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Original
 
Urteilskopf

139 I 206


20. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Amt für Migration und Personenstand und Kantonales Zwangsmassnahmengericht des Kantons Bern (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
2C_598/2013 vom 22. Juli 2013

Regeste

Art. 5 Ziff. 1 lit. f und Ziff. 4 EMRK; Art. 29 und 29a BV; Art. 13 und 15 Richtlinie 2008/115/EG; Art. 81 Abs. 1 und Art. 76 Abs. 4 AuG; Anfechtung eines ausländerrechtlichen Haftentscheids, wenn dieser durch einen Verlängerungsentscheid ersetzt worden ist; Tragweite des ausländerrechtlichen Beschleunigungsgebots; Verfahrensgarantien.
Dauert die ausländerrechtliche Festhaltung aufgrund eines neuen kantonalen Haftentscheids fort, welcher auf der gleichen rechtlichen und tatsächlichen Grundlage wie der beim Bundesgericht angefochtene beruht, tritt das Bundesgericht auf die bei ihm hängige Beschwerde ein (E. 1).
Das Beschleunigungsgebot gilt in der Regel als verletzt, wenn von den Behörden während zweier Monate keine zielgerichteten Massnahmen getroffen werden, die Identität des Betroffenen festzustellen und dessen Ausschaffung aktiv voranzutreiben; dabei spielt keine Rolle, welche Behörde (Bund oder Kanton) die Verzögerung zu verantworten hat (E. 2).
Zusammenfassung der Rechtsprechung zu den verfahrensrechtlichen Garantien: Anspruch auf unentgeltlichen Rechtsbeistand, Akteneinsicht, Protokollierungspflicht und Anwesenheit eines Vertreters der Migrationsbehörde an der Haftverhandlung (E. 3).

Sachverhalt ab Seite 207

BGE 139 I 206 S. 207

A. X. (geb. 1984) ist vermutlich tunesischer Staatsangehöriger, will aber nach eigenen Angaben aus Libyen stammen. Das Bundesamt für Migration trat am 7. September 2012 auf sein Asylgesuch nicht ein (...) und wies ihn weg. Vom 3. bis zum 23. August 2012 und vom 7. Dezember 2012 bis zum 20. Februar 2013 galt er als verschwunden.
BGE 139 I 206 S. 208

B. Am 20. Februar 2013 wurde X. in einem Durchgangszentrum angehalten und in Ausschaffungshaft genommen. Das Kantonale Zwangsmassnahmengericht des Kantons Bern prüfte und bestätigte diese am 21. Februar 2013 bis zum 19. Mai 2013. Am 17. Mai 2013 genehmigte es die Verlängerung der Haft bis zum 19. August 2013. Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern hiess die hiergegen gerichtete Beschwerde am 20. Juni 2013 teilweise gut und hob den Entscheid des Kantonalen Zwangsmassnahmengerichts vom 17. Mai 2013 insofern auf, als es die Ausschaffungshaft nur bis zum 25. Juni 2013 gestattete. Am 25. Juni 2013 bewilligte das Kantonale Zwangsmassnahmengericht eine weitere Verlängerung der Haft bis zum 19. August 2013. Hiergegen ist X. erneut an das Verwaltungsgericht des Kantons Bern gelangt. Dessen Entscheid steht noch aus. (...)
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde von X. gut, hebt das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 20. Juni 2013 auf und ordnet an, dass X. unverzüglich aus der Haft zu entlassen sei.
(Auszug)

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

1.

