BGE 80 I 139 |
24. Urteil vom 26. Mai 1954 i.S. Bauer gegen Gemeinden Binningen, Frenkendorf, Liestal, Muttenz, Pratteln und Sissach sowie Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft. |
Regeste |
Art. 88 OG. Aktualität des Interesses an der Beschwerdeführung; Ausnahmen. |
Sachverhalt |
A.- Die Beschwerdeführerin, Inhaberin eines Zirkus, hat die Gemeindeverwaltungen von Pratteln, Liestal, Binningen, Muttenz, Sissach und Frenkendorf ersucht, ihr im Jahre 1953 je für 4-5 Tage Spielbewilligungen zu erteilen. Sie wurde damit abgewiesen, ebenso mit einer hiegegen beim Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft geführten Beschwerde, von diesem im wesentlichen mit der Begründung: Die Gemeinden seien in der Erteilung oder Verweigerung von Spielbewilligungen autonom und daher befugt, auf die lokalen Bedürfnisse Rücksicht zu nehmen. Insbesondere seien sie nicht gehalten, allen Gesuchen zu entsprechen; sie dürften vielmehr die Bewilligungen vernünftig "dosieren". Soweit von der Gesuchstellerin Allmend in Anspruch genommen würde, könne die Bewilligung auch im Hinblick auf die Eigentumsrechte der Gemeinde verweigert werden. |
B.- Mit der staatsrechtlichen Beschwerde beantragt Frau Wwe. A. Bauer, den Entscheid des Regierungsrates aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an ihn zurückzuweisen. Sie macht eine Verletzung der Art. 4 und 31 BV geltend und führt zur Begründung der Beschwerde im wesentlichen aus: Die von ihr betriebene Tätigkeit könne nicht ohne Verletzung von Art. 31 BV mangels eines Bedürfnisses und nach freiem Ermessen der Behörde eingeschränkt werden. Zulässig seien einzig gewerbepolizeiliche Beschränkungen. Die Verweigerung durch die Gemeinden laufe aber auf die Anwendung einer unzulässigen Bedürfnisklausel hinaus. Dass ihr öffentlicher Grund und Boden zur Verfügung gestellt werde, sei von der Beschwerdeführerin nicht verlangt worden. Soweit dessen Benützung möglich sei, stehe freilich der Beschwerdeführerin dasselbe Recht zu wie den übrigen Bewerbern um eine Bewilligung, widrigenfalls die Beschwerdeführerin rechtsungleich behandelt würde. Es sei nicht zulässig, dem einen Bewerber zu verweigern, was dem andern bewilligt werde. |
C.- Der Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft und die Gemeinden Pratteln und Liestal beantragen die Abweisung der Beschwerde. Die Gemeinde Pratteln macht geltend, die Verweigerung beruhe auf einem grundsätzlichen Beschluss des Gemeinderates, jedes Jahr nur einer Zirkusunternehmung eine Spielbewilligung zu erteilen. Häufige Bewilligungen seien dem Sparwillen der Bevölkerung nicht förderlich. Die Gesuchstellerin habe ihr Unternehmen in der Gemeinde überwintert und der Gemeinderat habe ihr für die Tage vom 11.-13. April 1953 bereits eine Spielbewilligung erteilt. Die Gemeindeverwaltung von Liestal führt aus: Sie lege Wert darauf, bei der Erteilung der zahlreich nachgesuchten Bewilligungen regulierend zu wirken und die lokalen Bedürfnisse zu berücksichtigen. Für die Aufführungen ständen übrigens nur zwei öffentliche Plätze zur Verfügung, von denen der Schulhausplatz wegen Umbauarbeiten zur Zeit überhaupt nicht und der Exerzierplatz nicht ohne Zustimmung des militärischen Kommandanten zur Verfügung gestellt werden könnten.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: |
Die abgelehnten Gesuche der Beschwerdeführerin um Erteilung von Spielbewilligungen betrafen das Jahr 1953. Die Gutheissung der Beschwerde könnte daher nicht zur Folge haben, dass die Beschwerdeführerin die Darbietungen an den dafür vorgesehenen Terminen geben könnte. Die Beschwerdeführerin wird jedoch die Gesuche wiederholen; wenn sie dies aus irgendwelchen, etwa im Betrieb gelegenen Gründen nicht lange genug vor dem in Aussicht genommenen Zeitpunkt tun könnte, bestünde die Gefahr, dass die neuen Entscheide der kantonalen Behörden und, im Falle ihrer Anfechtung mit staatsrechtlicher Beschwerde, auch das Urteil des Bundesgerichtes nicht rechtzeitig ergehen würden. Auf die Rüge der Verfassungswidrigkeit der angefochtenen Verfügung ist aus diesem Grunde einzutreten.
