93 I 525
Urteilskopf
93 I 525
65. Urteil vom 13. Dezember 1967 i.S. Partei Freiheit und Rechte gegen den Grossen Rat des Kantons Luzern.
Regeste
Stimmrecht. Grossratswahlen. Verweigerung des rechtlichen Gehörs.
Anfechtung der Grossratswahlen im Bezirk Luzern-Stadt wegen Missachtung der Vorschrift, wonach die von den Parteien zur Verfügung gestellten Kandidatenlisten (neben der amtlichen Blanko-Liste) im Urnenlokal aufzulegen sind.
Prüfungsbefugnis des Bundesgerichts (Erw. 4 und 5).
Einfluss der behaupteten Unregelmässigkeit auf das Wahlergebnis? (Erw. 4).
Gutheissung der staatsrechtlichen Beschwerde und Aufhebung des Validierungsbeschlusses des Grossen Rates wegen ungenügender Untersuchung der im kantonalen Wahlrekurs aufgestellten Behauptungen
- dass die Stadtkanzlei die ihr gelieferten Listen der beschwerdeführenden Partei an die Urnenlokale hätte verteilen sollen (Erw. 6);
- dass den Vertretern der beschwerdeführenden Partei verweigert worden sei, ihre Listen in den Urnenlokalen aufzulegen (Erw. 7).
A.- Der Grosse Rat des Kantons Luzern besteht aus 170 Mitgliedern, die unter die 6 Wahlkreise im Verhältnis ihrer schweizerischen Wohnbevölkerung zu verteilen und nach dem Verhältniswahlverfahren zu wählen sind (§ 43 KV). Zur Zeit entfallen auf den Wahlkreis Luzern-Stadt 44 und auf den Wahlkreis Luzern-Land 35 Mitglieder. Das Wahlverfahren ist im Gesetz vom 7. März 1933 betreffend die Grossrats- und Verfassungsratswahlen (GWG) geregelt. Soweit dieses Gesetz nichts Abweichendes vorschreibt, sind die Vorschriften des Gesetzes vom 31. Dezember 1918 über Wahlen und Abstimmungen (WAG) ergänzend anwendbar (§ 38 Abs. 3 GWG).
a) Als Stimmzettel kann der Wähler eine von privater Seite herausgegebene, gedruckte Kandidatenliste benützen oder den amtlichen Wahlzettel, der die erforderlichen Zeilen für das handschriftliche Eintragen so vieler Kandidaten enthält, als zu wählen sind (§ 14 Abs. 1 GWG; §§ 48 Abs. 1 und 48a Abs. 2 WAG).
Vor der Revision des WAG von 1966 benutzten die meisten Stimmberechtigten die von den Parteien gedruckten und ausserhalb des Urnenlokals verteilten Kandidatenlisten; statt dessen konnte im Wahlbüro auch ein amtlicher Stimmzettel verlangt und von Hand ausgefüllt werden. Da dies selten geschah und insoweit das Stimmgeheimnis gefährdet schien, schlug der Regierungsrat bei der Revision des WAG im Jahre 1966 vor, den amtlichen Stimmzettel im Urnenlokal zur freien Bedienung aufzulegen, während die gedruckten Kandidatenlisten wie bisher ausserhalb des Urnenlokals zu verteilen seien (Botschaft vom 25. Juli 1966 S. 19; § 52a Abs. 2 und 3 des Entwurfs). Der Grosse Rat ging weiter und beschloss, auch die Auflegung der gedruckten Kandidatenlisten im Urnenlokal zu gestatten. Die § § 52a und 53 WAG in der seit 29. November 1966 geltenden Fassung lauten:
§ 52a. Nach Anzeichnung des Namens im Stimmregister übergibt das Urnenbüro dem Stimmenden bei Abstimmungen den Stimmzettel und bei Wahlen das Stimmkuvert.
Bei Wahlen sind amtliche Stimmzettel und von privater Seite zur Verfügung gestellte Kandidatenlisten im Urnenlokal so aufzulegen, dass sich die Stimmenden unkontrolliert bedienen können.
§ 53. Nach vollzogener Stimmabgabe hat der Stimmberechtigte das Urnenlokal sofort zu verlassen; der Wiedereintritt ist ihm untersagt.
Am 14. März 1967 erliess das Justizdepartement des Kantons Luzern ein Kreisschreiben an die Urnenbüros, worin es zur Erläuterung der § § 52a und 53 WAG folgendes ausführte:
Auflage der Stimmzettel bei Wahlen 8 Entgegen der bisherigen Regelung sind bei Wahlen die amtlichen Stimmzettel sowie die von privater Seite (Parteien usw.) dem Urnenbüro zur Verfügung gestellten Kandidatenlisten im Urnenlokal so aufzulegen, dass sich die Stimmenden unkontrolliert bedienen können (§ 52a Abs. 2 WAG). Hiezu sind geeignete Kästchen erforderlich, die sich in einer Art Nische befinden. Amtliche Stimmzettel und Kandidatenlisten können auch in den Nischen, wo der Stimmende den Stimmzettel ausfüllt, aufgelegt werden.
9 Die Mitglieder des Urnenbüros haben das im Urnenlokal aufgelegte Wahlmaterial zu überwachen und dafür zu sorgen, dass stets amtliche Stimmzettel und Kandidatenlisten zur unkontrollierten Bedienung der Stimmenden zur Verfügung stehen.
10 Es hat den Gemeinderat auch darauf aufmerksam zu machen, wenn die Einrichtungen des Urnenbüros nicht eine unkontrollierte Stimmabgabe ermöglichen.
