BGE 93 I 542 |
66. Auszug aus dem Urteil vom 29. November 1967 i.S. N. gegen Kantone Bern und X. |
Regeste |
Besteuerung der an Kollektiv- und Kommanditgesellschaften beteiligten Personen. |
Anwendung der massgebenden Kriterien auf das Kontokorrentguthaben eines Kommanditärs bei der Kommanditgesellschaft (Erw. 2). |
Sachverhalt |
A.- Die Kommanditgesellschaft N. & Co. in Y. (Kanton X.) handelt mit Wolle. Sie hat Tochterfirmen in Belgien, Deutschland, England, Frankreich, Australien, Neuseeland und Argentinien. Sie kauft die Rohwolle in den Produktionsländern und lässt sie vor dem Verkauf waschen und kämmen. Im allgemeinen wird die Rohwolle zehn Tage nach dem Einkauf bezahlt. Der Schiffstransport der Wolle dauert durchschnittlich 45 Tage und die Verarbeitung drei Monate. Den Abnehmern werden für die Bezahlung Fristen bis zu 180 Tagen gewährt. Zugunsten der genannten, mit kleinen Eigenkapitalien ausgestatteten ausländischen Tochterfirmen leistet die Firma Garantien und Kautionen, die am 31. Dezember 1964 rund 54 Millionen Franken betrugen. Nach der Bilanz vom 31. Dezember 1964 verfügte die Firma über kurzfristig realisierbare Aktiven im Wert von Fr. 43 183 431, denen kurzfristige Passiven von Fr. 45 658 228 gegenüberstanden. |
Die Kommanditgesellschaft bestand im Jahre 1952 aus drei unbeschränkt haftenden Teilhabern (Komplementären), nämlich aus N.N., seinem Sohn A.N. und Z. sowie aus neun Kommanditären. Die drei Komplementäre waren mit gewinnberechtigten Kapitaleinlagen von 8,6 Millionen Franken beteiligt und hatten daneben verzinsliche Kontokorrentguthaben von rund 13,77 Millionen Franken. Die Kapitaleinlage von N.N. betrug 5 Millionen und sein Kontokorrentguthaben 9,5 Millionen Franken. Die einbezahlten Kommanditsummen beliefen sich auf insgesamt 1,4 Millionen Franken; ferner standen den Kommanditären verzinsliche Kontokorrentguthaben von rund 1 Million zu. Die eigenen Mittel der Firma an Kapital- und Kommanditeinlagen sowie Kontokorrentguthaben der Gesellschafter betrugen somit im Jahre 1952 rund 24,77 Millionen Franken.
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Der Hauptbeteiligte N.N. starb im Jahre 1959, seine Ehefrau 1962. Ihre Erben, die beiden Söhne A.N. und B.N. und die beiden Töchter C.N. und D.N. liessen die eigenen Mittel ihrer Eltern in der Firma und verteilten diese in der Weise unter sich, dass die Söhne, die nun beide Komplementäre sind, Kapitalanteile von je 2 Millionen Franken übernahmen, während sich die nicht im Geschäft tätigen Töchter mit Kommanditeinlagen von je Fr. 750 000 beteiligten. Ferner vereinbarten die vier Geschwister, dass jedes von ihnen der Firma mindestens den dreifachen Betrag seiner gewinnberechtigten Kapitaleinlage als verzinsliches Kontokorrentguthaben weiterhin zur Verfügung stelle. Eine ähnliche Vereinbarung war auf Ende 1961 mit Z. getroffen worden, als dieser als Komplementär ausgeschieden, Kommanditär mit einer Einlage von 1 Million Franken geworden und an seiner Stelle sein Sohn als Komplementär in die Firma eingetreten war.
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Am 31. Dezember 1964 betrugen die Kapitaleinlagen der drei Komplementäre 7 Millionen Franken, die Kommanditeinlagen 3 Millionen und die zu 4% verzinslichen Kontokorrentguthaben aller Gesellschafter rund 25,3 Millionen, die eigenen Mittel der Firma also insgesamt rund 35,3 Millionen. Davon entfielen auf die vier Geschwister N. 6,5 Millionen Kapital und 20,l 5 Millionen Kontokorrentguthaben, zusammen 26,65 Millionen. |
B.- Die Kommanditärin D.N. wohnt im Kanton Bern. Es ist unbestritten, dass sie ihre Kommanditeinlage von Fr. 750 000 und die darauf entfallenden Gewinne im Kanton X. zu versteuern hat. Streitig wurde dagegen bei den 1965 vorzunehmenden Veranlagungen die Behandlung ihres Kontokorrentguthabens, das am 31. Dezember 1964 Fr. 2 321 714 betragen hatte und im Jahre 1963 mit Fr. 77 854 und 1964 mit Fr. 92 081 verzinst worden war.
