BGE 140 I 338
 
28. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Rechsteiner und Güggi gegen SWICA Krankenversicherung AG und Mitb. (Beschwerde in öffentlich- rechtlichen Angelegenheiten)
 
1C_372/2014 / 1C_373/2014 vom 4. September 2014
 
Wahrung der dreitägigen Beschwerdefrist für Abstimmungsbeschwerden im Kanton (Art. 77 Abs. 2 BPR).
 
Abstimmungsfreiheit, Beanstandung von Publikationen der Krankenversicherungen im Vorfeld der Abstimmung über die Initiative "Für eine öffentliche Krankenkasse" (Art. 34 Abs. 2 BV; Art. 1a und 13 Abs. 2 lit. a KVG).
 
Sie sind durch die Abstimmung über die Einheitskasse in qualifizierter Weise betroffen und deshalb nicht zur politischen Neutralität verpflichtet, sondern sie haben die Möglichkeit, im Abstimmungskampf ihren eigenen Standpunkt zu vertreten (E. 7.1). Dabei sind sie an die Grundsätze der Sachlichkeit (E. 7.3), der Verhältnismässigkeit (E. 7.4) und der Transparenz (E. 7.5) gebunden.
 
Vorliegend kann auf die Beschwerden überwiegend mangels substanziierter Begründung nicht eingetreten werden (E. 8). Im Übrigen sind die Beschwerden abzuweisen, weil die als unsachlich beanstandeten Beiträge weder einzeln noch zusammengenommen geeignet erscheinen, das Resultat der Abstimmung wesentlich zu beeinflussen (E. 9).
 
Sachverhalt


BGE 140 I 338 (339):

A. Am 28. September 2014 findet die eidgenössische Volksabstimmung über die Initiative "Für eine öffentliche Krankenkasse" statt (Bundesratsbeschluss vom 4. Juli 2014, publiziert im BBl 2014 5671 vom 22. Juli 2014).


BGE 140 I 338 (340):

B. Mit Schreiben vom 17. Juli 2014 erhob Rudolf Rechsteiner (Beschwerdeführer 1) beim Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt eine "Abstimmungsbeschwerde", die sich gegen Informationen zur Abstimmung in den Kundenmagazinen der SWICA Krankenversicherung AG, der Concordia Schweizerische Kranken- und Unfallversicherung AG, der Visana AG, der Mutuel Krankenversicherung AG (Beschwerdegegnerinnen 1-4), der CSS Krankenversicherung (Beschwerdegegnerin 5), der Helsana Versicherung AG und der Assura-Basis SA (Beschwerdegegnerinnen 6 und 7) richtete.
Bereits am 16. Juli 2014 (Poststempel) hatte Nils Güggi eine Abstimmungsbeschwerde desselben Inhalts beim Regierungsrat des Kantons Bern erhoben.
C. Mit Beschluss vom 24. Juli 2014 trat der Präsident des Regierungsrats Basel-Stadt auf die Abstimmungsbeschwerde nicht ein, weil es sich bei den Beschwerdegegnerinnen um überregional tätige Krankenversicherungen handle, deren Kundenmagazine nicht nur Stimmberechtigte im Kanton Basel-Stadt, sondern in der ganzen Schweiz erreichten. Für einen solchen kantonsübergreifenden Sachverhalt sei der Regierungsrat nicht zuständig.
Mit gleicher Begründung trat am 25. Juli 2014 auch der Regierungsrat des Kantons Bern auf die bei ihm erhobene Beschwerde nicht ein.
D. Dagegen erhoben Rudolf Rechsteiner und Nils Güggi in gesonderten Eingaben am 4. August 2014 Beschwerde wegen Verletzung politischer Rechte ans Bundesgericht.
Sie beantragen, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben. Es sei festzustellen, dass die Beschwerdegegnerinnen durch ihre nicht objektive und nicht sachliche Information im Vorfeld der eidgenössischen Abstimmung über die Volksinitiative "Für eine öffentliche Krankenkasse" die Abstimmungsfreiheit verletzt haben, und es seien die notwendigen Verfügungen und Anordnungen zur Behebung der im Rahmen des Beschwerdeverfahrens festgestellten Mängel zu treffen.
(...)
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
(Auszug)
 