11 Die Auflage der amtlichen Stimmzettel und der Kandidatenlisten im Urnenlokal schliesst nicht aus, dass die Kandidatenlisten der Parteien - wie bisher - auch vor dem Urnenbüro aufgelegt oder verteilt werden dürfen. Dies darf jedoch keinesfalls die Auflage im Urnenbüro ersetzen.
Zutritt zum Urnenlokal
21 Der Zutritt zum Urnenlokal ist neben den aufgebotenen Urnenbüromitgliedern und Personen, die in amtlicher Funktion dort zu tun haben, nur dem Stimmberechtigten zum Zwecke der Stimmabgabe erlaubt. Nach vollzogener Stimmabgabe hat der Stimmberechtigte das Urnenlokal sofort zu verlassen; der Wiedereintritt ist ihm untersagt (§ 53 WAG).
Verbot jeglicher Beeinflussung
22 Im Urnenlokal ist jede Propaganda verboten. Den Urnenbüros ist jede Beeinflussung der Stimmberechtigten untersagt. Der geringste Verstoss gegen diesen Grundsatz kann die Kassation der Wahl oder Abstimmung und unter Umständen die Bestrafung des fehlbaren Büromitglieds zur Folge haben.
23 Die Auflage der Kandidatenlisten im Urnenlokal gemäss § 52a Abs. 2 WAG (Ziff. 8-10) darf keinesfalls zu einer Beeinflussung der Stimmenden führen. Die amtlichen Stimmzettel und die dem Urnenbüro von privater Seite zur Verfügung gestellten Kandidatenlisten sind so aufzulegen, dass der Stimmende sie sämtliche sofort überblicken kann. Es dürfen nicht einzelne Kandidatenlisten besser plaziert und andere fast "versteckt" werden.
b) Die Grundsätze über die Verteilung der Grossratsmandate auf Grund der eingelegten Wahllisten (§ § 22 ff. WAG ) stimmen im wesentlichen mit den in den Art. 17 ff. des BG vom 14. Februar 1919 betreffend die Wahl des Nationalrates enthaltenen Vorschriften überein. Als Besonderheit ist festzuhalten, dass eine Partei bei der Verteilung der Restmandate ausser Betracht fällt, wenn ihre Parteistimmenzahl nicht wenigstens 75% der Wahlzahl (vorläufigen Verteilungszahl)
beträgt (§ 23 Ziff. 5 Abs. 2 GWG).
c) Über Einsprüche gegen die Grossratswahlen entscheidet der Grosse Rat, wobei er den Regierungsrat oder besondere Kommissionen mit der näheren Untersuchung beauftragen kann (§ 39 Abs. 1 WAG, 32 Abs. 2 und 33 Abs. 2 GWG). Massgebend sind folgende Bestimmungen:
§ 39 Abs. 2 WAG. Die angefochtene Wahl oder Abstimmung ist ganz oder teilweise aufzuheben, wenn Rechtsverletzungen festgestellt werden, die auf das Ergebnis von Einfluss waren.
§ 32 Abs. 1 GWG. Der Grosse Rat untersucht die Wahlurkunden in der Reihenfolge der Wahlkreise, wobei jeweilen die Mitglieder des betreffenden Wahlkreises sich in Ausstand befinden.
§ 33 Abs. 1 GWG. Der Grosse Rat bestätigt die Wahlurkunden, wenn sie den Gesetzen gemäss sind. Er erklärt sie ganz oder teilweise als ungültig, wenn wesentliche Unregelmässigkeiten bei einer Wahlverhandlung stattgefunden haben. Soweit die Ungültigerklärung eine neue Wahlverhandlung notwendig macht, beauftragt er den Regierungsrat mit deren Anordnung.
B.- Die Parteien der Stadt Luzern liessen früher die Kandidatenlisten vor den Urnenlokalen durch eigene Leute verteilen. Seit dem Jahre 1959 legten sie die Listen vor dem Urnenlokal in einem gemeinsamen Fächerkasten auf und liessen diesen durch einen von ihnen bezahlten Securitasmann bewachen und nötigenfalls nachfüllen.
Für die erstmals nach dem revidierten § 52a WAG durchgeführten Grossratswahlen vom 6./7. Mai 1967 liess die Stadtkanzlei Luzern in den 16 Urnenlokalen des Wahlkreises Luzern-Stadt Listenkisten aufstellen, die zur Auflegung der Listen für die Wähler bestimmt und - zum Schutz des Wahlge heimnisses - mit Seitenwänden versehen waren; ferner liess sie den Ordnungsdienst in und vor den Urnenlokalen wie schon früher durch Angehörige des städtischen Polizeikorps, die sog. Bezirkschefs oder Quartiermeister, besorgen. In den Urnenlokalen des Wahlkreises Luzern-Land wurden die Listen auf Tischen, in Mappen, Schachteln, Nischen oder auf andere Weise aufgelegt.
Am 3. April 1967 richtete die Stadtkanzlei Luzern an die 7 Parteien, die Kandidatenlisten aufgestellt hatten, darunter auch an die neue "Partei für Freiheit und Rechte" (Partei F + R), folgendes Schreiben:
Allgemeine Erneuerungswahlen 1967
Listenkasten vor und in den Stimmlokalen
Gemäss § 52 a WAG, Fassung 1966, sind amtliche Stimmzettel und von privater Seite zur Verfügung gestellte Kandidatenlisten im Urnenlokal so aufzulegen, dass sich die Stimmenden unkontrolliert bedienen können.
