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Urteilskopf

92 I 369


64. Urteil vom 7. Dezember 1966 i.S. Gemeinde Celerina/Schlarigna gegen Sinimar AG und Mitbeteiligte sowie Grosser Rat des Kantons Graubünden.

Regeste

Gemeindeautonomie. Art. 40 Abs. 2 bünd. KV.
Legitimation der Gemeinde (als Trägerin öffentlicher Gewalt) zur staatsrechtlichen Beschwerde (Erw. 1). Gegenstand und Umfang der bundesgerichtlichen Prüfung (Erw. 3).
Eine Bestimmung, die dem Gemeinderat verbietet, ausserhalb des eigentlichen Bauzonengebietes Wasser- und Stromanschlüsse zu bewilligen, verletzt weder die Eigentumsgarantie noch Art. 4 des bünd. Bau- und Planungsgesetzes (Erw. 4 und 5a).

Sachverhalt ab Seite 369

BGE 92 I 369 S. 369

A.- Am 29. November 1963 nahm die Gemeindeversammlung von Celerina/Schlarigna ein Baugesetz (BauG) und einen als "Zonenplan" bezeichneten Bebauungs- und Nutzungsplan an. Das BauG enthält in seinem 2. Teil ("Richtlinien der Planung") u.a. Planungsvorschriften für das "Baugebiet" (Art. 26-28) und für das "übrige Gemeindegebiet" (Art. 29-33). Art. 32 BauG lautet:
BGE 92 I 369 S. 370
Vorschriften für übriges Gemeindegebiet "Für das ,übrige Gemeindegebiet', d.h. für jenen Teil des Gemeindeterritoriums, welches noch nicht rechtskräftig dem Baugebiet zugeschieden ist, gelangen die folgenden Bestimmungen zur Anwendung:
1. Für das ganze ,übrige Gemeindegebiet' gelten folgende Bauvorschriften: Es ist eine Ausnützungsziffer von 0. 1 zu beachten, es sind nur zwei Stockwerke zugelassen und zudem sind im Sinne der Art. 58 und 62 dieses Baugesetzes ein Grenzabstand und ein Gebäudeabstand einzuhalten, die indessen doppelt so gross sein müssen.
2. Da das Bauen in diesem ,übrigen Gemeindegebiet' in der Regel unerwünscht ist, darf der Gemeinderat für keinerlei Bauvorhaben Anschlüsse an die Trinkwasserversorgung der Gemeinde und an das öffentliche Stromnetz gewähren.
3. Will jemand trotzdem in diesem ,übrigen Gemeindegebiet' bauen, hat er sich im Sinne der bestehenden Gesetzgebung der Gemeinde an das Kanalisationsnetz der Gemeinde auf eigene Kosten anzuschliessen.
4. Wer im ,übrigen Gemeindegebiet' baut, darf mit einer Leitung keinerlei im Eigentum der Bürgergemeinde oder der politischen Gemeinde befindliche Strasse (im Sinne dieses Gesetzes Art. 38) bzw. Fluss, Bach oder sonstigen Boden unterirdisch oder überirdisch überqueren oder benützen. Als Leitungen in diesem Sinne sind Trinkwasserleitungen, Kanalisationsleitungen und elektrische Leitungen jeder Spannung zu verstehen. Die Rechte und Pflichten der Bürgergemeinde bleiben vorbehalten.
5. Ausnahmsweise dürfen solche gemäss vorstehender Ziffer 2 nicht zugelassene Anschlüsse oder gemäss Ziffer 4 nicht erlaubte Überquerungen mit Leitungen durch den Gemeinderat nur gewährt werden, wenn ein Härtefall gemäss Art. 6a oder wenn dringende Bedürfnisse vorliegen, die einem allgemeinen öffentlichen Interesse entsprechen. (Ein solches Bedürfnis im allgemeinen öffentlichen Interesse liegt vor, wenn z.B. ein landwirtschaftlicher Betrieb mit zugehöriger Schweinemästerei aus dem Baugebiet in das ,übrige Gemeindegebiet' verlegt wird.)
6. Wer im ,übrigen Gemeindegebiet' baut, hat grundsätzlich die Errichtung und den Unterhalt der Strassen, Kanalisation und der Wasserleitungen (gemäss Ziffer 5) auf eigene Kosten zu übernehmen, wobei diese nach den Weisungen der Gemeinde zu erstellen sind.
7. Vorbehalten bleiben die besonderen Vorschriften der Gemeinde betreffend das Skischutzgebiet oder hinsichtlich allfälliger anderer Zonen mit Bauverboten.
8. Sobald ein kantonales Gesetz die Schaffung einer Landwirtschaftszone bzw. einer Forstzone ausdrücklich gestattet, werden im übrigen Gemeindegebiet Bauten zu landwirtschaftlichen bzw. forstwirtschaftlichen Zwecken in der Höhe von 2 Stockwerken zulässig sein. Eine Scheune mit Stall darf höher sein, aber die Höhe von drei Stockwerken nicht überschreiten.
BGE 92 I 369 S. 371
Die Ausnahmebestimmungen der vorstehenden Ziffer 5 werden zwar auf solche Bauten anwendbar sein, aber nur solange, als diese Bauten ihrem landwirtschaftlichen bzw. forstwirtschaftlichen Zwecke erhalten bleiben.
Der Missbrauch der Ziffer 8 zu nicht landwirtschaftlichen bzw. forstwirtschaftlichen Zwecken ist verboten. Der Umbau solcher Bauten zu einem anderen Zweck ist nur dann erlaubt, wenn ein entsprechender Neubau erlaubt wäre."
Gegen eine Reihe von Vorschriften des BauG, insbesondere diejenigen betreffend die Planung im "übrigen Gemeindegebiet" und namentlich gegen Art. 32 sowie gegen den Zonenplan gingen beim Kleinen Rat des Kantons Graubünden zahlreiche Rekurse ein. In seinem Beschluss vom 20. April 1964 genehmigte der Kleine Rat das BauG mit verschiedenen Präzisierungen und Berichtigungen sowie "unter Vorbehalt der hängigen Rekursverfahren". Der Zonenplan wurde unter demselben Vorbehalt genehmigt. Der Kleine Rat verfügte u.a.: "Art. 32 Abs. 1 Ziffer 4-7, und Abs. 2 werden gestrichen". Dabei bezeichnete er als "Abs. 2" das zweite Alinea der Ziffer 8 von Art. 32 BauG.
In seinem Beschluss vom 30. Dezember 1964 befasste sich der Kleine Rat mit den gegen das BauG und den Zonenplan eingereichten Rekursen. In Ziffer 2 a seines Dispositivs ersetzte er den Wortlaut von Art. 32 Ziff. 2 durch folgenden Text:
"Solange die Gemeinde nicht über eine ausreichende Wasserversorgung für die Deckung aller Bedürfnisse im eingezonten Baugebiet verfügt, besteht hinsichtlich Bauten, die im ,übrigen Baugebiet' errichtet werden und die nicht der Land- und Forstwirtschaft dienen, kein Rechtsanspruch auf Anschluss an die öffentliche Wasserversorgung."

