Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Original
 
Urteilskopf

97 I 689


100. Auszug aus dem Urteil vom 29. Oktober 1971 i.S. Landammann und Standeskommission des Kantons Appenzell I.Rh. gegen Sparascio und Eidg. Justiz- und Polizeidepartement.

Regeste

Erleichterte Einbürgerung (Art. 27 BüG).
Das Kind erwirbt das Kantons- und Gemeindebürgerrecht, das die Mutter besitzt oder zuletzt besass; besitzt die Mutter mehr als ein Kantons- und Gemeindebürgerrecht, erwirbt das Kind jedes Bürgerrecht.

Sachverhalt ab Seite 689

BGE 97 I 689 S. 689
Die am 19. Juni 1936 in Zürich geborene Anna Speck ist die Tochter des Walter Speck von Appenzell und seiner Ehefrau Anna Magdalena geb. Nehr. Anna Speck wurde am 6. März 1953, zusammen mit ihren Eltern, ins Bürgerrecht der Stadt Zürich aufgenommen. Sie verheiratete sich am 10. Januar 1959 mit dem italienischen Staatsangehörigen Andrea Sparascio. Durch den Eheabschluss bekam sie die italienische Staatsangehörigkeit. Während der Verkündung, am 21. November 1958, hatte sie dem Zivilstandsbeamten der Stadt Zürich im Sinne von Art. 9 des BG vom 29. September 1952 über Erwerb und Verlust
BGE 97 I 689 S. 690
des Schweizerbürgerrechts (BüG) erklärt, sie wolle das Schweizerbürgerrecht beibehalten. Am 7. Juni 1959 ist aus der Ehe Sparascio-Speck die Tochter Daniela Anna Christa geboren worden. Sie erwarb mit der Geburt die italienische Staatsangehörigkeit.
Im Februar 1970 ersuchte die bei ihren Eltern in Zürich, Bergacker 35, wohnhafte Daniela Anna Christa Sparascio das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) um erleichterte Einbürgerung in der Schweiz. Durch Verfügung vom 4. März 1971 hat das EJPD die Gesuchstellerin Daniela Anna Christa Sparascio in die Bürgerrechte der Kantone Zürich und Appenzell I.Rh. sowie der Gemeinden Zürich und Appenzell und damit ins Schweizerbürgerrecht gemäss Art. 27 BüG aufgenommen.
Gegen diese Verfügung erheben Landammann und Standeskommission des Kantons Appenzell I.Rh. Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Sie beantragen die Aufhebung der angefochtenen Verfügung in dem Sinne, dass Daniela Anna Christa Sparascio lediglich ins Schweizerbürgerrecht sowie in die Bürgerrechte des Kantons und der Stadt Zürich, nicht aber in die Bürgerrechte des Kantons Appenzell I.Rh. und der Gemeinde Appenzell aufgenommen werde.
Das EJPD beantragt die Abweisung der Beschwerde.

Erwägungen

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. (Prozessuales).

2. Nach Art. 27 Abs. 1 BüG können Kinder einer gebürtigen Schweizerin, die wenigstens 10 Jahre in der Schweiz gelebt haben, erleichtert eingebürgert werden, wenn sie in der Schweiz wohnen und das Gesuch vor Vollendung des 22. Lebensjahres stellen. Daniela Anna Christa Sparascio ist Kind einer gebürtigen Schweizerin. Ihre Mutter war von Geburt Bürgerin von Appenzell und des Kantons Appenzell I.Rh. Das Kind war seit der Geburt in der Schweiz wohnhaft; es hat also mehr als 10 Jahre in der Schweiz gelebt. Es ersuchte um die erleichterte Einbürgerung, als es das 10. Altersjahr überschritten hatte. Damit erfüllt es die Voraussetzungen der erleichterten Einbürgerung gemäss Art. 27 Abs. 1 BüG.
Nach Art. 27 Abs. 2 BüG erwibt die Tochter das Kantons- und Schweizerbürgerrecht, das ihre Mutter besitzt oder zuletzt besass, und damit das Schweizerbürgerrecht. Die Mutter der
BGE 97 I 689 S. 691
Gesuchstellerin lebt noch; sie ist immer noch Schweizerin. Hier kommt also das Bürgerrecht in Frage, das die Mutter zurzeit der Einbürgerung der Tochter besitzt. Der Text des BüG ist auf den Normalfall zugeschnitten, wo die Mutter nur ein Kantons- und Gemeindebürgerrecht besitzt. Die Frage ist offen, was zu geschehen habe, wenn die Mutter mehr als ein Kantons- und Gemeindebürgerrecht besitzt. Die einfachste und dem Text am ehesten konforme Lösung besteht darin, dass die Tochter jedes Kantons- und Gemeindebürgerrecht erwirbt, das ihre Mutter besitzt. Das ist die Lösung, die das EJPD hier - entsprechend einer ständigen Praxis - getroffen hat und die es auch bei Wiedereinbürgerungen nach Art. 24 BüG übt. Im folgenden ist zu untersuchen, ob das, was die Beschwerdeführer dagegen vorbringen, zu einer andern Lösung führe. Die Frage ist gemäss Art. 104 lit. a OG frei zu prüfen.