Bei den Ersatzwahlen in das Amtsgericht bzw. den Grossen Bürgerrat vom 26. Februar 1967 ist die Stadtkanzlei dieser neuen Gesetzesbestimmung nachgekommen und hat die Stimmzettel im ordentlichen Listenkasten in den Stimmlokalen auflegen lassen. Bekanntlich hat sich aber die Neuerung in dieser Form nicht bewährt, indem eine grosse Anzahl Stimmender die aufgelegten Listen
BGE 93 I 525 S. 530
nicht oder zu spät beachtete und somit das Stimmkuvert (für die Wahlen) leer einlegte.Mit Eingabe vom 8. März 1967 hat der Stadtrat das Justizdepartement auf die Schwierigkeiten bei der strikten Einhaltung der Gesetzesbestimmung aufmerksam gemacht, ohne indessen eine Lockerung erreichen zu können. Nachdem jedoch der gleichzeitigen Auflage der Parteilisten vor und im Stimmlokal nichts im Wege steht, haben wir inskünftig folgende Lösung getroffen:
1. Vor dem Stimmlokal gelangt wie bisher der übliche Listenkasten mit allen Partei- bzw. privaten Kandidatenlisten zur Aufstellung.
2. Im Stimmlokal selbst wird in einer Ecke zusätzlich eine Listenkiste aufgestellt, in der sich in geringer Anzahl ebenfalls alle Listen (wie vor dem Lokal) und dazu die amtliche Blanko-Wahlliste befinden. In der Praxis dürften 98 % der Stimmenden beim Eintritt ins Wahllokal bereits im Besitz ihrer Wahlliste sein, währenddem die restlichen sich unkontrolliert mit einem Stimmzettel aus der Listenkiste noch im Wahllokal bedienen können.
Bewachung der Listenkasten vor den Stimmlokalen
Bei den Proporzwahlen 1959 und 1963 hat die Stadtkanzlei im Auftrag der politischen Parteien die Listenkasten durch einen Securitasmann bewachen lassen und ihnen am Ende des Wahljahres für die Kosten anteilsmässig Rechnung gestellt. Um unsern Auftrag auch dieses Jahr an die Securitas AG rechtzeitig erteilen zu können, müssen wir Sie bitten, uns bis 15. April 1967 wissen zu lassen, ob die Listenkasten auch diesmal bewacht werden sollen oder nicht. Im bejahenden Fall wären die Parteilisten jeweils an die Securitas AG, Hirschmattstrasse 25, zu liefern, und zwar für jedes der 16 Kreis-Wahlbüros getrennt verpackt und etikettiert, unter Angabe des Kreises und des Wahllokals. Für die Vorurnen (Mittwoch in der Kantonsschule und Samstag im Bahnhof) dagegen sind die Listen an die Stadtkanzlei zu liefern.
Weil sich die Bewachung in der bisherigen Form in jeder Hinsicht bewährt hat, empfehlen wir sie auch für das laufende Wahljahr.
Während die übrigen 6 Parteien sich für die vorgeschlagene Bewachung der Listenkasten durch Securitasmänner aussprachen, erklärte die Partei F + R der Stadtkanzlei, sie sei nicht im Stande, die ihr hieraus erwachsenden Kosten zu übernehmen. In dem vor jedem Urnenlokal aufgelegten Listenkasten waren daher nur die Kandidatenlisten der 6 übrigen Parteien aufgelegt. Was mit den Listen der Partei F + R geschah, ist teilweise umstritten und bildet den Gegenstand des vorliegenden Rechts streits.
C.- Bei den Wahlen im Wahlkreis Luzern-Stadt wurden 14'278 gültige Stimmzettel abgegeben, davon 165 für die Partei F + R; 90 Stimmzettel waren ungültig, 336 leer. Die Wahlzahl
BGE 93 I 525 S. 531
betrug (aufgerundet) 318 und das Quorum von 75% gemäss § 23 Ziff. 5 Abs. 2 GWG 239. Der Partei F + R fehlten somit 74 Stimmen für die Erreichung des Quorums. Das letzte von drei Restmandaten entfiel auf eine Liste, die einen Stimmrest von 176 aufwies.Im Wahlkreis Luzern-Land wurden 14'082 gültige Stimmzettel abgegeben, davon 52 für die Partei F + R; 98 Stimmzettel waren ungültig, 115 leer. Die Wahlzahl betrug 392 und das Quorum 294. Die Partei F + R unterschritt somit das Quorum um 242 Stimmen. Das einzige Restmandat entfiel auf eine Partei, die einen Stimmrest von 208 aufwies.
D.- Am 12. Mai 1967 reichten Roman Stalder als Präsident der Partei F + R und Johann Dahinden beim kantonalen Justizdepartement eine Wahleinsprache ein, mit der sie die Wahlen in den Bezirken Luzern-Stadt und Luzern-Land beanstandeten. Sie beklagten sich über eine Benachteiligung ihrer Partei und machten geltend:
a) Obwohl sie der Stadtkanzlei Luzern fristgemäss für jedes Urnenbüro je 200 Listen zum Auflegen für die Wähler zugestellt hätten, seien diese Listen nach einer Auskunft von Adjunkt Reinhard am Samstag 6. Mai um 19 Uhr noch nicht auf die Urnenlokale verteilt gewesen, sondern noch auf der Stadtkanzlei gelegen.
b) Als die Vertreter der Partei F + R hierauf versucht hätten, die Listen selber in den Urnenbüros aufzulegen, hätten ihnen dies Securitas und Quartiermeister unter Berufung auf eine Weisung der Stadtkanzlei verweigert. Erst ca. eine Stunde vor Urnenschluss habe die Stadtkanzlei die Bewilligung erteilt und die Quartiermeister angewiesen, auch die Listen der Partei F + R aufzulegen.
