BGE 130 I 306
 
26. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung i.S. Helsana Versicherungen AG gegen Sanitätsdepartement des Kantons Basel-Stadt (staatsrechtliche Beschwerde)
 
5P.74/2004 vom 31. August 2004
 
Regeste
Spitaltarifordnung; Privatpatiententarife.
 
Sachverhalt


BGE 130 I 306 (307):

A. Im Kantonsblatt vom 21. Januar 2004 hat das Sanitätsdepartement des Kantons Basel-Stadt die Tarifordnung für die staatlichen Spitäler vom 24. Dezember 2003 publiziert.
Diese sieht im II. Kapitel u.a. Folgendes vor:
    1. In Akutkliniken des Kantonsspitals betragen die Tarife für
    a) Patienten mit Wohnsitz im Kanton Basel-Stadt Fr. 497.- in der allgemeinen, Fr. 520.- in der halbprivaten und Fr. 598.- in der privaten Abteilung,
    b) Patienten mit Wohnsitz in anderen Kantonen Fr. 658.- in der allgemeinen, Fr. 688.- in der halbprivaten und Fr. 789.- in der privaten Abteilung,
    c) Patienten mit Wohnsitz im Ausland Fr. 739.- in der allgemeinen, Fr. 769.- in der halbprivaten und Fr. 800.- in der privaten Abteilung,
    d) gesunde Säuglinge Fr. 40.- in der allgemeinen, Fr. 90.- in der halbprivaten und Fr. 120.- in der privaten Abteilung, wobei sich der Tarif nach der Spitalabteilung der Mutter richtet.
    2. In geriatrischen Kliniken betragen die Tarife für
    a) Patienten mit Wohnsitz im Kanton Basel-Stadt Fr. 380.- in der allgemeinen, Fr. 397.- in der halbprivaten und Fr. 457.- in der privaten Abteilung,
    b) Patienten mit Wohnsitz in anderen Kantonen Fr. 390.- in der allgemeinen, Fr. 417.- in der halbprivaten und Fr. 477.- in der privaten Abteilung,
    c) Patienten mit Wohnsitz im Ausland Fr. 400.- in der allgemeinen, Fr. 427.- in der halbprivaten und Fr. 487.- in der privaten Abteilung.
    3. In der psychiatrischen Universitätsklinik betragen die Tarife für
    a) Patienten mit Wohnsitz im Kanton Basel-Stadt Fr. 310.- in der allgemeinen, Fr. 505.- in der halbprivaten und Fr. 600.- in der privaten Abteilung,
    b) Patienten mit Wohnsitz in anderen Kantonen Fr. 550.- in der allgemeinen, Fr. 620.- in der halbprivaten und Fr. 730.- in der privaten Abteilung,


    BGE 130 I 306 (308):

    c) Patienten mit Wohnsitz im Ausland Fr. 580.- in der allgemeinen, Fr. 710.- in der halbprivaten und Fr. 855.- in der privaten Abteilung.
Im III. Kapitel, das Einzelleistungen betrifft, sieht die Tarifordnung u.a. Folgendes vor:
    1. Als Einzelleistungen zu verrechnende medizinische Leistungen im Sinn von § 7 der Spitaltarifverordnung sind:
    1. Medizinische Leistungen:
    a) ärztliche Leistungen stationär laut Spitalleistungskatalog (Pos. 1000-3999 SLK, beziehungsweise bei fehlenden SLK-Positionen nach entsprechenden Tarmed-Positionen);
    b) ärztliche Leistungen ambulant gemäss Tarmed-Tarif.
    2. Arzthonorare für stationäre Behandlungen gemäss § 7 Abs. 3 der Spitaltarifverordnung werden auf der Grundlage des Spitalleistungskataloges und eines allfälligen Zusatzkataloges basierend auf dem durch die Medizinaltarifkommission UVG und H+ (die Spitäler der Schweiz) jeweils vereinbarten Taxpunktwertes verrechnet. Für das Arzthonorar wird auf den Spitalleistungskatalog bzw. bei fehlenden SLK-Positionen auf den Tarmed-Taxpunktwert und den Zusatzkatalog bzw. gemäss Halbprivatvereinbarung ein Zuschlag festgelegt:
    - bei Honoraren für stationäre Halbprivatpatienten: 100 %, bzw. gemäss Halbprivatvereinbarung,
    - bei Honoraren für stationäre Privatpatienten: 120 bis 170 %,
    - bei Honoraren für ambulante Privatbehandlungen: 50 %, vorbehalten bleiben Tarifschutzbestimmungen des KVG bzw. UVG.
B. Gegen diese Tarifordnung hat die Helsana Versicherungen AG am 20. Februar 2004 mit Bezug auf die Tarife und Honorare für Privatpatienten eine staatsrechtliche Beschwerde eingereicht. Sie verlangt die Aufhebung der Tarifordnung, eventualiter die Aufhebung von Ziff. 1.1 und 2 des III. Kapitels bzw. subeventualiter von Ziff. 2 des III. Kapitels. In ihrer Vernehmlassung vom 20. April 2004 hat das Sanitätsdepartement auf Abweisung der Beschwerde geschlossen, soweit darauf einzutreten sei.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
 