B.- Am 26. April 1964, also in der Zeit zwischen dem ersten und dem zweiten Beschluss des Kleinen Rates, nahmen die Bündner Stimmberechtigten ein Bau- und Planungsgesetz (BPG) an, welches am 1. Juli 1964 in Kraft trat. Dieser Erlass enthält u.a. die folgenden Bestimmungen:
Befugnisse der Gemeinden
"Art. 1. Die Gemeinden sind unter Vorbehalt der zwingenden Bestimmungen des eidgenössischen und kantonalen Rechts befugt, im Interesse der geordneten baulichen Entwicklung, der zwcckmässigen Nutzung des Bodens, der Erhaltung des Kulturlandes, des Schutzes von Orts- und Landschaftsbildern, der Wahrung des Gemeinwohls und der Gesundheit der Einwohner Bau- und Nutzungsvorschriften zu erlassen.
BGE 92 I 369 S. 372
Bauordnungen
Art. 2. Die Gemeinde, die solche Vorschriften erlässt, hat eine Bauordnung aufzustellen, die durch Bebauungs- und Nutzungspläne ergänzt werden kann.
Die Bauordnungen und die Bebauungs- und Nutzungspläne bedürfen der Genehmigung des Kleinen Rates.
Bebauungs- und Nutzungspläne
Art. 3. Die Bebauungs- und Nutzungspläne bestimmen die Grundzüge der künftigen Entwicklung der Ortschaft. Sie können namentlich enthalten:
a) die wichtigsten bestehenden und geplanten öffentlichen Anlagen (wie Strassen, Gehwege, Plätze und Grünanlagen sowie Abstellplätze längs dieser Anlagen) und die Bau- und Niveaulinien;
b) die bestehenden und die geplanten Hauptstränge der öffentlichen Leitungen sowie die Abgrenzung des Bereiches, innerhalb dessen Bauten an diese Leitungen angeschlossen werden;
c) die wichtigsten bestehenden und geplanten öffentlichen Bauten und Werke (wie Schulhäuser, Verwaltungsbauten, Kirchen, Friedhöfe, Kanalisations-, Klär- und Kehrichtverwertungsanlagen, Park- und Sportanlagen, Kinderspielplätze, Aussichtspunkte, Parkierungsanlagen);
d) die Einteilung des Gemeindegebietes in verschiedene Zonen (wie Wohn-, Industrie-, Grün-, Übergangs-, Forst-, Weide-, Land- und Rebwirtschaftszonen, Zonen gemischter Bebauung, Gefahrenzonen sowie Skiabfahrtszonen);
e) die Bauabstände, das Mass der zulässigen Ausnützung, die Gebäudehöhe oder Geschosszahl in den einzelnen Zonen.
Landwirtschaftlich genutzes Gebiet
Art. 4. Die Gemeinden können bestimmen, dass im vorwiegend land- und forstwirtschaftlich genutzten Gebiet Bauten, die nicht im Zusammenhang mit der land- und forstwirtschaftlichen Nutzung oder einer angemessenen Erweiterung eines bestehenden Gewerbebetriebes stehen, nur bewilligt werden müssen, wenn:
a) dem Gemeinwesen aus dem Bau keine eigenen Aufwendungen erwachsen;
b) keine erhebliche Störung der land- und forstwirtschaftlichen Nutzung des umliegenden Landes zu erwarten ist;
c) keine wesentlichen Nachteile für die spätere bauliche Entwicklung zu befürchten sind;
d) ein Quartierplanverfahren durchgeführt worden ist."
Unter Hinweis auf das BPG ersuchte der Gemeinderat von Celerina/Schlarigna den Kleinen Rat am 7. November 1964 um Wiedererwägung des Beschlusses vom 20. April 1964. Insbesondere stellte er auch das Begehren, es sei der ganze Text von Art. 32 BauG zu genehmigen. Ob der Kleine Rat
BGE 92 I 369 S. 373
dieses Gesuch behandelt hat, ist aus den Akten nicht ersichtlich. Indessen ergibt sich aus dem Beschluss vom 30. Dezember 1964, dass dem Gesuch mit Bezug auf Art. 32 nicht nur nicht entsprochen wurde, sondern der Kleine Rat auch den Text von Art. 32 Ziffer 2 geändert hat.