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2. Die Abweisung des Gesuches der Beschwerdeführerin stützt sich auf das Gesetz betreffend den Hausierverkehr vom 2. April 1877/7. März 1932. Danach haben reisende Komödianten, Budenhalter, Taschenspieler, Musikanten, Tierführer, Karusselbesitzer und dergl. in jeder Gemeinde, in der sie ihren Beruf auszuüben gedenken, abgesehen vom Patent eine besondere Bewilligung des Gemeinderates einzuholen (§ 12 des Gesetzes). Die Gemeinderäte sind befugt, die nachgesuchte Bewilligung zu verweigern und, sofern sie diese erteilen, deren Dauer nach eigenem Ermessen zu bestimmen (§ 4 der Novelle). |
Die Beschwerdeführerin ist der Auffassung, dass diese Vorschriften auf den Inhaber eines Zirkusunternehmens überhaupt nicht anwendbar seien und dass, wenn der kantonale Gesetzgeber damit den Gemeinden die uneingeschränkte Kompetenz zur Verweigerung der Hausier- und Wanderlagerbewilligung erteilt hätte, schon die kantonalen Vorschriften als solche, nicht bloss deren Anwendung, vor Art. 31 BV nicht standzuhalten vermöchten.
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Die erstere Rüge ist unbegründet. § 12 des Gesetzes zählt die Arten der Gewerbe, die unter die Vorschrift fallen, nicht abschliessend, sondern, wie sich aus der Verwendung der Worte "und dergl." ergibt, nur beispielsweise auf. Das Unternehmen der Beschwerdeführerin fällt aber unter den Oberbegriff, zu dem die im Gesetz ausdrücklich genannten Gewerbe gehören.
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Dagegen verstösst allerdings § 4 Abs. 2 der Novelle insofern gegen die in Art. 31 BV garantierte Handels- und Gewerbefreiheit, als darin die Gemeinderäte schlechthin als befugt bezeichnet werden, eine nachgesuchte Bewilligung ohne weiteres zu verweigern.
