Urteilskopf
124 I 255
32. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 28. Juli 1998 i.S. X. und Y. gegen Weggenossenschaft Frittenbach-Geissbühl und Verwaltungsgericht des Kantons Bern (staatsrechtliche Beschwerde)
Regeste
Art. 89 Abs. 1 OG (Fristversäumnis wegen fehlerhafter Rechtsmittelbelehrung).
Art. 107 Abs. 3 OG gilt sinngemäss auch im staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren (E. 1a).
Art. 87 OG (Anfechtbarkeit von letztinstanzlichen Zwischenentscheiden).
Der Zwischenentscheid über das Ablehnungsgesuch gegen den Protokollführer einer Justizbehörde betrifft eine Streitsache gerichtsorganisatorischer Art, welche ihrer Natur nach endgültig zu erledigen ist, bevor das Verfahren weitergeführt werden kann (E. 1b).
Art. 58 Abs. 1 BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK (Anspruch auf ein unabhängiges und unparteiisches Gericht).
Begriff der zivilrechtlichen Streitigkeit (E. 4b, E. 5a). Die bernische Bodenverbesserungskommission (BVK) wurde nach kantonalem Recht als Justizorgan konstituiert (E. 5b). Der Anspruch auf ein unabhängiges und unparteiisches Gericht betrifft grundsätzlich auch die Person des Gerichtsschreibers bzw. Protokollführers, falls dieser, namentlich als Jurist, an der Willensbildung des vorwiegend aus Laien zusammengesetzten Gerichtes mitwirkt (E. 4a - c, E. 5c/aa). Der Umstand, dass der Sekretär der BVK gleichzeitig Beamter der kantonalen Verwaltung (Volkswirtschaftsdirektion) ist, verletzt Art. 58 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK (E. 5c/bb - e).
Im Jahre 1976 wurde die Weggenossenschaft Frittenbach-Geissbühl mit dem Zweck gegründet, die Höfe zwischen Ober- und Unterfrittenbach im Napfgebiet mit Strassen zu erschliessen. Der Regierungsrat des Kantons Bern genehmigte das Unternehmen am 13. Juli 1977. In der Folge hat die Weggenossenschaft im Rahmen von 13 Etappen eine umfangreiche Güterweganlage verwirklicht. Die Gesamtabrechnung der Anlage vom 31. Oktober 1996 wurde von der Hauptversammlung der Genossenschaft mit Beschluss vom 20. November 1996 genehmigt.
Gegen die Genehmigung der Gesamtabrechnung der Weggenossenschaft Frittenbach-Geissbühl erhoben die Genossenschafter X. und Y. am 18. Dezember 1996 Einsprache bei der Bodenverbesserungskommission des Kantons Bern (nachfolgend "BVK" genannt). Am 17. August 1997 teilten X. und Y. der BVK mit, dass sie den ausserordentlichen Sekretär der BVK, Fürsprecher Z., als Protokollführer der Einspracheverhandlung ablehnten, da dieser gleichzeitig Mitarbeiter der kantonalen Volkswirtschaftsdirektion sei.
Mit Zwischenentscheid vom 24. September 1997 verfügte die BVK, das Ablehnungsgesuch werde abgewiesen und die Protokollführung nicht an eine ausserhalb der kantonalen Verwaltung stehende Person übertragen. Auf eine dagegen erhobene Beschwerde trat das Verwaltungsgericht des Kantons Bern (Verwaltungsrechtliche Abteilung) mit Entscheid vom 30. Januar 1998 nicht ein.
Gegen den Entscheid der BVK gelangten X. und Y. mit staatsrechtlicher Beschwerde an das Bundesgericht. Sie rügen eine Verletzung von Art. 58 BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK sowie Art. 68 Abs. 2 KV/BE und beantragen die Aufhebung des angefochtenen Entscheides. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
Aus den Erwägungen:
1. Die staatsrechtliche Beschwerde richtet sich sowohl gegen den Entscheid der BVK vom 24. September 1997 als auch gegen den Nichteintretensentscheid des kantonalen Verwaltungsgerichtes vom 30. Januar 1998.
