BGE 147 I 463 |
35. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft gegen A. und Mitb. sowie Kantonales Untersuchungsamt St. Gallen (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
1C_33/2020 vom 26. Mai 2021 |
Regeste |
Art. 30 Abs. 3 BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK und Art. 14 Abs. 1 UNO-Pakt II; Art. 29 Abs. 2 BV, Art. 99 Abs. 1 StPO und Art. 35 Abs. 2 lit. g des Einführungsgesetzes des Kantons St. Gallen vom 3. August 2010 zur Schweizerischen Straf- und Jugendstrafprozessordnung (EG-StPO/SG); Art. 13, 16 und 17 BV; Gesuch um Einsicht in die Akten eines rechtskräftig abgeschlossenen Strafverfahrens durch Medienschaffende. |
Sachverhalt |
A.a Im Jahr 2007 erregte das Entführungs- und Tötungsdelikt an F. grosse Medienaufmerksamkeit. Anfang 2019 führten einzelne Presseberichte sowie die Aussagen angeblicher Zeugen, wonach neben dem verstorbenen G. weitere Personen an der Tat beteiligt gewesen sein sollen, erneut zu Schlagzeilen. Die Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen hielt in diesem Zusammenhang am 7. März 2019 eine Pressekonferenz ab. |
A.b Bereits vorher, am 1. März 2019, hatten die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft sowie der dort für die Sendung "Rundschau" tätige Redaktor H. beim Kantonalen Untersuchungsamt St. Gallen um Einsicht in die Akten des im Zusammenhang mit dem oben genannten Delikt geführten Strafverfahrens ersucht. Sie beabsichtigten im Wesentlichen, Aufschluss darüber zu erhalten, ob die medial aufgebrachten Zeugenaussagen seinerzeit abgeklärt worden waren.
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In der Folge liess das Untersuchungsamt die Kontaktdaten der von der Einsicht betroffenen Personen polizeilich abklären, kontaktierte diese und gewährte ihnen das rechtliche Gehör. Dabei handelte es sich um die Angehörigen des Tatopfers A., B. und C., um D., ein weiteres Opfer der damaligen Straftaten, sowie um E., die Witwe des verstorbenen mutmasslichen Täters.
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Mit Verfügung vom 31. Juli 2019 wies das Untersuchungsamt das Gesuch ab.
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B. Dagegen erhoben die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft sowie H. am 15. August 2019 Beschwerde bei der Anklagekammer des Kantons St. Gallen mit dem Antrag auf Aufhebung der angefochtenen Verfügung sowie auf Gewährung der ersuchten Akteneinsicht. Die Anklagekammer eröffnete zwei Verfahren. In ihren jeweiligen Stellungnahmen schlossen das Untersuchungsamt, die Angehörigen des Tatopfers A., B. und C. sowie das weitere Tatopfer D. auf Abweisung der Beschwerde. E. beantragte die Gutheissung der Beschwerde. Mit Entscheid vom 29. Oktober 2019 vereinigte die Anklagekammer die beiden Verfahren und wies die Beschwerde ab.
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C. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 20. Januar 2020 an das Bundesgericht beantragt die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft, den Entscheid der Anklagekammer aufzuheben und ihr Einsicht in die gesamten Akten des Strafverfahrens gegen den verstorbenen G. zu gewähren; eventuell sei die Angelegenheit zur Gewährung einer beschränkten Akteneinsicht an die Anklagekammer, subeventuell an das Untersuchungsamt zurückzuweisen. Zur Begründung wird im Wesentlichen ein Verstoss gegen das Akteneinsichtsrecht gemäss Art. 29 Abs. 2 BV und dem kantonalen Einführungsgesetz zur Schweizerischen Strafprozessordnung sowie gegen den Grundsatz der Justizöffentlichkeit gemäss Art. 30 Abs. 3 BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK und Art. 14 Abs. 1 UNO-Pakt II (SR 0.103.2), eine Verletzung der Informations- und Medienfreiheit gemäss Art. 16 und 17 BV und der Gesetzesbestimmungen des Bundes über die Programmautonomie und die offensichtlich unrichtige Feststellung des Sachverhalts durch die Anklagekammer geltend gemacht. |
In seiner Vernehmlassung verweist das Untersuchungsamt auf zwei mit ihrer Vernehmlassung eingereichte Dokumente, eine Einstellungsverfügung vom 25. Juli 2008 sowie eine Nichtanhandnahmeverfügung vom 11. Dezember 2018. Die Beschwerdeführerin bringt daraufhin vor, die vom Untersuchungsamt angerufenen und eingereichten beiden Verfügungen vom 25. Juli 2008 und 11. Dezember 2018 hätten bislang keinen Eingang in das Verfahren gefunden, und verlangte Einsicht in die vom Untersuchungsamt dem Bundesgericht eingereichten Akten. Nachdem das Untersuchungsamt dazu schriftlich sein ausdrückliches Einverständnis erklärt hatte, wurde der Beschwerdeführerin die verlangte Einsicht gewährt.
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D. Am 26. Mai 2021 hat das Bundesgericht die Angelegenheit öffentlich beraten. Es weist die Beschwerde ab.