c) Bei der Frühurne im Bahnhof Luzern seien die Herren Zimmermann und Stalder von Quartiermeister Roth aus dem Wahllokal gejagt worden, und im Urnenlokal VBL habe Roth erklärt, laut Weisung der Stadtkanzlei dürfe die Liste der Partei F + R nicht aufgelegt werden. Dasselbe sei den Herren Stalder und Fräger am Sonntag um 12 Uhr im Urnenlokal zur Schneidern passiert, als sie dort Wahlzettel auflegen wollten.
d) In den Wahlbüros des Wahlkreises Luzern-Land seien die Listen der Partei F + R samt den Schachteln beseitigt worden.
e) Durch dieses Vorgehen sei den Bürgern verunmöglicht worden, für die Partei F + R zu stimmen. Da diese bis auf 13
BGE 93 I 525 S. 532
Stimmen an ein Restmandat gekommen sei, könne als sicher angenommen werden, dass sie ohne die Benachteiligung bestimmt ein Restmandat, vielleicht auch mehrere erhalten hätte. Es werde daher Annullierung der Wahl und Bestrafung der fehlbaren Funktionäre verlangt.a) Es holte einen Bericht des Stadtrates von Luzern ein. Darin wurde ausgeführt, dass die Stadtkanzlei zwar die Listenkasten in und wie bisher auch vor den Urnenlokalen aufgestellt habe, dass sie aber mit der Lieferung der Kandidatenlisten an die Urnenbüros nichts zu tun gehabt habe. Während die übrigen Parteien sich für die Abmachung mit der Securitas entschieden hätten, sei mit der Partei F + R vereinbart worden, dass diese eigene Listenverteiler ausserhalb der Urnenlokale aufstelle. Adjunkt Reinhard habe am 5. Mai alle Bezirkschefs über die Listenauflage vor und im Urnenlokal eingehend aufgeklärt und sie dabei angewiesen, für das Ein- und Nachfüllen der Listenkasten im Urnenlokal besorgt zu sein und die dafür erforderlichen Listen vor dem Urnenlokal von der Securitas bzw. vom Verteiler der Partei F + R zu beziehen. Ferner sei die Securitas darauf aufmerksam gemacht worden, dass die Partei F + R den Kasten vor dem Urnenlokal nicht benutzen dürfe, dafür aber eigene Verteiler aufstellen werde. Entgegen der getroffenen Abmachung habe aber die Partei F + R nicht vor allen Urnenlokalen Verteiler aufgestellt, sondern teilweise versucht, unbefugt den Listenkasten mitzubenutzen, was ihr verweigert worden sei. Sie habe es ferner unterlassen, den Urnenbüros die Kandidatenlisten zu liefern, so dass die Bezirkschefs keine oder nicht genügend Listen dieser Partei zur Verfügung hatten für die Versorgung der Listenkisten in den Urnenlokalen. Es sei nicht Sache der Stadtkanzlei gewesen, die ihr von der Partei F + R ohne irgend welche Bemerkung gelieferten Listen an die Urnenbüros weiterzuleiten.
b) Der in der Einsprache namentlich erwähnte Bezirkschef Walter Roth wurde vom Sekretär des Justizdepartements einvernommen. Nach seinen Angaben stand an der Frühurne im Bahnhof eine mit allen Kandidatenlisten, auch solchen der Partei F + R, versehene Kiste zur Verfügung; Oskar Zimmermann und ein Begleiter, die im Urnenlokal Listen zu verteilen versuchten, seien weggewiesen worden mit der Bemerkung,
BGE 93 I 525 S. 533
die Verteilung sei nur vor dem Lokal zulässig. Im Urnenlokal VBL, wo Roth während der ordentlichen Urnenzeiten Ordnungsdienst leistete, habe ein Vertreter der Partei F + R den Kasten der Securitas mitbenutzt, sei aber daran verhindert worden mit der Erklärung, er dürfe persönlich Listen verteilen, worauf er verschwunden sei. Als dann kurz nach 17 Uhr jemand eine offene Kartonschachtel mit Listen der Partei F + R brachte, habe Roth ein Tabouret herbeigeschafft, darauf die Schachtel vor dem Urnenlokal aufstellen lassen und aus diesem Vorrat auch Listen in der Kiste im Urnenlokal aufgelegt. Die andern Bezirkschefs hätten sich dahin geäussert, dass sie bei den andern Urnenlokalen mit den Vertretern der Partei F + R ungefähr die gleichen Erfahrungen gemacht hätten.c) An alle 18 Gemeindekanzleien des Wahlkreises Luzern-Land wurde ein Fragebogen geschickt, der über die Auflegung der Liste der Partei F + R Auskunft verlangte. Aus den Antworten ergibt sich, dass Kandidatenlisten dieser Partei in 6 Gemeinden überhaupt nicht, in andern mit Verspätung geliefert wurden und dort, wo sie eingingen, ordnungsgemäss aufgelegt waren; die Behauptung der Partei F + R, ihre Listen seien mit den Schachteln beseitigt worden, wurde von den Gemeinden teils ausdrücklich, teils durch die Schilderungen des Wahlvorgangs zurückgewiesen.
Auf Grund dieses Untersuchungsergebnisses erstattete der Regierungsrat dem Grossen Rat am 22. Mai 1967 einlässlich Bericht. Eine von den Fraktionspräsidenten aus bisherigen, wiedergewählten Mitgliedern bestellte Kommission behandelte diesen Bericht am 26. Mai 1967 in einer Sitzung und beschloss einstimmig, dem Grossen Rat Abweisung der Wahleinsprache und Genehmigung der Wahlen zu beantragen. Der Grosse Rat folgte diesem Antrag am 29. Mai 1967 und teilte dies der Partei F + R mit Schreiben vom 9. Juni 1967 unter Beilage des regierungsrätlichen Berichts vom 22. Mai 1967 mit.