Aus den Erwägungen:
4. Gemäss Art. 77 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 17. Dezember 1976 über die politischen Rechte (BPR; SR 161.1) ist die

BGE 140 I 338 (341):

Beschwerde innert drei Tagen seit der Entdeckung des Beschwerdegrundes einzureichen.
(...)
Im vorliegenden Fall besteht allerdings die Besonderheit, dass zum Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung (am 16. bzw. 17. Juli 2014) der Abstimmungstermin noch nicht amtlich publiziert war: Zwar hatte der Bundesrat bereits an der Sitzung vom 21. Mai 2014 über den Abstimmungstermin entschieden und am 16. Juni 2014 seine Empfehlungen zur Vorlage abgegeben. Der Beschluss des Bundesrats vom 4. Juli 2014, die Volksabstimmung über die Volksinitiative vom 23. Mai 2012 "Für eine öffentliche Krankenkasse" am 28. September 2014 anzusetzen, wurde aber erst im Bundesblatt Nr. 28 vom 22. Juli 2014 veröffentlicht. Es stellt sich daher die Frage, ob von den Stimmberechtigten verlangt werden kann, Unregelmässigkeiten mit Abstimmungsbeschwerde innert drei Tagen zu beanstanden, wenn der Abstimmungstermin noch nicht amtlich bekannt ist.
Die Frage kann offenbleiben, weil die Beschwerden - wie die nachfolgenden Ausführungen zeigen - abzuweisen sind.
5. Die in der Bundesverfassung verankerte Garantie der politischen Rechte (Art. 34 Abs. 1 BV) schützt die freie Willensbildung und die

BGE 140 I 338 (342):

unverfälschte Stimmabgabe (Art. 34 Abs. 2 BV). Geschützt wird namentlich das Recht der aktiv Stimmberechtigten, weder bei der Bildung noch bei der Äusserung des politischen Willens unter Druck gesetzt oder in unzulässiger Weise beeinflusst zu werden (BGE 130 I 290 E. 3.1; BGE 129 I 185 E. 5 S. 192). Sie sollen ihre politische Entscheidung gestützt auf einen gesetzeskonformen sowie möglichst freien und umfassenden Prozess der Meinungsbildung treffen können (BGE 121 I 138 E. 3 S. 141 mit Hinweisen). Die Abstimmungsfreiheit gewährleistet die für den demokratischen Prozess und die Legitimität direktdemokratischer Entscheidungen erforderliche Offenheit der Auseinandersetzung (vgl. BGE 138 I 61 E. 6.2 S. 82; BGE 135 I 292 E. 2 S. 293; je mit Hinweisen).
5.1 Aus Art. 34 Abs. 2 BV wird namentlich eine Verpflichtung der Behörden auf korrekte und zurückhaltende Information im Vorfeld von Abstimmungen abgeleitet (vgl. BGE 129 I 232 E. 4.2.1 S. 244; BGE 121 I 138 E. 3 S. 141 f.; je mit Hinweisen). Diese unterliegen den Geboten der Sachlichkeit, der Transparenz und der Verhältnismässigkeit. Behördliche Informationen müssen geeignet sein, zur offenen Meinungsbildung beizutragen, und dürfen nicht in dominanter und unverhältnismässiger Art im Sinne eigentlicher Propaganda eine freie Willensbildung der Stimmberechtigten erschweren oder geradezu verunmöglichen (BGE 138 I 61 S. 82 f.; Urteil 1C_412/2007 vom 18. Juli 2008 E. 6, in: ZBl 111/2010 S. 507, mit Hinweisen zu Literatur und Rechtsprechung).
Eine spezielle Regelung findet sich in Art. 10a BPR lediglich für den Bundesrat: Dieser informiert die Stimmberechtigten kontinuierlich über die eidgenössischen Abstimmungsvorlagen (Abs. 1). Er muss dabei die Grundsätze der Vollständigkeit, der Sachlichkeit, der Transparenz und der Verhältnismässigkeit beachten (Abs. 2) und die wichtigsten im parlamentarischen Entscheidungsprozess vertretenen Positionen darlegen (E. 3). Er darf keine von der Haltung der Bundesversammlung abweichende Abstimmungsempfehlung abgeben (Abs. 4).
5.2 In den Urteilen 1P.59/1991 vom 11. Dezember 1991 (in: ZBl 94/1993 S. 119) und 1P.141/1994 vom 26. Mai 1995 (in: ZBl 97/1996 S. 233 und RDAF 1997 I S. 372) befasste sich das Bundesgericht mit Interventionen von öffentlichen und gemischtwirtschaftlichen Unternehmen im Abstimmungskampf. Es ging davon aus, dass Unternehmen, die - unabhängig von ihrer Organisationsform - direkt oder