Zunächst ist zu prüfen, ob die Beschwerde gegen den Entscheid der BVK zulässig ist.
a) Die staatsrechtliche Beschwerde ist innert 30 Tagen seit Eröffnung des angefochtenen Entscheides dem Bundesgericht schriftlich einzureichen (
Art. 89 Abs. 1 OG). Zwar wurde der (nach kantonalem Recht letztinstanzliche) Entscheid der BVK vom 24. September
BGE 124 I 255 S. 258
1997 erst am 3. März 1998 (Postaufgabe) beim Bundesgericht angefochten. Die Beschwerdeführer machen jedoch geltend, im angefochtenen Entscheid der BVK sei eine unrichtige Rechtsmittelbelehrung enthalten, woraus ihnen kein prozessualer Nachteil erwachsen dürfe.
aa) Gemäss einem aus dem Prinzip von Treu und Glauben (
Art. 4 BV) fliessenden und in
Art. 107 Abs. 3 OG ausdrücklich verankerten Grundsatz des öffentlichen Prozessrechtes darf den Parteien aus einer fehlerhaften behördlichen Rechtsmittelbelehrung kein Nachteil erwachsen. Nach ständiger Praxis des Bundesgerichtes ist diese Verfahrensmaxime grundsätzlich auch im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde anwendbar (vgl.
BGE 117 Ia 119 E. 3a S. 124 f., 421 E. 2a S. 422). Dies kann namentlich für den Fall gelten, dass die falsche Eröffnung eines kantonalen Rechtsmittels eine Partei davon abgehalten hat, rechtzeitig das Bundesgericht mit staatsrechtlicher Beschwerde anzurufen. Wer allerdings die Unrichtigkeit der Rechtsmittelbelehrung erkannte oder bei zumutbarer Sorgfalt hätte erkennen müssen, kann sich nicht auf den genannten Grundsatz berufen (
BGE 121 II 71 E. 2a S. 78). Rechtsuchende geniessen keinen Vertrauensschutz, wenn sie bzw. ihr Rechtsvertreter den Mangel allein schon durch Konsultierung der massgeblichen Verfahrensbestimmung hätten erkennen können (
BGE 117 Ia 119 E. 3a S. 125). Allerdings vermag nur eine grobe prozessuale Unsorgfalt der betroffenen Partei oder ihres Anwaltes eine falsche Rechtsmittelbelehrung aufzuwiegen (
BGE 117 Ia 421 E. 2a S. 422).
bb) Im angefochtenen Entscheid verfügte die BVK (nach einem Meinungsaustausch mit dem Präsidenten des kantonalen Verwaltungsgerichtes), dass die Protokollführung für die Verhandlung vor der BVK "nicht einer ausserhalb der kantonalen Verwaltung stehenden Person übertragen" werde (Ziff. 2 des angefochtenen Entscheides). "Das Gesuch um Ablehnung des vorgesehenen ausserordentlichen Sekretärs, Fürsprecher Z.", werde daher abgewiesen (Ziff. 3 des angefochtenen Entscheides). In der Rechtsmittelbelehrung wies die BVK ausdrücklich darauf hin, "gegen Ziffer 2 dieses Entscheides (selbständig anfechtbarer Zwischenentscheid)" könne innert 10 Tagen seit der Eröffnung Beschwerde beim kantonalen Verwaltungsgericht geführt werden. Gestützt auf diese Rechtsmittelbelehrung haben die Beschwerdeführer den Entscheid der BVK innert der erwähnten Frist beim kantonalen Verwaltungsgericht angefochten. Das Verwaltungsgericht trat jedoch mit Entscheid vom 30. Januar 1998 auf die Beschwerde nicht ein. Zwar erwog es, beim Entscheid
BGE 124 I 255 S. 259
der BVK handle es sich "um einen Zwischenentscheid, der grundsätzlich selbständig angefochten werden" könne. Die Frage der Ablehnung des Protokollführers könne jedoch von der Frage der Übertragung der Protokollführung auf eine ausserhalb der kantonalen Verwaltung stehende Person nicht getrennt werden. Daher stehe - entgegen der ausdrücklichen Rechtsmittelbelehrung der BVK - "auch gegen Ziffer 2 des angefochtenen Entscheids kein ordentliches Rechtsmittel zur Verfügung".