1.1 Nach Art. 89 Abs. 1 BGG ist zur Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten nur legitimiert, wer ein schutzwürdiges Interesse an der Beurteilung seiner Eingabe hat (lit. c). Dieses muss nicht nur bei der Beschwerdeeinreichung, sondern auch noch im Zeitpunkt der Urteilsfällung aktuell und praktisch sein (vgl. BGE 123 II 285 E. 4 S. 286 f.). Fällt das schutzwürdige Interesse im Laufe des Verfahrens dahin, wird die Sache als erledigt erklärt; fehlte es schon bei der Beschwerdeeinreichung, ist auf die Eingabe nicht einzutreten (BGE 137 I 23 E. 1.3 mit Hinweisen). Das Bundesgericht verzichtet ausnahmsweise auf das Erfordernis des aktuellen praktischen Interesses, wenn sich die aufgeworfenen Fragen unter gleichen oder ähnlichen Umständen jederzeit wieder stellen können, eine rechtzeitige Überprüfung im Einzelfall kaum je möglich wäre und die Beantwortung wegen deren grundsätzlicher Bedeutung im öffentlichen Interesse liegt (BGE 136 II 101 E. 1.1 S. 103; BGE 135 I 79 E. 1.1 S. 81).

1.2

1.2.1 Der Beschwerdeführer befand sich gestützt auf die dem angefochtenen Entscheid zugrunde liegende richterliche Haftprüfung
BGE 139 I 206 S. 209
bis zum 25. Juni 2013 in Ausschaffungshaft; seine Festhaltung seit diesem Zeitpunkt beruht formell auf dem Haftverlängerungsentscheid vom gleichen Tag, der seinerseits noch nicht rechtskräftig ist und Gegenstand eines neuen Beschwerdeverfahrens vor dem Verwaltungsgericht bildet. Zwar ist das Bundesgericht in seiner bisherigen Rechtsprechung davon ausgegangen, dass das bundesgerichtliche Verfahren, vorbehältlich besonderer Situationen, dahinfällt, wenn die Haft gestützt auf einen neuen, seinerseits wieder anfechtbaren Haftentscheid fortbesteht (vgl. Urteil 2C_386/2010 vom 1. Juni 2010 E. 1.2); diese Fälle sind jedoch zu präzisieren: Das Bundesgericht tritt - trotz Haftentlassung - auf Beschwerden gegen die Genehmigung der ausländerrechtlichen Festhaltung durch den Haftrichter bzw. den entsprechenden kantonalen Rechtsmittelentscheid ein, wenn der Betroffene rechtsgenügend begründet (Art. 42 BGG) und in vertretbarer Weise ("griefs défendables") die Verletzung einer Garantie der EMRK rügt (vgl. Urteil 2C_548/2011 vom 26. Juli 2011 E. 1-4.4 unter Hinweis auf BGE 137 I 296 ff. und BGE 136 I 274 ff.). Die freiheitsentziehenden ausländerrechtlichen Zwangsmassnahmen fallen in den Anwendungsbereich von Art. 5 und Art. 13 EMRK (vgl. Urteil des EGMR Jusic gegen Schweiz vom 2. Dezember 2010 [Nr. 4691/06], §§ 67 ff.) bzw. der von der Schweiz im Rahmen des Schengen-Besitzstands übernommenen sog. "Rückführungsrichtlinie" (Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rats vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger, ABl. L 348 vom 24. Dezember 2008 S. 98 ff.; vgl. zu deren Tragweite etwa Urteile 2C_168/2013 vom 7. März 2013 E. 3.2 und 2C_749/2012 vom 28. August 2012 E. 3.1.2).