C.- Die Gemeinde Celerina/Schlarigna zog den Beschluss des Kleinen Rates vom 30. Dezember 1964 an den Grossen Rat des Kantons Graubünden weiter. Sie verlangte, die Ziffer 2 lit. a des Dispositivs des angefochtenen Entscheids sei in vollem Umfange aufzuheben, sodass Art. 32 Ziff. 2 BauG in der von der Gemeinde beschlossenen Fassung gültig bleibe. Zur Begründung machte die Gemeinde namentlich geltend, der Kleine Rat habe den Art. 32 BauG auf Grund des BPG zu beurteilen gehabt. Darin, dass die Ziffer 2 des Art. 32 abgeändert und zum Teil gestrichen worden sei, liege ein Eingriff in das freie Ermessen der Gemeinde und somit eine Verletzung der Autonomie. Nur durch eine scharfe Abgrenzung des "übrigen Gemeindegebietes" vom "Baugebiet" sei es möglich, Ordnung ins Bauen zu bringen, eine die Gemeinde überbelastende Streubauweise zu verhindern und eine wilde Spekulation zu vermeiden. Celerina müsse ein ländlicher, anziehender Kurort bleiben. Art. 32 Ziff. 2 BauG sei zum Schutze des Gebiets rechts des Inns und zur Verhinderung einer Streusiedlung nötig. Seine rechtliche Zulässigkeit ergebe sich aus Art. 3 lit. d BPG. Das Verbot der Trinkwasserversorgung im "übrigen Gemeindegebiet" sei weder schikanös, noch verstosse es gegen die Eigentumsgarantie.