F.- Mit Eingaben vom 21. und 22. Juni 1967 haben J. Dahinden und R. Stalder im Auftrag der Partei F + R staatsrechtliche Beschwerde erhoben. Sie rügen eine Verletzung der §§ 36 Abs. 1 und 2, 48 Abs. 1, 50 Abs. 1 und 2 und 52a Abs. 2 WAG und bringen zur Begründung vor: Die Kandidatenlisten der Beschwerdeführerin seien in den Urnenbüros auf Weisung der Stadtkanzlei nicht zugelassen worden, so dass die Stimmbürger
BGE 93 I 525 S. 534
diese Listen dort nicht vorfanden. Die Stadtkanzlei habe die ihr übergebenen Listen zurückbehalten, obwohl Adjunkt Reinhard deutlich erklärt habe, die Listen seien von den Parteien, die sich nicht am Vertrag mit der Securitas beteiligten, der Stadtkanzlei zur Verteilung an die Urnenbüros zuzustellen, und zwar für jedes Büro gebündelt und angeschrieben, was die Beschwerdeführerin einige Tage vor den Wahlen getan habe. Etwas anderes sei dem Schreiben der Stadtkanzlei vom 3. April 1967 entgegen der Behauptung des Regierungsrates nicht zu entnehmen gewesen. Bei der Wahl seien dann die Listen der Beschwerdeführerin von den Urnenlokalen ferngehalten worden; sie hätten weder in den Wahlkisten noch im Vorraum aufgelegt werden dürfen und seien, soweit vorhanden, von 5 (namentlich genannten) Beamten weggeräumt worden (wofür 8 Zeugen, darunter die beiden Unterzeichner der Beschwerde, angerufen werden). Erst eine Stunde vor Wahlschluss sei das gesetzliche Recht der Beschwerdeführerin respektiert worden. Die Untersuchung der Wahleinsprache sei einseitig und mangelhaft gewesen und erweise sich als Verweigerung des rechtlichen Gehörs, da die angerufenen Zeugen nicht einvernommen worden seien.
G.- Der Grosse Rat des Kantons Luzern beantragt Abweisung der Beschwerde, soweit sie den Wahlkreis Luzern-Stadt betrifft, und Nichteintreten, eventuell Abweisung betreffend den Wahlkreis Luzern-Land. Seine Ausführungen sind, soweit wesentlich, aus den nachstehenden Erwägungen ersichtlich.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1./3. - (Prozessuales. Soweit die Beschwerde den Wahlkreis Luzern-Land betrifft, wird darauf mangels genügender Begründung nicht eingetreten.)
4. Die Beschwerdeführerin beanstandet, dass ihre Kandidatenlisten nicht während der ganzen Oeffnungszeit der städtischen Urnenlokale in diesen gemäss § 52a WAG aufgelegt waren, und zwar wegen pflichtwidrigen Verhaltens der Stadtkanzlei und der Bezirkschefs. Ob und aus welchen Gründen § 52a WAG verletzt wurde, müsste nicht geprüft werden, wenn feststünde, dass die gerügte Verletzung das Wahlergebnis nicht beeinflusst hat. Das ist jedoch nicht der Fall.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts führt die Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften zur Aufhebung der angefochtenen Wahl oder Abstimmung, sofern die Mög11chkeit, dass der Fehler das Wahl- oder Abstimmungsergebnis beeinflusste, nach den Umständen des Falles nicht ganz ausgeschlossen ist (BGE 42 I 57,BGE 49 I 328und seitherige ständige Rechtsprechung). Der - oft unmögliche - Beweis, dass er es tatsächlich beeinflusste, ist nicht erforderlich (BGE 75 I 243lit. b). Vielmehr ist dem Entscheid darüber, ob ein Fehler das Wahl- oder Abstimmungsergebnis beeinflussen konnte, die für den Beschwerdeführer günstigste der an sich möglichen Annahmen zugrundezulegen (BGE 91 I 320 /21). Ob das Ergebnis ohne den Fehler anders hätte ausfallen können, prüft das Bundesgericht frei (BGE 75 I 240, BGE 91 I 10 a.E.).