1.2.2 Diese Regelungen setzen die Möglichkeit einer wirksamen nationalen Beschwerde voraus (vgl. MARTIN SCHIEFFER, Termination of Residence, in: EU Immigration and Asylum Law, Commentary, Kay Hailbronner [Hrsg.], 2010, S. 1489 ff., dort N. 4 zu Art. 13 bzw. N. 7 ff. zu Art. 15 der Richtlinie 2008/115/EG; Urteil 2C_749/2012 vom 28. August 2012 E. 3.1.2 in fine), wozu nach dem nationalen Recht (BGG) auch der Zugang zum Bundesgericht zählt. Prüft dieses - wie dargelegt - die konventions- und verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Zwangsmassnahmen heute unter Umständen auch nach einer Haftentlassung, muss das auch gelten, wenn der Betroffene sich gestützt auf einen inzwischen ergangenen Verlängerungsentscheid weiterhin in derselben Haft befindet. Heisst das
BGE 139 I 206 S. 210
Bundesgericht die Beschwerde gegen den bei ihm angefochtenen Entscheid gut, wird in den meisten Fällen der Haftverlängerung die Grundlage entzogen, womit der Betroffene früher eine Haftentlassung erwirken kann, als wenn er erst erneut den - wie im Kanton Bern - unter Umständen zweistufigen Rechtsweg (vgl. BGE 135 II 94 ff.) zu beachten hat. Je nach verfahrensrechtlicher Ausgestaltung des kantonalen Rechts, der Auslastung der Beschwerdeinstanz und der verfügten Haftdauer könnte dem Betroffenen im unglücklichsten Fall dauernd der Zugang zum Bundesgericht vereitelt bleiben, da der im Rahmen des Bundesgerichtsgesetzes anfechtbare Entscheid immer wieder durch einen neuen kantonalen Verlängerungsentscheid ersetzt würde, bevor das Bundesgericht entscheiden könnte (vgl. etwa die Regelung der erstmals auf einen Monat beschränkten Durchsetzungshaft: Art. 78 Abs. 2 AuG [SR 142.20]; siehe auch Urteil 2C_386/2010 vom 1. Juni 2010 E. 1.2). Dies wäre mit den allgemeinen Verfahrensgarantien (Art. 29 BV) bzw. der Rechtsweggarantie (Art. 29a BV), wie sie der Bundesgesetzgeber im BGG umgesetzt hat, sowie mit dem Erfordernis eines wirksamen (nationalen) Rechtswegs für eine einheitliche Auslegung und Anwendung der bundesrechtlichen Normen nicht vereinbar.

1.2.3 Dauert die ausländerrechtliche Festhaltung fort, hält bei einem vor oder im bundesgerichtlichen Verfahren ergangenen kantonalen Verlängerungsentscheid, der auf der gleichen rechtlichen wie tatsächlichen Grundlage wie der beim Bundesgericht angefochtene Haft(verlängerungs)entscheid ergangen ist, das schutzwürdige Interesse der betroffenen Person an und ist auf ihre Eingabe einzutreten, falls sich im bundesgerichtlichen Verfahren - wie hier - in materiell- wie verfahrensrechtlicher Hinsicht Fragen von grundsätzlicher Bedeutung stellen, die im öffentlichen Interesse zu beantworten sind, wobei eine rechtzeitige Überprüfung im Einzelfall wegen der Dauer der kantonalen Verfahren bzw. der jeweils genehmigten Verlängerung der Festhaltung kaum möglich wäre (vgl. Urteile 2C_386/2010 vom 1. Juni 2010 E. 1.2 [Ausschaffungshaft] und 1B_79/2013 vom 13. März 2013 E. 1.1 [Untersuchungshaft]; THOMAS HUGI YAR, § 10 Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht, in: Ausländerrecht, Uebersax/Rudin/Hugi Yar/Geiser [Hrsg.], 2. Aufl. 2009, N. 10.126 Fn. 336). Da der Beschwerdeführer sich nach wie vor in derselben, auf der gleichen rechtlichen und tatsächlichen Grundlage beruhenden Ausschaffungshaft befindet und er ein schutzwürdiges Interesse an der Beurteilung seiner Beschwerde hat, ist auf diese
BGE 139 I 206 S. 211
einzutreten, obwohl sie erst am 28. Juni 2013 und damit nach Ablauf der genehmigten Haftdauer eingereicht worden ist.

2.