cc) Bei dieser Sachlage ist den Beschwerdeführern keine prozessuale Säumnis vorzuwerfen, wenn sie den Entscheid der BVK nicht innert der Frist von Art. 89 OG angefochten haben. Dies um so weniger, als die Beschwerdeführer weder im kantonalen Beschwerdeverfahren noch im Verfahren vor Bundesgericht förmlich durch einen Rechtsanwalt vertreten waren und die Fehlerhaftigkeit der Rechtsmittelbelehrung für sie nicht ohne weiteres ersichtlich war. Im übrigen haben sie sowohl die in der falschen Rechtsmittelbelehrung erwähnte Frist von 10 Tagen eingehalten, als auch den Nichteintretensentscheid des Verwaltungsgerichtes innert der Frist von Art. 89 OG angefochten. Nach Treu und Glauben darf den Beschwerdeführern aus der unrichtigen Rechtsmittelbelehrung der kantonalen Behörden im vorliegenden Fall kein prozessualer Nachteil erwachsen, weshalb Art. 89 OG dem Eintreten auf die Beschwerde gegen den Entscheid der BVK nicht entgegensteht.
b) Die staatsrechtliche Beschwerde ist grundsätzlich nur gegen letztinstanzliche Endentscheide zulässig. Gegen Zwischenentscheide kann Art. 4 BV (oder ein mit Art. 4 BV inhaltlich zusammenfallendes Grundrecht) nur im Falle eines drohenden nicht wiedergutzumachenden Nachteils angerufen werden (Art. 87 OG).
aa) Wie oben dargelegt, ist der angefochtene Entscheid der BVK letztinstanzlich im Sinne von Art. 86 f. OG.
bb) Beim angefochtenen Entscheid der BVK (zur Frage der Ablehnung des für die Verhandlung vor BVK vorgesehenen Protokollführers) handelt es sich zwar um einen Zwischenentscheid im Sinne von
Art. 87 OG. Nach der Praxis des Bundesgerichtes können jedoch Prozessökonomie, Gründe der Zweckmässigkeit oder das wohlverstandene Interesse der Gegenpartei Ausnahmen vom Eintretenserfordernis des nicht wiedergutzumachenden Nachteils gebieten. Dies trifft namentlich auf Zwischenverfügungen gerichtsorganisatorischer Art zu, die ihrer Natur nach endgültig zu erledigen sind, bevor das Verfahren weitergeführt werden kann. Insbesondere fallen Entscheide über die Zusammensetzung der entscheidenden Behörde
BGE 124 I 255 S. 260
unter die Ausnahme von
Art. 87 OG (
BGE 117 Ia 396 E. 2 S. 399;
BGE 115 Ia 311 E. 2a S. 313, je mit Hinweisen; vgl. MARC FORSTER, Die staatsrechtliche Beschwerde, in: Geiser/Münch, Prozessieren vor Bundesgericht, 2. Aufl., Basel 1998, Rz. 2.18). Darüber hinaus kommt der Rüge der Verletzung von
Art. 58 BV und
Art. 6 Ziff. 1 EMRK im vorliegenden Fall eine über die Rüge der Verletzung von
Art. 4 BV hinausgehende selbständige Bedeutung zu.
