94 I 616
Urteilskopf
94 I 616
85. Auszug aus dem Urteil vom 20. Dezember 1968 i.S. Schutz AG gegen Eidg. Justiz- und Polizeidepartement
Regeste
Aufsicht über die Privatversicherung (BG vom 25. Juni 1885).
Einschränkungen der Handels- und Gewerbefreiheit im Gebiete der Privatversicherung (Erw. 2).
Organisation und Geschäftsführung einer zum Betriebe der Rechtsschutzversicherung ermächtigten Unternehmung, welche enge Beziehungen zu einem Inkassoinstitut und einem Rechtsanwaltsbureau unterhält; Massnahmen der Aufsichtsbehörde (Erw. 3 und 4).
Aus dem Tatbestand:
A.- Die im Jahre 1938 gegründete Schutz AG in Zürich betreibt die Rechtsschutzversicherung und ist daher der Aufsicht des Bundes über die Privatversicherung unterstellt. Sie wird von Rechtsanwalt Dr. B. Eigenmann beherrscht, der ihr Direktor ist. Im Jahre 1951 wurde die Totag AG gegründet, die von seiner Ehefrau geleitet wird. Diese Gesellschaft, die als "Treuhand- und Inkassoinstitut" bezeichnet wird, hat ihren Hauptsitz in Zürich und unterhält eine Zweigniederlassung in Neuenburg. Sie erledigt hauptsächlich Inkassoaufträge für Kunden der Schutz AG. B. Eigenmann bearbeitet als Anwalt gegen Honorar einen Teil der Versicherungsfälle, mit denen die Schutz AG sich
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zu befassen hat. Die Schutz AG, die Totag und B. Eigenmann benützen gemeinsam Räumlichkeiten im Hause Rigistrasse Nr. 9 in Zürich, das der Totag gehört. Diese besitzt ferner ein Gebäude in Neuenburg, in welchem ebenfalls beide Gesellschaften arbeiten. Die Unternehmungen beschäftigen - zum Teil gemeinsam - rund 50 Angestellte (Juristen, Schadeninspektoren und Kanzleipersonal).
B.- Im Oktober 1967 führte das eidg. Versicherungsamt am Sitz der Schutz AG eine Untersuchung durch. Es stellte dabei u.a. fest, dass die Schutz AG mit Personal- und anderen Kosten belastet wird, die nicht sie, sondern die Totag angehen, und dass die Versicherten die Beträge, welche sie nach den abgeschlossenen Versicherungsverträgen der Schutz AG zur Deckung der Barauslagen ihres Rechtsdienstes vergüten müssten, gemäss Weisung der Versicherungsgesellschaft auf das Postcheckkonto B. Eigenmanns einzahlen.
Am 26. Juni 1968 traf das eidg. Justiz- und Polizeidepartement gestützt auf das Bundesgesetz vom 25. Juni 1785 betreffend Beaufsichtigung von Privatunternehmungen im Gebiete des Versicherungswesens (VAG) eine Verfügung, welcher folgende Anordnungen zu entnehmen sind:
"1. Die Schutz AG hat dem eidg. Versicherungsamt bis zum 30. September 1968 einen Reorganisationsplan vorzulegen, der, um die Trennung zwischen der Schutz AG und der Totag in wirtschaftlicher Hinsicht herbeizuführen, folgenden Anforderungen zu genügen hat:
1.1. Die Schutz AG hat über Personal zu verfügen, das ausschliesslich für sie tätig ist. Für Angestellte der Schutz AG, die ausnahmsweise auch für die Totag oder eine andere Unternehmung tätig sind, darf die Schutz AG nur mit Kosten belastet werden, die aus ihrer eigenen Geschäftstätigkeit erwachsen.
1.2. Die Schutz AG darf für Aufwendungen für Heimarbeit nur soweit belastet werden, als diese Tätigkeit für die Schutz AG erfolgt.
1.3. Die Schutz AG darf nur mit Verwaltungskosten (wie Miete, Porti, Telephon, Literatur, Versicherungen, Inserate), die aus ihrer eigenen Geschäftstätigkeit erwachsen, belastet werden.
2. Kostenrückvergütungen, auf die die Schutz AG aus den von ihr abgeschlossenen Versicherungsverträgen Anspruch hat, sind, soweit sie von den Versicherten erhoben werden, zu Gunsten der Schutz AG einzufordern und in der Jahresrechnung der Schutz AG zu verbuchen.
3. ...
4. Die Schutz AG hat in den Berichterstattungen an die Aufsichtsbehörde... die Ziffern 1-3 dieser Verfügung zu beachten...".
C.- Mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die Schutz AG, die Verfügung des Departementes sei aufzuheben. Es wird geltend gemacht, die Verfügung verstosse gegen Art. 31 BV und gegen das Aufsichtsgesetz. Die Aufsichtsbehörde sei nicht befugt, sich in die Organisation einer Versicherungsgesellschaft einzumischen, solange die Interessen der Versicherten nicht gefährdet seien.