BGE 140 I 338 (343):

indirekt unter dem bestimmenden Einfluss eines Gemeinwesens stehen, grundsätzlich zur politischen Neutralität verpflichtet sind (Urteil 1P.141/1994 E. 3c und 4b). Eine Stellungnahme sei im Einzelfall zulässig, wenn ein Unternehmen durch die Abstimmung besonders betroffen werde, namentlich in der Umsetzung seines gesetzlichen oder statutarischen Auftrags, und ähnlich einem Privaten in seinen wirtschaftlichen Interessen berührt werde (Urteil 1P.141/1994 E. 3c). In diesen Fällen könne sich das Unternehmen grundsätzlich der auch sonst im Abstimmungskampf verwendeten Informationsmittel bedienen, doch müsse es sich jedenfalls einer gewissen Zurückhaltung befleissigen. Es habe seine Interessen in objektiver und sachlicher Weise zu vertreten und dürfe sich keiner verpönten oder verwerflichen Mittel bedienen. Dazu gehöre auch, dass nicht mit unverhältnismässigem Einsatz öffentlicher (z.B. durch die Ausnützung von rechtlichen oder faktischen Monopolen und Zwangstarifen erwirtschafteter) Mittel in den Abstimmungskampf eingegriffen werde. Die gebotene Zurückhaltung beurteile sich damit in ähnlicher Weise, wie sie den Gemeinden aufgegeben sei, wenn sie ausnahmsweise in besonderer Weise betroffen und daher zur Intervention berechtigt seien (vgl. BGE 116 Ia 466 E. 4 S. 468 ff.; BGE 108 Ia 155 E. 5b S. 161 f.).
6. Die Beschwerdegegnerinnen sind als Aktiengesellschaften privatrechtlich organisiert und werden auch nicht durch ein Gemeinwesen beherrscht. Sie nehmen jedoch im Bereich der sozialen Krankenversicherung öffentliche Aufgaben wahr (Art. 1a des Bundesgesetzes vom 18. März 1994 über die Krankenversicherung [KVG; SR 832.10]) und sind insoweit mit hoheitlichen Befugnissen ausgestattet (Verfügungsbefugnis gemäss Art. 49 des Bundesgesetzes vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts [ATSG; SR 830.1] i.V.m. Art. 1 und 80 KVG). Das Rechtsverhältnis zwischen Versichertem und Versicherer unterliegt im Bereich der obligatorischen Krankenpflegeversicherung dem öffentlichen und nicht dem privaten

BGE 140 I 338 (344):