3. a) Im angefochtenen Entscheid der BVK wird die Abweisung des Ablehnungsgesuches wie folgt begründet: Zwar gehe aus
Art. 68 Abs. 2 KV/BE hervor, dass die Mitglieder der BVK nicht der kantonalen Verwaltung angehören dürften. Diese Bestimmung gelte jedoch nur für Kommissionsmitglieder und nicht für den Protokollführer. Gemäss der kantonalen Verordnung über die Geschäftsführung der BVK sei dieser "nicht Mitglied der BVK und damit nicht stimmberechtigt". Der Sekretär bzw. die Sekretärin der BVK führten lediglich das Verhandlungsprotokoll und fertigten die Entscheide "nach den Erwägungen der Kommission und den Weisungen der oder des Vorsitzenden" aus. In einem Entscheid vom 25. Februar 1997 habe das Bundesgericht erkannt, dass die Geschäftsstellenleiterin der Rekurskommission des Kantons Bern gegenüber Fahrzeugführern gleichzeitig Mitarbeiterin der kantonalen Polizei- und Militärdirektion sein dürfe, sofern sie nicht als Mitglied der Rekurskommission tätig werde. Die Praxis, Angehörige der kantonalen Verwaltung als Protokollführer der BVK beizuziehen, habe sich gut bewährt. Die Beschwerdeführer hätten im Einspracheverfahren geltend gemacht, sie seien "im Rahmen der jahrelangen Auseinandersetzung mit der Weggenossenschaft Frittenbach-Geissbühl" von der Landwirtschaftsdirektion bzw. der Volkswirtschaftsdirektion als deren Nachfolgerin "unkorrekt behandelt worden", weshalb sie alle Beamten der Volkswirtschaftsdirektion pauschal ablehnten. Das kantonale Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege sehe eine Ausstandspflicht für Behördemitglieder indessen nur vor, wenn diese "an einem Vorentscheid mitgewirkt" haben oder "aus anderen Gründen in der Sache befangen" sind. Der für die Protokollführung vorgesehene wissenschaftliche Beamte sei erst seit 18. November 1996 bei der Volkswirtschaftsdirektion tätig und "an keinen Vorentscheiden oder Korrespondenzen" im Zusammenhang mit der vorliegenden Streitsache beteiligt gewesen. Ebensowenig seien in seiner Person "Eigeninteressen, Vorbefassungen oder enge Beziehungen zu einer Partei" oder andere objektive Befangenheitsgründe ersichtlich.
b) Die Beschwerdeführer rügen, die Abweisung ihres Ablehnungsgesuches verletze Art. 58 BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK sowie Art. 68 Abs. 2 KV/BE. Der Sekretär der BVK sei gleichzeitig Mitarbeiter der kantonalen Volkswirtschaftsdirektion. Diese "Doppelfunktion" beinhalte "einen krassen Verstoss gegen das Prinzip der Gewaltenteilung". Mit der Protokollführung für die Verhandlungen vor BVK müsse "eine ausserhalb der kantonalen Verwaltung stehende Person" betraut werden.
4. a) Gemäss
Art. 6 Ziff. 1 EMRK steht jedermann das Recht zu, dass seine Sache in billiger Weise öffentlich und innerhalb einer angemessenen Frist gehört wird, und zwar von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht, das über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen oder über die Stichhaltigkeit einer strafrechtlichen Anklage zu entscheiden hat. Sowohl gestützt auf
Art. 58 BV als auch gemäss
Art. 6 Ziff. 1 EMRK hat der Rechtsuchende einen Anspruch darauf, dass seine Sache von einem unvoreingenommenen, unparteiischen und unbefangenen Richter beurteilt wird. Damit soll garantiert werden, dass keine Umstände, die ausserhalb des Prozesses liegen, in sachwidriger Weise zugunsten oder zulasten einer Partei auf das Urteil einwirken. Spezialgerichte, welche für ausgewählte Sachbereiche geschaffen werden, sind zulässig, sofern ihre Zuständigkeit und Organisation durch einen generell-abstrakten Erlass geordnet sind und sachliche Gründe (wie z.B. das Erfordernis von spezifischen Fachkenntnissen) ihre Errichtung rechtfertigen. Voreingenommenheit ist anzunehmen, wenn Umstände vorliegen, die geeignet sind, Misstrauen in die Unparteilichkeit des Gerichtes zu erwecken. Solche Umstände können in einem persönlichen Verhalten der Justizangehörigen oder auch in funktionellen und organisatorischen Gegebenheiten begründet sein (
BGE 122 I 18 E. 2b/bb S. 24;
BGE 120 Ia 184 E. 2b S. 187;
BGE 118 Ia 282 E. 3d S. 285 f.;
BGE 117 Ia 378 E. 3b S. 381, je mit Hinweisen).
