Sinne verstanden werden, dass die Voraussetzung auch noch im Zeitpunkt des Entscheides erfüllt sein muss. Diese Auslegung weckt auch nicht die grundsätzlichen Bedenken, welche in der vorangehenden Erwägung gegen das Erfordernis der Unmündigkeit im Zeitpunkt des Entscheides Vorgebracht wurden, weil der Gesuchsteller in der Regel seinen Wohnsitz selber bestimmt, dieses Erfordernis demnach von seinem Willen abhängt. Zudem soll das Wohnsitzerfordernis nach dem Willen des Gesetzgebers einen Hinweis auf die Verbundenheit des Gesuchstellers mit der Schweiz geben. Die Forderung

BGE 106 Ib 1 (5):

erscheint sinnvoll, dass diese Verbundenheit auch für den Zeitpunkt des Einbürgerungsentscheides nachgewiesen sein muss.
Wird das Gesuch abgewiesen, stellt sich die zusätzliche Frage, ob der Gesuchsteller bis zum Zeitpunkt des Beschwerdeentscheides in der Schweiz wohnen muss, oder ob es genügt, dass er das Wohnsitzerfordernis während des erstinstanzlichen Verfahrens erfüllt. Auch dazu nimmt Art. 28 BüG nicht Stellung. Rechtssicherheitserwägungen sowie das Gleichbehandlungsgebot verlangen, dass das Wohnsitzerfordernis mit dem erstinstanzlichen Entscheid grundsätzlich erfüllt ist, denn der Bewerber, der noch Rechtsmittel ergreifen muss, welche unter Umständen lange Zeit in Anspruch nehmen, soll nicht schlechter gestellt werden, als derjenige, dessen Gesuch bereits vor erster Instanz bewilligt wird. Dennoch ist das Verhalten des Bewerbers während des Rechtsmittelverfahrens nicht unerheblich. Wie das Bundesgericht in konstanter Rechtsprechung erkannt hat, darf das Verhalten des Beschwerdeführers bis zum bundesgerichtlichen Urteil berücksichtigt werden (BGE 98 Ib 178, 512/13; GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege 1979, S. 109). Erweist sich daher erst im Rechtsmittelverfahren, dass der Bewerber das Wohnsitzerfordernis nur zum Schein oder überhaupt nicht erfüllte, dann kann dieser Umstand auch noch vor Bundesgericht berücksichtigt werden.
b) Die Bedeutung des bürgerrechtlichen Wohnsitzes im Sinne von Art. 36 BüG ist nicht eindeutig. Diese Bestimmung verlangt einerseits Anwesenheit in der Schweiz und auf der andern Seite, dass sich der Gesuchsteller in Übereinstimmung mit den fremdenpolizeilichen Vorschriften in der Schweiz befindet. Das zweite Erfordernis verweist auf das Gesetz über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (ANAG; SR 142.20). Es ist im vorliegenden Fall erfüllt, weil der Gesuchsteller in der fraglichen Zeit im Besitze einer Niederlassungsbewilligung war. Hingegen ist fraglich, welche Bedeutung dem Begriff der Anwesenheit in der Schweiz zukommt (vgl. BGE 105 Ib 227 E. 3a).
Der bürgerrechtliche Wohnsitz wird vom Gesetz in zwei Fällen verlangt: einerseits ist in einzelnen Bestimmungen Vorgesehen, dass der Gesuchsteller während mehreren Jahren in der Schweiz wohnen muss, bevor er eingebürgert werden kann (Art. 15 Abs. 1, 27 Abs. 1 BüG), andererseits wird in Verschiedenen Bestimmungen verlangt, dass der Gesuchsteller zur Zeit

BGE 106 Ib 1 (6):