Die Totag und das Anwaltsbüro Eigenmann arbeiteten für die Beschwerdeführerin; ihre Tätigkeit sei also nicht "versicherungsfremd". Die Totag sei mit der Schutz AG, aus der sie hervorgegangen sei, eng verbunden. Bestände sie nicht, so müsste die Schutz AG selber das Inkasso für die Versicherten besorgen, wodurch die Kosten vermehrt würden. Mit Recht seien die Versicherten angewiesen, Vergütungen für Barauslagen der Beschwerdeführerin direkt an B. Eigenmann zu zahlen; denn damit werde dessen Büro für die der Beschwerdeführerin geleisteten Dienste entschädigt.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde im Sinne der Erwägungen ab.
Aus den Erwägungen:
2. Nach Art. 31 Abs. 1 BV ist die Handels- und Gewerbefreiheit nur soweit gewährleistet, als sie nicht durch die Bundesverfassung und die auf ihr beruhende Gesetzgebung eingeschränkt ist. Solche Einschränkungen sieht Art. 34 Abs. 2 BV vor, indem er die Privatunternehmungen im Gebiete des Versicherungswesens der Aufsicht und Gesetzgebung des Bundes unterstellt. Auf dieser Verfassungsbestimmung beruht das Aufsichtsgesetz (VAG). Es ermächtigt in Art. 9 Abs. 1 die Aufsichtsbehörde, jederzeit die ihr durch das allgemeine Interesse und dasjenige der Versicherten geboten erscheinenden Verfügungen zu treffen. Insbesondere ist die Aufsichtsbehörde nach Art. 9 Abs. 2 VAG befugt, Änderungen der Organisation oder der Geschäftsführung einer Versicherungsunternehmung zu verlangen, wenn der Stand der Unternehmung für die Versicherten nicht mehr die notwendige Garantie bietet. Die Behörde darf auch einschreiten, wenn eine Versicherungsunternehmung sich nicht an die Vorschriften der Art. 5-7 VAG über die jährliche Berichterstattung hält. Es ist zu prüfen, ob der von der Schutz AG beanstandete Entscheid des eidg. Justiz- und Polizeidepartementes durch diese gesetzliche Ordnung, auf die er gestützt
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wird, gedeckt ist. Wenn und soweit dies der Fall ist, kann die Beschwerdeführerin aus Art. 31 BV nichts zu ihren Gunsten ableiten.
3. Das Dispositiv 1 der angefochtenen Verfügung verpflichtet die Beschwerdeführerin, einen Reorganisationsplan vorzulegen, der näher bestimmten Anforderungen zu genügen hat, womit bezweckt wird, "die Trennung zwischen der Schutz AG und der Totag in wirtschaftlicher Beziehung herbeizuführen". Die Beschwerde wendet sich hiegegen mit der Begründung, die Totag arbeite für die Schutz AG, indem sie hauptsächlich für deren Kunden das Inkasso besorge; dieser Dienst müsste von der Schutz AG selber übernommen werden, wenn die Totag nicht bestände; er sei also nicht "versicherungsfremd".
Indessen gehört der Inkassodienst für die Versicherten nicht zu den Aufgaben, welche die Schutz AG nach den von ihr abgeschlossenen Versicherungsverträgen zu erfüllen hat. Vielmehr wird er von der Totag auf Grund besonderer Aufträge geleistet, die ihr die Versicherten erteilen; demgemäss haben diese das Entgelt dafür nicht der Schutz AG, sondern der Totag zu zahlen. Die Vereinbarung zwischen der Totag und den Kunden der Schutz AG ist auch nicht ein Versicherungsvertrag. Die Totag verspricht den Vertragspartnern nicht die Deckung von Risiken; es fehlt daher ein wesentliches Merkmal der Versicherung (BGE 76 I 368). Insbesondere betreibt die Totag nicht die Rechtsschutzversicherung; sie übernimmt nicht "die Gefahr, durch rechtliche Angelegenheiten verursachte Kosten zu decken oder in solchen Angelegenheiten Dienste zu gewähren" (Art. 1 BRB über die Rechtschutzversicherung vom 1. Juni 1945). Sie ist denn auch der Aufsicht des Bundes, welcher die privaten Versicherungsunternehmungen - darunter die Schutz AG - unterliegen, nicht unterstellt.
