147 I 136
Urteilskopf
147 I 136
8. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A. und Mitb. gegen Kantonsrat des Kantons Luzern und Regierungsrat des Kantons Luzern (Beschwerde in öffentlich- rechtlichen Angelegenheiten)
2C_610/2019 vom 18. Mai 2020
Regeste
Art. 50 Abs. 1 BV; § 68, 77 und 78 KV/LU; Art. 95 lit. c BGG; Verletzung der Gemeindeautonomie durch Entzug der Kompetenz zur Festsetzung des Gemeindesteuerfusses ("Steuerfussabtausch" zwischen Kanton und Gemeinden gemäss Gesetz vom 18. Februar 2019 über den Steuerfussabtausch zur Aufgaben- und Finanzreform 18 des Kantons Luzern).
Zulässigkeit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten, Beschwerdeberechtigung und Kognition des Bundesgerichts in Bezug auf Gemeindeautonomie (E. 1).
Den luzernischen Gemeinden kommt bei der Festsetzung des Gemeindesteuerfusses Autonomie zu. Der Entzug der Kompetenz zur Festsetzung des Gemeindesteuerfusses verletzt die Gemeindeautonomie und den Grundsatz der Verhältnismässigkeit (E. 2).
Konsequenzen der Verletzung der Gemeindeautonomie bei abstrakter Normenkontrolle (E. 4.1). Die Frage der Kompetenz zur Festsetzung des Gemeindesteuerfusses kann vom restlichen Erlass getrennt werden (E. 4.2). Teilweise Aufhebung des Steuerfussabtauschgesetzes, damit die Gemeinden einen eigenen Steuerfuss für das Rechnungsjahr 2020 fakultativ in Abweichung von der kantonalen Vorgabe festsetzen können (E. 4.4).
A. Der Kantonsrat des Kantons Luzern beschloss am 18. Februar 2019 das Gesetz über die Aufgaben- und Finanzreform 18 (Mantelerlass AFR18). Neben Änderungen verschiedener bestehender Ge
BGE 147 I 136 S. 138
setze enthält der Mantelerlass AFR18 ein neues, bis am 31. Dezember 2020 befristetes Gesetz über den Steuerfussabtausch zur Aufgaben- und Finanzreform 18 (SRL 622; nachfolgend: Steuerfussabtauschgesetz/LU). Dieses Gesetz setzt für das Rechnungsjahr 2020 den Steuerfuss des Kantons auf 1.70 Einheiten (§ 2 Steuerfussabtauschgesetz/LU) und jenen der Gemeinden auf die Einheiten des Rechnungsjahres 2019 abzüglich 0.10 Einheiten fest (§ 3 Abs. 1 Steuerfussabtauschgesetz/ LU). Gleichzeitig sistiert dieses Gesetz die Kompetenz des zuständigen kommunalen Organs (Stimmberechtigte oder Gemeindeparlament), den Steuerfuss für das Rechnungsjahr 2020 festzusetzen (§ 1 Steuerfussabtauschgesetz/LU), und befreit die Festsetzung des Steuerfusses für das Rechnungsjahr 2020 vom (mindestens fakultativen) Referendum auf Gemeindeebene (§ 3 Abs. 2 Steuerfussabtauschgesetz/LU).(...)
B. Der Mantelerlass AFR18 unterstand dem obligatorischen Referendum. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten als Stimmrechtsbeschwerde an das Bundesgericht vom 22. März 2019 (1C_175/2019) beantragten A. und B., es sei keine Volksabstimmung durchzuführen bzw. es sei eine allfällig schon erfolgte Abstimmung aufzuheben. Sie begründeten diese Beschwerde im Wesentlichen damit, dass der Erlass den Grundsatz der Einheit der Materie verletze und der Regierungsrat das Stimmvolk falsch informiert habe.
Ungeachtet dieser Beschwerde wurde die Volksabstimmung am 19. Mai 2019 durchgeführt. Die Stimmberechtigten des Kantons Luzern nahmen den Mantelerlass AFR18 mit 64'788 Ja-Stimmen zu 49'049 Nein-Stimmen an. In 15 von 83 Gemeinden lehnten die Stimmberechtigten die Vorlage ab. Unter diesen Gemeinden befanden sich unter anderem die Stadt Luzern sowie die Gemeinden Vitznau und Meggen.