3. Die Beschwerdeführer gehen - richtigerweise - davon aus, dass es ohne Kantonsbürgerrecht kein Schweizerbürgerrecht und ohne Gemeindebürgerrecht kein Kantonsbürgerrecht gibt (Art. 43 Abs. 1 BV;BGE 77 I 132; AUBERT, Traité de droit constitutionnel suisse, I, Nr. 939), heben aber hervor, dass ein Gemeindebürgerrecht und ein Kantonsbürgerrecht genüge. Sie verweisen in diesem Zusammenhang auf Art. 44 und auf Art. 3 BV. Damit ist nicht gemeint, das BüG stehe im Widerspruch zur BV (was das Bundesgericht nach Art. 114bis Abs. 3 BV nicht zu prüfen hätte); die Beschwerdeführer wollen vielmehr sagen, der Departementalentscheid wende das BüG in verfassungswidriger Weise an, er verletze damit ein Prinzip der schweizerischen Rechtspflege (BGE 92 I 433, BGE 95 I 332). Dies trifft indes nicht zu.
Dadurch, dass das EJPD der Daniela Anna Christa Sparascio beide Kantons- und Gemeindebürgerrechte ihrer Mutter erteilte, hat es keineswegs gegen den Wortlaut oder den Sinn der BV verstossen. Nach Art. 44 Abs. 2 BV ordnet die Bundesgesetzgebung "die Erteilung und den Verlust des Schweizerbürgerrechts"; desgleichen stellt sie nach Art. 44 Abs. 4 "die Grundsätze für die Wiederaufnahme ins Bürgerrecht" auf. Der Bundesgesetzgeber hat im Bereich seiner Kompetenzen legiferiert. Mit keinem Wort und auch nicht indirekt lässt der Text der BV erkennen, es sei dem Bundesgesetzgeber verwehrt, einem Kind bei erleichterter Einbürgerung alle Kantons- und Gemeindebürgerrechte zu erteilen, die seine Mutter besitzt. Um das
BGE 97 I 689 S. 692
gleichwohl auszuschliessen, müsste dargetan sein, dass die erwähnte Regelung zu unsinnigen Konsequenzen führt, die einem vernünftigen Gesetzgeber unmöglich zugetraut werden dürften. Die Beschwerdeführerin unternimmt es, diesen Nachweis zu führen. Ihre Argumente reichen aber dafür nicht aus.
a) Unbehelflich ist zunächst der Hinweis darauf, dass bei Erteilung des mehrfachen Bürgerrechts einerseits "im Armenwesen Kosten und Schwierigkeiten entstehen", anderseits aber der unterstützungsbedürftigen Person keine Vorteile erwachsen, da sie ja auch dann, wenn sie in einer einzigen Gemeinde eingebürgert würde, hinreichend unterstützt werden muss.
Nimmt man an, das sei richtig, so wird die Aufnahme des Kindes in alle Bürgerrechte seiner Mutter zwar entbehrlich, aber nicht sinnlos. Solange das Bundesrecht ein mehrfaches Bürgerrecht der Mutter zulässt, ist nicht einzusehen, warum dasselbe bei der Tochter ausgeschlossen sein sollte.
Auch der Hinweis auf die in Art. 5 BüG vorgesehene Ordnung für das eheliche Kind eines ausländischen Vaters und einer schweizerischen Mutter legt keinen andern Schluss nahe. Die dortige Ordnung sieht vor, dass das Kind, das sonst staatenlos würde, das Bürgerrecht seiner Mutter bekommt (Abs. 1), es aber wieder verliert und das Bürgerrecht seines Vaters erwirbt, wenn dieser Schweizerbürger wird, bevor das Kind mündig ist (Abs. 3). Dieselbe Lösung hat das Bundesgericht als "nicht willkürlich" anerkannt für die Ehefrau eines Ausländers, die das Schweizerbürgerrecht beim Eheabschluss beibehalten hat, nach der Einbürgerung des Gatten es aber verliert und dafür dessen Kantons- und Gemeindebürgerrecht erwirbt (BGE 77 I 131ff.). Der Befund wäre bei freier Prüfung nicht anders ausgefallen.
Diese Ordnung entspricht dem traditionellen Prinzip der Einheit des Bürgerrechts in der Familie (BGE 69 I 142f.), das u.a. auch in Art. 32 Abs. 1 und Art. 33 BüG zum Ausdruck kommt. Die Familie eines eingebürgerten Ausländers wird damit als Ganzes bürgerrechtsmässig nicht privilegiert, sondern gleichgestellt der Familie, deren Familienhaupt schon bei der Heirat Schweizer war.
