92 I 73
Urteilskopf
92 I 73
14. Urteil vom 25. Mai 1966 i.S. Renold gegen Einwolmergemeinde Baden sowie Regierungsrat und Obergericht des Kantons Aargau.
Regeste
Art. 4 BV; rechtliches Gehör.
1. Eine irrtümliche Rechtsmittelbelehrung gibt keinen Anspruch darauf, dass auf ein vom kantonalen Prozessrecht nicht vorgesehenes Rechtsmittel eingetreten werde (Erw. 2a).
2. Verweigerung des rechtlichen Gehörs durch eine entgegen dem klaren Gesetzeswortlaut erfolgende Einschränkung der Überprüfungsbefugnis (Erw. 3c).
A.- Das am 25. Juni 1963 von der Einwohnergemeindeversammlung der Stadt Baden beschlossene Kanalisationsreglement (KRB) enthält u.a. die folgenden Bestimmungen:
"Art. 12 bis (Marginale "Anschlussgebühr für Altbauten").
Im Hinblick auf die neue Kläranlage erhebt die Gemeinde für bestehende Liegenschaften eine Anschlussgebühr in der halben Höhe der Regelung von Art. 13.
Art. 13 (Marginale "Anschlussgebühr").
Für den Anschluss an die öffentliche Kanalisation erhebt die Gemeinde von den Eigentümern der anzuschliessenden Grundstücke eine einmalige Anschlussgebühr. Sie beträgt
BGE 92 I 73 S. 74
a) für Ein- und Zweifamilienhäuser 1,5 Prozent
b) für Mehrfamilienhäuser 2 Prozent
des ordentlichen Brandversicherungswertes mit der gesetzlichen Zusatzversicherung.
Art. 17 (Marginale "Sonderfälle").
Bei nicht reinen Wohnbauten sowie für Fabriken und gewerbliche Betriebe ist der Gemeinderat berechtigt, die Anschlussgebühr, den Baubeitrag und die Benützungsgebühr von Fall zu Fall festzusetzen."
B.- Dr. Pierre Renold reichte am 1. Juli 1963 beim Bezirksamt Baden zuhanden der Direktion des Innern und des Regierungsrats gegen den erwähnten Beschluss der Einwohnergemeindeversammlung eine Beschwerde ein. Er stellte darin die Begehren, dem KRB sei die in § 37 des aargauischen Gesetzes über die Nutzung und den Schutz der öffentlichen Gewässer vom 22. März 1954 (GSG) vorbehaltene Genehmigung des Regierungsrats nicht zu erteilen und die Vorlage sei an den Gemeinderat von Baden zurückzuweisen, damit dieser die Art. 13 und 17 KRB neu fasse. Zur Begründung machte Dr. Renold geltend, es sei unzulässig, eine Anschlussgebühr auch für bereits an die Kanalisation angeschlossene Grundstücke zu erheben. Es gehe sodann nicht an, dem Gemeinderat für nicht reine Wohnbauten sowie für Fabriken und gewerbliche Betriebe eine "rahmenlose Blankovollmacht" zur Festsetzung der Anschlussgebühr zu erteilen. Die Art und Weise, wie die Einwohnergemeindeversammlung mit der zusätzlichen Fiskalbelastung bereits an die Kanalisation angeschlossener Grundstücke "überrumpelt" worden sei, verletze § 22 Abs. 2 des Gemeindeorganisationsgesetzes.
Mit Entscheid vom 2. November 1964 trat die Direktion des Innern insoweit, als Bestimmungen des KRB beanstandet worden waren, auf die Beschwerde wegen Unzuständigkeit nicht ein, da diese Frage im Genehmigungsverfahren nach § 37 GSG vom Regierungsrat zu beurteilen sei. Dagegen wies sie die Beschwerde ab, soweit sich diese auf die Rüge der Verletzung von § 22 Abs. 2 des Gemeindeorganisationsgesetzes bezog.