Unter diesen Umständen geht es aber nicht an, dass die Schutz AG Kosten trägt, die nicht aus ihrem eigenen Geschäftsbetrieb, sondern aus demjenigen der Totag herrühren. Es ist nicht bestritten und steht fest, dass sie tatsächlich in dem Umfange, der im angefochtenen Entscheid des Departementes umschrieben ist, mit solchen "versicherungsfremden" Kosten belastet wird. Dieses Geschäftsgebaren ist mit dem Aufsichtsgesetz nicht vereinbar. Nach Art. 6 Abs. 1 Ziff. 1 lit. b VAG müssen aus der Jahresrechnung, welche die beaufsichtigte Versicherungsunternehmung der Aufsichtsbehörde einzureichen hat, die das Versicherungsgeschäft
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betreffenden Ausgaben genau ersichtlich sein. Werden in der Rechnung diese Ausgaben mit "versicherungsfremden" Aufwendungen vermengt, wie es hier geschehen ist, so kann die Aufsichtsbehörde die finanzielle Lage der Versicherungsunternehmung nicht genügend überblicken und daher ihre Aufgabe, die Interessen der Versicherten zu wahren, nicht einwandfrei erfüllen. In einem solchen Fall darf und muss die Behörde nach Art. 9 VAG die zur Herstellung des gesetzmässigen Zustandes erforderlichen Massnahmen treffen. Das hat das Departement hier getan, indem es im Dispositiv 1 der angefochtenen Verfügung die Schutz AG angewiesen hat, sich so zu organisieren, dass sie nur mit Kosten belastet wird, die das von ihr betriebene Versicherungsgeschäft betreffen. Diese Anordnung ist durch das Aufsichtsgesetz gedeckt. Dasselbe gilt für die im Dispositiv 4 enthaltene Weisung, die Berichterstattung an die Aufsichtsbehörde entsprechend zu ändern.Das Departement schreibt im Dispositiv 1 seiner Verfügung der Schutz AG auch vor, dass sie über Personal zu verfügen habe, "das ausschliesslich für sie tätig ist". Immerhin schwächt es diese Weisung in der gleichen Verfügung insofern ab, als es zulässt, dass Angestellte der Schutz AG "ausnahmsweise" auch für die Totag (oder eine andere Unternehmung) beschäftigt werden. Indessen lässt sich auch die so eingeschränkte Anordnung nicht genügend rechtfertigen. Wenn die Schutz AG nach ihrem geschäftlichen Ermessen als zweckmässig erachtet, dass gewisse Angestellte nicht ausschliesslich für sie, sondern zum Teil auch für die Totag (oder eine andere Unternehmung) arbeiten, so hat die Aufsichtsbehörde dies hinzunehmen. Der Zweck der Aufsicht erfordert nicht, dass der Versicherungsgesellschaft in dieser Beziehung Vorschriften gemacht werden. Was die Aufsichtsbehörde verlangen kann und muss, ist nur, dass die Schutz AG lediglich mit dem Teil der Kosten für gemeinsam verwendetes Personal, der auf ihre eigene Geschäftstätigkeit entfällt, belastet wird.
Die Beschwerde gegen das Dispositiv 1 der angefochtenen Verfügung (und gegen das Dispositiv 4, soweit es auf das Dispositiv 1 Bezug nimmt) ist daher im Sinne der vorstehenden Erwägungen abzuweisen. Da der Beschwerde aufschiebende Wirkung verliehen worden ist, wird das Departement der Beschwerdeführerin für die Vorlegung des Reorganisationsplans eine neue Frist setzen.
4. Nach den von der Schutz AG abgeschlossenen Versicherungsverträgen sind ihr die Barauslagen ihres Rechtsdienstes von den Versicherten zu vergüten, doch veranlasst sie die Versicherten, die Beträge auf das persönliche Postcheckkonto des Rechtsanwaltes B. Eigenmann einzuzahlen. Das Dispositiv 2 der angefochtenen Verfügung verpflichtet die Beschwerdeführerin, den Auslagenersatz zu ihren Gunsten einzufordern und in ihrer Jahresrechnung zu verbuchen. Die Beschwerdeführerin macht demgegenüber geltend, B. Eigenmann werde mit der Einzahlung auf sein Konto für die Dienste honoriert, die er ihr als Rechtsanwalt durch Bearbeitung von Versicherungsfällen leistet. Der Einwand dringt nicht durch. Das Departement verlangt nur, dass in der Jahresrechnung der Beschwerdeführerin die Kostenrückvergütungen, auf die sie nach den Versicherungsverträgen gegenüber den Versicherten Anspruch hat, als Einnahmen und die Honorare für B. Eigenmann als Ausgaben verbucht werden. Dieses Begehren entspricht offensichtlich dem Aufsichtsgesetz: Nach Art. 6 Abs. 1 Ziff. 1 VAG muss die der Aufsichtsbehörde einzureichende Jahresrechnung alle der Versicherungsunterneh mung zukommenden Einnahmen enthalten (lit. a), hier also auch die genannten Kostenvergütungen, die ja der Schutz AG zustehen; ferner hat die Jahresrechnung Aufschluss über sämtliche Ausgaben der Versicherungsgesellschaft zu geben (lit. b), wozu hier auch die Beträge gehören, welche die Schutz AG dem Rechtsanwalt B. Eigenmann als Honorar zahlt.
Referenzen
Artikel: Art. 31 BV, Art. 31 Abs. 1 BV, Art. 34 Abs. 2 BV, Art. 9 Abs. 2 VAG mehr...