D.- Mit Entscheid vom 26. November 1965 hob der Grosse Rat des Kantons Graubünden sowohl den Art. 32 Ziff. 2 BauG als auch Ziff. 2 a des angefochtenen Beschlusses des Kleinen Rates auf. Die Kosten auferlegte er je zur Hälfte der Gemeinde und den Rekursgegnern.
Bezüglich der Tragweite und Zulässigkeit von Art. 32 Ziff. 2 BauG stimmt der Grosse Rat grundsätzlich dem Kleinen Rat zu. Er führt im wesentlichen aus, die genannte Bestimmung laufe in Verbindung mit Ziffer 3 des Art. 32 auf eine Verhinderung jeder Überbauung des übrigen Gemeindegebiets mit nichtlandwirtschaftlichen Gebäuden hinaus und stelle damit einen enteignungsähnlichen Tatbestand dar ("und zwar ohne Entschädigung"). Art. 32 Ziff. 2 BauG widerspreche auch dem Art. 4 des nunmehr in Kraft stehenden BPG. Die Bestimmung
BGE 92 I 369 S. 374
verletze die gemäss Art. 9 Abs. 4 KV geschützte Eigentumsgarantie, weshalb der Kleine Rat sie mit Recht aufgehoben habe.
Hingegen habe der Kleine Rat die Gemeindeautonomie dadurch verletzt, dass er den Art. 32 Ziff. 2 BauG neu formulierte. Er habe sich damit Befugnisse angemasst, die Art. 40 Abs. 1 KV der Gemeinde vorbehalte.

E.- Gegen den Entscheid des Grossen Rates führt die Gemeinde Celerina/Schlarigna staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung der Gemeindeautonomie. Sie beantragt Aufhebung des angefochtenen Entscheides insoweit, als er Art. 32 Ziff. 2 BauG aufhebt. Die Beschwerdeführerin stellt überdies den Antrag, es seien sämtliche Kosten den Rekursgegnern aufzuerlegen.

F.- Die Beschwerdegegner schliessen auf Abweisung der Beschwerde. Der Grosse Rat des Kantons Graubünden hat auf Vernehmlassung verzichtet.

Erwägungen

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Der angefochtene Entscheid, durch welchen Art. 32 Ziffer 2 BauG aufgehoben wird, trifft die Beschwerdeführerin nicht wie eine Privatperson, sondern als Gesetzgeberin, also in ihrer Eigenschaft als Trägerin öffentlicher Gewalt. In dieser Eigenschaft ist die Gemeinde nur dann zur staatsrechtlichen Beschwerde legitimiert, wenn sie ihre Autonomie, ihren eigenen selbständigen Wirkungskreis gegenüber dem Staate als dem ihr übergeordneten Träger öffentlicher Gewalt verteidigen will (Urteil vom 28. April 1965 i.S. St. Moritz, wiedergegeben in ZBl 66/1965 S. 398 ff., BGE 91 I 42, BGE 89 I 11 l'mit Zitaten). Dies trifft im vorliegenden Fall zu. Die Beschwerdeführerin macht nämlich geltend, der Grosse Rat habe sich eine Entscheidungsbefugnis angemasst, die ihm nicht zustehe; er habe dadurch seine eigene Zuständigkeit überschritten und sei in den Bereich eingebrochen, den das kantonale Recht der Gemeinde vorbehalte.
Auf die nur wegen Verletzung der Gemeindeautonomie geführte staatsrechtliche Beschwerde ist daher einzutreten. Ob die Gemeinde als Trägerin öffentlicher Gewalt mit der staatsrechtlichen Beschwerde auch andere verfassungsmässige Rechte anrufen dürfe, wie es das neueste Schrifttum verlangt (vgl. H. P. MATTER, Die Legitimation der Gemeinde zur staatsrechtlichen
BGE 92 I 369 S. 375
Beschwerde, Diss. Bern 1965), braucht unter diesen Umständen nicht entschieden zu werden.