Eine gegen den genannten Abweisungsentscheid gerichtete Beschwerde Dr. Renolds wies der Regierungsrat mit Beschluss 3441 vom 17. Dezember 1964 ab. Mit dem am gleichen Tage gefassten Beschluss 3469 wies er "im Rahmen des Genehmigungsverfahrens" sodann auch die Beschwerde, die Dr. Renold
BGE 92 I 73 S. 75
gegen die genannten Bestimmungen des KRB geführt hatte, materiell ab. Er erteilte dabei die Rechtsmittelbelehrung, dass gemäss § 50 GSG gegen diesen Entscheid innert 20 Tagen, von der Zustellung an gerechnet, wegen Rechtsverletzung, Rechtsverweigerung oder Willkür beim Obergericht als Verwaltungsgericht Beschwerde geführt werden könne. Dr. Renold zog den Beschluss 3469 des Regierungsrats gemäss der erhaltenen Rechtsmittelbelehrung an das Obergericht weiter. Abs. 1 des § 50 GSG lautet:"Gegen Beschlüsse über Entschädigungs-, Ausgleichs- und Enteignungsansprüche der Schätzungsbehörde und über letztinstanzliche Verfügungen und Entscheide der Verwaltungsbehörden, ausgenommen solche über Staatsbeiträge, steht den Beteiligten wegen Rechtsverletzung, Rechtsverweigerung oder Willkür innert 20 Tagen seit der Zustellung die Beschwerde beim Verwaltungsgericht offen."
Gleichzeitig focht Dr. Renold den Beschluss 3441, "eventuell auch 3469" mit staatsrechtlicher Beschwerde beim Bundesgericht an. In ihrem Urteil vom 26. Mai 1965 trat die staatsrechtliche Kammer auf den Antrag, "eventuell" auch den Beschluss 3469 aufzuheben, nicht ein mit der Begründung, dieser Entscheid könne mit den selben Rügen an das Obergericht als Verwaltungsgericht weitergezogen werden; der Beschwerdeführer habe dies denn auch getan, und das entsprechende Verfahren sei noch hängig, weshalb der kantonale Instanzenzug nicht erschöpft sei. Den Antrag, den Beschluss 3441 aufzuheben, wies das Bundesgericht ab.
In seinem Urteil vom 8. Oktober 1965 trat das Obergericht des Kantons Aargau auf die Beschwerde von Dr. Renold gegen den Beschluss 3469 des Regierungsrates nicht ein und auferlegte dem Beschwerdeführer eine Staatsgebühr von Fr. 300.--, die Auslagen von Fr. 50.- sowie die Parteikosten der Gemeinde Baden im Betrage von Fr. 967.--. Das Obergericht begründete seinen Entscheid im wesentlichen wie folgt: Der Beschwerdeführer fechte allgemein zwei Artikel des KRB an und verlange dem Sinne nach, dass die im Beschwerdeentscheid des Regierungrates stillschweigend enthaltene Genehmigung dieser Artikel wieder aufzuheben sei. Das aargauische Recht kenne aber keine Bestimmung, wonach beim Obergericht generelle Erlasse wegen Gesetz- oder Verfassungswidrigkeit angefochten werden könnten. Auch § 50 Abs. 1 GSG räume dem Obergericht keine solche Überprüfungsbefugnis ein. Die
BGE 92 I 73 S. 76
Ordnung des Kanalisationswesens sei im Kanton Aargau eine eigene Angelegenheit der Gemeinden. Die in § 37 GSG vorgesehene Genehmigung der Kanalisationsreglemente der Gemeinden durch den Regierungsrat sei ein formeller Hoheitsakt, der sich auf das Aufsichtsrecht des Regierungsrates stütze und nicht einmal mit der staatsrechtlichen Beschwerde angefochten werden könne. Der Beschluss 3469 des Regierungsrats sei ausdrücklich "im Rahmen des Genehmigungsverfahrens" gefasst worden. Er beziehe sich auf generelle Bestimmungen des Kanalisationsreglements. Unter "Verfügungen und Entscheide" gemäss § 50 GSG müssten indessen Rechtsanwendungsakte im Sinne von Entscheidungen im Einzelfall verstanden werden, nicht aber Beschlüsse im Genehmigungsverfahren. An diesem seien denn auch nur die betreffende Gemeinde und der Regierungsrat "Beteiligte" im Sinne von § 50 GSG. Auf die Beschwerde könnte übrigens