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Die bernische Veranlagungsbehörde rechnete bei der Veranlagung für 1965/66 das Kontokorrentguthaben und die darauf in den Jahren 1963/64 vergüteten Zinsen zum übrigen, im Kanton Bern für 1965/66 steuerbaren Vermögen bzw. Einkommen. Die Steuerverwaltung des Kantons X. behandelte das Guthaben als Teil des in diesem Kanton steuerbaren Vermögens und die Zinsen als Teil des dort steuerbaren Einkommens.
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C.- Darauf hat D.N. gegen die Kantone Bern und X. staatsrechtliche Beschwerde wegen Doppelbesteuerung erhoben mit dem Antrag, es sei festzustellen, dass sie für ihr Kontokorrentguthaben bei der Firma N. & Co. in Verletzung von Art. 46 Abs. 2 BV doppelt besteuert werde, und es sei demgemäss die eine der beiden sich ausschliessenden Veranlagungen herabzusetzen.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gegenüber dem Kanton Bern gut aus folgenden
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Erwägungen: |
1. Nach der ständigen, schon in BGE 14 S. 400 begründeten Rechtsprechung des Bundesgerichts sind Geschäftsvermögen und -gewinn der Kommanditgesellschaft wie der Kollektiv gesellschaft, der wirtschaftlichen Zugehörigkeit entsprechend, an ihrem Geschäftssitz (und allfälligen Betriebsstätten) zu versteuern, gleichgültig ob nach kantonalem Recht die Gesellschaft als solche oder der einzelne Gesellschafter als Steuersubjekt behandelt wird (BGE 80 I 22). Wohnt der Kommanditär in einem andern Kanton, so ist er daher für seinen Anteil am Geschäftsvermögen und -gewinn nicht, wie für sein bewegliches Privatvermögen und dessen Ertrag, an seinem Wohnsitz, sondern am Gesellschaftssitz steuerpflichtig. |
Bei Kollektiv- und Kommanditgesellschaften kommt es vor, dass dem unbeschränkt haftenden Gesellschafter neben seinem als Kapitalanteil verbuchten Anspruch am Geschäftsvermögen oder dem Kommanditär neben seiner im Handelsregister eingetragenen und in die Gesellschaft eingeworfenen Kommanditsumme Forderungen gegen die Gesellschaft zustehen. Beim Entscheid darüber, ob eine solche Forderung einen Anteil am Geschäftsvermögen darstelle und am Gesellschaftssitz zu versteuern sei oder ob sie als gewöhnliche aussergesellschaftliche Forderung zum Privatvermögen des Gesellschafters gehöre und der Besteuerung an seinem Wohnsitz unterliege, hat das Bundesgericht bei Kollektivgesellschaftern von jeher weniger auf die zivilrechtliche Form als auf den wirtschaftlichen Sachverhalt abgestellt. Es hat Geschäftsvermögen angenommen, wenn der Gegenwert des Guthabens nach den objektiven Umständen dem Geschäftsbetrieb tatsächlich gedient hat, sei es als notwendiges Betriebskapital, sei es als nach Art und Umfang des Geschäfts erforderliche oder doch der Übung entsprechende Reserve (BGE 26 I 423, nicht veröffentlichte Urteile vom 30. Mai 1913 i.S. Schwob & Cie, vom 2. April 1952 i.S. Burger und vom 17. Juni 1953 i.S. Jenny, die beiden letzten auszugsweise abgedruckt bei LOCHER, Interkant. Doppelbesteuerungsrecht § 8 IV A 2 Nr. 15 und 16; vgl. fernerBGE 41 I 71,BGE 59 I 282lit. e und BGE 85 I 99). Treffen diese Voraussetzungen bei Kontokorrentforderungen der Kollektivgesellschafter gegenüber der Gesellschaft zu, so sind diese Guthaben gleich wie die Kapitalanteile als Geschäftsvermögen am Gesellschaftssitz zu versteuern. Dass es sich auch bei Guthaben der Komplementäre einer Kommanditgesellschaft gegen diese nicht anders verhalten kann, leuchtet ohne weiteres ein. Das gleiche muss aber, entgegen der Auffassung der Berner Behörden, auch für Kontokorrentforderungen der Kommanditäre gegen die Kommanditgesellschaft gelten. Anders