Aus den Erwägungen:
1. Gegen kantonale Erlasse kann beim Bundesgericht innert 30 Tagen seit der nach kantonalem Recht massgebenden Eröffnung (Art. 89 Abs. 1 OG) Beschwerde wegen Verletzung

BGE 130 I 306 (309):

verfassungsmässiger Rechte der Bürger geführt werden (Art. 84 Abs. 1 lit. a OG). Als Eröffnung gilt die Publikation des Erlasses mit der Feststellung, dass dieser zu Stande gekommen ist und damit in Kraft treten kann (BGE 130 I 82 E. 1.2 S. 84; BGE 119 Ia 321 E. 3a S. 325; BGE 114 Ia 221 E. 1a S. 222). Vorliegend erfolgte die Publikation am 21. Januar 2004 mit dem Hinweis, dass der Tarif auf den 1. Januar 2004 in Kraft getreten sei.
Zur staatsrechtlichen Beschwerde ist legitimiert, wer durch den Erlass unmittelbar oder virtuell (d.h. mit einer minimalen Wahrscheinlichkeit früher oder später einmal) in seinen rechtlich geschützten Interessen betroffen ist (Art. 88 OG; BGE 130 I 26 E. 1.2.1 S. 30; BGE 125 I 71 E. 1b/aa S. 75; BGE 125 II 440 E. 1c S. 442). Diese können entweder durch kantonales oder eidgenössisches Gesetzesrecht oder unmittelbar durch ein Grundrecht geschützt sein; zur Geltendmachung bloss tatsächlicher Interessen oder allgemeiner öffentlicher Interessen steht das Rechtsmittel der staatsrechtlichen Beschwerde hingegen nicht zur Verfügung (BGE 126 I 81 E. 3b S. 85; BGE 123 I 41 E. 5b S. 42 f. und E. 5c/ff S. 45; BGE 122 I 44 E. 2b S. 45 f.). Als gesamtschweizerisch tätiger Krankenversicherer ist die Beschwerdeführerin sowohl im System des Tiers payant als auch in demjenigen des Tiers garant unmittelbar, jedenfalls aber virtuell betroffen. Sie macht eine Verletzung des Tarifschutzes gemäss Art. 44 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (KVG; SR 832.10) geltend und rügt in diesem Zusammenhang eine Verletzung des Grundsatzes der derogatorischen Kraft des Bundesrechts (Art. 49 Abs. 1 BV), der auch unter der Herrschaft der neuen Bundesverfassung als selbständiges verfassungsmässiges Individualrecht angerufen werden kann (BGE 127 I 60 E. 4a S. 68; BGE 126 I 81 E. 5a S. 91, je mit Hinweis auf BBl 1997 I 216).
Die staatsrechtliche Beschwerde ist nur zulässig, soweit die behauptete Rechtsverletzung nicht sonst wie durch Klage oder Rechtsmittel bei einer andern Bundesbehörde gerügt werden kann (Art. 84 Abs. 2 OG). Die Beschwerde an den Bundesrat gemäss Art. 47 i.V.m. Art. 53 Abs. 1 KVG ist vorliegend nicht gegeben, weil das KVG nur die obligatorische Krankenpflegeversicherung regelt (vgl. Art. 1a Abs. 1 KVG). Die staatsrechtliche Beschwerde richtet sich jedoch gegen die festgesetzten Privattarife, die allein auf § 6 bzw. 7 der kantonalen Verordnung betreffend die Festlegung der Tarife und Taxen der staatlichen Spitäler (Spitaltarifverordnung; GS 331.800) beruhen.
Auf die staatsrechtliche Beschwerde ist somit einzutreten.