auch dann nicht eingetreten werden, wenn der Regierungsrat seinen Entscheid nicht im Rahmen des Genehmigungsverfahrens gefällt hätte. Verwaltungsrechtssätze könnten nach der geltenden Ordnung nicht vor dem Obergericht als Verwaltungsgericht angefochten werden. § 50 Abs. 1 GSG habe in dieser Beziehung keine Änderung des bisherigen Rechtszustandes gebracht. "Verfügungen" seien erstinstanzliche Verwaltungsakte in einem konkreten Fall, und unter "Entscheiden" müssten oberinstanzliche, einen Einzelfall betreffende Verwaltungsakte (besonders Rekursentscheide) verstanden werden. Die richterliche Überprüfung von Gemeindesatzungen auf ihre Gesetz- und Verfassungsmässigkeit sei nur im konkreten Fall zulässig. Bei Bejahung der Gesetz- oder Verfassungswidrigkeit dürfe der Richter die angefochtenen Normen jedoch nicht generell aufheben, sondern ihnen nur im Einzelfall die Anwendung versagen. Der Beschwerdeführer könne daher die Art. 12bis und 17 des KRB erst dann beim Verwaltungsgericht anfechten, wenn gestützt darauf eine Gebühr oder ein Beitrag von ihm verlangt worden sei. Die Rechtsmittelbelehrung im Entscheid des Regierungsrates und die Auffassung des Bundesgerichts im Urteil vom 26. Mai 1965 über die Möglichkeit des Weiterzugs an das Obergericht seien mithin unzutreffend und für das Obergericht nicht verbindlich, da es allein zur Auslegung zuständig sei.
C.- Dr. P. Renold führt staatsrechtliche Beschwerde wegen Art. 4 und 24quater BV sowie des Grundsatzes der derogatorischen Kraft des Bundesrechts (Art. 2 Üb. Best. BV). Er beantragt Aufhebung des angefochtenen Entscheids eventuell Aufhebung der Art. 12bis und 17 KRB.
BGE 92 I 73 S. 77
Verletzung der Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
2. a) Der Beschwerdeführer vertritt die Auffassung, dass das Obergericht selbst dann, wenn dessen einschränkender Auslegung von § 50 GSG gefolgt werden könnte, nach Treu und Glauben auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde hätte eintreten müssen, da er sie auf Grund der im Beschluss 3469 des Regierungsrates enthaltenen Rechtsmittelbelehrung eingereicht habe. Es sei eine formelle Rechtsverweigerung, ihn im Vertrauen auf die Richtigkeit dieser Rechtsmittelbelehrung nicht zu schützen.
Die UrteileBGE 76 I 189undBGE 77 I 274, welche der Beschwerdeführer zur Begründung seines Standpunktes anruft, betreffen indessen (wie auchBGE 78 I 297) die Versäumnis der Rechtsmittelfrist infolge unrichtiger bzw. missverständlicher Rechtsmittelbelehrung. Im vorliegenden Fall aber geht es darum, ob entgegen der Belehrung überhaupt ein Rechtsmittel gegeben sei. Muss diese Frage verneint werden, so vermag die irrtümliche Rechtsmittelbelehrung dem Beschwerdeführer nicht zu einem in der Rechtsordnung nicht vorgesehenen Rechtsmittel zu verhelfen. Die sachliche Zuständigkeit der Rechtsmittelinstanz wird durch das Gesetz festgelegt; behördliche Erklärungen, wie Rechtsmittelbelehrungen, Rechtsauskünfte und dergleichen können an der gesetzlichen Zuständigkeitsordnung nichts ändern. Der Rechtsmittelrichter ist daher nicht verpflichtet, ein Rechtsmittel, für das die gesetzlichen Voraussetzungen nicht gegeben sind, entgegenzunehmen und materiell zu behandeln, bloss weil die Vorinstanz eine unrichtige Rechtsmittelbelehrung erteilt hat (nicht veröffentlichte Urteile vom 30. Oktober 1963 i.S. Consorzio Acquedotto di Camou, E. 3 c und vom 18. März 1964 i.S. Jaggi, E. 2). Umsoweniger ist er gehalten, auf Grund einer irrtümlichen Rechtsmittelbelehrung der unteren Instanz auf ein Rechtsmittel einzutreten, das es nach dem Gesetz überhaupt nicht gibt.