als der Kollektivgesellschafter und der Komplementär (Art. 568 und 617 OR) haftet der Kommanditär freilich nicht mit seinem ganzen Vermögen für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft, sondern nur mit der im Handelsregister eingetragenen Kommanditsumme (Art. 608-610 OR). Für die Abgrenzung der Steuerhoheit zwischen den Kantonen des Gesellschaftssitzes und des Wohnsitzes des Gesellschafters inbezug auf Forderungen des Gesellschafters gegen die Gesellschaft erscheint jedoch diese zivilrechtliche Ordnung der Haftung ebenso wenig von Bedeutung wie die zivilrechtliche Frage, ob den Forderungen ein Darlehensvertrag zugrunde liegt oder nicht. Entscheidend ist vielmehr, in welchem Kanton der Gegenwert des Guthabens des Gesellschafters "wirksam wird und arbeitet" (BGE 41 I 70/71 mit Verweisungen), und diese Frage stellt und beantwortet sich unabhängig von der Haftung. |
a) Für die Annahme, es sei Geschäftsvermögen, spricht schon die Entstehung der Forderung. Es handelt sich nicht um Geld, das die Beschwerdeführerin aus ihrem bisherigen Privatvermögen der Gesellschaft vorübergehend zur Verfügung stellte, um es bei sich bietender Gelegenheit anderweitig anzulegen, sondern um Geld, das ganz oder doch zum grössten Teil seit vielen Jahren im Geschäft arbeitet. Die Beschwerdeführerin und ihre drei Geschwister sind die Kinder und Erben des früheren Hauptbeteiligten N.N., dem neben seinem Kapitalanteil von 5 Millionen Franken ein Kontokorrentguthaben zustand, das schon 1952 rund 9,5 Millionen Franken betrug und in der Folge offenbar noch weiter angewachsen ist. Dass auch dieses Kontokorrentguthaben Geschäftsvermögen darstellte, kann nicht zweifelhaft sein, ist dies doch, wie in der Antwort des Regierungsrates des Kantons Bern zutreffend ausgeführt wird, für Guthaben von unbeschränkt haftenden Teilhabern zu vermuten. Nach dem 1959 erfolgten Tode ihres Vaters haben die vier Geschwister N. seinen Kapitalanteil und sein Kontokorrentguthaben in der Weise untereinander verteilt, dass die im Geschäft mitarbeitenden Söhne als Komplementäre Kapitalanteile, die Töchter Kommanditen und alle vier Kontokorrentguthaben im dreifachen Betrag ihrer Kapitalanteile bzw. ihrer Kommanditen übernahmen. Durch diese (erbrechtliche) Aufteilung der Beteiligung ihres Vaters hat sich an der wirtschaftlichen Natur derselben nichts geändert, zumal dabei, wie unbestritten ist, vereinbart wurde, die Kontokorrentguthaben dauernd bei der Gesellschaft stehen zu lassen. Durch eine solche Abrede aber kann, wie SIEGWART in dem in der Beschwerdeantwort des Berner Regierungsrates nicht wiedergegebenen letzten Satz von N. 7 zu Art. 601 OR ausdrücklich sagt, solchen Guthaben "der Charakter von gesellschaftlichen Einlagen verliehen werden". |
b) Auch abgesehen von den besonderen Verhältnissen, unter denen das Kontokorrentguthaben der Beschwerdeführerin entstanden ist, muss nach Art und Umfang des Geschäftsbetriebs angenommen werden, dass sein Gegenwert Teil des Geschäftsvermögens der Kommanditgesellschaft ist. Die Gesellschaft ist offensichtlich auf ein beträchtliches Eigenkapital angewiesen. Ihr Warenumsatz betrug im Jahre 1964 rund 116 Millionen Franken und ihre kurzfristigen Verbindlichkeiten überstiegen Ende 1964 45 Millionen Franken, wozu noch Garantien und Kautionen für ihre verschiedenen ausländischen Tochterfirmen in der Höhe von über 54 Millionen kamen. Beim Wollhandel, den sie treibt, gibt sie grosse Beträge aus, die sie erst nach einiger Zeit wieder einbringt, da sie die in Übersee eingekaufte Rohwolle sofort bezahlt, der Schiffstransport und die Aufbereitung der Wolle durchschnittlich viereinhalb Monate dauern und den Abnehmern