C. Mit gemeinsamer Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 24. Juni 2019 beantragen A., B., die Stadt Luzern, die Gemeinde Vitznau und die Gemeinde Meggen in materieller Hinsicht die Aufhebung des Mantelerlasses AFR18 inklusive Steuerfussabtausch zur Aufgaben- und Finanzreform und in prozessualer Hinsicht die Erteilung der aufschiebenden Wirkung.
Der Regierungsrat und der Kantonsrat des Kantons Luzern beantragen die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei.
BGE 147 I 136 S. 139
Mit Verfügung vom 12. Juli 2019 hat das Bundesgericht den Antrag der Beschwerdeführer auf Erteilung der aufschiebenden Wirkung abgewiesen. Der Mantelerlass AFR18 ist am 1. Januar 2020 in Kraft getreten.
(...)
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut.
(Auszug)
Aus den Erwägungen:
1.1 Nach Art. 82 lit. b und Art. 87 Abs. 1 BGG können kantonale Erlasse unmittelbar mit Beschwerde beim Bundesgericht angefochten werden, sofern dagegen kein kantonales Rechtsmittel ergriffen werden kann. Das Recht des Kantons Luzern sieht kein Rechtsmittel vor, das die Beschwerdeführer hätten ergreifen können. Der angefochtene Erlass ändert zahlreiche bestehende Gesetze, ohne sie total zu revidieren. Unveränderte Normen dieser Gesetze sind der Kontrolle durch das Bundesgericht daher nur zugänglich, soweit ihnen im Rahmen des modifizierten Gesetzes eine gegenüber ihrem ursprünglichen Gehalt veränderte Bedeutung zukommt, sie einen anderen Rechtssinn erhalten und im Gesamtzusammenhang in einem anderen Licht erscheinen (BGE 135 I 28 E. 3.1.1 S. 31; vgl. auch BGE 146 I 83 E. 1.1 S. 85).
1.2 Die Stadt Luzern und die Gemeinden Vitznau und Meggen (Beschwerdeführerinnen 3, 4 und 5) leiten ihre Beschwerdeberechtigung aus Art. 89 Abs. 2 lit. c BGG ab. Nach dieser Bestimmung sind Gemeinden zur Beschwerde berechtigt, wenn sie die Verletzung von Garantien rügen, die ihnen die Kantons- oder Bundesverfassung gewähren. Die Beschwerdeführerinnen 3, 4 und 5 machen geltend, dass der Kanton Luzern mit dem angefochtenen Erlass und namentlich mit dem Steuerfussabtausch ihre Autonomie verletzt, die ihnen Art. 50 Abs. 1 BV und § 68 Abs. 2 der Verfassung des Kantons Luzern vom 17. Juni 2007 (KV/LU; SR 131.213 und SRL 1) garantieren. Wenn die beschwerdeführenden Gemeinden bis anhin den Steuerfuss festsetzten, taten sie dies in hoheitlicher Funktion. Auf ihre Beschwerde ist daher einzutreten. Ob die Autonomie im behaupteten Umfang besteht und durch den kantonalen Erlass verletzt wird, sind keine Fragen des Eintretens, sondern der materiellen Beurteilung (BGE 146 I 83 E. 1.2 S. 85; BGE 141 I 36 E. 1.2.4 S. 41; BGE 140 V 328 E. 4.1 S. 330).