Der Anspruch auf ein unabhängiges und unparteiisches Gericht wird namentlich tangiert, wenn ein Beamter an der Willensbildung des Gerichtes mitwirkt, der wegen eines privat- oder öffentlichrechtlichen Subordinationsverhältnisses weisungsgebunden ist (
BGE 119 Ia 81 E. 3 S. 83 f. mit Hinweisen; EGMR vom 23. April 1987 i.S. Ettl et al. c. A, Série A, vol. 117, Ziff. 38; EGMR vom 22. Oktober 1984 i.S. Sramek c. A, Série A, vol. 84, Ziff. 41 f.).
Art. 68 Abs. 2 KV/BE bestimmt, dass Mitglieder einer kantonalen richterlichen Behörde nicht gleichzeitig dem Regierungsrat oder der kantonalen Verwaltung angehören dürfen.
b) Im Bereich des kantonalen Bodenmeliorationsrechts betreffen namentlich Entscheide über Güterzusammenlegungen und Baulandumlegungen, Einleitungsbeschlüsse mit Perimeterverfügung sowie abschliessende Festsetzungsbeschlüsse sogenanntes Zivilrecht im Sinne von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK (
BGE 120 Ia 209 E. 6b S. 214;
BGE 118 Ia 353 E. 2 S. 355 ff.;
BGE 117 Ia 378 E. 5a - b S. 382 ff.; Urteil des Bundesgerichts vom 3. April 1992 i.S. S. et al., E. 2b = ZBl 94 [1993] 39 ff.). In diesem Bereich haben die Kantone ein richterliches Prüfungsverfahren vorzusehen. Angesichts der beschränkten Kognition des Bundesgerichtes vermag das staatsrechtliche Beschwerdeverfahren eine Prüfung durch eine kantonale richterliche Behörde nicht zu ersetzen, und auch die auslegende Erklärung der Schweiz zu
Art. 6 Ziff. 1 EMRK entfaltet hier grundsätzlich keine Wirkung (
BGE 118 Ia 353 E. 2c S. 358 f.;
BGE 117 Ia 378 E. 5c - d S. 385 ff.).
c) Die Garantien von
Art. 58 BV und
Art. 6 Ziff. 1 EMRK sind grundsätzlich auch auf die Gerichtsschreiber bzw. Protokollführer einer richterlichen Behörde anwendbar, sofern sie an der Willensbildung des Spruchkörpers mitwirken (BGE
BGE 119 Ia 81 E. 3 S. 84;
BGE 115 Ia 224 E. 7 S. 227 ff. mit Hinweisen). Unzulässig ist deshalb eine kantonale Regelung, wonach dieselbe Person zuerst als Untersuchungsbeamter und anschliessend als Gerichtsschreiber des erkennenden Strafgerichts auftritt (
BGE 115 Ia 224 E. 7 S. 227 ff.). In einem nicht amtlich publizierten Entscheid hat das Bundesgericht die Frage ausdrücklich offengelassen, ob der Umstand, dass ein Beamter der kantonalen Verwaltung das Sekretariat der Walliser Rekurskommission für Bodenverbesserungen führt, vor
Art. 58 BV bzw.
Art. 6 Ziff. 1 EMRK standhält (Urteil vom 3. April 1992 i.S. S. et al., E. 3b = ZBl 94 [1993] 39 ff.).