2. a) Die Gemeindeautonomie bedeutet nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts die Zuständigkeit der Gemeinde zur selbständigen Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben. Eine Gemeinde ist insoweit autonom, als ihr durch Verfassung oder Gesetz freies Ermessen in Rechtsetzung und Verwaltung eingeräumt ist und sie dieses Ermessen frei von staatlicher Kontrolle betätigen darf (BGE 91 I 42 Erw. 3, BGE 89 I 111 /2 Erw. 2 mit Zitaten). Ob die Ermessenskontrolle ein geeignetes Kriterium zur Bestimmung des Umfangs der Autonomie sei, was in der Rechtslehre bestritten wird, kann (wie in BGE 91 I 42) dahingestellt bleiben. Im vorliegenden Fall käme man nämlich zum gleichen Ergebnis, wenn man die Autonomie in dem namentlich von LIVER (ZBl 50/1949, S. 40 ff.) und HANS HUBER (ZbJV 100, S. 339 und 419) befürworteten Sinne als Recht zur Selbstgesetzgebung und Selbstverwaltung innerhalb des durch Herkommen und Sachzusammenhang als örtlich gekennzeichneten Wirkungskreises verstehen wollte.
b) Wie in BGE 91 I 43 dargelegt wurde, fällt die Rechtsetzung auf dem Gebiet des öffentlichen Baurechts auch seit dem Erlass des BPG in den Bereich der den Bündner Gemeinden in Art. 40 Abs. 2 KV gewährleisteten Autonomie. Im gleichen Urteil führte das Bundesgericht sodann aus, dass der Kleine Rat die Gemeindebauordnungen nur auf ihre Rechtmässigkeit hin zu prüfen habe und dass er ihnen die Genehmigung bloss verweigern dürfe, wenn sie gegen zwingende Bestimmungen des eidgenössischen oder kantonalen Rechts und insbesondere gegen die Eigentumsgarantie verstossen (BGE 91 I 44).
Da der Grosse Rat auf Rekurs hin die Richtigkeit der vom Kleinen Rat ausgeübten Rechtmässigkeitskontrolle zu überprüfen hat und er in gleicher Weise wie dieser die Gemeindeautonomie wahren muss, darf auch er nur über die Rechtmässigkeit der Gemeindebauordnungen befinden (Urteil vom 28. April 1965 i.S. Gemeinde St. Moritz, ZBl 66/1965 S. 400 Erw. 2).

3. Streit herrschte vor dem Grossen Rat einzig darüber, ob die Beschwerdeführerin durch den Erlass von Art. 32 Ziff. 2 BauG aus dem Bereich ihres Ermessens ausgebrochen sei und Rechtsätze verletzt habe, die dem Gemeinderecht vorgehen. Der Grosse Rat bejahte dies, die Beschwerdeführerin bestreitet
BGE 92 I 369 S. 376
es. Damit stellt sich die Frage nach Gegenstand und Umfang der bundesgerichtlichen Prüfung bei der Beurteilung einer Beschwerde wegen Verletzung der Gemeindeautonomie.
a) Bis vor kurzem prüfte das Bundesgericht die Rüge der Verletzung der Gemeindeautonomie stets nur darauf, ob die kantonale Behörde der Form nach im Bereich ihrer Zuständigkeit geblieben sei (BGE 40 I 279,BGE 65 I 131/2, BGE 83 I 123, BGE 89 I 114). Diese Praxis vermochte in jenen Fällen nicht zu befriedigen, in denen die kantonalen Instanzen die Beschränkung ihrer Prüfungsbefugnis auf rechtliche Gesichtspunkte dadurch zu umgehen suchten, dass sie unter dem Vorwand der Rechtskontrolle eine nicht bestehende Rechtsverletzung behaupteten und damit in Wirklichkeit ihr Ermessen an die Stelle desjenigen der Gemeinde setzten. Der Staatsgerichtshof rückte deshalb in seinem Urteil i.S. Gemeinde St. Moritz (ZBl 66/1965 S. 400 Erw. 3) von der bisherigen Rechtsprechung insofern ab, als er es nicht bei der Feststellung bewenden liess, die kantonale Instanz habe sich formell in den Grenzen ihrer Zuständigkeit gehalten, sondern ausserdem auch die materielle Verfassungsmässigkeit des angefochtenen Entscheides prüfte. Dieser Betrachtungsweise (sie liegt dem Sinne nach schon dem Urteil vom 17. Februar 1965 i.S. Stadtgemeinde Ilanz, BGE 91 I 39 ff., zugrunde) ist auch im vorliegenden Falle zu folgen.
b) In Bezug auf den Umfang der Kognition brachte das Urteil i.S. Gemeinde St. Moritz ebenfalls eine Erweiterung. Danach (ZBl 66/1965 S. 400 Erw. 1) prüft das Bundesgericht das die Gemeindeautonomie betreffende kantonale Recht frei und nicht - wie bisher - nur auf Willkür hin. Ob hieran allgemein festgehalten werden kann, braucht indessen nicht entschieden zu werden. Richtig ist die freie Prüfung sicher dort, wo - wie in Graubünden - die Gemeindeautonomie in der kantonalen Verfassung selber umschrieben und die Tragweite einer solchen Verfassungsbestimmung abzuklären ist. Zwar weicht das Bundesgericht bei der Anwendung des kantonalen Verfassungsrechts nicht ohne Not von der Interpretation der obersten Kantonsbehörde ab (BGE 88 I 153, BGE 89 I 44). Doch bedeutet das, wie in BGE 89 I 375 hervorgehoben wurde, keineswegs einen verkappten Rückzug auf eine blosse Willkürprüfung (vgl. auch BGE 90 I 240 /41).