1.3 Die Beschwerdeführer 1 und 2 (A. und B.) berufen sich für ihre Beschwerdeberechtigung auf Art. 89 Abs. 1 BGG. Auf die Beschwerde dieser Privatpersonen ist einzutreten, falls sie durch den angefochtenen Erlass besonders berührt sind und ein schutzwürdiges Interesse rechtlicher oder tatsächlicher Natur an seiner Aufhebung haben ( Art. 89 Abs. 1 lit. b und c BGG ). Nach der Rechtsprechung ist ein Beschwerdeführer von einem Erlass besonders berührt, wenn er von der angefochtenen Regelung früher oder später einmal mit einer minimalen Wahrscheinlichkeit unmittelbar betroffen sein wird (virtuelles Berührtsein; BGE 145 I 26 E. 1.2 S. 30; BGE 141 I 36 E. 1.2.3 S. 40). Diese Voraussetzungen sind bei den Beschwerdeführern 1 und 2 erfüllt, da sie als Einwohner zweier Luzerner Gemeinden im Kanton Luzern steuerpflichtig sind und somit im Steuerjahr 2020 von den im Mantelerlass AFR18 festgelegten Gemeindesteuerfüssen betroffen sein werden. Sie haben ein tatsächliches Interesse daran, dass der Mantelerlass AFR18 aufgehoben wird und ihre Wohngemeinden einen anderen Steuerfuss festsetzen können, als ihn der Mantelerlass AFR18 vorschreibt. Zum Schutz dieses tatsächlichen Interesses können sich die Beschwerdeführer 1 und 2 auch auf die Gemeindeautonomie berufen (vgl. BGE 141 I 36 E. 1.2.4 S. 41 mit Hinweisen).
1.4 Nach Art. 95 BGG, der auch für Gemeindeautonomiebeschwerden gilt, prüft das Bundesgericht die Anwendung von Bundesrecht und kantonalen verfassungsmässigen Rechten frei, diejenige sonstigen kantonalen Rechts - einschliesslich des übrigen kantonalen Verfassungsrechts - hingegen nur unter dem Blickwinkel der Willkür (BGE 141 I 36 E. 5.4 S. 43; BGE 136 I 395 E. 2 S. 397). Zu den kantonalen verfassungsmässigen Rechten im Sinne von Art. 95 lit. c BGG gehört auch die Gemeindeautonomie (BGE 141 I 36 E. 5.4 S. 43; BGE 138 I 143 E. 2 S. 149 f.). Frei zu prüfen ist im Zusammenhang mit der Rüge der Verletzung der Gemeindeautonomie ausserdem die Anwendung desjenigen kantonalen Verfassungsrechts, welches die Aufgabenteilung zwischen Kanton und Gemeinden regelt (BGE 143 II 553 E. 6.3.1 S. 558; BGE 141 I 36 E. 5.4 S. 43; BGE 136 I 395 E. 2 S. 397). Das Bundesgericht überprüft einen Erlass im Rahmen der abstrakten Normenkontrolle grundsätzlich mit freier Kognition, auferlegt sich aber aus Gründen des Föderalismus, der Verhältnismässigkeit und - bei der Überprüfung kommunalen Rechts - der Gemeindeautonomie eine gewisse Zurückhaltung. Nach der Rechtsprechung ist dabei massgebend, ob der betreffenden Norm nach anerkannten
BGE 147 I 136 S. 141
Auslegungsregeln ein Sinn beigemessen werden kann, der sie mit dem angerufenen Verfassungs- oder Gesetzesrecht vereinbar erscheinen lässt. Das Bundesgericht hebt eine kantonale (oder kommunale) Norm nur auf, wenn sie sich jeder verfassungskonformen bzw. mit dem höherstufigen Bundesrecht vereinbaren Auslegung entzieht, nicht jedoch, wenn sie einer solchen in vertretbarer Weise zugänglich ist (BGE 145 I 26 E. 1.4 S. 30 f.; BGE 143 I 137 E. 2.2 S. 139; BGE 140 I 2 E. 4 S. 14; je mit Hinweisen).
2. In der Sache rügen die Beschwerdeführer zunächst, dass der "Steuerfussabtausch" zwischen Kanton und Gemeinden die Gemeindeautonomie verletze. Diese Rüge hatten die Beschwerdeführer 1 und 2 in ihrer Stimmrechtsbeschwerde noch ausdrücklich vorbehalten, sodass sie das Bundesgericht in jenem Verfahren nicht zu prüfen hatte (vgl. Urteil 1C_175/2019 vom 12. Februar 2020 E. 1.5).