Sofern die Kandidatenlisten der Beschwerdeführerin nicht gemäss § 52a WAG in den Urnenlokalen aufgelegt gewesen sein sollten, war dadurch an sich kein einziger Wähler verhindert, sein Stimmrecht unbeeinflusst auszuüben. Der Wähler kann eine der ihm ins Haus gesandten oder vor dem Urnenlokal verteilten Listen einlegen oder aber den im Urnenlokal aufliegenden amtlichen Wahlzettel ausfüllen. Trotzdem kann nicht gesagt werden, die Auflage der Kandidatenlisten diene nur der Bequemlichkeit der Wähler und sei ohne Einfluss auf die Stimmabgabe. Die Erfahrungen, und zwar gerade auch im Kanton Luzern, beweisen das Gegenteil. Obwohl der Stimmbürger das Recht, den amtlichen Stimmzettel auszufüllen, schon früher hatte, beschloss der Grosse Rat bei der Revision des WAG von 1966, es seien in den Urnenlokalen auch die Kandidatenlisten aufzulegen. Diese Neuerung hatte, wie der Grosse Rat in der Beschwerdeantwort (S. 3) selbst ausführt, u.a. den Zweck, dem Bürger, der seine Kandidatenlisten vergessen hatte, das umständliche handschriftliche Ausfüllen der amtlichen "Blankoliste" zu ersparen. Wie stark mindestens gegenwärtig die Gewohnheit der Wähler ist, mit der gedruckten Liste zu wählen und dann, wenn sie diese nicht vor oder in dem Urnenlokal vorfinden, eher leer einzulegen als einen amtlichen Wahlzettel von Hand auszufüllen, zeigte sich am 26. Februar 1967 bei den Bürgerratswahlen der Stadt Luzern; weil damals vor den Urnenlokalen keine Kandidatenlisten verteilt und die in den Lokalen aufgelegten Listen von vielen Wählern übersehen wurden, ergab sich eine ungewöhnlich grosse Zahl leerer Stimmen,
BGE 93 I 525 S. 536
was den Stadtrat und die Parteien bewog, bei den Grossratswahlen vom 6./7. Mai 1967 neben der vorgeschriebenen Auflage der Kandidatenlisten im Urnenlokal auch das alte Verteilersystem wieder anzuwenden (vgl. Schreiben der Stadtkanzlei vom 3. April 1967). Da nicht dargetan ist, dass die Beschwerdeführerin, eine kleine Partei, gedruckte Listen in alle Haushaltungen sandte, und da sie nicht während der ganzen Urnenzeiten vor allen Urnenlokalen eigene Verteiler aufgestellt hatte, ist es sehr wohl möglich, dass eine AnzahIWähler, die die Listen der Beschwerdeführerin einlegen wollten, sie aber im Urnenlokal nicht vorfanden, leer einlegten oder gar zu einer andern Liste griffen. Dass die Beschwerdeführerin bei ständiger Auflegung ihrer Kandidatenlisten in den Urnenlokalen 70-80 Stimmen mehr erzielt, damit das Quorum erreicht und das letzte Restmandat errungen hätte, mag wenig wahrscheinlich sein, kann aber nicht als ausgeschlossen bezeichnet werden. Die Beschwerde kann daher nicht mit der Begründung abgewiesen werden, die gerügte Verletzung von § 52a WAG hätte das Wahlergebnis nicht beeinflussen können.Hiegegen vermag auch die Berufung des Grossen Rates auf § 39 Abs. 2 WAG nicht aufzukommen, wonach eine Wahl nur zu kassieren ist, wenn die festgestellten Rechtsverletzungen "auf das Ergebnis von Einfluss waren". Einmal ist fraglich, ob danach der Nachweis eines Einflusses auf das Ergebnis erforderlich ist und ob dies bundesrechtlich haltbar wäre. Sodann ist auf die Grossratswahlen nicht § 39 Abs. 2 WAG anwendbar, sondern, als später erlassene Sonderbestimmung (vgl. § 38 GWG), § 33 Abs. 1 GWG, wonach die Wahl zu kassieren ist, wenn "wesentliche Unregelmässigkeiten bei einer Wahlverhandlung stattgefunden haben". Unregelmässigkeiten sind aber nicht nur dann wesentlich, wenn sie das Wahlergebnis nachweisbar beeinflusst haben, sondern schon dann, wenn sie es beeinflusst haben können. Unbehelflich ist schliesslich auch der Einwand des Grossen Rates, der Regierungsrat habe festgestellt, dass die Beschwerdeführerin auch bei dauernder Auflage ihrer Liste kein Mandat erobert hätte, und diese tatsächliche Feststellung sei für das Bundesgericht verbindlich. Die angebliche "Feststellung" ist eine von mehreren möglichen Hypothesen. Festgestellt ist lediglich die Anzahl der auf die einzelnen Parteien entfallenden gültigen sowie der ungültigen und der leeren Stimmen. Dem Entscheid darüber, ob die
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gerügte Missachtung von § 52a WAG das Wahlergebnis beeinflussen konnte, ist, wie bereits erwähnt, die für die Beschwerdeführerin günstigste der nach den Umständen möglichen Annahmen zugrundezulegen (BGE 91 I 320 /21), und das ist die Annahme, dass ein beträchtlicher Teil der 336 Wähler, die leer eingelegt haben, die Kandidatenliste der Beschwerdeführerin eingelegt hätten, wenn sie sie im Urnenlokal vorgefunden hätten.
5. Bei Beschwerden gemäss Art. 85 lit. a OG überprüft das Bundesgericht nach ständiger Rechtsprechung die Auslegung von Bundesrecht und kantonalem Verfassungsrecht frei, die Auslegung anderer kantonaler Vorschriften aber, sofern sie nicht das schon von Bundesrechts wegen gewährleistete Stimmrecht nach Inhalt und Umfang näher normieren, sondern Verfahrens- und ähnliche Fragen betreffen, nur unter dem beschränkten Gesichtswinkel des Art. 4 BV (BGE 89 I 85 Erw. 3 mit Verweisungen, BGE 89 I 453 Erw. 3, BGE 91 I 271 Erw. 2). Diese Rechtsprechung wurde in BGE 91 I 318 Erw. 3 dahin verdeutlicht, dass die freie Überprüfung auch für die Auslegung derjenigen Verfahrensvorschriften gelte, die eng mit dem Stimmrecht selbst, mit dessen Inhalt und Umfang, zusammenhängen, was zutreffe für Bestimmungen, welche zur Gewährleistung der Stimmfreiheit unerlässliche Massnahmen festlegen (ebenso BGE 92 I 355 Erw. 3). Der hier in Frage stehende § 52a WAG ist an sich eine blosse Verfahrensvorschrift, doch kann seine Missachtung, wie in Erw. 4 dargelegt, die freie Ausübung des Stimmrechts beeinträchtigen und das Wahlergebnis beeinflussen. Ob die Auslegung von § 52a WAG vom Bundesgericht frei oder nur auf Willkür zu überprüfen ist, braucht indessen nicht entschieden zu werden, da die Beschwerde, wie die nachfolgenden Ausführungen ergeben, schon deshalb gutgeheissen werden muss, weil der Grosse Rat die in der Wahleinsprache der Beschwerdeführerin erhobenen Vorwürfe nicht hinreichend geprüft und sich dadurch einer Rechtsverweigerung schuldig gemacht hat.