b) Der Beschwerdeführer hat aber auch nicht direkt von Bundesrechts wegen einen Anspruch darauf, dass das Obergericht ein in der kantonalen Gesetzgebung nicht vorgesehenes
BGE 92 I 73 S. 78
Rechtsmittel entgegennehme. Wie das Bundesgericht in seinem nicht veröffentlichten Urteil vom 20. Oktober 1965 i.S. Rheinpark A.-G. (E. 3 b) festgestellt hat, besteht unmittelbar auf Grund der Bundesverfassung kein Rechtsanspruch auf einen ungeschmälerten Instanzenzug.Zwar macht der Beschwerdeführer unter Berufung auf BGE 85 I 202, IMBODEN (Schweiz. Verwaltungsrechtssprechung, 2. Aufl., Nr. 95, S. 342) und GIACOMETTI (Die Verfassungsgerichtsbarkeit des Schweiz. Bundesgerichts, S. 99) geltend, das Obergericht verkenne, dass er für den formellen Schutz seiner verfassungsmässigen Rechte nicht auf das noch weitgehend "embryonale" aargauische Verwaltungsgerichtsverfahren angewiesen sei, er vielmehr unmittelbar gestützt auf Art. 4 BV einen Anspruch auf rechtliches Gehör habe und verlangen könne, "dass nicht nur Einzelverfügungen der Rechtsanwendung, sondern auch generelle, abstrakte Normen auf ihre Übereinstimmung mit dem Grundsatz der Rechtsgleichheit überprüft werden". Allein auch aus den zitierten Stellen lässt sich eine Pflicht des Richters, auf ein vom Gesetz nicht vorgesehenes Rechtsmittel einzutreten, nicht herauslesen. GIACOMETTI befasst sich am angeführten Orte überhaupt nicht mit dem kantonalen Verfahren, sondern mit demjenigen der staatsrechtlichen Beschwerde. IMBODEN behandelt die Obliegenheit des kantonalen Richters, das kantonale Recht auf seine Übereinstimmung mit dem Bundesrecht hin zu überprüfen. BGE 85 I 202 schliesslich bezieht sich auf den aus Art. 4 BV fliessenden Anspruch einer Partei, von den Behörden angehört zu werden, bevor ihre durch einen Entscheid bestimmte Rechtsstellung zu ihrem Nachteil abgeändert wird.
c) Sollte sich demnach die Rechtsmittelbelehrung des Regierungsrates und die Annahme des Bundesgerichts im Urteil vom 26. Mai 1965, wonach der kantonale Instanzenzug nicht erschöpft sei, als irrtümlich herausstellen, so wäre die Folge lediglich die, dass das Bundesgericht auf seinen Nichteintretensentscheid zurückkommen und gemäss Art. 35 OG Wiederherstellung gegen die Folgen der Versäumung der inzwischen abgelaufenen Frist für die Erhebung der staatsrechtlichen Beschwerde gegen den Beschluss 3469 des Regierungsrates erteilen müsste (BGE 85 II 147 /8).