2.1 Die Bundesverfassung gewährleistet die Gemeindeautonomie nach Massgabe des kantonalen Rechts (Art. 50 Abs. 1 BV). Gemeinden sind in einem Sachbereich autonom, wenn das kantonale Recht diesen nicht abschliessend ordnet, sondern ihn ganz oder teilweise der Gemeinde zur Regelung überlässt und ihr dabei eine relativ erhebliche Entscheidungsfreiheit einräumt. Die Existenz und der Umfang der Gemeindeautonomie in einem konkreten Sachbereich bestimmt sich folglich nach Massgabe des kantonalen Verfassungs- und Gesetzesrechts. Der geschützte Autonomiebereich kann sich auf die Befugnis zum Erlass oder Vollzug eigener kommunaler Vorschriften beziehen oder einen entsprechenden Spielraum bei der Anwendung kantonalen oder eidgenössischen Rechts betreffen. Der Schutz der Gemeindeautonomie setzt eine solche nicht in einem ganzen Aufgabengebiet, sondern lediglich im streitigen Bereich voraus (BGE 146 I 83 E. 2.1 S. 86; BGE 144 I 193 E. 7.4.1 S. 201; BGE 143 II 553 E. 6.3 S. 557 f.; BGE 143 I 272 E. 2.3 S. 278; BGE 138 I 142 E. 7.1 S. 142).
2.2 Bis zum 31. Dezember 2019 überliess es das kantonale Recht den Stimmberechtigten der Gemeinden oder dem Gemeindeparlament, den Steuerfuss für die Gemeindesteuern für Vermögen, Einkommen, Gewinn und Kapital festzusetzen. Mit dem Mantelerlass AFR18 und konkret dem Steuerfussabtauschgesetz/LU entzieht der Kanton Luzern den Gemeinden diese Kompetenz für das Rechnungsjahr 2020. Die Beschwerdeführer und der Kantons- und der Regierungsrat sind sich einig, dass der Kanton Luzern dadurch in einen Sachbereich eingreift, in welchem die Gemeinden nach
BGE 147 I 136 S. 142
bis herigem kantonalen Recht relativ erhebliche Entscheidungsfreiheit genossen haben. In der Tat handelt es sich bei der Festsetzung der Gemeindesteuerfüsse um eine Frage, in der den Gemeinden in der Regel Autonomie zukommt (vgl. Urteil 1P.437/1991 vom 24. August 1993 E. 2.b, in: ZBl 95/1994 S. 130; HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, Allgemeines Verwaltungsrecht, 7. Aufl. 2016, Rz. 1933; KILIAN MEYER, Gemeindeautonomie im Wandel, 2011, S. 20; HANSJÖRG SEILER, Gemeinden im schweizerischen Staatsrecht, in: Verfassungsrecht der Schweiz, Thürer/Aubert/Müller [Hrsg.], 2001, § 31 Rz. 35).
2.3 Der Kanton Luzern bringt indessen vor, dass diese Entscheidungsfreiheit nicht bereits in der Verfassung angelegt und es ihm daher nicht verboten sei, den Gemeinden diese Kompetenz zu entziehen und die Gemeindesteuerfüsse gesetzlich festzulegen.
2.3.1 Die Kantone dürfen ihre Gesetze grundsätzlich ändern und dadurch die bisherige relativ erhebliche Entscheidungsfreiheit der Gemeinden in einem Sachbereich einschränken oder gar ganz abschaffen. Kantonale Gesetzesänderungen können die Gemeindeautonomie nur verletzen, wenn der betroffene Autonomiebereich durch die kantonale Verfassung geschützt wird (BGE 144 I 81 E. 3.1 S. 83; BGE 133 I 128 E. 3.3 S. 131; BGE 117 Ia 352 E. 4b S. 356).
2.3.2 Ob der angefochtene Erlass in einen verfassungsrechtlich garantierten Autonomiebereich eingreift, ist mittels Auslegung der einschlägigen Verfassungs- und Gesetzesbestimmungen zu bestimmen. Die Auslegung von Verfassungsnormen folgt grundsätzlich denselben Regeln, die für die Auslegung des Gesetzesrechts gelten (BGE 143 I 272 E. 2.2.3 S. 277; BGE 139 II 243 E. 8 S. 249; BGE 131 I 74 E. 4.1 S. 80). Dieses muss in erster Linie aus sich selbst heraus, das heisst nach dem Wortlaut, Sinn und Zweck und den ihm zugrunde liegenden Wertungen auf der Basis einer teleologischen Verständnismethode ausgelegt werden. Ausgangspunkt der Auslegung eines Rechtssatzes bildet der Wortlaut der Bestimmung (grammatikalisches Element). Ist der Wortlaut der Bestimmung nicht ganz klar und bleiben verschiedene Interpretationen möglich, muss nach der wahren Tragweite der Bestimmung gesucht werden. Dabei sind alle anerkannten Auslegungselemente zu berücksichtigen. Gefordert ist die sachlich richtige Entscheidung im normativen Gefüge, ausgerichtet auf ein befriedigendes Ergebnis aus der ratio legis (BGE 145 III 446 E. 4.3.1 S. 448, BGE 145 III 63 E. 2.1 S. 64 f.; BGE 141 II 262 E. 4.1 S. 272; BGE 140 I 305 E. 6.1 S. 310 f.).