6. Die Beschwerdeführerin hat in der Wahleinsprache in erster Linie beanstandet, dass die der Stadtkanzlei zugestellten Kandidatenlisten der Partei F+ R (je 200 für jedes Urnenbüro) am Samstag 6. Mai um 19 Uhr noch nicht auf die Urnenbüros verteilt gewesen, sondern noch auf der Stadtkanzlei gelegen seien. Dass es sich so verhielt, wurde von den kantonalen
BGE 93 I 525 S. 538
Behörden nie bestritten. Dagegen wurde im regierungsrätlichen Bericht, auf den der Grosse Rat sich stützt, eingewendet, die Stadtkanzlei habe die Parteien mit Schreiben vom 3. April 1967 angewiesen, ihre Listen (mit Ausnahme derjenigen für die Mittwochurne und die Samstag-Frühurne) direkt an die 16 Urnenbüros zu liefern, und sei nicht verpflichtet gewesen, die ihr "ohne irgend welche Bemerkung" gelieferten Listen der Beschwerdeführerin an die Urnenlokale weiterzuleiten.Nach § 52a WAG sind im Urnenlokal neben den amtlichen Stimmzetteln auch die "von privater Seite zur Verfügung gestellten Kandidatenlisten aufzulegen". Wem und wie diese Listen zur Verfügung zu stellen sind, sagt die Bestimmung nicht. Ebenso wenig ist dies, entgegen der Behauptung des Regierungsrates, dem Schreiben der Stadtkanzlei an die Parteien vom 3. April 1967 zu entnehmen. Wenn dort eingangs erwähnt wird, bei den Wahlen vom 26. Februar 1967 habe "die Stadtkanzlei... die Stimmzettel... in den Stimmlokalen auflegen lassen", so kann dies sowohl heissen, sie habe die Auflegung gestattet, als auch, sie habe die Auflegung durch eigene Organe angeordnet. Für die bevorstehenden Grossratswahlen vom 6./7. Mai 1967 aber ordnet das Schreiben nichts an hinsichtlich der in den Urnenlokalen aufzulegenden Listen; es heisst dort lediglich, die Listen zur Verteilung vor den Urnenlokalen seien an die Securitas AG, diejenigen für die Vorurnen dagegen an die Stadtkanzlei zu liefern.
Angesichts dieser Lückenhaftigkeit der gesetzlichen Regelung und der Anordnungen im Schreiben der Stadtkanzlei ist es verständlich, dass die Beschwerdeführerin ihre für die Auflegung in den Urnenbüros bestimmten Listen an die Stadtkanzlei lieferte in der Meinung, diese werde sie an die einzelnen Lokale verteilen. Wenn die Stadtkanzlei diese Verteilung nicht vornahm, so kann ihr zwar keine Rechtsverletzung vorgeworfen werden, da es an einer Vorschrift fehlt, die sie dazu verpflichtet hätte. Dagegen konnte sie, wenn ihr, wie in der Wahleinsprache behauptet wurde, fristgemäss (d.h. einige Tage vor den Wahlen) für jedes Urnenbüro je 200 Listen, d.h. 16 x 200 - 3200 Listen zugestellt wurden, nicht wohl annehmen, diese vielen Listen seien für die Vorurnen bestimmt. Vielmehr fragt sich ernstlich, ob die Stadtkanzlei nicht hätte erkennen können und sollen, dass die Listenbündel für die Auflegung in den Urnenlokalen bestimmt waren, und ob es ihr nicht nach Treu
BGE 93 I 525 S. 539
und Glauben zuzumuten war, die Beschwerdeführerin sofort darauf aufmerksam zu machen, dass diese selbst die Verteilung an die Hand nehmen müsse. Der Grosse Rat hätte diese Frage, die sich angesichts der Vorbringen der Beschwerdeführerin in der Wahleinsprache aufdrängte, prüfen und dabei abklären sollen, ob, an welchem Tage und in welcher Form die Beschwerdeführerin der Stadtkanzlei die 3200 Kandidatenlisten zustellte. Indem er diese Abklärung und Prüfung unterliess, ist der Grosse Rat der ihm nach § 32 Abs. 1 GWG obliegenden Untersuchungspflicht nicht nachgekommen und hat der Beschwerdeführerin das rechtliche Gehör verweigert.Die Beschwerdeführerin behauptet, Adjunkt Reinhart auf der Stadtkanzlei habe deutlich erklärt, dass die Listen für die Wahlbüros in die Stadtkanzlei gebracht werden müssten, und zwar für jedes Wahlbüro gebündelt und angeschrieben. Ob diese erstmals in der staatsrechtlichen Beschwerde aufgestellte tatsächliche Behauptung gehört werden kann (wozu vgl. nicht veröffentl. Urteil vom 26. Februar 1964 i.S. Carron c. Genève, Conseil d'Etat S. 9), kann dahingestellt bleiben, da der Vorwurf der mangelhaften Untersuchung sich nach dem Gesagten schon dann als begründet erweist, wenn lediglich die in der Wahleinsprache enthaltenen Vorbringen der Beschwerdeführerin berücksichtigt werden. Der Grosse Rat dürfte indes gut tun, auch diese Behauptung der Beschwerdeführerin auf ihre Richtigkeit zu prüfen.
