BGE 80 I 316
 
51. Urteil vom 15. Dezember 1954 i. S. Höhener gegen Zürich, Kanton und Oberrekurskommission.
 
Regeste
Kantonales Steuerrecht. Willkür, rechtsungleiche Behandlung.
2. Dass eine Rekursinstanz das Steuergesetz in einem Rekursfall abweichend von der bisherigen Praxis der Einschätzungsbehörden auslegt, stellt grundsätzlich keine rechtsungleiche Behandlung des Betroffenen im Verhältnis zu den übrigen,bereits rechtskräftig eingeschätzten Steuerpflichtigen dar (Erw. 2).
 
Sachverhalt


BGE 80 I 316 (317):

A.- Das zürch. Steuergesetz vom 8. Juli 1951 (StG), das mit Wirkung ab 1. Januar 1952 in Kraft getreten ist (§ 203), bestimmt in § 25 lit. k, dass von den steuerbaren Einkünften abgezogen werden können:
"Zuwendungen an den Kanton und seine Anstalten, an zürcherische Gemeinden und ihre Anstalten und an andere juristische Personen, welche im Hinblick auf gemeinnützige Zwecke von der Steuerpflicht im Kanton befreit sind, bis zu höchstens 10 % des Reineinkommens."
Nach § 98 der Vollziehungsverordnung zum StG erlässt der Regierungsrat für die Verwaltungs- und Einschätzungsbehörden eine Dienstanleitung zum Steuergesetz, die zu veröffentlichen ist. Diese Dienstanleitung (DA) wurde am 3. Juli 1952 erlassen und enthält zu § 25 lit. k StG folgende Richtlinien:
185 Abzugsberechtigt bis zu höchstens 10% des Reineinkommens sind unentgeltliche Zuwendungen:
a) an den Kanton und seine Anstalten sowie an zürcherische Gemeinden und ihre Anstalten;


BGE 80 I 316 (318):

b) an andere juristische Personen, welche sich gemeinnützigen Zwecken widmen und diese im Kanton oder im allgemein schweizerischen Interesse erfüllen.
...
189 Zuwendungen zu Kultuszwecken sind nicht abzugsberechtigt."
B.- Im Jahre 1951 wandte die in Zürich wohnhafte Berta Höhener dem Stift Maria Einsiedeln (Kt. Schwyz) im Rahmen einer öffentlichen Sammlung zum Zwecke der Weiterführung der 1945 begonnenen Renovation der Kirchen- und Klosterfassaden Fr. 1000.-- zu. Bei der Steuereinschätzung für 1952 (Bemessungsgrundlage 1951) machte sie einen Teilbetrag (10% ihres Einkommens) als Abzug für gemeinnützige Zuwendungen im Sinne von § 25 lit. k StG geltend. Die Einschätzungsbehörden und die Rekurskommission II liessen diesen Abzug jedoch nicht zu, da es sich um eine Zuwendung zu Kultuszwecken, nicht um eine solche zu gemeinnützigen, im allgemeinen Interesse liegenden Zwecken handle.
Eine Beschwerde hiegegen wurde von der Oberrekurskommission des Kantons Zürich (ORK) durch Entscheid vom 4. Juni 1954 abgewiesen mit der Begründung: Eine Vergabung zu gemeinnützigen Zwecken könne nach dem klaren Wortlaut von § 25 lit. k StG nur abgezogen werden, wenn ihr Destinatär im Kanton Zürich von der Steuerpflicht befreit sei, was gemäss § 4 in Verbindung mit § 16 lit. d StG voraussetze, dass er im Kanton Zürich einen Steuersitz habe. Der Sinn dieser Einschränkung sei klar: der Gönner einer solchen Institution, die Staat und Gemeinden in der Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben entlaste, entlaste mittelbar den Staats- bzw. Gemeindehaushalt und verdiene deshalb eine steuerliche Privilegierung. Diese gesetzliche Einschränkung des Privilegs habe der Regierungsrat durch Ziff. 185 lit. b DA nicht aufheben können, da durch die DA nicht gesetzwidriges Recht geschaffen werden könne. Für die ORK, die als Verwaltungsgericht den Schutz der gesetzlichen Ordnung erstrebe, sei jedenfalls ausschliesslich das Gesetz massgebend, selbst wenn dessen Berichtigung als wünschbar erscheinen sollte.