2.3.3 Analog Art. 50 Abs. 1 BV gewährleistet auch die Verfassung des Kantons Luzern die Autonomie der Gemeinden, wobei die Gesetzgebung ihren Umfang bestimmt und dabei einen möglichst grossen Handlungsspielraum gewährt (§ 68 Abs. 2 KV/LU). Sie sieht weiter vor, dass der Kanton und die Gemeinden ihre Mittel unter anderem durch Erhebung von Steuern und anderen Abgaben beschaffen (§ 77 lit. a KV/LU).
Der Wortlaut von § 77 lit. a KV/LU legt nahe, dass die Gemeinden im Zusammenhang mit der Erhebung von Steuern eine gewisse Kompetenz geniessen sollen. Wie weit diese Zuständigkeit reicht und inwieweit die Entscheidungsfreiheit der Gemeinden durch kantonale Gesetze eingeschränkt werden darf, wird aus dem Verfassungswortlaut hingegen nicht unmittelbar klar.
2.3.4 Erhellend ist in diesem Zusammenhang § 78 Abs. 2 KV/LU, der unter der Marginalie "Finanzausgleich" steht. Danach hat der Kanton die Finanzautonomie der Gemeinden zu stärken, insbesondere indem er ihnen ausreichende Finanzierungsquellen belässt. Diese Bestimmung war bereits im Vernehmlassungsentwurf zur Kantonsverfassung enthalten (vgl. § 96 Abs. 2 des Verfassungsentwurfs des Kantons Luzern vom 28. April 2004). Der Regierungsrat entfernte sie jedoch aus dem Entwurf, den er dem Grossen Rat vorlegte (vgl. § 76 des Entwurfs des Regierungsrats, in: Botschaft vom 22. November 2005 des Regierungsrats an den Grossen Rat des Kantons Luzern zum Entwurf einer neuen Kantonsverfassung, S. 105). Die Spezialkommission Kantonsverfassung des Grossen Rats und ihr folgend der Grosse Rat nahmen sie jedoch wieder auf (vgl. Verhandlungsprotokolle des Grossen Rats des Kantons Luzern 4/2006, S. 1813).
Der Vernehmlassungsentwurf von 2004 hatte allerdings nicht nur die Finanzautonomie betont, sondern gleichzeitig den Kanton verpflichtet, die Unterschiede bei der Steuerbelastung innerhalb des Kantons zu begrenzen (vgl. § 96 Abs. 3 des Verfassungsentwurf des Kantons Luzern vom 28. April 2004). Einen Antrag im Grossen Rat, auch diesen Absatz wieder aufzunehmen und auf diese Weise die Autonomie der Gemeinden in der Festsetzung ihrer Steuerfüsse zu beschränken, wie dies unter dem früheren Finanzausgleich der Fall gewesen war, lehnte der Grosse Rat ab (vgl. Verhandlungsprotokolle des Grossen Rats des Kantons Luzern 4/2006, S. 2004 f.).