BGE 130 I 306 (310):

2. Die Beschwerdeführerin macht geltend, nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung dürften sowohl im stationären als auch im ambulanten Bereich nur echte Mehrleistungen mit Zusatzversicherungen abgedeckt werden.
Das KVG garantiert innerhalb örtlicher Grenzen jedem Versicherten die freie Wahl des Leistungserbringers (vgl. Art. 41 KVG; BBl 1992 I 168 f.). Hingegen statuiert es, abgesehen von Notfällen, keine Behandlungspflicht für Ärzte, weshalb im stationären Bereich faktisch nur Patienten mit einer Zusatzversicherung die freie Arztwahl haben (CONTI, Zusatzhonorar des Arztes und KVG, in: AJP 2001 S. 1148 ff., insb. S. 1152). Privatpatienten wünschen sich regelmässig die Behandlung durch einen Chef- oder Belegarzt. Das Sanitätsdepartement weist in seiner Vernehmlassung denn auch zutreffend darauf hin, dass die Beschwerdeführerin mit eben diesem Argument für den Abschluss ihrer Zusatzversicherung (privat) wirbt.
Die freie Arztwahl für Zusatzversicherte im stationären Bereich führt dazu, dass Chefärzte - für die Spitalträger mit entsprechenden Kostenfolgen - insbesondere bei den Privatpatienten zahlreiche Leistungen erbringen, für die sie eigentlich überqualifiziert sind, sei es, weil sie bei allgemeinversicherten Patienten einfachere Behandlungen von vornherein nicht selbst durchführen würden, sei es,

BGE 130 I 306 (311):

dass sie im Vorfeld und im Nachgang zu einer komplizierten Behandlung, die als solche einen Spezialisten erfordert, zahlreiche Handlungen persönlich vornehmen, die im Normalfall an Assistenzärzte oder das Pflegepersonal delegiert würden. Es darf zudem als notorisch bezeichnet werden, dass Privatpatienten andere Erwartungen an den behandelnden Arzt stellen und dieser beispielsweise häufiger als medizinisch indiziert Sprechstunden abhält oder Visitationen vornimmt (vgl. zum Ganzen: KIESER, Die Bedeutung des krankenversicherungsrechtlichen Tarifschutzes im stationären Bereich, in: SZS 2003 S. 419 ff., insb. S. 427; KUHN, Zu Zusatzrechnungen bei ärztlichen Zusatzleistungen, in: Schweizerische Ärztezeitung [SAeZ] 2000 S. 77 ff., insb. S. 80).
Die freie Arztwahl im stationären Bereich stellt damit eine ganz erhebliche Mehrleistung dar, die weit über die obligatorische Krankenversicherung hinausgeht. Der Tarifschutz gemäss Art. 44 KVG beschränkt sich hier darauf, dass der Versicherer nach KVG jene Kosten übernehmen muss, welche sich ergeben würden, wenn der Versicherte in der allgemeinen Abteilung behandelt worden wäre (sog. Austauschbefugnis; vgl. MAURER, Das neue Krankenversicherungsrecht, Basel 1996, S. 81 unten; CONTI, a.a.O., S. 1152). Ein Honorarzuschlag bei stationären Privatpatienten ist somit gerechtfertigt, zumal Privatpatiententarife im stationären Bereich die Rechte und Behandlungsmöglichkeiten der allgemeinversicherten Personen nicht beeinträchtigen (vgl. EUGSTER, Krankenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht, Loseblattsammlung, Basel 1998, N. 325 und Fn. 785). Entgegen der Behauptung der Beschwerdeführerin bedarf die erwähnte Mehrleistung in der Tarifordnung auch keiner näheren Umschreibung, darf doch ihr Inhalt - wie der Anspruch auf ein Einzelzimmer bei den Tagesteilpauschalen - als allgemein bekannt vorausgesetzt werden.
Wenn sich die Beschwerdeführerin auf diese Rechtsprechung beruft, übersieht sie, dass in der angefochtenen Tarifordnung für den Honorarzuschlag bei ambulanten Behandlungen die Tarifschutzbestimmungen des KVG und UVG vorbehalten sind. Ihre Rüge, die Tarifordnung sei diesbezüglich nicht mit Art. 44 KVG vereinbar, stösst deshalb ins Leere. Das Sanitätsdepartement führt in seiner Vernehmlassung denn auch aus, dass der 50%ige Honorarzuschlag auf Grund des Vorbehalts selbstverständlich nur für Personen gelten könne, die von ihrem Wohnsitz her bei Behandlungen in der Schweiz nicht dem Geltungsbereich des KVG unterstünden.