Recht. Bei der Wahrnehmung ihrer öffentlichen Verwaltungstätigkeit sind die Krankenversicherungen an die Grundrechte gebunden und verpflichtet, zu ihrer Verwirklichung beizutragen (Art. 35 Abs. 2 BV; BGE 138 I 289 E. 2.8.1 S. 294).
6.1 In einem Gutachten vom 21. Juni 2007 ( VPB 2007.20 S. 352-375, insb. 371 f.) kommt das Bundesamt für Justiz (BJ) daher zum Ergebnis, dass die Krankenversicherungen an die Grundsätze für behördliche Intervention im Vorfeld von Abstimmungen gebunden sind. Danach dürfen sich die Krankenversicherungen prinzipiell nicht in Abstimmungskämpfe einmischen, es sei denn, es lägen hierfür triftige Gründe vor, namentlich wenn sie durch die Abstimmung besonders betroffen werden. In diesem Fall seien die Krankenversicherer jedoch zur Zurückhaltung verpflichtet und müssten sich an die Grundsätze der Sachlichkeit, der Transparenz und der Verhältnismässigkeit halten. Unzulässig sei insbesondere eine verdeckte Finanzierung des Abstimmungskampfs. Zudem verpflichte Art. 13 Abs. 2 lit. a KVG die Krankenversicherer ausdrücklich, die Mittel der sozialen Krankenversicherung nur zu deren Zwecken zu verwenden. Die Verwendung von Prämiengeldern zur Finanzierung des Abstimmungskampfs sei daher unzulässig.
Diese Grundsätze wurden vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) in seinem Kreisschreiben Nr. 7.6 vom 18. März 2008 über "Informationen im Vorfeld von Abstimmungen" zusammengefasst und den Krankenversicherern sowie ihren Rückversicherern und dem Branchenverband santésuisse nahegelegt, sich daran zu halten.
Nach Auffassung des BJ (Gutachten, a.a.O., S. 372) und des BAG (Kreisschreiben, a.a.O., S. 3 f.) gelten diese Beschränkungen auch, wenn Krankenversicherer neben der sozialen Krankenversicherung privatrechtliche Zusatzversicherungen betreiben, da für die Stimmberechtigten nicht klar ersichtlich sei, ob die Krankenversicherer als Betreiber der sozialen Krankenversicherung oder als privates Versicherungsunternehmen intervenierten.


BGE 140 I 338 (345):

Die Beschwerdegegnerin 5 stellt die Gleichsetzung von Behörden und Krankenversicherungen im Abstimmungskampf dagegen grundsätzlich in Frage: Die Krankenversicherungen seien keine demokratisch legitimierten, nur dem Gemeinwohl verpflichteten Behörden; sie nähmen nicht als Verwaltungsträger, sondern als Organisationen der Zivilgesellschaft im Vorfeld von Volksabstimmungen Stellung und seien daher eher den politischen Parteien oder wirtschaftlichen Verbänden gleichzusetzen. Dem vernünftigen Bürger dürfe nicht unterstellt werden, einer Stellungnahme eines Krankenversicherers dieselbe Autorität zuzumessen wie etwa einer behördlichen Abstimmungserläuterung. Die Initiative schlage vor, die bestehenden rund 60 Krankenversicherungen durch eine öffentliche Einheitskasse des Bundes abzulösen, und bedrohe somit deren Existenz. Vor diesem Hintergrund erwarte der Stimmbürger von den Krankenversicherungen eigene Stellungnahmen; diese stellten einen wichtigen Teil einer umfassenden Willensbildung der Stimmbürger dar.
STEPHAN WIDMER (Wahl- und Abstimmungsfreiheit, 1989, S. 213 f.) und GEORG MÜLLER (Die innenpolitische Neutralität der kantonalen öffentlichen Unternehmen, ZBl 88/1987 S. 425 ff., insb. 429 ff.) sind der Auffassung, dass sich öffentliche Unternehmen selbst bei besonderer Betroffenheit ganz aus dem Abstimmungskampf heraushalten sollten.
PIERRE TSCHANNEN (Stimmrecht und politische Verständigung: Beiträge zu einem erneuerten Verständnis von direkter Demokratie, 1995, N. 194 S. 116) und ANDREAS KLEY-STRULLER (Beeinträchtigungen der Wahl- und Abstimmungsfreiheit durch Dritte, einschliesslich öffentliche Unternehmungen, AJP 1996 S. 286 ff., insb. 290) halten eine Intervention trotz besonderer Betroffenheit für unzulässig, wenn der Status der öffentlichen Unternehmung oder die grundsätzliche Richtung des Leistungsauftrags in Frage stehen: Gehe es um die demokratische Legitimierung ihrer Existenz, bestehe ein Interventionsverbot ähnlich wie bei Wahlen.
Dagegen argumentieren MARTENET/VON BÜREN (L'information émanant des autorités et des particuliers en vue d'un scrutin, à l'aune de la liberté de vote, ZSR 132/2013 I S. 57 ff., insb. 71), dass die Grundsätze über behördliche Interventionen nur anwendbar seien, wenn die