2.3.5 Der Wortlaut von § 78 Abs. 2 KV/LU und der geschichtliche Hintergrund dieser Verfassungsnorm zeigen, welch grosses Gewicht
BGE 147 I 136 S. 144
der Verfassungsgeber des Kantons Luzern der Finanzautonomie der Gemeinden beimass. Die Finanzautonomie der Gemeinden bedeutet zwar nicht, dass die Gemeinden die Bemessungsgrundlage und Tarife der kommunalen Steuern bestimmen können müssen (vgl. BGE 126 I 122 E. 2b S. 124; Urteil 1P.364/2002 vom 28. April 2003 E. 5.2). Erstere ist im Bereich der direkten Steuern ohnehin bereits weitgehend durch das Steuerharmonisierungsrecht des Bundes vorgegeben. Hingegen höhlt ein Kanton die Finanzautonomie seiner Gemeinden aus, wenn er den Gemeinden nicht zugesteht, ihren Steuerfuss festzusetzen. Dadurch entzieht der Kanton den Gemeinden die Kontrolle über die Höhe der Einnahmen aus ihrer weitaus wichtigsten Einnahmenquelle - die Steuern für Einkommen und Vermögen natürlicher Personen und für Gewinne und Kapital juristischer Personen - komplett und reduziert ihre Entscheidungsfreiheit in finanzieller Hinsicht auf die Ausgabenseite.
2.4 Kantons- und Regierungsrat begründen den kantonalen Eingriff in die kommunale Finanzautonomie damit, dass der Kanton infolge des Mantelerlasses AFR18 Aufgaben und finanzielle Lasten von den Gemeinden übernehme und sich deshalb ein Steuerfussabtausch aufdränge. Wie die Beschwerdeführer indessen zu Recht hervorheben, entspricht dieser Steuerfussabtausch keiner logischen Notwendigkeit, denn der Kanton hätte seiner gesteigerten Belastung mit einer Erhöhung seines eigenen Steuerfusses begegnen und die Entscheidung über eine entsprechende Reduktion des Gemeindesteuerfusses den Gemeinden überlassen können. Dies gestehen letztlich auch der Kantons- und der Regierungsrat ein, wenn sie die Belastungsneutralität für die Steuerzahlenden als Voraussetzung für die politische Umsetzbarkeit der Aufgaben- und Finanzreform 2018 bezeichnen. Diese politische Umsetzbarkeit sahen Kantons- und Regierungsrat ohne den Steuerfussabtausch offenbar gefährdet, nachdem die Stimmberechtigten des Kantons Luzern es zuvor in verschiedenen Volksabstimmungen abgelehnt hatten, den kantonalen Steuerfuss anzuheben. Derlei Vorgehen ist zwar nicht per se unzulässig (vgl. Urteil 1C_175/2019 vom 12. Februar 2020 E. 2.6). Entgegen der Ansicht des Kantons- und des Regierungsrats besteht aber für sich genommen kein öffentliches Interesse daran, dass eine Gesetzesvorlage eine Volksabstimmung passiert.
2.5 Unbehelflich sind ferner die Hinweise des Kantons- und des Regierungsrats auf das Urteil 1P.364/2002 vom 28. April 2003, das eine Gesetzesänderung im Kanton Basel-Stadt zum Gegenstand hatte, und auf die angeblich vergleichbare Gesetzeslage im Kanton Bern.
BGE 147 I 136 S. 145
2.5.1 Mit der Gesetzesänderung, die dem Urteil 1P.364/2002 vom 28. April 2003 zugrunde lag, erhöhte der Kanton Basel-Stadt die Kantonssteuer für die Landgemeinden Riehen und Bettingen und entzog ihnen zudem die Kompetenz, die kommunalen Steuern nach einem eigenen Tarif zu veranlagen. Anders als im vorliegenden Fall konnten sich die Landgemeinden nicht auf Verfassungsnormen berufen, die dieser Gesetzesänderung entgegengestanden hätten (Urteil 1P.364/2002 vom 28. April 2003 E. 5.2). Zudem liess das basel-städtische Gesetz im Unterschied zum Mantelerlass AFR18 die Freiheit der betroffenen Gemeinden unberührt, ihren Steuerfuss selber festzulegen und allenfalls auch zu senken (Urteil 1P.364/2002 vom 28. April 2003 E. 5.3). Anders als der Kanton Luzern ging der Kanton Basel-Stadt also nicht so weit, den Landgemeinden die Kontrolle über ihre wichtigste Einnahmenquelle zu entziehen.
2.5.2 Nach der Darstellung des Kantons- und des Regierungsrats sah der Kanton Bern im Jahr 2000 eine Steuerbelastungsverschiebung vor. Dabei seien die Gemeinden verpflichtet worden, die Entlastung aus der Verschiebung der Aufgaben und Lasten auf den Kanton in ihrem Steuerfuss zu berücksichtigen (Art. 40 ff. des Gesetzes des Kantons Bern vom 27. November 2000 über den Finanz- und Lastenausgleich [FILAG/BE; BSG 631.1]).