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Die Frage, ob die Ausübung eines Theaterunternehmens ein Gewerbe im Sinne von Art. 31 BV darstelle, das unter dem Schutz dieser Verfassungsvorschrift steht, hat der Bundesrat zunächst in einem Entscheid vom 14. August 1883 bei Prüfung des st. gallischen Gesetzes über den Hausierverkehr, das entsprechende Vorschriften enthielt, verneint; dies mit der Begründung, dass das Bühnenspiel vor allem in moralischer und aesthetischer Beziehung auf das Publikum zu wirken bestimmt sei, sodass vom Standpunkt des Art. 31 BV nichts dagegen eingewendet werden könne, wenn eine Gemeinde ihre Verfügungen betreffend die Zulassung und deren Bedingungen nach freiem Ermessen treffe, sich dabei einzig von Gründen der Zweckmässigkeit leiten lasse (SALIS, Bundesrecht Bd II Nr. 890). Von dieser Auffassung ist jedoch der Bundesrat in der Folge selbst abgekommen und hat in einem Entscheid vom 9. Februar 1911 (abgedruckt bei Salis-Burckhardt Bd. II Nr. 437 I) festgestellt, dass "jene Auffassung im Widerspruch steht mit dem Begriff des Gewerbes, wie es heute verstanden wird, welches jede zum Zweck des Erwerbes berufsmässig ausgeübte Tätigkeit erfasst. Auch die Verwertung künstlerischer Leistungen fällt darunter, sowohl die Ausübung des Schauspielerberufes, als die berufsmässige Veranstaltung theatralischer Vorstellungen. Auch diese Berufe können somit nicht nach freiem Ermessen der Behörde oder mangels Bedürfnis verboten werden". Das Bundesgericht, das seit 1912 Rekursbehörde in Bezug auf Art. 31 BV ist, hat, was gewerbsmässige Veranstaltungen betrifft, die der Unterhaltung dienen, den nämlichen Standpunkt eingenommen und die Ausübung des Schaustellerberufes als Gewerbe im Sinne von Art. 31 BV bezeichnet, das in jeder Beziehung den Schutz der Gewerbefreiheit geniesst (BGE 47 I 42,BGE 50 I 173,BGE 59 I 61). |
Verhält es sich aber so, so sind die Kantone nur befugt, die Gewerbeausübung aus polizeilichen Gründen, im Interesse der öffentlichen Ordnung, Sicherheit, Sittlichkeit und Gesundheit sowie zur Wahrung von Treu und Glauben einzuschränken. Beschränkungen aus wirtschaftspolitischen Gründen, solchen zur Korrektur der wirtschaftlichen Auswirkungen einer Gewerbetätigkeit, sind dagegen nicht zulässig (BGE 59 I 61und die dort genannten früheren Urteile, nicht veröffentlichte Urteile vom 10. Oktober 1946 und vom 20. Mai 1953 i.S. Comte). Die Gemeindebehörden sind also bei der Behandlung von Gesuchen um Spielbewilligungen nicht völlig frei, sondern an die Schranken gebunden, die sich aus Art. 31 BV ergeben. Sie dürfen eine Bewilligung nicht deshalb verweigern, weil sie nur kleinere, nicht grössere Unternehmen zulassen wollen, es sei denn, dass hiebei polizeiliche Verhältnisse massgebend sind; die Weigerung darf auch nicht damit begründet werden, dass die Bevölkerung oder doch gewisse Gruppen derselben (Jugend, Arbeiterbevölkerung) zu unnützen Ausgaben verleitet würden (BGE 40 I 479,BGE 41 I 42f.,BGE 49 I 91, Urteil vom 17. Februar 1923 i.S. Wyler), noch damit, dass der Bevölkerung in der Gemeinde oder in deren Umgebung genügend andere Unterhaltungsanlässe zur Verfügung stünden. Die Weigerung wäre auch unzulässig, wenn sie damit begründet würde, dass der Gesuchsteller wegen ungenügender Frequenz oder anderweitiger Konkurrenz voraussichtlich nicht auf seine Rechnung kommen würde, oder dass wegen der Bewilligung ein Konkurrenzunternehmen nicht genügende Einnahmen hätte (BGE 45 I 357ff.). Denn derartige Beschränkungen der Gewerbeausübung wären nicht gewerbepolizeilicher Natur. Insbesondere wäre es auch unzulässig, die Bedürfnisklausel einzuführen, d.h. die Bewilligung zu verweigern, weil bereits andere Bewilligungen erteilt wurden oder für das betreffende Jahr bereits genügend andere Anlässe mit derartigen Aufführungen stattgefunden hätten (BGE 47 I 40,BGE 57 I 165). |
Eine freiere Stellung kommt der Gemeinde nur dann zu, wenn der Gesuchsteller für seine Vorführungen den öffentlichen Grund in Anspruch nehmen will. Denn Art. 31 BV gibt dem Bürger keinen Anspruch darauf, das öffentliche Grundeigentum in einer den Gemeingebrauch übersteigenden Weise benützen zu können, sodass Kanton und Gemeinden bei Erteilung derartiger Bewilligungen nicht an den Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit gebunden sind. Die Erteilung hängt zwar auch bei Benützung des öffentlichen Grundes nicht vom Gutfinden der Behörde ab. Die Bewilligung darf vielmehr nur verweigert werden, wenn dies durch allgemeine staatliche Interessen gerechtfertigt ist. Die Behörde darf nicht willkürlich vorgehen und muss rechtsungleiche Behandlung vermeiden (BGE 73 I 215,BGE 76 I 296,BGE 77 I 285Erw. 2).