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Stellungnahme als staatliche oder behördliche Intervention erkennbar sei; werde diese dagegen von den Stimmberechtigten als Äusserung eines privaten Unternehmens wahrgenommen, rechtfertigten sich keine besonderen Beschränkungen.
Für MICHEL BESSON (Behördliche Information vor Volksabstimmungen: verfassungsrechtliche Anforderungen an die freie Willensbildung der Stimmberechtigten in Bund und Kantonen, 2002, S. 350) ist entscheidend, ob die Stellungnahme des besonders betroffenen Unternehmens einen Beitrag zu einer "besseren" Willensbildung leisten könne oder nicht. Gerade bei einer für ein öffentliches Unternehmen zentralen Abstimmung hätten die Stimmbürger ein grosses Interesse daran, die Meinung des Unternehmens von diesem selbst zu erfahren. Bezüglich der Modalitäten der Teilnahme gälten die Regeln analog, die das Bundesgericht für Interventionen einer Gemeinde in einem kantonalen Abstimmungskampf entwickelt habe, d.h. die Information müsse sachlich, transparent, fair und verhältnismässig sein; dagegen seien weniger strenge Grundsätze im Hinblick auf die Ausgewogenheit der Information zu stellen (S. 340).
POLEDNA/VOKINGER (Krankenversicherungen und politische Meinungsbildung - Mögliches und Unmögliches, Jusletter 19. August 2013) schliessen sich der Auffassung von Besson an (Rz. 79 f. und 115). Sie bejahen daher ein Interventionsrecht der Krankenversicherer bei Abstimmungen über die Organisation der sozialen Krankenversicherung (Rz. 80). Dabei seien allerdings stets die Grundsätze der Verhältnismässigkeit, der Sachlichkeit, der Fairness und der Transparenz zu beachten (Rz. 112). Eine Ausnahme gelte nur, wenn die KVG-Krankenversicherer deutlich erkennbar als Privatpersonen bzw. als private Zusatzversicherer aufträten (etwa im Sinne von "Ihre Halbprivat- und Privatversicherer"; vgl. Rz. 83 ff. und 113).
7. Wie bereits dargelegt (oben E. 6), nehmen die Krankenversicherer im Rahmen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung staatliche Aufgaben wahr und handeln damit als Organe der mittelbaren staatlichen Verwaltung, d.h. als Behörden. Dies rechtfertigt es grundsätzlich, sie den Regeln über behördliche Interventionen im Wahlkampf zu unterstellen. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass sie den Versicherten hoheitlich gegenübertreten und insofern auch einen privilegierten Zugang geniessen: Zuschriften der Krankenversicherung können (anders als Post von Wirtschaftsverbänden und Parteien) nicht ungeöffnet weggeworfen werden, da sie wichtige

BGE 140 I 338 (347):