Diese Regelung des Kantons Bern wurde vor Bundesgericht nicht angefochten. Es ist deshalb nicht angebracht, dass sich das Bundesgericht an dieser Stelle vertieft mit der Verfassungskonformität des Erlasses auseinandersetzt. Bereits ein kursorisches Studium der relevanten Bestimmungen zeigt jedoch, dass die Berner Gemeinden weiterhin für die Festsetzung des Gemeindesteuerfusses zuständig blieben und es ihnen frei stand, die Entlastung nicht an ihre Steuerpflichtigen weiterzugeben, solange sie dies als kommunale Steuererhöhung auswiesen und den Stimmberechtigten zum Entscheid vorlegten (vgl. Art. 44 Abs. 4 FILAG/BE). Anders als der Mantelerlass AFR18 liess es das Berner Gesetz also zu, dass die Gemeinden vom kantonal vorbestimmten Gemeindesteuerfuss abwichen.
2.6 Jedenfalls soweit sich die Gemeinden gegen einen kantonalen Eingriff auf ihre Autonomie berufen können (vgl. oben E. 2.3.1), haben kantonale Einschränkungen der kommunalen Entscheidungsfreiheit dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit (Art. 5 Abs. 2 BV) gerecht zu werden (BGE 144 I 193 E. 7.4.5 S. 205). Die soeben kurz dargestellte Rechtslage im Kanton Bern (vgl. oben E. 2.5.2) zeigt
BGE 147 I 136 S. 146
exemplarisch, dass das angestrebte Ziel auf mildere Art und Weise hätte erreicht werden können. Namentlich hätte es der Kanton Luzern in das Belieben der Stimmberechtigten der Gemeinden stellen können, vom kantonal angeordneten Gemeindesteuerfuss abzuweichen und einen höheren oder gegebenenfalls auch einen tieferen Steuerfuss vorzusehen. Indem der Kanton Luzern den Gemeinden für das Rechnungsjahr 2020 die Kompetenz zur Festsetzung des Gemeindesteuerfusses entzieht, bedient er sich eines nicht erforderlichen Mittels, sodass sich der Eingriff als unverhältnismässig erweist.
2.7 Der Steuerfussabtausch zwischen Kanton und Gemeinden, den der Mantelerlass AFR18 vorsieht, verletzt die verfassungsmässig garantierte Finanzautonomie der Gemeinden (Art. 50 Abs. 1 BV i.V.m. § 68 Abs. 2, § 77 lit. a und § 78 Abs. 2 KV/LU) und den Grundsatz der Verhältnismässigkeit (Art. 5 Abs. 2 BV). Bevor beurteilt werden kann, ob dies zur Aufhebung des gesamten angefochtenen Erlasses oder einzelner Teile davon führt oder von der Aufhebung abzusehen und lediglich die Rechtsverletzung festzustellen ist, wie dies der Kanton Luzern hilfsweise geltend macht, sind die übrigen Rügen zu prüfen, welche die Beschwerdeführer vorbringen.
(...)
4. Nach dem Gesagten ergibt sich, dass der Mantelerlass AFR18 die Gemeindeautonomie und den Grundsatz der Verhältnismässigkeit (Art. 5 Abs. 2 BV) verletzt, soweit er den Gemeinden für das Rechnungsjahr 2020 die Kompetenz zur Festsetzung des Gemeindesteuerfusses entzieht, er jedoch im Übrigen der Kontrolle durch das Bundesgericht standhält. Es stellt sich die Frage, ob der angefochtene Erlass ganz oder teilweise aufzuheben ist, wie dies die Beschwerdeführer hauptsächlich respektive eventualiter beantragen, oder lediglich seine Rechtswidrigkeit festzustellen ist, wie dies der Kantons- und der Regierungsrat hilfsweise vortragen.