2.1 Der Beschwerdeführer macht in materieller Hinsicht ausschliesslich geltend, die für die Ausschaffung zuständigen Behörden hätten das Beschleunigungsgebot verletzt; die anderen Haftvoraussetzungen stellt er nicht infrage. Nach Art. 76 Abs. 4 AuG sind die für den Vollzug der Weg- oder Ausweisung notwendigen Vorkehren umgehend zu treffen. Gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung gilt das Beschleunigungsgebot als verletzt, wenn während mehr als zwei Monaten keinerlei Vorkehren mehr im Hinblick auf die Ausschaffung getroffen wurden (Untätigkeit der Behörden), ohne dass die Verzögerung in erster Linie auf das Verhalten ausländischer Behörden oder des Betroffenen selber zurückgeht (BGE 124 II 49 E. 3a S. 51 mit Hinweisen; bestätigt in den Urteilen 2C_285/2013 vom 23. April 2013 E. 5.1 und 2C_804/2008 vom 5. Dezember 2008 E. 4). Die Behörden sind gestützt auf das Beschleunigungsgebot nicht gehalten, in jedem Fall schematisch bestimmte Handlungen vorzunehmen. Umgekehrt müssen die angerufenen Vorkehrungen zielgerichtet sein; sie haben darauf ausgelegt zu sein, die Ausschaffung voranzubringen. Die Frist von zwei Monaten ist nicht als Freibrief dafür zu verstehen, dass nach Anordnung der Ausschaffungshaft nichts getan werden müsste oder auf die erfolgversprechendsten Vorkehrungen verzichtet werden könnte. Das Bundesgericht hat das Beschleunigungsgebot in einem Fall als verletzt erachtet, in dem während dreier Monate mit den Behörden des Landes, aus dem der Betroffene stammen wollte, kein Kontakt aufgenommen und während rund sechs Wochen überhaupt nichts vorgekehrt worden war (so Urteil 2A.115/2002 vom 19. März 2002 E. 3c-e).

2.2 In Übereinstimmung mit der Auffassung des Beschwerdeführers ist davon auszugehen, dass die Behörden im vorliegenden Fall zu lange untätig geblieben sind: Der Migrationsdienst des Kanton Bern führte am 25. März 2013, d.h. erst einen Monat nach der Inhaftierung, ein Ausreisegespräch mit dem Beschwerdeführer durch, dies, obwohl er nach Angaben des Dienstes selber "gut französisch" spricht. Weshalb die Rekrutierung eines Dolmetschers für dieses Gespräch "einige Zeit" in Anspruch genommen haben soll, ist nicht nachvollziehbar. Der Beschwerdeführer hat immer erklärt, nicht bereit zu sein, freiwillig in seinen Heimatstaat zurückzukehren, was sich im Ausreisegespräch lediglich bestätigt hat. Das Gesuch um
BGE 139 I 206 S. 212
Vollzugsunterstützung durch das Bundesamt reichte der Migrationsdienst erst am 28. März 2013 ein, d.h. wiederum über einen Monat nach der Inhaftierung des Beschwerdeführers, obwohl dies bei Berücksichtigung des im Asylverfahren erstellten Lingua-Gutachtens von Anfang an die erfolgversprechendste Massnahme gewesen wäre, zumal bekannt ist, dass die Organisation unfreiwilliger Rückführungen nach Tunesien zeitintensiv ist. Vor dem Antrag auf Haftverlängerung erkundigten sich die kantonalen Behörden beim Bundesamt nach dem Verfahrensstand, worauf dieses mitteilte, dass am 22. Mai 2013 bei der tunesischen Botschaft ein Antrag auf Identifizierung des Beschwerdeführers eingereicht werde. Dieser befand sich somit vom 20. Februar 2013 bis zum 22. Mai 2013 in Haft, bis die Behörden erstmals die naheliegendste und erfolgversprechendste Massnahme ergriffen und bei der von ihnen seit dem Asylverfahren als zuständig erachteten tunesischen Behörde eine Identitätsabklärung eingeleitet haben.

2.3 Das Bundesgericht hat zwar festgehalten, dass Verzögerungen, die auf eine fehlende Kooperation des Ausländers zurückgehen, den Behörden nicht entgegengehalten werden können, doch setzt dies voraus, dass die Behörden nicht - wie hier - ihrerseits untätig geblieben sind; die Ausschaffungshaft verlangt im Rahmen von Art. 5 Ziff. 1 lit. f EMRK ein ernsthaft und mit Nachdruck vorangetriebenes hängiges Wegweisungsverfahren (vgl. Art. 15 Ziff. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115/EG). Die Mitwirkung des Beschwerdeführers hätte - wie die kantonalen Behörden geltend machen - das Verfahren zwar vereinfacht; dies genügt indessen nicht, um untätig bleiben, mit der Anfrage an die zuständige Botschaft über Monate zuwarten und den Betroffenen in Ausschaffungshaft behalten zu können. Welche schweizerische Behörde (Kanton oder Bund) die Verzögerung zu verantworten hat, ist dabei unerheblich (vgl. HUGI YAR, a.a.O., N. 10.100 mit Hinweisen). Die Vollzugsbehörden dürfen nicht untätig bleiben; sie müssen versuchen, die Identität der ausländischen Person festzustellen und die für ihre Ausschaffung erforderlichen Papiere auch ohne deren Mitwirkung zügig zu beschaffen (HUGI YAR, a.a.O., N. 10.101 und Fn. 281).