5. a) Das Einspracheverfahren vor der BVK betreffend die Gesamtabrechnung der Weggenossenschaft Frittenbach-Geissbühl fällt unter den Begriff der zivilrechtlichen Streitigkeit im Sinne von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK (vgl. dazu oben, Erwägung 4b). Die Beschwerdeführer rügen nicht, die Mitglieder der BVK als Entscheidungsgremium oder das Einspracheverfahren vor der BVK genügten den Anforderungen von
Art. 58 BV bzw.
Art. 6 Ziff. 1 EMRK nicht (vgl.
BGE 117 Ia 378 E. 3b S. 380 f.). Sie machen vielmehr geltend, die Teilnahme eines kantonalen Beamten der Volkswirtschaftsdirektion als Protokollführer und Sekretär der BVK verletze Verfassung und Konvention.
Im angefochtenen Entscheid des Verwaltungsgerichtes vom 30. Januar 1998 wird ausdrücklich erwogen, dass im vorliegend
BGE 124 I 255 S. 263
hängigen Einspracheverfahren "in der Hauptsache die Verwaltungsgerichtsbeschwerde zulässig" sei (angefochtener Entscheid des Verwaltungsgerichtes, S. 3 f. Ziff. 1; vgl. ebenso Vernehmlassung der BVK vom 21. April 1998, S. 2 zweitletzter Absatz). Lediglich bezüglich des Zwischenentscheides betreffend Ablehnung des vorgesehenen Gerichtssekretärs habe die BVK "endgültig" entschieden (angefochtener Entscheid des Verwaltungsgerichtes, S. 4 f. Ziff. 2; vgl. Art. 9 Abs. 2 VRPG/BE). Im Gegensatz zum Zwischenentscheid der BVK betreffend Ablehnung des Sekretärs wird das Verwaltungsgericht folglich auf eine allfällige Beschwerde gegen den materiellen Einspracheentscheid einzutreten haben.
b) Es stellt sich zunächst die Frage, ob die Rüge der Verletzung von Art. 58 BV bereits deshalb unbegründet erscheint, weil gegen den Einsprache-Sachentscheid der BVK die Beschwerde beim kantonalen Verwaltungsgericht zulässig ist. Die Frage ist zu verneinen.
aa) Zwar lässt sich weder aus
Art. 58 BV noch aus
Art. 6 Ziff. 1 EMRK ein Anspruch auf eine zweistufige richterliche Prüfung ableiten (vgl.
BGE 118 Ia 353 E. 3c S. 359;
BGE 117 Ia 378 E. 4b S. 381, E. 5c S. 385). Falls jedoch die BVK nach kantonalem Recht als richterliche Behörde konstituiert wurde, muss sie justizorganisatorisch den Anforderungen von
Art. 58 BV genügen. Der verfassungsmässige Anspruch auf ein unabhängiges Gericht dient nicht zuletzt auch der Konkretisierung und Ergänzung des Grundsatzes der Gewaltentrennung. Dieser verhindert insbesondere ein Übergreifen der exekutiven auf die richterliche Gewalt (
BGE 114 Ia 50 E. 3c S. 55 mit Hinweisen; vgl. ALFRED KÖLZ, Kommentar zur Bundesverfassung, Art. 58 N. 31, 66). Da die Kantone in der Gerichtsorganisation frei sind, ist nach kantonalem Recht zu beurteilen, ob ein behördliches Organ als Gericht ausgestaltet wurde. Sieht die kantonale Zuständigkeitsordnung aber den Zugang zu einer Justizbehörde vor, gewährleistet
Art. 58 BV dem Rechtsuchenden die unabhängige und unparteiische richterliche Beurteilung seiner Streitsache durch diese Behörde.