4.1 Im Rahmen der abstrakten Normenkontrolle hebt das Bundesgericht nötigenfalls den ganzen Erlass, nach Möglichkeit aber nur die einzelnen verfassungswidrigen Bestimmungen auf (BGE 137 I 257 E. 6.4 S. 272; BGE 123 I 112 E. 2b S. 116 f.; BGE 118 Ia 64 E. 2c S. 72). Wenn der Wegfall der rechtswidrigen Bestimmungen schädlichere Auswirkungen hätte als ihr Fortbestehen, kann das Bundesgericht ausnahmsweise auf eine Aufhebung verzichten, stattdessen die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Erlasses feststellen und den
BGE 147 I 136 S. 147
Gesetzgeber zur Korrektur auffordern (sog. Appellentscheid; BGE 143 II 476 E. 3.6 S. 483 f. mit Hinweisen; vgl. auch BGE 133 I 206 E. 13.2 S. 233; BGE 113 Ia 46 E. 7b S. 60 f.).
4.2 Es ist nicht ersichtlich, dass die zahlreichen übrigen Gesetzesänderungen des Mantelerlasses AFR18 ihren Sinn und Zweck verlören, wenn den Gemeinden die Kompetenz belassen wird, ihren Steuerfuss festzusetzen. Entgegen der Darstellung der Beschwerdeführer lässt sich der verfassungswidrige Teil des angefochtenen Erlasses folglich problemlos von den übrigen Teilen trennen. Die gesamthafte Aufhebung des Mantelerlasses AFR18 kommt nicht in Frage.
4.3.1 Kantons- und Regierungsrat führen aus, dass die Aufhebung der Normen über den Gemeindesteuerfuss zur Folge hätte, dass die Gemeinden für das laufende Jahr über keinen gültig festgelegten Steuerfuss verfügen würden und wohl von einem budgetlosen Zustand in allen Gemeinden ausgegangen werden müsse. Diese Konsequenz sei so schädlich, dass es das Bundesgericht bei der Feststellung der Verfassungswidrigkeit des Steuerfussabtauschs belassen solle.
4.3.2 Die Bedenken des Kantons- und Regierungsrats erreichen nicht das erforderliche Gewicht, um die als verfassungswidrig erkannte Regelung stehen zu lassen und ausnahmsweise von der Kassation abzusehen. Dies gilt umso mehr, als ein blosser Appellentscheid vorliegend ohne jede Wirkung bliebe, da der verfassungswidrige Eingriff in die Gemeindeautonomie lediglich das Rechnungsjahr 2020 betrifft und der kantonale Gesetzgeber folglich nicht die Möglichkeit hat, den Verfassungsverstoss zumindest für die Zukunft zu beseitigen.
4.4 Der angefochtene Erlass ist somit aufzuheben, soweit er keiner verfassungskonformen Auslegung zugänglich ist. In Nachachtung der Verhältnismässigkeit (vgl. oben E. 2.6) sind dabei alleine die Bestimmungen des Steuerfussabtauschgesetzes/LU über den Kompetenzentzug (§ 1 Abs. 1 und Abs. 2, soweit er die Sistierung von § 236 Abs. 2 des Steuergesetzes des Kantons Luzern vom 22. November 1999 [StG/LU; SRL 620] betrifft, sowie § 3 Abs. 2 Steuerfussabtauschgesetz/LU), nicht aber die kantonale Festlegung des Gemeindesteuerfusses (§ 3 Abs. 1 Steuerfussabtauschgesetz/LU) aufzuheben. Ferner sind die vorbestehenden Verfahrensvorschriften des
BGE 147 I 136 S. 148
Luzerner Gemeinderechts auszusetzen, soweit sie den Gemeinden zeitliche Vorgaben für die Festsetzung des Gemeindesteuerfusses machen, die der Korrektur der Verfassungsverletzung entgegenstehen (vgl. § 13 Abs. 1 und 3 des Gesetzes des Kantons Luzern vom 20. Juni 2016 über den Finanzhaushalt der Gemeinden [FHGG/LU; SRL 160]; vgl. oben E. 1.1). Dadurch wird den Gemeinden und ihren Stimmberechtigten ermöglicht, den Gemeindesteuerfuss für das Rechnungsjahr 2020 abweichend von der kantonalen Vorgabe festzusetzen, falls sie dies wünschen. Solange die Gemeinden keinen abweichenden Steuerfuss festlegen, bleibt es beim Gemeindesteuerfuss, wie ihn der Kanton in § 3 Abs. 1 Steuerfussabtauschgesetz/LU vorgesehen hat.