4. Der Grosse Rat hat die Ziffer 2 des Art. 32 BauG vor allem deshalb aufgehoben, weil sie die Eigentumsgarantie
BGE 92 I 369 S. 377
verletze. Worin diese Verletzung liegen könnte, ist jedoch nicht ersichtlich.
Freilich bestreitet auch die Beschwerdeführerin nicht, dass mit Art. 32 BauG das Bauen im "übrigen Gemeindegebiet" erschwert werden soll. Diesem Zweck dienen die minimale Ausnützungsziffer (Art. 32 Ziff.1), die Auferlegung der gesamten Kosten des Kanalisationsanschlusses an den Bauherrn (Art. 32 Ziff. 3) und diente vor allem die jetzt aufgehobene Ziffer 4, die dem Bauherrn die Durchquerung von Strassen, Bächen und sonstigem öffentlichem Gut mit ober- oder unterirdischen Leitungen verbot. Die streitige Ziffer 2 geht in die selbe Richtung. Sie soll die Grundeigentümer im "übrigen Gemeindegebiet" dadurch vom Bauen abhalten, dass ihnen weder Wasser noch Strom geliefert werden.
Indessen enthält Art. 32 Ziff. 2 BauG keine öffentlich-rechtliche Eigentumsbeschränkung. Die Bestimmung befiehlt den Grundeigentümern nicht, etwas zu tun oder zu unterlassen, schränkt ihre Verfügung über den Boden also nicht ein. Das ergibt sich schon aus dem Text der Vorschrift selber: Wohl ist das Bauen im übrigen Gemeindegebiet "in der Regel unerwünscht", aber nicht verboten. Es braucht deshalb auch nicht geprüft zu werden, ob die für die Zulässigkeit einer öffentlichrechtlichen Eigentumsbeschränkung erforderlichen Bedingungen - gesetzliche Grundlage, öffentliches Interesse, Entschädigung bei enteignungsähnlicher Wirkung - im vorliegenden Falle erfüllt seien. Adressat des Art. 32 Ziff. 2 BauG ist vielmehr allein der Gemeinderat, welchem untersagt wird, Wasser- und Stromanschlüsse zu bewilligen. Diese Anordnung betrifft ausschliesslich den Gebrauch der Gemeindewerke. So wenig jedoch die Handels- und Gewerbefreiheit dem Gewerbetreibenden ein Recht auf Sondernutzung öffentlicher Sachen verleiht (BGE 81 I 18 /9 mit Zitaten), so wenig gibt die Eigentumsgarantie dem Bürger ein solches auf Benützung öffentlicher Werke. Ob diese zu gestatten oder zu verweigern sei, entscheidet sich zunächst nach den Vorschriften des verfügungsberechtigten Gemeinwesens, letztlich nach Art. 4 BV.
Verstösst aber die Verweigerung von Wasser- und Stromanschlüssen im "übrigen Gemeindegebiet" nicht gegen die Eigentumsgarantie, so hat der Grosse Rat diesen Vorwurf zu Unrecht als Grund für die Streichung der Ziffer 2 von Art. 32 BauG herangezogen.
BGE 92 I 369 S. 378