3. a) Bei § 50 GSG - einzig die Interpretation dieser Vorschrift durch das Obergericht steht vorliegend in Frage -
BGE 92 I 73 S. 79
handelt es sich um einfaches kantonales Gesetzesrecht. Der Staatsgerichtshof kann daher die Auslegung und Anwendung der genannten Bestimmung nur unter dem beschränkten Gesichtswinkel der Willkür und rechtsungleichen Behandlung prüfen (BGE 91 I 253 /4). Der Beschwerdeführer macht keine rechtsungleiche Behandlung geltend. Es bleibt daher einzig zu prüfen, ob die Auslegung des § 50 Abs. 1 GSG durch das Obergericht der Rüge der Willkür standhalte.b) § 50 Abs. 1 GSG lässt die Beschwerde wegen Rechtsverletzung, Rechtsverweigerung und Willkür an das Verwaltungsgericht zu gegen "letztinstanzliche Verfügungen und Entscheide der Verwaltungsbehörden". Eine Verfügung ist ein individueller, an den Einzelnen für einen bestimmten Fall gerichteter Hoheitsakt, durch den die Behörde den Betroffenen in definitiver, verbindlicher und erzwingbarer Weise zu einem Tun, Unterlassen oder Dulden verpflichtet (BGE 60 I 369,BGE 72 I 280,BGE 76 I 103E. 6; BIRCHMEIER, Handbuch des OG, S. 314; vgl. auch RUCK, Schweizerisches Verwaltungsrecht, I. Band, S. 82; GIACOMETTI, Die Verfassungsgerichtsbarkeit des Schweiz. Bundesgerichts, S. 97; derselbe, Allgemeine Lehren des rechtsstaatlichen Verwaltungsrechts, S. 349). Entscheide fallen nach dem Wortlaut von Art. 84 OG, wo sie in Klammer erwähnt sind, ebenfalls unter den Begriff der Verfügung, ebenso nach Art. 4 Abs. 1 lit. c in Verb. mit Art. 4 Abs. 2 des bundesrätlichen Entwurfs zu einem Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren (BBl 1965, S. 1377/8). Wenn § 50 Abs. 1 (wie auch § 49 Abs. 1) GSG von "Verfügungen und Entscheiden" spricht, so soll damit offensichtlich ausgedrückt werden, dass auch solche an den Einzelnen gerichtete Hoheitsakte mit der Beschwerde an das Verwaltungsgericht weitergezogen werden können, die in Beurteilung einer Einsprache oder Beschwerde ergangen sind. Dem Obergericht ist daher soweit zuzustimmen, dass sich die verwaltungsgerichtliche Beschwerde gemäss § 50 Abs. 1 GSG nicht unmittelbar gegen einen allgemein verbindlichen Erlass, wie z.B. ein Kanalisationsreglement, richten kann, da in diesem Fall das Angriffsobjekt weder eine Verfügung noch ein Entscheid im dargelegten Sinne ist. Das Obergericht übersieht indes, dass der Beschwerdeführer die Art. 12bis und 17 KRB beim Regierungsrat angefochten, der Regierungsrat diese Beschwerde materiell geprüft und sie mit Beschluss 3469 vom 17. Dezember 1964 abgewiesen hat. Wohl fällte die kantonale
BGE 92 I 73 S. 80
Regierung ihren Beschluss "im Rahmen des Genehmigungsverfahrens", was jedoch nichts daran ändert, dass sie sich in diesem Entscheid darauf beschränkt hat, als Rechtsmittelinstanz die "Beschwerde" von Dr. Renold gegen die beiden beanstandeten Bestimmungen des KRB zu prüfen und sie abzuweisen, ohne sich zur Genehmigung des (ganzen) KRB auszusprechen. Die Frage, ob gegen einen das KRB als ganzes betreffenden Genehmigungsbeschluss die verwaltungsgerichtliche Beschwerde an das Obergericht gemäss § 50 Abs. 1 GSG unzulässig wäre und die Ordnung des Kanalisationswesens im Kanton Aargau eine autonome Angelegenheit der Gemeinde sei, kann daher offen bleiben. Es erübrigt sich mithin auch, auf die nur in diesem Zusammenhang erhobenen Rügen der Missachtung des Art. 24quater BV und des Grundsatzes der derogatorischen Kraft des Bundesrechts einzutreten.c) Liegt aber nach dem Gesagten ein Entscheid des Regierungsrates über die Frage der Rechtsgültigkeit der Art. 12bis und 17 KRB vor, der auf Einsprache oder Beschwerde des Beschwerdeführers hin ergangen ist, so waren an diesem Einsprache- oder Beschwerdeverfahren entgegen der Auffassung des Obergerichts nicht bloss die Gemeinde Baden und der Regierungsrat, sondern auch Dr. Renold "Beteiligte" im Sinne von § 50 Abs. 1 GSG. Für diesen Fall will das