7. In der Wahleinsprache wurde weiter geltend gemacht, nachdem festgestellt worden sei, dass die Stadtkanzlei die ihr zugestellten Listen nicht an die Urnenbüros weitergeleitet habe, hätten Vertreter der Beschwerdeführerin versucht, die Listen selber in den Urnenbüros aufzulegen, seien hieran aber von der Securitas und den Quartiermeistern unter Berufung auf eine Weisung der Stadtkanzlei verhindert worden; die Stadtkanzlei habe erst eine Stunde vor Urnenschluss die Bewilligung erteilt und die Quartiermeister angewiesen, auch die Listen der Beschwerdeführerin aufzulegen.
Auch dieser Vorwurf, zu dem der vom Justizdepartement eingeholte Bericht des Stadtrates nicht Stellung nahm, ist ungenügend untersucht worden. Das Justizdepartement begnügte sich mit der Einvernahme eines einzigen Bezirkschefs, Walter Roth. Dass es dessen Aussagen als glaubwürdig betrachtete und insoweit das Vorliegen einer wesentlichen Unregelmässigkeit
BGE 93 I 525 S. 540
verneinte, ist nicht zu beanstanden, ebensowenig, dass der Grosse Rat ihm darin folgte. Haben sich die Dinge so abgespielt, wie Roth sie schildert, so war das Vorgehen in allen Teilen korrekt. Justizdepartement und Grosser Rat durften sich indes nicht mit der Einvernahme eines einzigen Quartierchefs begnügen, sondern wären verpflichtet gewesen, auch bei den andern Urnenlokalen abzuklären, ob der Vorwurf der Beschwerdeführerin begründet sei. Die Erklärung Roths, er habe gehört, dass seine Kollegen mit den Vertretern der Beschwerdeführerin "ungefähr die gleichen Erfahrungen gemacht hätten", kann nicht als genügende Untersuchung gelten, zumal auch aus den Aussagen Roths nicht klar hervorgeht, von welchem Zeitpunkt an Kandidatenlisten der Beschwerdeführerin im Urnenlokal Tribschen, dem er zugeteilt war, aufgelegt waren. So wie das Justizdepartement sämtliche Gemeinden im Wahlkreis Luzern-Land anfragte, hätten auch sämtliche Urnenbüros in Luzern-Stadt in die Untersuchung einbezogen werden sollen. Der Hinweis in der Wahleinsprache auf die diensttuenden "Quartiermeister" genügte als Unterlage für eine Untersuchung. Der Bürger ist nicht gehalten, die genauen Personalien der in amtlicher Eigenschaft handelnden Personen selber festzustellen, wenn über deren Identität kein Zweifel bestehen kann. Es wird sich ohne weiteres feststellen lassen, welche Polizeibeamten an den einzelnen Urnen als Bezirkschefs amteten. Die Behörden hatten und haben die Möglichkeit und die Pflicht, diese Beamten über die Vorgänge in den betreffenden Urnenlokalen zu befragen, nötigenfalls in Konfrontation mit den angerufenen Hauptzeugen der Beschwerdeführerin. Indem der Grosse Rat diese Abklärung unterliess, hat er wiederum die ihm nach § 32 Abs. 1 GWG obliegende Untersuchungspflicht verletzt und der Beschwerdeführerin das rechtliche Gehör verweigert.
8. In der Wahleinsprache hat die Beschwerdeführerin beanstandet, dass ihre Vertreter aus den Urnenlokalen weggewiesen worden sind. Dieser Vorwurf wird in der staatsrechtlichen Beschwerde mit Recht nicht mehr erhoben. Ausser den Mitgliedern des Urnenbüros, dem Bezirkschef und den ihr Stimmrecht ausübenden Wählern ist der Aufenthalt in den Urnenlokalen jedermann verboten; insbesondere ist es unzulässig, dort Kandidatenlisten zu verteilen (vgl. § 53 WAG und Kreisschreiben des Justizdepartements an die Urnenbüros).
Ob mit der staatsrechtlichen Beschwerde auch beanstandet wird, dass der Beschwerdeführerin die Mitbenutzung der vor den Urnenlokalen aufgestellten Listenkasten verboten und ihre Vertreter daran verhindert wurden, ist nicht klar. Die Rüge wäre unbegründet, da sich die Beschwerdeführerin nicht am Abkommen der andern Parteien mit der Securitas AG beteiligte und wusste, dass sie deshalb die Listenverteilung vor den Urnenlokalen durch eigene Verteiler und allenfalls durch eigene Kasten organisieren musste.
9. Die gegen die Abweisung der Wahleinsprache für den Wahlkreis Luzern-Stadt erhobene Beschwerde ist demnach dahin gutzuheissen, dass der angefochtene Entscheid aufzuheben ist und der Grosse Rat die Untersuchung im Sinne der Erwägungen 6 und 7 hievor zu ergänzen hat. Ob die Wahleinsprache begründet ist, hängt vom Ergebnis der ergänzenden Untersuchung ab, das im einzelnen nicht vorauszusehen ist. Bemerkt sei immerhin, dass eine erhebliche Unregelmässigkeit im Sinne von § 33 Abs. 1 GWG jedenfalls dann vorliegen würde, wenn der Umstand, dass die Kandidatenlisten der Beschwerdeführerin während eines Teils der Urnenzeiten nicht gemäss § 52a WAG auflagen, darauf zurückzuführen sein sollte, dass die Stadtkanzlei den Vertretern der Beschwerdeführerin eine unrichtige Auskunft gab oder nach Erhalt der 3200 Kandidatenlisten der Beschwerdeführerin wider Treu und Glauben nicht sofort mitteilte, sie müsse die Listen selber den Urnenlokalen zur Verfügung stellen.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Soweit auf die Beschwerde eingetreten werden kann, wird sie im Sinne der Erwägungen gutgeheissen und der Entscheid des Grossen Rates des Kantons Luzern vom 29. Mai 1967 aufgehoben.
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