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3. Die Beschwerdeführerin hat sich in den Gesuchen an die Gemeindebehörden nicht darüber geäussert, ob sie für ihre Vorstellungen den öffentlichen oder aber den privaten Grund in Anspruch nehmen wolle. Auch dem Entscheid des Regierungsrates ist nicht zu entnehmen, ob die Weigerung nur für den öffentlichen oder auch für den privaten Grund bestätigt werde. Der Entscheid spricht von Gemeindeautonomie und ganz allgemein vom Eigentum der Gemeinde am öffentlichen Eigentum. In der Vernehmlassung sodann wird noch ausgeführt, dass ein Turnus der Vorführungen im öffentlichen Interesse liege. Die Autonomie der Gemeinde entbindet diese aber nicht von der Beachtung der Schranken, die sich aus Art. 31 BV ergeben. Die Dosierung der Aufführungsbewilligungen hat wirtschaftspolitischen Charakter und hält vor Art. 31 BV ebenfalls nicht stand. Das Eigentum der Gemeinde aber kommt bloss in Frage, wenn der öffentliche Grund in Anspruch genommen wird. Wieweit dies für die Beschwerdeführerin zutreffe, hat der Regierungsrat nicht untersucht. Es braucht auch nicht näher abgeklärt zu werden, weil dem Entscheid nur die Bedeutung eines Präjudizes für künftige Entscheidungen zukommt. Es genügt, grundsätzlich festzustellen, dass, soweit nicht Gemeindeeigentum in Anspruch genommen wird, die Weigerung verfassungswidrig ist, wenn sie, wie das bei einzelnen Gemeinden geschehen ist, damit begründet wird, dass der Gesuchsteller nicht auf seine Rechnung käme, dass die Gemeinde'im Hinblick auf ähnliche Gelegenheiten in der nahen Stadt, kein günstiger Boden für Schaustellungen sei, dass für die Spielsaison bereits Gastspiele grösserer Konkurrenzunternehmen angesetzt und daher keine Termine mehr frei seien, dass bei der Erteilung von Bewilligungen auf vernünftige Dosierung Rücksicht genommen werde, die Einwohnerzahl der Gemeinde die Bewilligung nicht rechtfertige usw. Würde dagegen für die Aufführung öffentlicher Grund in Anspruch genommen, so wäre aus dem Gesichtspunkt von Art. 4 BV nicht zu beanstanden, dass die Bewilligung verweigert würde, weil solche Vorführungen auf dem öffentlichen Grund allgemein verboten werden, oder damit, dass Bewilligungen doch nur zu bestimmten Zeiten oder wegen der Grösse des verfügbaren Platzes nur für kleinere Unternehmungen oder abwechslungsweise für verschiedene Gesuchsteller erteilt würden usw. |
Soweit die Beschwerde die Gemeinde Pratteln betrifft, ist sie gegenstandslos geworden, nachdem der Gemeinderat der Beschwerdeführerin eine Spielbewilligung für die Zeit vom 11.-13. April 1953 bereits erteilt hat, diese für 1953 nur die Bewilligung für ein einmaliges Gastspiel verlangt und nicht geltend gemacht hat, sie hätte nachträglich ein weitergehendes Gesuch gestellt.
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Von der Erklärung der Gemeinde Binningen, sie habe gegen Vorführungen auf privatem Boden nichts einzuwenden, ist der Beschwerdeführerin Akt zu geben.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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