2.4 Die Verletzung des Beschleunigungsgebots führt in der Regel zur Haftentlassung, selbst wenn vom Betroffenen ein gewisses Sicherheitsrisiko ausgehen sollte (vgl. Urteil 2A.115/2002 vom 19. März 2002 E. 4a; HUGI YAR, a.a.O., N. 10.103 mit weiteren Hinweisen in Fn. 294; TARKAN GÖKSU, in: Bundesgesetz über die Ausländerinnen
BGE 139 I 206 S. 213
und Ausländer [AuG], Caroni/Gächter/Thurnherr [Hrsg.], 2010, N. 23 zu Art. 76 AuG). Die Ausschaffungshaft dient als Administrativmassnahme der Sicherung des Vollzugs der Wegweisung und hat keinen strafrechtlich präventiven Hintergrund (vgl. HUGI YAR, a.a.O., N. 10.103). Im Übrigen ginge vom Beschwerdeführer keine qualifizierte Gefahr aus: Wohl ist er verschiedentlich in der Drogenszene aufgegriffen worden, konsumierte Cannabis und handelte als Kleindealer mit solchem. Dies genügt indessen nicht, um über die Verletzung des Beschleunigungsgebots durch die zuständigen Ausländerrechtsbehörden (Migrationsdienst, BFM) hinwegzusehen (vgl. zu den Verfahrensgarantien: Urteil 2C_1089/2012 vom 22. November 2012 E. 4). Den Behörden ist es unbenommen, dem Beschwerdeführer gegenüber eine Ein- oder Ausgrenzung anzuordnen (Art. 74 Abs. 1 lit. a und b AuG). Zweck dieser Massnahme ist es, den Verbleib der ausländischen Person zu kontrollieren sowie ihre Verfügbarkeit für die Vorbereitung und Durchführung der Ausschaffung weiterhin sicherzustellen (ANDREAS ZÜND, in: Migrationsrecht, Spescha/Thür/Zünd/Bolzli [Hrsg.], 3. Aufl. 2012, N. 5 zu Art. 74 AuG). Sie ist milderes Mittel zum ausländerrechtlich begründeten Freiheitsentzug und kann und darf analog diesem auch eine gewisse Druckwirkung zur Durchsetzung der Ausreisepflicht entfalten. Die Missachtung einer Ein- oder Ausgrenzung kann mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder einer Geldstrafe geahndet werden (Art. 119 AuG; vgl. Urteile 2C_1044/2012 vom 5. November 2012 E. 3.1 und 2C_1089/2012 vom 22. November 2012 E. 5).

3. Da die Beschwerde bereits wegen der Verletzung des Beschleunigungsgebots gutzuheissen ist, erübrigt es sich, auf die formellen Rügen im Einzelnen einzugehen. Es genügt in diesem Zusammenhang, den kantonalen Behörden die bundesgerichtliche Praxis in Erinnerung zu rufen:

3.1 Der inhaftierte Ausländer hat Anspruch darauf, mit dem von ihm bezeichneten Rechtsvertreter mündlich und schriftlich zu verkehren (Art. 81 Abs. 1 AuG). Ist er im Verfahren vor dem Haftrichter nicht vertreten, weil die Behörden nichts unternommen haben, um ihm den Kontakt zu ermöglichen, bzw. weil sie seinen Anwalt nicht über die Festhaltung oder den Hafttermin informiert haben, verletzt dies den Anspruch auf rechtliches Gehör (so Urteile 2A.236/2002 vom 27. Mai 2002 E. 2 und 3, in: Pra 2002 Nr. 142 S. 769 ff.; 2A.346/2006 vom 4. Juli 2006 E. 4.1; 2C_334/2008 vom 30. Mai 2008 E. 4; HUGI YAR, a.a.O., N. 10.40).
BGE 139 I 206 S. 214