Unterlagen (z.B. Rechnungen für Prämien oder Kostenbeteiligungen) enthalten können. Insofern trifft der Vergleich der Beschwerdegegnerin 5 mit Wirtschaftsverbänden nicht zu.
Die beanstandeten Publikationen wurden in den Kundenmagazinen und Newslettern der Krankenversicherungen publiziert und betreffen die obligatorische Krankenpflegeversicherung. Insofern braucht nicht geprüft zu werden, ob die Grundsätze über behördliche Interventionen im Abstimmungskampf auch für Äusserungen gelten, die eindeutig als Privatperson bzw. als Zusatzversicherer abgegeben werden.
Diese Grundsätze gelten nicht nur für eigene Stellungnahmen der Krankenversicherer, sondern auch, wenn in Kundenmagazinen Interviews mit Politikern oder Experten veröffentlicht werden, die sich kritisch zur Initiative äussern. Zwar können diese als Privatpersonen den verfassungsrechtlichen Schutz der Meinungsfreiheit beanspruchen. Die Krankenversicherungen sind jedoch für den Inhalt ihrer Kundenmagazine verantwortlich und müssen notfalls auf den Abdruck von Äusserungen verzichten, die den erwähnten Grundsätzen widersprechen, oder sie ergänzen bzw. korrigieren.
7.3 Wie die Bundeskanzlei in ihrer Vernehmlassung überzeugend darlegt, bedeutet das Gebot der Sachlichkeit nicht, dass die

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Krankenversicherer Pro- und Contra-Argumente in gleicher Ausführlichkeit und völlig ausgewogen darlegen müssten: Wird ihnen aufgrund ihrer besonderen Betroffenheit erlaubt, in den Abstimmungskampf zu intervenieren, so sind sie befugt, ihren eigenen Standpunkt zu vertreten. Dabei müssen sie jedoch sachlich argumentieren. Sie dürfen weder über den Zweck und die Tragweite der Initiative falsch orientieren noch für die Meinungsbildung bedeutende Gegebenheiten verschweigen oder Argumente von gegnerischen Referendums- oder Initiativkomitees falsch wiedergeben (BGE 138 I 61 E. 6.2 S. 83 mit Hinweisen). Bei negativen Bewertungen (z.B. von Argumenten des Initiativkomitees) müssen hierfür gute Gründe bestehen (vgl. Urteil 1P.3/1997 vom 3. Juni 1997 E. 3, in: ZBl 99/1998 S. 85 und RDAF 1999 I S. 439; BESSON, a.a.O., S. 189).


BGE 140 I 338 (349):

Wird allerdings - wie im CSS-Magazin 2/2014 - ein ganzes Dossier mit mehreren Interviews und Artikeln zur Initiative präsentiert, gebietet der Grundsatz der Sachlichkeit grundsätzlich, dass zumindest auch Befürworter der Initiative zu Wort kommen (wie beispielsweise im Gesundheitsmagazin Senso der Helsana, Nr. 1/März 2014 und Nr. 2/Juni 2014 geschehen), da ansonsten beim Leser der unzutreffende Eindruck entstehen könnte, dass die Initiative von Gesundheitsfachleuten und -politikern einhellig abgelehnt wird.


BGE 140 I 338 (351):

9. Nach dem Gesagten kann auf die Beschwerden überwiegend mangels substanziierter Begründung nicht eingetreten werden. Zwar lässt sich über die Sachlichkeit einzelner Beiträge streiten. Sie sind jedoch aufgrund ihrer Platzierung im Kundenmagazin klar den Krankenversicherungen zuzuordnen und somit als Stellungnahmen einer von der Initiative bedrohten Organisation erkennbar. Angesichts der intensiv geführten Diskussion um die Einheitskasse, in der auch einflussreiche Befürworter der Initiative zu Wort kommen, erscheinen die beanstandeten Äusserungen weder für sich allein, noch zusammengenommen geeignet, das Resultat der Abstimmung wesentlich zu beeinflussen. Den Befürwortern der Einheitskasse blieb genügend Zeit, um gewisse Verzerrungen oder einseitige Argumentationen aus ihrer Sicht zu kommentieren bzw. richtigzustellen. Dies führt zur Abweisung der Stimmrechtsbeschwerden (vgl. Art. 79 Abs. 2bis BPR), soweit darauf einzutreten ist.
Zu betonen ist, dass sich die Beurteilung ausschliesslich auf die in den vorliegenden Beschwerden mit genügender Begründung gerügten Unterlagen bezieht. (...)