der Einbürgerung in der Schweiz wohnt (Art. 20 Abs. 1, 22, 27 Abs. 1, 28 Abs. 1 lit. a, 30 Abs. 1 BüG). Es ist fraglich, ob dem Wohnsitzbegriff in beiden Fällen die gleiche Bedeutung zukommt. Wird vom Bewerber verlangt, dass er während mehrerer Jahre tatsächlich in der Schweiz wohnt, dann soll mit der Dauer der Anwesenheit eine gewisse Assimilation in der Schweiz nachgewiesen werden. Es erscheint in diesem Fall angemessen, dass die Anfangszeit mit in die Berechnung einbezogen wird und zwar auch dann, wenn sich der Gesuchsteller anfänglich nur während einer kurzen Zeit in der Schweiz aufhalten wollte und bei seiner Einreise nicht daran dachte, mehrere Jahre zu bleiben (GRENDELMEIER, Erleichterte Einbürgerung, Diss. Zürich 1969, S. 72). Diese Frage braucht vorliegend nicht entschieden zu werden. Schreibt das Gesetz hingegen lediglich Wohnsitz zur Zeit der Einbürgerung vor, dann genügt eine rein faktische Anwesenheit im massgebenden Zeitpunkt den gesetzlichen Anforderungen nicht; denn die Bestimmungen, auf welche Art. 36 BüG anwendbar ist, verlangen immerhin, dass der Bewerber in der Schweiz "wohnt" (Art. 15 Abs. 1, 20 Abs. 1, 22, 23, 27 Abs. 1, 28 Abs. 1 lit. a, 30 Abs. 1 BüG) oder "lebt" (Art. 15 Abs. 2, 27 Abs. 1 BüG), was eine gewisse Stabilität oder Dauerhaftigkeit des Aufenthaltes voraussetzt. Vom Bewerber muss verlangt werden, dass er nicht nur körperlich anwesend ist, sondern auch, dass er eine gewisse Bindung aufweist, welche die Annahme rechtfertigt, er wohne oder lebe in der Schweiz.
Umgekehrt ist aus Art. 36 Abs. 1 BüG zu schliessen, dass der Wohnsitz im Sinne dieser Bestimmung nicht eine konstante Anwesenheit in der Schweiz erfordert, weil ein kurzfristiger Aufenthalt im Ausland den Wohnsitz nicht unterbricht, sofern die Absicht auf Rückkehr besteht. In diesem Fall genügt demnach allein die Absicht auf Rückkehr zur Aufrechterhaltung des Wohnsitzes. Die Berücksichtigung der Absichten des Bewerbers ist daher dem bürgerrechtlichen Wohnsitz nicht fremd. Jedenfalls entspricht es dem Sinn und Zweck des Wohnsitzerfordernisses, welches einen Hinweis auf die Verbundenheit des Gesuchstellers mit der Schweiz geben soll, dass nur derjenige als in der Schweiz wohnhaft anerkannt wird, welcher eine gewisse Bindung zur Schweiz aufweist unter Ausschluss desjenigen, der sich lediglich vorübergehend tatsächlich in der Schweiz befindet. Andernfalls müssten auch Ausländer eingebürgert

BGE 106 Ib 1 (7):

werden, welche die Wohnsitzvoraussetzung nur zum Schein erfüllen; Rechtsmissbräuche wären nur schwer zu vermeiden. In dieser Hinsicht ist der Entscheid des EJPD nicht zu beanstanden.
Indessen vermag das vom EJPD gewählte Kriterium zur Anerkennung des Wohnsitzes nicht ganz zu befriedigen. Dieses glaubt, dass lediglich derjenige in der Schweiz wohnt, der sich hier mehr als sechs Monate im Jahr aufhält. Dieses ausschliesslich quantitative Element allein trägt den Bedürfnissen einer sachgerechten Ordnung zu wenig Rechnung, obwohl es - mangels anderer tauglicher Elemente - im Einzelfall herangezogen werden darf. Aus Art. 36 Abs. 3 BüG, der bestimmt, dass der Wohnsitz in der Schweiz als aufgegeben gilt, wenn der Ausländer während mehr als sechs Monaten tatsächlich im Ausland weilt, kann nicht e contrario geschlossen werden, dass er den Wohnsitz nur dann in der Schweiz behalten kann, wenn er sich pro Jahr mehr als sechs Monate in der Schweiz aufhält (BURGER, a.a.O., S. 127 und 180 N. 6: "Gegen diese Ansicht ist de lege ferenda nichts einzuwenden, doch entspricht sie nicht der bestehenden Legaldefinition"). Vielmehr ist aufgrund der gesamten Umstände zu prüfen, ob der Gesuchsteller in der Schweiz wohnt. Dabei ist in erster Linie auf seine tatsächliche Anwesenheit abzustellen. Im weiteren können auch die äussere Ausgestaltung seiner "Wohnung", seine Beziehung zur Schweiz sowie die Absichten des Bewerbers angemessen berücksichtigt werden. Es wäre beispielsweise wenig befriedigend, wenn der ausländische Student, der das Zentrum seiner Lebensbeziehungen in der Schweiz bei seiner Familie behält, den schweizerischen Wohnsitz verlieren würde, wenn er während einer beschränkten Zeit eine Schule oder Universität im Ausland besuchen würde (vgl. BURGER, a.a.O., S. 126). Auch wenn Art. 26 ZGB nicht unmittelbar anwendbar ist, so bringt er doch zum Ausdruck, dass durch einen Schulaufenthalt im Ausland die überwiegende Bindung zu seinem bisherigen Wohnort nicht ohne weiteres untergeht.