3.2 Eine wirksame Vertretung setzt voraus, dass der Betroffene oder sein Rechtsvertreter die Möglichkeit erhält, die Verhandlung vorzubereiten, was nur realistisch erscheint, wenn ein allfälliges Akteneinsichtsgesuch prioritär geprüft und die Unterlagen dem Rechtsvertreter möglichst umgehend zur Verfügung gestellt werden. Dieser muss rechtzeitig zumindest in diejenigen Akten Einsicht nehmen können, welche als Grundlage des Entscheids dienen sollen (vgl. Urteile 2C_756/2009 vom 15. Dezember 2009 E. 1.2 und 2A.294/2002 vom 3. Juli 2002 E. 2). Es ist im Verfahren der Haftprüfung trotz Zeitdrucks Aufgabe des Haftrichters, sicherzustellen, dass die Rechte des Inhaftierten gewahrt bleiben (vgl. Urteil 2C_168/2013 vom 7. März 2013 E. 2.2; HUGI YAR, a.a.O., S. 435 N. 10.24 und 10.25).

3.3

3.3.1 Die bedürftige Partei hat gestützt auf Art. 29 Abs. 3 Satz 2 BV einen Anspruch darauf, dass ihr auf Gesuch hin ein unentgeltlicher Rechtsvertreter bestellt wird, falls dies zur Wahrung ihrer Rechte notwendig erscheint; nach Art. 31 Abs. 2 Satz 2 BV muss jede Person, welcher die Freiheit entzogen wird, die Möglichkeit haben, ihre Rechte - in einer den Umständen angemessenen, wirksamen Weise - geltend zu machen. Das Erfordernis der fehlenden Aussichtslosigkeit ist bei einem Freiheitsentzug von einer gewissen Intensität bzw. Dauer im Hinblick hierauf jeweils sachgerecht zu relativieren und das Kriterium der Erfolgsaussichten differenziert zu handhaben (BGE 134 I 92 E. 3.2.3). Das Bundesgericht hat in diesem Zusammenhang festgestellt, dass dem Ausländer bei der Haftverlängerung nach drei Monaten bzw. einer Haftanordnung von über drei Monaten eine schwere Freiheitsbeschränkung droht, die für ihn mit rechtlichen und tatsächlichen Schwierigkeiten verbunden ist, denen er - auf sich selber gestellt - mangels Kenntnis der Sprache und der hiesigen Verhältnisse nicht gewachsen erscheint. Es ist ihm in dieser Situation selbst in "einfachen" Fällen kaum möglich, das administrative Haftverlängerungsverfahren ohne anwaltliche Hilfe zu verstehen. Die wirksame Geltendmachung seiner Rechte setzt deshalb spätestens in diesem Verfahrensabschnitt voraus, dass einem Antrag auf unentgeltliche Verbeiständung entsprochen wird (BGE 134 I 92 E. 3.2.2 und 3.2.3; Urteil 2C_332/2012 vom 3. Mai 2012 E. 2.3 mit Hinweisen).