BGE 80 I 316 (319):

Das Stift Maria Einsiedeln habe seinen Sitz ausserhalb des Kantons Zürich, sei in diesem Kanton nicht steuerpflichtig und gehöre daher nicht zu den juristischen Personen, die im Hinblick auf gemeinnützige Zwecke von der Steuerpflicht im Kanton Zürich befreit seien. Es würde daher gegen die klare gesetzliche Ordnung verstossen, Zuwendungen an das Stift vom Einkommen abzurechnen. Ob das Stift, wenn es einen Steuersitz im Kanton Zürich hätte, "im Hinblick auf gemeinnützige Zwecke" von der Steuerpflicht befreit wäre, brauche nicht erörtert zu werden.
C.- Gegen diesen Entscheid hat Berta Höhener staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 BV erhoben. Zur Begründung wird geltend gemacht:
Die DA sei seit 1952 bei allen Veranlagungen zur Anwendung gekommen. Insbesondere hätten sich die Steuerkommissäre bei der Auslegung von § 25 lit. k StG in tausenden von Fällen an Ziff. 185 lit. b DA gehalten, und zwar auch seit der Eröffnung des angefochtenen Entscheids; ja sie hätten sogar, über den Wortlaut hinausgehend, auch Zuwendungen zugunsten ausländischer Notleidender (Hochwassergeschädigte in Italien, Lawinengeschädigte in Österreich usw.) zum Abzug zugelassen. Die ORK klammere sich demgegenüber an den engen Wortlaut von § 25 lit. k StG und setze sich über die ihr bekannte ständige Praxis, der die DA zugrunde liege, hinweg. Diese Art der Rechtsprechung verstosse gegen den Grundsatz der Rechtsgleichheit, wie das Bundesgericht bereits im Urteil vom 7. Juli 1949 i.S. B. gegen Kanton Zürich ausgeführt habe. Der Regierungsrat habe bis jetzt Ziff. 185 lit. b DA nicht abgeändert noch hätten die Veranlagungsbehörden die Absicht, von nun an den angefochtenen Entscheid der ORK allen Einschätzungen zugrunde zu legen. Wenn aber dieser Entscheid gegen Art. 4 BV verstosse und aufzuheben sei, weil die bisherige Praxis ohne jede Änderung beibehalten wurde und auch in Zukunft beibehalten werde, so brauche die Beschwerdeführerin sich zur materiellen Seite der Streitfrage nicht zu äussern. Bemerkt werde lediglich, dass die in der DA vorgenommene Gleichstellung ausserkantonaler

BGE 80 I 316 (320):

und ausländischer mit zürcherischen gemeinnützigen Institutionen richtig sei und dass die Schlechterstellung der Zuwendungen an die ersteren allgemein als stossend und willkürlich empfunden werde und der zürcherischen Tradition nicht entspreche.
D.- Der Regierungsrat und die Oberrekurskommission des Kantons Zürich beantragen die Abweisung der Beschwerde. Der Regierungsrat führt aus: Voraussetzung für den Abzug einer Zuwendung an eine Körperschaft sei ein gemeinnütziger Zweck derselben und ein solcher liege nur vor, wenn eine Körperschaft Interessen der Allgemeinheit verfolge und jede konfessionelle Beschränkung entfalle. Dieser Unterscheidung zwischen gemeinnützigen und kirchlichen Institutionen, die konstanter Praxis entspreche und auch in § 16 lit. d StG gemacht werde, liege die Erwägung zugrunde, dass eine konfessionelle Körperschaft nur einem bestimmten Personenkreis diene und eigene Zwecke verfolge. Die hier in Frage stehende Zuwendung könne daher, wie die Rekurskommission zutreffend entschieden habe, nicht abzugsberechtigt sein, weil das Stift Einsiedeln eine kirchliche Körperschaft sei und Kultuszwecke verfolge. Auf den Sitz, auf den die ORK abgestellt habe, komme es deshalb überhaupt nicht an. Die Steuerpraxis habe freilich über den Gesetzeswortlaut hinaus auch Zuwendungen an schweizerische Institutionen zum Abzug zugelassen. "Sollte eine solche Praxis vor dem Gesetz nicht bestehen können, so müsste der Regierungsrat selbstverständlich den Vorrang des Gesetzes zur Geltung bringen; die Dienstanleitung vermöchte unmöglich das Gesetz abzuändern."
F.- In Replik und Duplik beharren die Parteien auf ihren Standpunkten.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Die kantonalen Behörden erachten den Abzug der streitigen Zuwendung vom steuerbaren Einkommen aus verschiedenen Gründen als unzulässig. Während der Regierungsrat