Der Entscheid des EJPD stimmt auch überein mit der zivilrechtlichen Ordnung. Nach Art. 161 Abs. 1 ZGB erhält die Ehefrau beim Abschluss der Ehe alle Kantons- und Gemeindebürgerrechte des Mannes (LEMP, Kommentar, N. 8 zu Art. 161).
BGE 97 I 689 S. 693
Nach Art. 270 Abs. 1 erhält das eheliche Kind alle Kantons- und Gemeindebürgerrechte des Vaters (HEGNAUER, Kommentar, N. 41 zu Art. 270). Dasselbe gilt für das anerkannte oder mit Standesfolge zugesprochene Kind gemäss Art. 325 Abs. 1 ZGB; ebenso erhält das aussereheliche Kind alle Kantons- und Gemeindebürgerrechte seiner Mutter (Art. 324 Abs. 1 ZGB; HEGNAUER, N. 46 zu Art. 324).
Das Prinzip der Einheit des Bürgerrechts ist allerdings durchbrochen in einer Familie, wo das Familienhaupt Ausländer, seine Gattin aber Schweizerin ist. Umso mehr drängt es sich auf, dass wenigsten alle schweizerischen unmündige Familienglieder die selben Kantons- und Gemeindebürgerrechte haben wie die Mutter. Auf diese Weise wird das Prinzip wenigstens innerhalb des schweizerischen Teils der Familiengemeinschaft aufrecht erhalten.
b) An dieser Rechtslage ändern auch die Hinweise der Beschwerdeführer auf die Art. 28 Abs. 1, 29 und 30 BüG nichts. Bei der erleichterten Einbürgerung nach Art. 28 verhalten sich die Dinge gleich wie bei Art. 27 BüG. Art. 29 BüG stellt darauf ab, welche Kantons- und Gemeindebehörden den Ausländer als Schweizer behandelt haben. Im Fall der nachträglichen Option (Art. 30 BüG) kommt es auf das Kantons- und Gemeindebürgerrecht an, das der Gesuchsteller durch rechtzeitige Option erlangt hätte. Ob das auch mehrere Kantons- und Gemeindebürgerrechte sein können, braucht hier nicht erörtert zu werden.
c) Die Beschwerdeführer deuten selber Schwierigkeiten an, die auftreten können, wenn bei der erleichterten Einbürgerung eines Kindes zwischen den verschiedenen Bürgerrechten seiner schweizerischen Mutter gewählt werden müsste. Diese Probleme entstehen bei der vom EJPD getroffenen Lösung nicht.
d) Die Beschwerdeführer verweisen auf BGE 91 I 390, wo das Bundesgericht erklärt hat, das Prinzip der Einheit des Bürgerrechts in der Familie habe durch das BüG insgesamt verschiedene Einbrüche erfahren.
Im genannten Entscheid ging es darum, abzuklären, welche Folgen es habe, wenn das im Ausland geborene Familienhaupt die zur Beibehaltung des Schweizerbürgerrechts nach Art. 10 BüG vorgeschriebene Meldung oder Erklärung aus Rechtsunkenntnis oder Nachlässigkeit nicht rechtzeitig abgegeben hat. Es wurde dabei festgestellt, dass die Verwirkungsfolge gemäss Art. 57 Abs. 3 sich nicht erstrecke auf Kinder, die beim Inkrafttreten
BGE 97 I 689 S. 694
des BüG noch unmündig waren, sondern dass diese die Meldung oder Erklärung gemäss Art. 10 BüG selber noch bis zum erfüllten 22. Lebensjahr abgeben können.
Dabei ging es offensichtlich um ein sehr spezielles Problem des intertemporalen Rechts; es ist von der vorliegenden Streitsache so verschieden, dass daraus für sie nichts abgeleitet werden kann. Insbesondere folgt daraus nicht, dass die Einheit des Bürgerrechts nicht wenigstens gewahrt werden sollte unter den Familiengliedern, die Schweizer sind.
Die Beschwerdeführer können mithin nichts vorbringen, was zur Aufhebung oder Änderung der angefochtenen Verfügung Anlass gäbe; diese verletzt Bundesrecht nicht. Die Beschwerde ist mithin abzuweisen.

Inhalt

Ganzes Dokument
Regeste: deutsch französisch italienisch

Sachverhalt

Erwägungen 1 2 3

Referenzen

BGE: 92 I 433, 95 I 332, 91 I 390

Artikel: Art. 27 BüG, Art. 27 Abs. 1 BüG, Art. 28 Abs. 1, 29 und 30 BüG, Art. 10 BüG mehr...