Obergericht die Verwaltungsgerichtsbeschwerde aber nur gegen Entscheide zulassen, die "Rechtsanwendungsakte" sind, nicht dagegen auch gegen solche, welche die Überprüfung genereller Normen auf ihre Rechtmässigkeit zum Gegenstand haben. Eine solche Einschränkung sieht § 50 Abs. 1 GSG indes nicht vor. Sie ergibt sich auch nicht aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen. Der Hinweis des Obergerichts auf GIACOMETTI (Allgemeine Lehren des rechtsstaatlichen Verwaltungsrechts, S.493/4) und GYGI/STUCKI (Handkommentar zum bernischen Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege, S. 74) hilft nicht. Der Beschwerdeführer hat beim Obergericht nicht unmittelbar Verwaltungsrechtssätze angefochten. Angriffsobjekt seiner Verwaltungsgerichtsbeschwerde war vielmehr ein einem Urteil vergleichbarer Entscheid des Regierungsrates über eine Einsprache oder Beschwerde, also ein Akt der Rechtspflege. Daran ändert nichts, dass der angefochtene Entscheid die Frage der Rechtsgültigkeit von zwei Bestimmungen des KRB beschlägt. § 50 Abs. 1 GSG schliesst die Verwaltungsgerichtsbeschwerde
BGE 92 I 73 S. 81
gegen derartige Entscheide nicht aus. Das Obergericht hat seine Überprüfungsbefugnis somit entgegen dem klaren Wortlaut des Gesetzes eingeschränkt. Dadurch hat es dem Beschwerdeführer das rechtliche Gehör verweigert und damit Art. 4 BV verletzt (BGE 84 I 227 ff.).d) Zwar will das Obergericht die Anfechtung von Art. 12bis und 17 KRB im Rahmen einer Verwaltungsgerichtsbeschwerde nach § 50 Abs. 1 GSG dann zulassen, wenn gestützt auf die beiden Bestimmungen eine Gebühr oder ein Beitrag erhoben worden ist, wobei es im Falle der Gutheissung der Beschwerde die angefochtenen Normen zwar nicht generell aufheben, jedoch ihre Anwendung im konkreten Fall versagen dürfe. Erlaubt indessen, wie ausgeführt, der Wortlaut von § 50 Abs. 1 GSG, bereits den Entscheid des Regierungsrates über die Beschwerde betreffend die Rechtsgültigkeit der streitigen Bestimmungen des KRB mit der verwaltungsgerichtlichen Beschwerde an das Obergericht weiterzuziehen, dann läuft es auf einen sachlich nicht begründeten, übertriebenen Formalismus hinaus, der einer formellen Rechtsverweigerung gleichkommt (vgl. BGE 81 I 118, BGE 85 I 209, BGE 86 I 10, BGE 87 I 9), und widerspricht überdies dem Gebot der Prozessökonomie, den Beschwerdeführer auf die Anfechtung künftiger Anwendungsverfügungen zu verweisen. Dabei müsste nämlich zunächst wiederum Beschwerde beim Regierungsrat geführt werden (obschon dieser bereits im jetzt angefochtenen Entscheid Stellung genommen hat). Erst dann läge ein "letztinstanzlicher" Entscheid im Sinne von § 50 Abs. 1 GSG vor, der beim Verwaltungsgericht anfechtbar wäre. Auf diese Weise könnte der Beschwerdeführer zudem die beanstandeten Bestimmungen des KRB als solche nicht mehr zu Fall bringen, sondern sich höchstens gegen ihre weitere Anwendung wehren. Demgegenüber hat das Obergericht im Rahmen seiner Überprüfung des Beschlusses 3469 des Regierungsrats die Möglichkeit, generell über die Rechtsbeständigkeit und künftige Anwendung der beiden angefochtenen Vorschriften zu befinden. Im Falle der Rechtswidrigkeit könnten diese ausgemerzt werden (wenn nicht durch das Obergericht selber, so doch auf Grund des obergerichtlichen Urteils durch den Regierungsrat). Damit wäre eine klare Rechtslage geschaffen, und es bliebe dem Beschwerdeführer (sowie gegebenenfalls weiteren Benützern der Kanalisation) die Anfechtung künftiger Anwendungsverfügungen erspart.
e) Diese Erwägungen führen zur Gutheissung des Hauptantrages des Beschwerdeführers in dem Sinne, dass der angefochtene Entscheid des Obergerichtes vom 8. Oktober 1965 aufzuheben ist.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird dahin gutgeheissen, dass der Entscheid des Obergerichts des Kts. Aargau vom 8. Oktober 1965 aufgehoben wird.
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