Es ist daher zu prüfen, ob die BVK nach bernischem Recht als richterliches Organ konstituiert wurde.
bb) Zunächst fällt ins Gewicht, dass die Mitglieder der BVK sowohl nach bisherigem als auch nach revidiertem kantonalem Recht durch den Grossen Rat gewählt werden (Art. 13 Abs. 1 des bernischen Gesetzes vom 13. November 1978 über Bodenverbesserungen und landwirtschaftliche Hochbauten [Meliorationsgesetz, MelG, aBSG 913.1]; Art. 3 Abs. 1 des bernischen Gesetzes vom 16. Juni
BGE 124 I 255 S. 264
1997 über das Verfahren bei Boden- und Waldverbesserungen [VBWG, BSG 913.1, BAG 97-128]). Es handelt sich beim Grossen Rat um das gleiche Gremium, welches auch die kantonalen Oberrichter und Verwaltungsrichter wählt (
Art. 77 Abs. 1 lit. d - e KV/BE). Dieser Umstand stellt die BVK gerichtsverfassungsrechtlich auf eine ähnliche Stufe wie die kantonalen Steuerrekurs- und Enteignungsschätzungskommissionen, deren Mitglieder ebenfalls vom Parlament gewählt und die vom bernischen Recht unter die "anderen verwaltungsunabhängigen Justizbehörden" (Art. 85 VRPG/BE) eingereiht werden (vgl. dazu MERKLI/AESCHLIMANN/HERZOG, Kommentar zum Gesetz vom 23. Mai 1989 über die Verwaltungsrechtspflege des Kantons Bern, Bern 1997, Art. 85 N. 1, 3). In Art. 13 Abs. 4 MelG wurde die BVK als "besonderes Rechtspflegeorgan" bezeichnet (s. auch
Art. 100 Abs. 2 KV/BE). Gemäss Art. 30 Abs. 3 des bernischen Meliorationsdekretes waren Präsident, Mitglieder und Sekretär der BVK wie die nichtständigen Mitglieder des Verwaltungsgerichtes zu entschädigen (Dekret vom 12. Februar 1979 über Bodenverbesserungen und landwirtschaftliche Hochbauten [MelD, aBSG 913.11]). Für eine richterliche Funktion der BVK sprach schliesslich auch deren Zuständigkeit in Klagematerien (Art. 13 Abs. 4 und Art. 85 Abs. 1 lit. b MelG).
cc) Auch im neuen VBWG wurde - wie bereits dargelegt - an der Wahl der BVK-Mitglieder durch den Grossen Rat festgehalten (Art. 3 Abs. 1 VBWG). Dabei folgte der kantonale Gesetzgeber dem Entwurf des Regierungsrates, und zwar entgegen dem Antrag der grossrätlichen Kommission, welche die Wahl durch den Regierungsrat vorgeschlagen hatte (vgl. Vortrag des Regierungsrates an den Grossen Rat vom 18. September 1996, S. 189; Gemeinsamer Antrag des Regierungsrates und der Kommission vom 18. September 1996/29. Januar 1997 bzw. 17. Dezember 1996, S. 178 f.). Art. 3 Abs. 1 VBWG bezeichnet die BVK nun ausdrücklich als "verwaltungsunabhängige Rechtsmittelinstanz". Auf richterliche Funktionen lässt sodann der Umstand schliessen, dass die BVK im Rahmen der kantonalen Gebührenordnung ebenfalls als verwaltungsunabhängige Justizbehörde behandelt wird (s. Dekret des Grossen Rates vom 17. November 1997, BSG 155.261, BAG 97-143). Im übrigen geht auch das kantonale Verwaltungsgericht davon aus, dass es sich bei der BVK um eine richterliche Behörde handle.
c) Die kantonalen Behörden vertreten die Ansicht, die BVK erfülle die Anforderungen an ein Gericht im Sinne von
Art. 58 BV selbst
BGE 124 I 255 S. 265
dann, wenn deren Sekretär von der kantonalen Verwaltung delegiert wird. Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden.
aa) Der verfassungsmässige Anspruch auf ein unabhängiges Gericht erstreckt sich grundsätzlich auch auf die Person des Gerichtsschreibers bzw. Protokollführers. Dies gilt nach der dargelegten Praxis des Bundesgerichtes und der Strassburger Rechtsprechungsorgane besonders, wenn der juristisch ausgebildete Protokollführer beratende Stimme hat und die fragliche richterliche Behörde ganz oder teilweise mit juristischen Laien besetzt ist. Anders zu entscheiden hiesse, den Anspruch auf ein unabhängiges Gericht zu unterlaufen, zumal der Protokollführer in den genannten Fällen einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Willensbildung der richterlichen Behörde ausüben kann (
BGE 115 Ia 224 E. 7b S. 229 f. mit Hinweisen).