5. Nach Ansicht des Grossen Rates widerspricht Art. 32 Ziff. 2 BauG sodann auch dem Art. 4 BPG. Gemäss dieser Vorschrift können, die Gemeinden bestimmen, dass Bauten im vorwiegend land- und forstwirtschaftlich genutzten Gebiet, die nicht im Zusammenhang mit einem Betrieb solcher Nutzung stehen, nur bewilligt werden müssen, sofern vier abschliessend aufgezählte Bedingungen erfüllt sind.
a) Art. 32 Ziffer 2 BauG enthält keine gegenteilige Anordnung, verbietet aber die Belieferung von Bauten im "übrigen Gemeindegebiet" mit Wasser und Strom. Seine Anwendung kann also bewirken, dass im "übrigen Gemeindegebiet" mitunter auch dann nicht gebaut werden kann, wenn die vier Bedingungen des Art. 4 BPG erfüllt sind. Ob der Grosse Rat - sein Entscheid enthält diesbezüglich überhaupt keine Begründung - deshalb eine Verletzung des kantonalen Rechtes angenommen hat, mag offen bleiben. Jedenfalls wäre ein Widerspruch zwischen den Art. 32 Ziff. 2 BauG und Art. 4 BPG nur denkbar, wenn man der kantonalen Bestimmung den über ihren Wortlaut hinausgehenden Sinn beilegte, wonach die Gemeinde bei Erfüllung der vier Bedingungen das Bauen nicht nur bewilligen, sondern geradezu ermöglichen müsse. Hiezu verpflichtet indessen das kantonale Recht die Gemeinde nicht. Es verlangt von ihr lediglich, dass sie die in Art. 4 BPG erwähnten Bauten unter gewissen Voraussetzungen dulde. In der Auslegung des Grossen Rates hätte Art. 4 BPG für Gemeinden mit eigenen Versorgungsbetrieben einen viel weitergehenden Sinn als für die übrigen Gemeinden: Während letztere nur verpflichtet wären, zonenplanwidrige Bauten zu dulden, müssten die Gemeinden, welche eigene Versorgungsbetriebe unterhalten, unerwünschte Bauten durch Lieferung von Wasser und Strom aktiv fördern. Dem wiederum stünde Art. 3 lit. b BPG entgegen, wonach alle Gemeinden den Bereich abgrenzen dürfen, innerhalb welchem Bauten an die öffentlichen Leitungen anzuschliessen sind.
Weil die Annahme des Grossen Rates, Art. 32 Ziff. 2 BauG widerspreche dem Art. 4 BPG, somit im kantonalen Gesetz keine Stütze findet, verletzt sie die Autonomie der Beschwerdeführerin.
b) Die Streichung der Ziffer 2 von Art. 32 BauG verstösst übrigens im Ergebnis auch gegen Art. 40 Abs. 2 KV selber. Diese Vorschrift gewährleistet den Gemeinden das "Recht
BGE 92 I 369 S. 379
der selbständigen Gemeindeverwaltung mit Einschluss der niederen Polizei" und ermächtigt sie, die "dahin einschlagenden Ordnungen" festzusetzen. Zur "selbständigen Gemeindeverwaltung" gehört aber zweifellos auch die Einrichtung gemeindeeigener Versorgungsbetriebe, und unter den Begriff der "dahin einschlagenden Ordnungen" fällt auch die Zuständigkeit zur Bestimmung des Aktionsbereichs solcher Betriebe. Dabei kann die Gemeinde, vorbehältlich der Verstösse gegen Art. 4 BV, alles anordnen, was sie zur Erreichung der von ihr selber bestimmten öffentlichen Zwecke als tauglich erachtet, unnötige Vorschriften nicht ausgenommen (BGE 91 I 45).
Die Gemeinde darf also zum Beispiel neben der Belieferung der vorhandenen Häuser mit Wasser und Strom auch planerische Resultate zu erreichen suchen; so darf sie die sog. Streubauweise erschweren sowie die bestmögliche Überbauung der als Baugebiet bezeichneten Bodenfläche fördern (REICHLIN, Rechtsfragen der Landesplanung, ZSR nF 66 S. 300 a). Im Urteil vom 11. Mai 1966 i.S. Hell c. Gemeinde Reinach und Regierungsrat des Kantons Baselland hat das Bundesgericht das Verfolgen solcher Zwecke jedenfalls dann als zulässig erachtet, wenn das vorhandene Leitungsnetz nicht unbeschränkt viele Anschlüsse erträgt. Zwar ging es im erwähnten Entscheid um einen Kanalisationsanschluss. Daraus kann aber nicht etwa abgeleitet werden, die Autonomie der Gemeinde Celerina/Schlarigna sei in Bezug auf die Wasserversorgung und die Stromlieferung von geringerem Umfang. Bei der Beschwerdeführerin liegen die Verhältnisse im Gegenteil günstiger. Während im Urteil vom 11. Mai 1966 trotz grundsätzlichen Anschlusszwangs als zulässig erklärt wurde, einen Anschluss ausserhalb des Siedlungsgebietes zu verweigern (und dadurch das Bauen zu verunmöglichen), sofern die Leistungsfähigkeit des Kanalisationsnetzes dies erfordert, setzt Art. 32 Ziff. 3 des Celeriner BauG als Gegenstück zum Anschlusszwang ein Recht des Einzelnen auf Anschluss an die Kanalisation voraus und überbindet dem Bauherrn lediglich die gesamten Kosten des Anschlusses. Für Wasser und Strom dagegen, deren Lieferung der Gemeinderat im "übrigen Gemeindegebiet" zu verweigern hat, besteht überhaupt kein Anschlusszwang. Dazu kommt, dass beim heutigen Ausbau der Gemeindewasserversorgung die vorhandene Wassermenge nicht ausreicht, um beliebig viele neue Anschlüsse zu bedienen. Es bestünde somit
BGE 92 I 369 S. 380
die Gefahr, dass die Versorgung des Baugebietes mit Wasser infolge von Anschlüssen im "übrigen Gemeindegebiet" mit der Zeit in Frage gestellt wäre. Wann nämlich der heute noch vorhandene Grundwasservorrat der Gemeinde einmal angezapft werden kann, vermochte auch der Grosse Rat nicht zu sagen. Dann musste er der Beschwerdeführerin aber erst recht die Entscheidungsfreiheit darüber belassen, für welche Teile des Gemeindegebietes sie das zur Zeit verfügbare Wasser verwenden wolle.
Wenn auch die Verhältnisse bezüglich der Stromversorgung befriedigender sein mögen, so hindert dies die Beschwerdeführerin doch nicht, hier ebenfalls nach eigenem Ermessen zu entscheiden, wohin sie Elektrizität liefern will. Gestützt auf Art. 3 lit. b BPG darf sie insbesondere auch anordnen, dass die Stromabgabe für nichtlandwirtschaftliche Bauten im Baugebiet zu bewilligen, im "übrigen Gemeindegebiet" dagegen zu verweigern sei.
c) Härtefälle bei der Anwendung des Art. 32 Ziff. 2 BauG sind allerdings nicht auszuschliessen. Verletzte deshalb die Verweigerung von Ausnahmen Art. 4 BV, so hätte der Gemeinderat die Ausnahmen zu bewilligen und zwar auch dann, wenn die im allgemeinen Erlaubnisvorbehalt des Art. 6 BauG aufgezählten Bedingungen nicht erfüllt sein sollten.

