BGE 92 I 307
 
54. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 18. Oktober 1966 i.S. Farbenfabriken Bayer AG gegen Eidg. Amt für geistiges Eigentum.
 
Regeste
Patentrecht.
Bedeutung der Gesetzesmaterialien.
 


BGE 92 I 307 (308):

1. Der vorgelegte Patentanspruch, der ein mehrstufiges Verfahren zur Herstellung von metallisierten Azofarbstoffen definiert, ist nach der Auffassung des Amtes nicht zu beanstanden. In der Beschreibung werden dann jedoch zwei verschiedene Arten der Überführung der metallfreien Azofarbstoffe in die Metallkomplexe dargelegt, nämlich ei nerseits die Metallisierung unter Verwendung von Verbindungen mit den herkömmlichen metallkomplexbildenden Gruppen (sog. normale Metallisierung), und anderseits die oxydative Metallisierung. Die letztere fällt nach Ansicht des Amtes nicht unter die im Patentanspruch gegebene Definition; überdies könnten die beiden Verfahrensweisen nach der Praxis des Amtes nicht als äquivalent im Sinne von Art. 53 PatG betrachtet werden. Diese Einstellung des Amtes beruht auf der Annahme, für den Begriff der Einheit der Erfindung gemäss Art. 53 PatG sei allein der erste Teil dieser Vorschrift massgebend, welcher lautet:
"Patentansprüche für Verfahren zur Herstellung von chemischen Stoffen dürfen nur ein bezüglich des chemischen Vorganges bestimmtes Verfahren definieren...".
Der zweite Teil des Satzes, nämlich:
"... allenfalls auch in Anwendung auf Gruppen von Stoffen, deren Glieder für den chemischen Vorgang des Verfahrens äquivalent sind"
wolle lediglich den Unterschied der Einheitsvorschrift des neuen Gesetzes gegenüber derjenigen des Art. 6 Abs. 2 aPatG hervorheben, wonach nur die Herstellung eines einzigen chemischen Stoffes aus ganz bestimmten Ausgangsstoffen durch Patent geschützt werden konnte.
Gemäss ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts ist das, was die an der Gesetzesvorbereitung Beteiligten dachten und

BGE 92 I 307 (309):

sagten, für die Gesetzesauslegung durch den Richter nicht massgeblich, wenn es nicht im Gesetzestext selbst Ausdruck gefunden hat (BGE 87 II 331, BGE 86 IV 94, BGE 84 II 103 und dort erwähnte Entscheidungen). Da jedoch der Wortlaut von Art. 53 PatG sowohl die Auslegung des Amtes als auch die von der Beschwerdeführerin verfochtene zulässt, ist es gleichwohl geboten, die Entstehungsgeschichte des Gesetzes heranzuziehen. So ist das Bundesgericht denn auch in BGE 82 I 208 Erw. 4 und BGE 91 I 222 vorgegangen, wo es sich um die Umschreibung des Begriffs des chemischen Vorganges im Sinne von Art. 2 Ziff. 2 über den Ausschluss der Patentierung von Arzneimitteln handelte. Es lehnte ab, den chemischen vom nichtchemischen Vorgang "nach den Ergebnissen der neuesten wissenschaftlichen Forschung, die Zweifel an der Berechtigung der Unterscheidung zwischen Physik und Chemie wecken mag", zu unterscheiden, und ging vom herkömmlichen Begriff des chemischen Vorgangs aus, wie er den gesetzgebenden Behörden sowohl beim Erlass des alten als auch des geltenden PatG vorgeschwebt hatte.
Diese Überlegungen treffen analog auch auf den vorliegenden Fall zu: Angesichts der Stellungnahme der vorberatenden Gremien und der Ausführungen in der Botschaft des Bundesrates (Separatausgabe S. 66 = BBl. 1950 I S. 1042) steht fest, dass der Gesetzgeber mit dem zweiten Teil des Art. 53 PatG lediglich im Rahmen des im ersten Teil der Bestimmung aufgestellten dominierenden Grundsatzes die gegenüber der früheren Ordnung getroffene Abweichung näher umschreiben wollte. Deshalb geht es nicht an, auf dem Wege einer historisch nicht zu rechtfertigenden und durch den Wortlaut der Bestimmung nicht geforderten Auslegung die von Art. 53 PatG aufgestellte Einschränkung des Patentschutzes weitgehend zu beseitigen und diesen damit zu erweitern.
Art. 53 PatG wurde allerdings - im Gegensatz zu Art. 2 Ziff. 2 betreffend die Erfindungen von Arzneimitteln - nicht im Interesse der Allgemeinheit aufgestellt, sondern auf Begehren der interessierten Kreise. Dass diese die Vorschrift heute als nicht mehr zeitgemäss erachten, rechtfertigt jedoch nicht, sie durch eine Auslegung, die der heutigen Auffassung dieser Kreise entspricht, praktisch ausser Kraft zu setzen. Es ist nicht Aufgabe des Amtes und des Bundesgerichts als Beschwerdeinstanz, das Gesetz durch sich wandelnde Auslegung dem

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jeweiligen Wunsch interessierter Kreise anzupassen, selbst wenn die Entwicklung im Ausland andere Wege gehen und eine Änderung wünschenswert sein sollte.
Damit ist das Schicksal der Beschwerde besiegelt, denn die Beschwerdeführerin bestreitet nicht, dass die von ihr als "normale Metallisierung" und "oxydative Metallisierung" bezeichneten chemischen Vorgänge nicht identisch sind; sie macht nur geltend, dass sie bezüglich des Ziels äquivalent seien, was - wie ausgeführt - im Blick auf die historische Auslegung des Art. 53 PatG und den mit dieser Bestimmung verfolgten Zweck, den patentrechtlichen Schutz von chemischen Verfahren einzuschränken, nicht anerkannt werden kann.