3.3.2 Das Gleiche ergibt sich aus Art. 5 Ziff. 4 EMRK: Im Rahmen dieser Bestimmung sind dem Inhaftierten die der Haftart
BGE 139 I 206 S. 215
angepassten grundlegenden Rechte zu gewähren; das richterliche Prüfungsverfahren muss "fair" sein. Der Betroffene hat das Recht, sich selber zu vertreten, sich durch den Anwalt seiner Wahl vertreten zu lassen oder die Bestellung eines unentgeltlichen Vertreters zu verlangen, wenn er bedürftig ist und seine Verbeiständung "im Interesse der Rechtspflege erforderlich" erscheint (so auch Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK für den Strafprozess; BGE 134 I 92 E. 3.2.4). Entsprechende Anforderungen ergeben sich heute indirekt zudem aus der für die Schweiz ebenfalls massgebenden europäischen Rückführungsrichtlinie, die festhält, dass die von ihr betroffenen Drittstaatsangehörigen "rechtliche Beratung, rechtliche Vertretung und - wenn nötig - Sprachbeistand in Anspruch nehmen können" bzw. ihnen auf Antrag die erforderliche Rechtsberatung und/oder -vertretung gemäss dem einschlägigen Prozesskostenhilferecht (Art. 15 Ziff. 3-6 der Richtlinie 2005/85/EG) bereitzustellen ist (Art. 13 Ziff. 3 und 4 der Richtlinie 2008/115/EG; Urteil 2C_548/2011 vom 26. Juli 2011 E. 4).

3.4

3.4.1 Sollte der Beschwerdeführer - wie er geltend macht - vor dem Haftgericht um unentgeltliche Verbeiständung ersucht und ihm der Richter dargelegt haben, dass er einen Anwalt selber zu bezahlen hätte, wäre ihm damit rechtswidrig sein Anspruch auf Verbeiständung im Haftprüfungsverfahren verweigert worden. Die entsprechende Frage kann vorliegend nicht definitiv geklärt werden, weil das Zwangsmassnahmengericht zugestanden hat, dass es möglich sein könnte, dass er um einen Anwalt ersucht habe; das Protokoll enthalte praxisgemäss wegen der Vielzahl von Verfahren gewisse Vorformulierungen, welche im Einzelfall allenfalls zu relativieren seien. Es ist in diesem Zusammenhang in Erinnerung zu rufen, dass die Protokollierung nicht freigestellt ist. Das Ergebnis der Haftverhandlung, deren Ablauf und die gestellten Anträge sind gestützt auf Art. 29 Abs. 2 BV korrekt zu protokollieren. Nur in diesem Fall lässt sich der Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör wahren und ist es den Rechtsmittelinstanzen überhaupt möglich, den Haftgenehmigungsentscheid in der Folge sinnvoll auf seine Bundesrechtskonformität hin zu überprüfen (BGE 125 II 377 E. 1 S. 378; HUGI YAR, a.a.O., N. 10.24 mit weiteren Hinweisen). Zwar hat auch der ausländische Inhaftierte vor seiner Unterschrift die Richtigkeit des Protokolls zu kontrollieren, doch trägt der Haftrichter - bereits mit Blick auf die sprachlichen Kompetenzen - hierfür die Hauptverantwortung; ihn trifft aufgrund der spezifischen Situation
BGE 139 I 206 S. 216
ausländerrechtlich festgehaltener Personen diesbezüglich eine gewisse verfahrensrechtliche Fürsorgepflicht.

3.4.2 Der Beschwerdeführer kritisiert auch, dass im Haftprüfungsverfahren kein Vertreter des Migrationsamts anwesend gewesen sei, weshalb er keine Ergänzungsfragen habe stellen können. Ob in jedem Fall ein Vertreter der haftanordnenden Behörde der Verhandlung beiwohnen muss oder der Inhaftierte dies ausdrücklich zu beantragen hat, kann dahingestellt bleiben. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Haftprüfung durch den Richter ein kontradiktorisches Verfahren bildet. Nimmt die Ausländerbehörde nicht daran teil, trägt sie jedenfalls das Risiko, dass eine Haftentlassung oder eine Haftverkürzung erfolgt, wenn gewisse Punkte nicht abgeklärt werden können. Kein taugliches Abgrenzungskriterium wäre es, wenn der Migrationsdienst nur in Fällen vertreten wäre bzw. zur Verhandlung aufgeboten würde, in denen sich ein Anwalt eingeschaltet hat. Entscheidend müssen für den Haftrichter die materiellen Fragen oder allfällige Unklarheiten im konkreten Fall sein, nicht der Aspekt, ob der Betroffene mit oder ohne Anwalt erscheinen wird.

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