BGE 80 I 316 (321):

mit den Einschätzungsbehörden und der Rekurskommission die Auffassung vertritt, es handle sich um eine Zuwendung nicht zu gemeinnützigen, sondern zu Kultuszwecken, hat die ORK diese Frage offen gelassen und sich auf den Standpunkt gestellt, abziehbar seien nur Zuwendungen an gemeinnützige Institutionen, die einen Steuersitz im Kanton Zürich hätten, was für das von der Beschwerdeführerin bedachte Stift Maria Einsiedeln nicht zutrifft.
a) Ob der Standpunkt der ORK vor Art. 4 BV standhält, könnte dahingestellt bleiben, wenn sich die Verweigerung des Abzugs aus den vom Regierungsrat geltend gemachten Gründen halten liesse. Das ist jedoch nicht der Fall. Die Beschwerdeführerin hat die Fr. 1000.-- zwar einer kirchlichen Körperschaft zugewendet, jedoch nicht zu freier Verfügung, sondern zum ausschliesslichen Zweck der "Rettung der Einsiedler Kirchen- und Klosterfassaden". Mit der dafür veranstalteten öffentlichen Sammlung wurden weder ausschliesslich noch vorwiegend Kultuszwecke verfolgt; vielmehr ging es um die Erhaltung eines Bauwerkes von anerkanntem künstlerischem Wert und allgemein schweizerischer Bedeutung ohne Rücksicht darauf, dass es Kultuszwecken dient, weshalb die Sammlung denn auch von Persönlichkeiten empfohlen wurde, die für ausschliesslich oder vorwiegend kirchliche Zwecke römischkatholischer Richtung sich zweifellos nicht eingesetzt hätten. Die Annahme, es handle sich um eine Zuwendung zu Kultuszwecken, lässt sich daher mit sachlichen Gründen nicht vertreten und ist willkürlich. Nicht anders dürfte es sich mit der Auffassung des Regierungsrates verhalten, eine Körperschaft sei nur gemeinnützig, wenn sie Interessen der Allgemeinheit verfolge und jede konfessionelle Beschränkung entfalle; da die Leistungen gemeinnütziger Institutionen nach deren besonderer Zweckbestimmung stets nur einem beschränkten Personenkreis zugute kommen, kann die Beschränkung auf Angehörige einer Konfession, die einen grösseren Bruchteil der Bevölkerung

BGE 80 I 316 (322):

ausmacht, die Gemeinnützigkeit nicht ausschliessen, wie die ORK im Entscheid vom 13. August 1954 i.S. Maximilianverein zutreffend ausgeführt hat.
b) Die Annahme der ORK, die Zulassung einer Zuwendung zum Abzug setze nach § 25 lit. k StG voraus, dass die bedachte juristische Person einen Steuersitz im Kanton Zürich habe, wird von der Beschwerdeführerin nicht angefochten. Sie bemerkt zwar, die Schlechterstellung der Zuwendungen an ausserkantonale juristische Personen werde "allgemein als stossend und willkürlich empfunden"; dass sie auf einer mit dem Wortlaut und Sinne jener Bestimmung unvereinbaren und daher willkürlichen Auslegung beruhe, wird jedoch nicht behauptet und noch weniger darzutun versucht, offensichtlich mit Recht nicht, denn diese Auslegung hat, wie die Beschwerdeführerin mit der Bezeichnung derselben als "buchstäblich" selber zugibt, den Wortlaut für sich und kann daher, selbst wenn die Entstehungsgeschichte für eine weitherzigere Interpretation sprechen sollte, jedenfalls nicht als schlechterdings unhaltbar, willkürlich bezeichnet werden (BGE 73 I 373 Erw. 3). Dann ist aber auch die weitere Annahme nicht zu beanstanden, dass Ziff. 185 lit. b DA insoweit, als sie im Widerspruch zu § 25 lit. k StG auch Zuwendungen an nicht im Kanton Zürich niedergelassene gemeinnützige Institutionen zum Abzug zulässt, für die ORK unbeachtlich sei, denn die Dienstanleitung enthält nicht allgemein verbindliche Rechtssätze, sondern nur "Richtlinien für die Verwaltungs- und Einschätzungsbehörden" (Ziff. 1 DA), also verwaltungsinterne Weisungen (vgl. BGE 79 I 376/7) und könnte übrigens, selbst wenn ihr der Charakter einer Rechtsverordnung zukäme, kein gesetzwidriges Recht schaffen. Zu prüfen bleibt einzig, ob die ORK das Gebot der rechtsgleichen Behandlung verletzt hat.
2. Wenn eine obere Instanz eine Gesetzesbestimmung anders auslegt als es die zunächst zur Anwendung des Gesetzes berufenen untern Instanzen bisher in konstanter Praxis getan haben, kann von rechtsungleicher Behandlung