6. Einen weiteren Grund für die Aufhebung von Art. 32 Ziff. 2 BauG erblickte der Grosse Rat schliesslich darin, dass diese Bestimmung auch das Grundeigentum verschiedener Beschwerdegegner treffe, welches sich am Hang der Ova da Saluver befindet. Die Erstellung einer eigenen Wasserversorgung sei hier beinahe unmöglich, die Wirkung von Art. 32 Ziff. 2 BauG aber umso stossender, als einzelne Parzellen der Beschwerdegegner von der Wasserleitung der Gemeinde "tangiert" oder sogar durchquert würden. Laut den Darlegungen der Gemeindevertreter am Augenschein der grossrätlichen Instruktionskommission sei übrigens in jenem Gebiet die Errichtung nichtlandwirtschaftlicher Bauten eher erwünscht als rechts des Inns.
Diese Begründung richtet sich nicht gegen den Text des Art. 32 Ziff. 2 BauG. Auch sie vermag deshalb die Aufhebung nicht zu rechtfertigen. Träfen nämlich die Ausführungen des Grossen Rates zu, dann wäre dies vielmehr ein Zeichen dafür, dass der Bauzonenplan ergänzt und der Hang der Ova da
BGE 92 I 369 S. 381
Saluver aus dem "übrigen Gemeindegebiet" herausgenommen werden sollte. Der Bauzonenplan ist jedoch im vorliegenden Verfahren nicht Streitgegenstand, er wurde dem Bundesgericht nicht einmal eingereicht.
Auch in diesem Punkte gilt im übrigen, dass Art. 32 Ziff. 2 BauG nur in den Grenzen des Art. 4 BV gehandhabt werden darf und - sollten diese Grenzen im Einzelfall überschritten sein - Ausnahmen zugestanden werden müssten.

7. Aus vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass der Grosse Rat den Art. 32 Ziff. 2 BauG der Gemeinde Celerina/Schlarigna zu Unrecht aufgehoben und dass er dadurch die Gemeindeautonomie verletzt hat, was zur Gutheissung der Beschwerde führt.
Da die Beschwerdeführerin nunmehr vollständig obsiegt, ist der Kostenanteil, welcher ihr im kantonalen Verfahren auferlegt wurde, gemäss Art. 157 OG aufzuheben.

Dispositiv

Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die staatsrechtliche Beschwerde wird gutgeheissen und der angefochtene Beschluss des Grossen Rates insoweit aufgehoben, als durch ihn Art. 32 Ziffer 2 des Baugesetzes der Gemeinde Celerina/Schlarigna kassiert und der Gemeinde ein Kostenanteil auferlegt wurde.

Inhalt

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Sachverhalt

Erwägungen 1 2 3 4 5 6 7

Dispositiv

Referenzen

BGE: 91 I 42, 89 I 11, 89 I 111, 91 I 43 mehr...

Artikel: Art. 4 BPG, Art. 4 BV, Art. 3 lit. b BPG, Art. 3 lit. d BPG mehr...