bb) Das bisherige bernische Recht bestimmte, dass der Präsident, der Vizepräsident, der Sekretär "sowie gegebenenfalls der ausserordentliche Präsident und der ausserordentliche Sekretär" der BVK im Besitz eines bernischen Fürsprecher- oder Notariatspatentes sein sollen. Bei den übrigen Kommissionsmitgliedern handelt es sich (nach altem wie nach neuem Recht) um land-, forstwirtschaftliche oder kulturtechnische Sachverständige (Art. 30 Abs. 1 MelD). Wie bereits erwähnt, wurde der Sekretär bisher gleich wie der Präsident und die Mitglieder der BVK entschädigt, nämlich "wie die nichtständigen Mitglieder des Verwaltungsgerichtes" (Art. 30 Abs. 3 MelD). An den Kommissionssitzungen nahmen nach altem Recht neben dem Präsidenten zwei bis sechs Mitglieder sowie der Sekretär teil (Art. 30 Abs. 4 MelD).
Das revidierte kantonale Recht schreibt lediglich für die Präsidentin oder den Präsidenten der BVK eine abgeschlossene juristische Ausbildung vor. Die übrigen Kommissionsmitglieder sind nach wie vor land-, forstwirtschaftliche oder kulturtechnische Sachverständige (Art. 11 Abs. 2 der kantonalen Verordnung vom 5. November 1997 über das Verfahren bei Boden- und Waldverbesserungen [VBWV, BSG 913.111, BAG 97-114]). An den Kommissionssitzungen nehmen neben dem oder der Vorsitzenden mindestens zwei Mitglieder sowie die Sekretärin oder der Sekretär teil (Art. 11 Abs. 3 VBWV). Im hier zu beurteilenden Fall ist der vorgesehene Sekretär ein ausgebildeter Jurist. Er führt das Verhandlungsprotokoll und fertigt nach den Erwägungen der Kommission und den Weisungen des Vorsitzenden die Entscheide aus (Art. 13 Abs. 2 VBWV). Er hat zwar kein förmliches Stimmrecht. Auch das neue kantonale Recht
BGE 124 I 255 S. 266
schliesst jedoch keineswegs aus, den Protokollführer mit beratender Stimme an den Verhandlungen der BVK teilnehmen zu lassen.
d) Bei dieser Sachlage sind die Garantien von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK und
Art. 58 BV nicht gewährleistet, wenn ein Beamter der kantonalen Verwaltung, der gegenüber seinen Departementsvorgesetzten treuepflichtig und weisungsgebunden ist, als Sekretär der BVK eingesetzt wird. Zum einen erschienen bei einer solchen Regelung Loyalitätskonflikte unvermeidbar. Auf der anderen Seite könnte sie auch das notwendige Vertrauen der Rechtsuchenden in die richterliche Unabhängigkeit der BVK untergraben (vgl. auch
BGE 119 Ia 81 E. 3 S. 83 f. mit Hinweisen; EGMR vom 23. April 1987 i.S. Ettl et al. c. A, Série A, vol. 117, Ziff. 38; EGMR vom 22. Oktober 1984 i.S. Sramek c. A, Série A, vol. 84 Ziff. 41 f.).
Da die BVK nach bernischem Recht als Justizbehörde konstituiert ist, vermag auch der Beschwerdeweg an das kantonale Verwaltungsgericht die Verletzung von Art. 58 BV nicht zu heilen.
e) Aus diesen Erwägungen folgt, dass die Rüge der Verletzung von Art. 6 Ziff. 1 EMRK und Art. 58 BV begründet und die Beschwerde insofern gutzuheissen ist.