BGE 80 I 316 (323):

im allgemeinen nicht die Rede sein; eine solche liegt grundsätzlich nur vor, wenn die obere Instanz sich in Widerspruch zu der von ihr selber vertretenen Auslegung setzt, sei es, dass sie einen Einzelfall anders als die übrigen Fälle entscheidet oder dass sie ihre eigene konstante Praxis ohne sachliche Gründe ändert (vgl. BGE 29 I 394; BGE 38 I 74 Erw. 5, 77; BGE 45 I 33; BGE 49 I 300). Die Beschwerdeführerin behauptet aber nicht, dass die ORK die Bestimmung von § 25 lit. k StG in einem andern Fall, geschweige denn in konstanter Praxis anders als im angefochtenen Entscheid ausgelegt habe; sie wirft ihr ausschliesslich vor, sich darüber hinweggesetzt zu haben, dass die Einschätzungsbehörden in zahlreichen Fällen bei der Auslegung von § 25 lit. k StG sich an die über deren Wortlaut hinausgehende Ziff. 185 lit. b DA gehalten hätten. Darin kann aber entgegen der Beschwerdeführerin keine rechtsungleiche Behandlung erblickt werden.
Der angefochtene Entscheid betrifft die Veranlagung der Beschwerdeführerin für das Jahr 1952, in welchem erstmals das mit Wirkung ab 1. Januar 1952 in Kraft getretene neue Steuergesetz von 1951 zur Anwendung gelangte. Der in § 25 lit. k dieses Gesetzes vorgesehene Abzug von Zuwendungen an öffentliche und gemeinnützige Körperschaften und Anstalten war eine Neuerung; das StG von 1917 enthielt keine entsprechende Bestimmung. Bis die ORK als oberste Rekursbehörde in Steuersachen sich mit der Auslegung dieser Bestimmung zu befassen hatte, verging wegen des vorgeschriebenen Instanzenzuges (§§ 84 ff. StG) notwendig eine gewisse Zeit, während der die Einschätzungsbehörden sich an die am 3. Juli 1952 erlassene und in Kraft getretene Dienstanleitung hielten und insoweit die Bildung einer "konstanten Praxis" einleiteten. Wäre eine solche Praxis für die ORK verbindlich, so könnte diese, wenn der Steuerpflichtige gegen eine Steuerauflage Beschwerde führt, nur prüfen, ob sich die Steuerauflage mit der von der Veranlagungsbehörde angenommenen Begründung halten lässt; dagegen hätte sie, sofern

BGE 80 I 316 (324):

ihr diese Begründung unrichtig oder zweifelhaft erscheint, nicht die Möglichkeit, die Steuerauflage mit einer andern, von ihr als richtig betrachteten Begründung zu schützen. Eine derartige Beschränkung ist mit der der ORK zustehenden freien rechtlichen Überprüfung unvereinbar; die ORK muss das Steuergesetz selbständig, unabhängig von der Auffassung der Vorinstanzen auslegen und anwenden können.
Die Berufung der Beschwerdeführerin auf das nicht veröffentlichte Urteil des Bundesgerichts vom 7. Juli 1949 i.S. Bucher c. Zürich ist unbehelflich. Die ORK hat sich dort der Rüge rechtsungleicher Behandlung gegenüber mit der Feststellung begnügt, dass die angefochtene Veranlagung dem Gesetz entspreche; dagegen hat weder die ORK die Bestimmung der DA, welche die Rechtsungleichheit bewirkte, als gesetzwidrig erklärt, noch hat sich der Regierungsrat zur Abänderung dieser Bestimmung bereit erklärt, sodass die Steuerpflichtigen weiterhin rechtsungleich behandelt worden wären bei der Abweisung der staatsrechtlichen Beschwerde. Im vorliegenden Falle dagegen hat einerseits die ORK die von der Einschätzungsbehörde angewendete Bestimmung der DA ausdrücklich als gesetzwidrig bezeichnet, und hat anderseits der Regierungsrat in der Beschwerdeantwort und in der Duplik ausdrücklich den Vorrang des Gesetzes vor der DA anerkannt. Das ändert freilich nichts daran, dass für 1952 (und wohl auch 1953) zahlreiche Steuerpflichtige Zuwendungen an ausserkantonale gemeinnützige Institutionen von ihrem Einkommen abziehen konnten, während dies der Beschwerdeführerin auf Grund des angefochtenen Entscheides verwehrt ist. Diese Ungleichheit muss jedoch hingenommen werden als notwendige Folge davon, dass die ORK ihre Auffassung über die Auslegung des StG nicht durch allgemeine Weisungen, sondern nur anlässlich des Entscheids eines einzelnen Streitfalles bekannt geben kann und ein solcher Entscheid nur gegenüber dem Betroffenen wirkt und keinen Grund dafür bilden kann, mangels Anfechtung

BGE 80 I 316 (325):

rechtskräftig gewordene Veranlagungen anderer Steuerpflichtiger nachträglich zu deren Gunsten oder Ungunsten abzuändern.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen.