95 I 356
Urteilskopf
95 I 356
53. Auszug aus dem Urteil vom 17. September 1969 i.S. Achermann gegen Kriminalgericht und Obergericht des Kantons Luzern
Regeste
Kantonaler Strafprozess, notwendige Verteidigung, Öffentlichkeit der Verhandlung.
§ 33 Abs. 3 Ziff. 1 luzern. StPO, wonach der Angeklagte in Kriminalfällen vor Kriminalgericht und Obergericht durch einen gewählten oder amtlichen Verteidiger verteidigt werden muss,
- verstösst nicht gegen die persönliche Freiheit (Erw. I 1 und 2);
- ist vereinbar mit § 20 Abs. 1 KV, wonach es jedem Bürger freigestellt ist, seine Rechtssachen persönlich zu verfechten (Erw. I 3).
Aus dem Grundsatz der Öffentlichkeit der Verhandlung (§ 168 StPO) folgt, wie ohne Willkür angenommen werden kann, kein Recht der Zuhörer, an der Verhandlung Bild- oder Tonaufnahmen zu machen (Erw. II).
Aus dem Tatbestand:
"Jedem Bürger ist freigestellt, seine Rechtssachen entweder persönlich zu verfechten oder deren Verfechtung nach Massgabe eidgenössischer oder kantonaler Gesetze andern zu übertragen".
Die luzern. StPO vom 3. Juni 1957 enthält im Unterabschnitt über die "Parteien" u.a. folgende Bestimmungen (Fassung vom 26. Januar 1965):
"§ 33. Verteidiger.
1 Die Verteidigung wird besorgt durch die im Kanton Luzern zur Berufsausübung zugelassenen Anwälte und die amtlichen Verteidiger.
2 Der Angeschuldigte muss verteidigt werden:
1. in Kriminalfällen vor Kriminalgericht und Obergericht;
2. in den übrigen Strafsachen vor Amtsgericht und Obergericht, wenn der Gerichtspräsident die Verteidigung als notwendig erachtet;
3. im Untersuchungsverfahren nach gewährter Akteneinsicht, wenn der Amtsstatthalter die Verteidigung als notwendig erachtet.
§ 34. Amtliche Verteidigung.
1 Beauftragt der Angeschuldigte in den Fällen von § 33 Abs. 3 nicht selber einen Verteidiger oder lehnt der von ihm bezeichnete Anwalt die Verteidigung ab, so bestellt der Amtsstatthalter oder der Präsident des Gerichts, bei dem die Sache hängig ist, einen amtlichen Verteidiger.
...
4 Dem Wunsch des Angeschuldigten auf einen bestimmten amtlichen Verteidiger ist stattzugeben, wenn keine wichtigen Gründe dagegen sprechen. Lehnt der Angeschuldigte die Verteidigung durch einen gewählten amtlichen Verteidiger aus wichtigen Gründen ab, so kann ihm ein amtlicher Verteidiger aus dem Kreis der Anwälte bestellt werden.
Ferner bestimmt die StPO im Unterabschnitt über die "Gerichtsverhandlung" in
"§ 168. Öffentlichkeit.
1 Die Verhandlung ist öffentlich.
2 Das Gericht schliesst die Öffentlichkeit aus, soweit eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung, der Sittlichkeit oder der Staatssicherheit zu befürchten ist. Es kann auch in diesem Falle Angehörigen des Angeklagten den Zutritt gestatten".
B.- Der Beschwerdeführer Anton Achermann ist Inhaber der "Hofgalerie" in Luzern. Im Sommer 1967 stellte er diese einem Jelle de Boer zur Ausstellung von van Gogh-Bildern zur Verfügung, deren Echtheit in der Folge bezweifelt wurde. Dies führte zur Eröffnung einer Strafuntersuchung gegen Achermann. Nachdem er unter der Anklage des gewerbsmässigen Betruges dem Kriminalgericht des Kantons Luzern überwiesen worden war, fasste dieses am 18. April 1969 einen Beschluss, durch den es die Verhandlung auf den 3. Oktober 1969 festsetzte und u.a. bestimmte:
"3. Es wird davon Kenntnis genommen, dass sich der Angeklagte selber verteidigen will, indem er sich auf § 20 der Staatsverfassung beruft.
5. Das Gesuch des Angeklagten um Zulassung des Fernsehens anlässlich der Kriminalgerichtsverhandlung wird abgewiesen. Das Photographieren im Gerichtsgebäude ist verboten".
Achermann führte gegen diesen Beschluss Beschwerde mit dem Antrag, Ziffer 5 dahin abzuändern, dass die Beteiligung des Fernsehens sowie der Photoreporter innerhalb des Gerichtsgebäudes zuzulassen sei.
Das Obergericht des Kantons Luzern wies die Beschwerde am 6. Mai 1969 ab; ferner hob es Ziffer 3 des Beschlusses von Amtes wegen auf und wies den Kriminalgerichtspräsidenten an, dem Beschwerdeführer einen amtlichen Verteidiger zu bestimmen, sofern er innert einer ihm zu setzenden Frist keinen Verteidiger beauftrage. Zur Begründung dieses Entscheids führte es im wesentlichen aus:
a) Das Obergericht habe in einem Beschluss vom 31. Oktober 1963 das Photographieren im kantonalen Gerichtsgebäude sowie in den Räumen der Amtsgerichte an Sitzungstagen gestützt auf §§ 10 GOG, 32 ZPO und 38 StPO in der Erwägung untersagt, dass es den Gerichtsbetrieb störe und zudem Persönlichkeitsrechte der am Prozess beteiligten oder beim Gericht tätigen
BGE 95 I 356 S. 359
Personen verletzen könne. Hieran habe sich das Kriminalgericht mit seinem Entscheid gehalten. Der Grundsatz der Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlung habe seinen Grund und Zweck in der Kontrolle der Rechtspflege durch die Öffentlichkeit, und den gleichen Sinn habe das Recht der Tagespresse auf Gerichtsberichterstattung. Weit darüber hinaus ginge die Zulassung von Radio und Fernsehen zur Gerichtsverhandlung; diese erhielte dadurch einen Grad der Publizität, der mit der Kontrolle der Justiz durch die Öffentlichkeit nicht mehr zu rechtfertigen sei, sondern primär dem Sensationsbedürfnis der Menge diene. Photoreportagen hätten mit der öffentlichen Verfahrenskontrolle überhaupt nichts zu tun.b) Dagegen verstosse Ziffer 3 des Beschlusses des Kriminalgerichts gegen § 33 Abs. 3 Ziff. 1 StPO, wonach der Angeklagte in Kriminalfällen vor Kriminalgericht und Obergericht verteidigt werden müsse. Die Berufung des Beschwerdeführers auf § 20 Abs. 1 KV gehe fehl. Dass die Bestellung eines Offizialverteidigers mit § 20 KV vereinbar sei, entspreche einer seit über hundert Jahren vertretenen Auffassung. Die notwendige formelle Verteidigung gelte im modernen Strafprozessrecht geradezu als unerlässlich.
C.- Mit der staatsrechtlichen Beschwerde beantragt Anton Achermann, der Entscheid des Obergerichts vom 6. Mai 1969 sei aufzuheben.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Aus den Erwägungen:
I. - Der Beschwerdeführer beanstandet in erster Linie, dass ihm das Obergericht das Recht abspricht, sich an der Verhandlung vor Kriminalgericht selber zu verteidigen. Er erblickt hierin eine Verletzung der in § 5 KV gewährleisteten persönlichen Freiheit sowie des § 20 KV.
I.1. Die Garantie der persönlichen Freiheit gehört nach heute herrschender Auffassung dem ungeschriebenen Verfassungsrecht des Bundes an (BGE 89 I 98 E. 3, BGE 90 I 34 E. 3). Die entsprechenden Garantien in den kantonalen Verfassungen haben keine selbständige Bedeutung, sofern sie nicht weiter gehen als die bundesrechtliche Gewährleistung. Dass dies für § 5 KV zutreffe, behauptet der Beschwerdeführer mit Recht nicht. In BGE 90 I 34 E. 3 a hat das Bundesgericht unter
BGE 95 I 356 S. 360
Hinweis auf seine frühere Rechtsprechung die grundlegende Bedeutung der persönlichen Freiheit für die Ausübung der andern Freiheitsrechte betont. Aus dieser zentralen Stellung und der Tatsache, dass die andern Freiheitsrechte nicht nur den menschlichen Körper, sondern auch ideale Werte schützen, hat das Bundesgericht abgeleitet, die persönliche Freiheit gewährleiste ausser der körperlichen Integrität und der Bewegungsfreiheit auch die dem Bürger eigene Fähigkeit, eine bestimmte Lage zu würdigen und danach zu handeln (BGE 90 I 36). Ob und inwieweit die persönliche Freiheit auch das Recht des Angeklagten, sich im Strafprozess selbst zu verteidigen, umfasse, kann dahingestellt bleiben, da im vorliegenden Falle die persönliche Freiheit selbst dann nicht verletzt ist, wenn ein solches aus dieser Freiheit folgendes Recht des Angeklagten anzuerkennen ist.
I.2. Die persönliche Freiheit ist kein unbeschränktes Recht. Ein Eingriffin sie ist zulässig, wenn er aufgesetzlicher Grundlage beruht, im öffentlichen Interesse liegt und die persönliche Freiheit weder völlig unterdrückt noch ihres Gehaltes entleert (BGE 90 I 36 /37, BGE 91 I 34 E. 2).
a) Das Obergericht stützt sich auf § 33 Abs. 3 Ziff. 1 StPO, wonach der Angeschuldigte in Kriminalfällen vor Kriminal- und Obergericht "verteidigt werden muss". Aus dieser Vorschrift und aus § 34 Abs. 1, der in den Fällen von § 33 Abs. 3 die Bestellung eines amtlichen Verteidigers vorschreibt, sofern der Angeschuldigte nicht selber einen Verteidiger beauftragt, ergibt sich klar, dass der Beschwerdeführer in der Verhandlung vor Kriminalgericht durch einen gewählten oder amtlichen Verteidiger verteidigt werden muss. Sein Einwand, § 33 Abs. 3 Ziff. 1 beziehe sich nur auf das Untersuchungsverfahren, keinesfalls auf die Verteidigung vor Gericht, geht offensichtlich fehl. § 33 steht entgegen der Behauptung des Beschwerdeführers nicht im Abschnitt über das "Untersuchungsverfahren" (§§ 49-157), sondern im "Allgemeinen Teil" (§§ 1-48), dessen Vorschriften, soweit es ihr Wortlaut und Sinn zulässt, im ganzen Bereich der StPO anzuwenden sind, also auch auf das "Gerichtsverfahren" (§§ 158-192). Wenn § 33 Abs. 3 Ziff. 1 ausdrücklich die Verteidigung "in Kriminalfällen vor Kriminalgericht" vorschreibt, so kann dies übrigens nicht anders verstanden werden, als dass der Angeschuldigte an der Verhandlung vor diesem Gericht verteidigt sein muss.
b) Hieran besteht auch ein hinreichendes öffentliches Interesse. Nach der heute herrschenden Rechtsauffassung liegt in der Bestellung eines besondern, von der Person des Angeklagten verschiedenen Verteidigers in wichtigen Kriminalfällen nicht bloss eine Rechtswohltat zugunsten des Angeklagten, auf die er verzichten kann; vielmehr ist diese Verteidigung im öffentlichen Interesse geboten, und zwar nicht nur, um einen geordneten Ablauf des Verfahrens zu gewährleisten, sondern vor allem zur Erreichung des Zwecks des Verfahrens, d.h. um es dem Gericht zu ermöglichen, die Wahrheit zu finden und ein gerechtes Urteil zu fällen (THORMANN, Über die amtliche Verteidigung, ZBJV 40/1904 S. 257 ff.; PFENNINGER, Probleme des schweiz. Strafprozessrechtes, 1966, S. 147 ff.; LÖWE-ROSENFELD, Kommentar der deutschen StPO, 21. Aufl. 1963 N. I/1 zu § 140). Der moderne Anklageprozess verlangt grundsätzlich einen dem Staatsanwalt gleichgestellten Verteidiger, der alles vorbringt, was zugunsten des Angeklagten vorzubringen ist.
Der Beschwerdeführer wendet zu Unrecht ein, er verfüge über die nötigen Rechtskenntnisse, um sich selber zu verteidigen. Eine gute und richtige Verteidigung setzt die Unbefangenheit des Verteidigers voraus. Diese Unbefangenheit aber geht dem Angeklagten, der sich selber verteidigt, in der Regel ab, und zwar erfahrungsgemäss auch dann, wenn er rechtskundig ist. Denn es besteht auch dann die Gefahr, dass er wesentliche Entlastungsmomente übersieht oder unterschätzt und dafür andere, denen in Wirklichkeit nur geringe oder überhaupt keine Bedeutung zukommt, überschätzt. Wohl sollen die Untersuchungsbehörden und Strafgerichte alles, was zur Entlastung des Angeschuldigten dient, von Amtes wegen abklären und berücksichtigen. Allein dieses Gebot genügt oft nicht, um alles, was zu seinen Gunsten spricht, beizuziehen und dem Gericht bewusst zu machen und damit ein richtiges und gerechtes Urteil zu gewährleisten. An den Vorschriften moderner Strafprozessordnungen, nach welchen dem Angeklagten in schweren Straffällen auch gegen seinen Willen ein Verteidiger zu geben ist, bestehen daher hinreichende öffentliche Interessen, die schwerer wiegen als das Interesse, das der Angeschuldigte an einer selbständigen Verteidigung haben kann.
c) Schliesslich kann auch nicht gesagt werden, dass das System der notwendigen Verteidigung die Freiheit des Angeklagten völlig unterdrücke oder ihres Gehaltes entleere.
Sollte der Beschwerdeführer, wie er andeutet, im Falle der Abweisung der staatsrechtlichen Beschwerde einen privaten Verteidiger beauftragen, so kann er sich mit diesem über die Wahrung seiner prozessualen Rechte verständigen und ist eine Verletzung der persönlichen Freiheit ausgeschlossen. Eine solche Verletzung kann nicht etwa darin erblickt werden, dass dem Beschwerdeführer aus der Bestellung eines privaten Verteidigers Kosten erwachsen.
Sollte der Beschwerdeführer dagegen nicht selber einen Anwalt beauftragen oder der von ihm gewünschte amtliche Verteidiger das Amt ablehnen, so könnte es dazu kommen, dass ein ihm nicht genehmer Anwalt als amtlicher Verteidiger ernannt würde (vgl. § 34 StPO). Allein auch dadurch würde die persönliche Freiheit nicht verletzt. Selbst wenn sich der Beschwerdeführer weigern sollte, mit dem amtlichen Verteidiger zusammenzuarbeiten, hat dieser die Möglichkeit, ihn richtig und wirksam zu verteidigen, während es anderseits dem Beschwerdeführer unbenommen bleibt, durch eigene Vorkehren und Vorbringen diejenigen des amtlichen Verteidigers, der mehr als Beistand denn als Vertreter zu betrachten ist, zu ergänzen. Welches das Verhältnis zwischen dem Angeklagten und einem ihm gegen seinen Willen bestellten Verteidiger im Strafverfahren ist, braucht auch abgesehen davon, dass der Beschwerdeführer im Falle der Abweisung der staatsrechtlichen Beschwerde einen privaten Verteidiger zu beauftragen gedenkt, hier nicht näher untersucht zu werden. Bemerkt sei lediglich, dass § 66 StPO den "Parteien", also auch dem Angeklagten selber, das Recht gibt, die Akten einzusehen und Anträge zu stellen, und dass der Angeklagte nach § 179 Abs. 4 StPO "das letzte Wort" hat. Wenn § 179 Abs. 1 StPO bestimmt, dass das Wort an dritter Stelle "dem Verteidiger oder dem Angeklagten, wenn er sich selbst verteidigt", zu erteilen ist, so bezieht sich die Alternative des Selbstverteidigung wohl auf das Verfahren vor dem Amtsgericht, wo (ausser im Falle von § 33 Abs. 3 Ziff. 2) kein Verteidiger bestellt werden muss und oft auch vom Angeklagten kein solcher beigezogen wird. Doch gewährleistet der gesetzliche Anspruch auf das letzte Wort dem Angeklagten durchaus das Recht, alles vorzubringen, was nach seiner Auffassung erforderlich ist, um das Plädoyer und die allfällige Duplik des Verteidigers durch Darlegung seines eigenen Standpunktes zu ergänzen. Dem Beschwerdeführer bleiben somit seine Verteidigungsrechte
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in allen wesentlichen Punkten auch dann gewahrt, wenn ihm ein amtlicher Verteidiger bestellt werden sollte. Sollten seine Verteidigungsrechte im Laufe des Gerichtsverfahrens wider Erwarten verletzt werden, so hat er sich dannzumal mit den dafür zur Verfügung stehenden Rechtsmitteln zu wehren. Der Nachteil der Bestellung eines amtlichen Verteidigers besteht für den Angeklagten im wesentlichen darin, dass er gegebenenfalls selbst im Falle des Freispruchs für dessen Kosten aufzukommen hat (§ 277 in Verbindung mit § 270 Abs. 2 StPO). Darin liegt jedoch keine Verletzung der persönlichen Freiheit.
I.3. Zu prüfen bleibt, ob die notwendige formelle Verteidigung, wie sie § 33 Abs. 3 StPO vorsieht, vereinbar ist mit § 20 KV, der in Abs. 1 bestimmt, es sei jedem Bürger freigestellt, seine Rechtssachen entweder persönlich zu verfechten oder deren Verfechtung nach Massgabe eidgenössischer oder kantonaler Gesetze andern zu übertragen. Das Obergericht bejaht dies unter Hinweis auf die StPO von 1865 und eine über 100 Jahre alte Praxis. Der Beschwerdeführer bestreitet eine solche Praxis und behauptet, die StPO von 1865 habe das Recht auf Selbstverteidigung anerkannt.
§ 20 Abs. 1 KV geht zurück auf die KV von 1841, deren § 20 (wie dann auch § 21 der KV von 1848) in Abs. 1 und 2 bestimmte:
"Jedem Bürger ist freigestellt, seine Rechtssachen entweder persönlich zu verfechten oder deren Verfechtung Andern zu übertragen.
Allfällige Beschränkungen hinsichtlich der Übertragung von Rechtsgeschäften an Andere, welche Beschränkungen das öffentliche Wohl fordern sollte, wird das Gesetz aufstellen".
Aus den vom Bundesgericht beigezogenen Materialien zur KV von 1841 ergibt sich, dass es beim Erlass dieser Bestimmungen nicht so sehr um den Verzicht auf den "Anwaltszwang" ging, als um die Ablehnung der von verschiedener Seite verlangten "Freigabe der Advokatur". Der Bericht der vom Verfassungsrat eingesetzten Siebzehner-Kommission zur Vorberatung des Verfassungsentwurfs enthält dazu folgende Erläuterung:
"Das Institut eines ausschliesslichen Advokatenstandes ist erst eine Erfindung neuerer Zeit. Es lassen sich Gründe dafür und Gründe dagegen angeben; aber das Volk will auch hier mehr Freiheit und
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klagt über bittere Erfahrung. Der Gesetzgebung bleibt es aber anheimgestellt, diese Freiheit der Verteidigung in Rechtssachen gehörig einzuschränken, wenn das öffentliche Wohl dies erfordern sollte. Die Erfahrung wird hierüber die Lehrmeisterin sein".Es sollte somit in Abs. 1 festgehalten werden, dass niemand verpflichtet sei, sich vor Gericht eines Advokaten zu bedienen, während Abs. 2 zum Ausdruck bringt, dass der Gesetzgeber diesen Grundsatz einschränken könne. Dagegen findet sich weder in den erwähnten Erläuterungen noch im Protokoll der Verhandlungen des Verfassungsrates ein Anhaltspunkt dafür, dass mit § 20 ein absolutes Recht zur Selbstverteidigung in Strafsachen in der Verfassung verankert werden sollte.
Der Gesetzgeber hat denn auch in der StPO von 1865 nicht nur das Amt des öffentlichen Verteidigers geschaffen (§ 7), sondern gleichzeitig bestimmt, dass dieser (in Kriminalfällen) dem Angeklagten angewiesen werde, wenn er keinen Verteidiger bezeichne oder kein von ihm Bezeichneter die Verteidigung übernehme (§ 174)... Die Auffassung des Beschwerdeführers, die StPO von 1865 habe die notwendige Verteidigung noch nicht gekannt bzw. dem Angeklagten die Möglichkeit eingeräumt, sich ausschliesslich selbst, ohne Beizug eines öffentlichen oder gewählten Verteidigers zu verteidigen, ist angesichts der klaren Ordnung der StPO von 1865 als unhaltbar zu bezeichnen.
Bei der Revision der KV im Jahre 1875 ist Abs. 2 des § 21 der KV von 1848 freilich gestrichen worden. Der Beschwerdeführer behauptet aber selbst nicht, dass mit dieser Streichung eine materielle Änderung des damaligen Rechtszustandes beabsichtigt war. Es ist deshalb anzunehmen, dass auch unter der KV von 1875 der Gesetzgeber die Freiheit behielt, das Recht der Bürger zur ausschliesslichen Selbstverteidigung in Strafsachen einzuschränken. Die §§ 33 und 34 der StPO von 1957 sind etwas weniger kategorisch formuliert als der § 174 der StPO von 1865 und als die 1965 revidierten § § 33 und 34 StPO , doch ist die KV seit 1875 die gleiche geblieben. Das erlaubt den Schluss, dass § 20 KV den kantonalen Gesetzgeber nicht hindert, in Kriminalfällen eine Verbeiständung des Angeklagten durch einen gewählten oder einen amtlichen Verteidiger vorzuschreiben, auf die der Angeklagte nicht verzichten kann.
II. Der Beschwerdeführer hat unter Berufung auf den in § 168 StPO aufgestellten Grundsatz der Öffentlichkeit der
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Verhandlung verlangt, das Fernsehen sowie Photoreporter seien zur Gerichtsverhandlung zuzulassen. Das Obergericht hat dieses Begehren in Übereinstimmung mit dem Kriminalgericht abgewiesen. Das Bundesgericht kann die Auslegung des § 168 StPO nur unter dem beschränkten Gesichtswinkel des vom Beschwerdeführer denn auch angerufenen Art. 4 BV überprüfen, also nur daraufhin, ob die Auffassung des Obergerichts gegen den klaren Wortlaut und Sinn verstosse oder eine rechtsungleiche Behandlung darstelle.
II.1. § 168 StPO, wonach die Verhandlung öffentlich ist, bezieht sich, wie ohne jede Willkür angenommen werden kann, nur auf die unmittelbare Öffentlichkeit und bedeutet, dass zur Gerichtsverhandlung jedermann Zutritt hat, soweit in dem für Zuhörer bestimmten Teil des Gerichtssaals Platz vorhanden ist. Dagegen begründet § 168 StPO kein Recht der Zuhörer, an der Gerichtsverhandlung Bild- oder Tonaufnahmen zu machen. Das Gericht verfügt aufgrund der Gerichtspolizei über die Gerichtsräume und kann, mangels besonderer Vorschrift, allgemein oder im Einzelfall bestimmen, ob und wieweit Photographieren sowie Ton- und Filmaufnahmen im Gerichtsgebäude zugelassen oder verboten sind. In diesem Sinne wird der Grundsatz der Öffentlichkeit der Verhandlung auch von der deutschen Rechtsprechung und herrschenden Lehre verstanden (BGHSt 10, 202 und 16, 112; LÖWE-ROSENFELD a.a.O. Einleitung S. 139 und Anm. 4 i vor § 226 StPO, die Bemerkungen zu § 169 GVG sowie Anm. 4 zu § 176 GVG); bei der Revision des deutschen GVG am 19. Dezember 1964 erhielt § 169 sogar einen Zusatz, der Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung ihres Inhalts ausdrücklich verbietet. Ein entsprechendes, auch das blosse Photographieren umfassendes Verbot enthält der französische Code de procédure pénale in den Art. 308, 403 und 535.
Weder der Beschwerdeführer als zukünftiger Angeklagter noch die Zuhörer selbst können daher aus § 168 StPO ein Recht auf Ton- oder Bildaufnahmen an der Gerichtsverhandlung ableiten. Erst recht besteht kein Anspruch der "Öffentlichkeit", d.h. eines weiteren Publikums, durch Bildreportagen in der Presse oder im Fernsehen über den Verlauf der Gerichtsverhandlung unterrichtet zu werden. Mit Recht betont PFENNINGER (a.a.O. S. 41), dass Bildberichterstattung, Rundfunk
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und Fernsehen mit der Kontrolle der Strafrechtspflege, die durch die Öffentlichkeit der Verhandlung gesichert werden soll, nichts zu tun haben und deshalb abzulehnen sind.Die Abweisung des Begehrens des Beschwerdeführers ist daher jedenfalls aus dem Gesichtspunkt der Willkür nicht zu beanstanden. Von rechtsungleicher Behandlung könnte nur die Rede sein, wenn das Obergericht in andern Fällen Bild- oder Tonaufnahmen gestattet hätte. Das hat der Beschwerdeführer aber nicht behauptet und noch weniger darzutun versucht. Der blosse Umstand, dass die Presse die Verhaftung des Beschwerdeführers u.a. aufgrund einer Pressekonferenz des Untersuchungsbeamten bekannt gemacht hat, bildet keinen Grund, den § 168 StPO im Falle des Beschwerdeführers weiter als in andern Fällen auszulegen. Wird der Beschwerdeführer freigesprochen, so kann er wegen der durch die Strafuntersuchung erlittenen Unbill gegebenenfalls Entschädigung oder Genugtuung nach § 280 StPO verlangen.....