Zahlungsfristen bis zu sechs Monaten eingeräumt werden. Zieht man ausserdem die im internationalen Handel sich aus Preis- und Währungsschwankungen ergebenden Risiken in Betracht, so leuchtet es ein, dass ein Eigenkapital von 10 Millionen Franken oder 12,17% der Gesamtpassiven nicht genügt und weitere eigene Mittel erforderlich sind. Die Beträge, welche die Gesellschafter über ihre Kapitaleinlagen hinaus der Gesellschaft zur Verfügung stellten bzw. bei ihr beliessen und die Ende 1964 25,3 Millionen Franken ausmachten, stellen daher notwendiges Betriebskapital dar. Sie als gewöhnliche Darlehen zu betrachten, rechtfertigt sich umso weniger, als ihre Rückerstattung, angesichts des Verhältnisses zwischen kurzfristigen Aktiven und Passiven, in absehbarer Zeit nicht in Frage kommt und denn auch durch Vereinbarung der Gesell schafter ausgeschlossen ist. Hierin unterscheidet sich der vorliegende Fall wesentlich vom Fall Jenny (zit. Urteil vom 17. Juni 1953), wo ein Guthaben in Frage stand, von dem sich der Gesellschafter wiederholt Beträge zurückzahlen liess, weshalb auch der Umstand, dass das Guthaben im vorliegenden Falle wie im Falle Jenny und im Gegensatz zum Fall Burger (Urteil vom 2. April 1952) verzinst wird, nicht entscheidend ist. |
c) Die Einwendungen, die in der Antwort des Kantons Bern erhoben werden, erweisen sich als nicht stichhaltig.
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Dass das Kontokorrentguthaben der Beschwerdeführerin nur 7% der gesamten Beteiligungen (Kapital und Kontokorrentguthaben) aller Gesellschafter ausmacht, ist bedeutungslos. Aus dem Gesichtspunkt des Steuerrechts sind alle Kapitalbeteiligungen gleich zu behandeln und daher am Gesellschaftssitz zu versteuern.
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Es kann auch nicht darauf ankommen, ob und unter welchen Bedingungen das Guthaben durch einen Bankkredit ersetzt werden könnte. Einmal ist die Kapitaleinlage eines Gesellschafters nicht nur dann als Geschäftsvermögen zu betrachten, wenn sie unbedingt erforderlich ist und die Mittel nicht bei einem Dritten erhältlich sind, sondern schon dann, wenn sie wirtschaftlich gerechtfertigt ist (vgl. Urteil i.S. Burger S. 11/12). Sodann ist es, da alle Kapitalbeteiligungen gleich zu behandeln sind, zum mindesten zweifelhaft, ob die Gesellschaft von Banken ausser den bereits in Anspruch genommenen Krediten ohne weiteres die 25,3 Millionen Franken erhielte, welche sie den Gesellschaftern Ende 1964 auf Kontokorrent schuldete.
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Die Kontokorrentguthaben fallen freilich für die Gewinnverteilung ausser Betracht. Dies vermöchte jedoch ihre Behandlung als Anteile am Geschäftsvermögen höchstens dann auszuschliessen, wenn sich daraus eine merkliche Ungleichheit zwischen den Gesellschaftern ergäbe (vgl. Urteil i.S. Jenny S. 12/13). Das ist indes nicht der Fall. Die Kontokorrentguthaben fast aller mit grossen Beträgen beteiligten Gesellschafter machen etwa das dreifache ihres Kapitalanteils bzw. ihrer Kommandite aus, so dass die Gewinnverteilung nicht wesentlich anders ausfallen würde, wenn die Gewinne der Gesellschafter nach Massgabe nicht nur der Kapitalanteile, sondern auch der Kontokorrentguthaben berechnet würden.
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Da es sich bei diesem Vermögen nach dem Gesagten um Geschäftsvermögen handelt, ist es wie auch sein Ertrag nicht am Wohnsitz der Beschwerdeführerin im Kanton Bern, sondern am Sitz der Gesellschaft zu versteuern. Die Beschwerde ist daher gegenüber dem Kanton Bern gutzuheissen und gegenüber dem Kanton X. abzuweisen.
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