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(Zusammenfassung)
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Aus den Erwägungen: |
Erwägung 3 |
Erwägung 3.1 |
3.1.1 Gemäss dem in Art. 30 Abs. 3 BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK und Art. 14 Abs. 1 UNO-Pakt II verankerten Prinzip der Justizöffentlichkeit sind, unter Vorbehalt gesetzlicher Ausnahmen, Gerichtsverhandlung und Urteilsverkündung öffentlich. Diese erlaubt Einblick in die Rechtspflege und sorgt für Transparenz gerichtlicher Verfahren. Damit dient sie einerseits dem Schutz der direkt an gerichtlichen Verfahren beteiligten Parteien im Hinblick auf deren korrekte Behandlung und gesetzmässige Beurteilung. Andererseits ermöglicht die Justizöffentlichkeit auch nicht verfahrensbeteiligten Dritten nachzuvollziehen, wie gerichtliche Verfahren geführt werden, das Recht verwaltet und die Rechtspflege ausgeübt wird. Die Justizöffentlichkeit bedeutet eine Absage an jegliche Form der Kabinettsjustiz, will für Transparenz der Rechtsprechung sorgen und die Grundlage für das Vertrauen in die Gerichtsbarkeit schaffen. Der Grundsatz ist von zentraler rechtsstaatlicher und demokratischer Bedeutung. Die demokratische Kontrolle durch die Rechtsgemeinschaft soll Spekulationen begegnen, die Justiz benachteilige oder privilegiere einzelne Prozessparteien ungebührlich oder die Ermittlungen würden einseitig und rechtsstaatlich fragwürdig geführt ( BGE 146 I 30 E. 2.2; BGE 143 I 194 E. 3.1 S. 198 f.; je mit Hinweisen). Gemäss Art. 16 Abs. 3 BV hat jede Person das Recht, Informationen aus allgemein zugänglichen Quellen zu beschaffen. Aufgrund von Art. 30 Abs. 3 BV stellen die Gerichtsverhandlung und die Urteilsverkündung eine solche Quelle dar ( BGE 143 I 194 E. 3.1 S. 200; BGE 139 I 129 E. 3.3; BGE 137 I 16 E. 2.2; je mit Hinweisen). Auf den Grundsatz der öffentlichen Urteilsverkündung bzw. Bekanntgabe des Urteils können sich namentlich Medienschaffende auch im Nachinein, also nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens, berufen ( BGE 139 I 129 ; Urteil 1C_123/2016 vom 21. Juni 2016 E. 3.6, in: ZBl 117/2016 S. 601 ff.; GEROLD STEINMANN, in: Die schweizerische Bundesverfassung, St. Galler Kommentar, 3. Aufl. 2014, N. 66 zu Art. 30 BV). Das Interesse von Verfahrensbeteiligten an der Geheimhaltung des Urteils tritt insoweit zurück (Urteil 1B_510/2017 vom 11. Juli 2018 E. 3.4, in: ZBl 119/2018 S. 644). |
Das Prinzip der Justizöffentlichkeit setzt kein besonderes schutzwürdiges Informationsinteresse voraus (Urteile 1C_497/2018 vom 22. Januar 2020 E. 2.2; 1C_394/2018 vom 7. Juni 2019 E. 4.1, in: RDAF 2019 I S. 731; 1C_123/2016 vom 21. Juni 2016 E. 3.5.2, in: ZBl 117/2016 S. 604; je mit Hinweisen). Der verfassungsrechtliche Anspruch auf Kenntnisnahme von Urteilen gilt jedoch nicht absolut. Er wird begrenzt durch den ebenfalls verfassungsrechtlich verankerten Schutz von persönlichen und öffentlichen Interessen. Sein Umfang ist im Einzelfall unter Abwägung der entgegenstehenden Interessen zu bestimmen. Zu wahren ist insbesondere der Persönlichkeitsschutz der Verfahrensbeteiligten. Daraus folgt, dass die Kenntnisgabe von Urteilen unter dem Vorbehalt der Anonymisierung oder Kürzung steht (vgl. zum Ganzen: BGE 143 I 194 E. 3.4.3; BGE 139 I 129 E. 3.6; Urteil 1C_616/2018 vom 11. September 2019 E. 2.2; je mit Hinweisen).
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Bei nicht verfahrensbeteiligten Dritten ist ein schutzwürdiges Informationsinteresse vorausgesetzt, das gegen allfällige besondere Geheimhaltungsinteressen der Justizbehörden oder von mitbetroffenen Dritten abzuwägen ist. Einsichtsgesuche dürfen insbesondere das gute Funktionieren der Strafjustiz nicht gefährden und finden eine Schranke auch am Rechtsmissbrauchsverbot. Bei entgegenstehenden privaten oder öffentlichen Interessen ist allerdings zu prüfen, ob diesen durch Kürzung oder Anonymisierung ausreichend Rechnung getragen werden kann ( BGE 134 I 286 E. 6.3; Urteile 1C_394/2018 vom 7. Juni 2019 E. 4.1; 1B_68/2012 vom 3. Juli 2012 E. 3.2, in: EuGRZ 2012 S. 656; je mit Hinweisen). Im Fall von Medienschaffenden ergibt sich das schutzwürdige Informationsinteresse ohne Weiteres aus der Kontrollfunktion der Medien ( BGE 137 I 16 E. 2.4). |
3.2 Zu Recht beruft sich die Beschwerdeführerin sodann nicht auf das gesetzliche Öffentlichkeitsrecht. Wie bereits auf Bundesebene (vgl. Art. 3 Abs. 1 lit. a des Bundesgesetzes vom 17. Dezember 2004 über das Öffentlichkeitsprinzip der Verwaltung [Öffentlichkeitsgesetz, BGÖ; SR 152.3]) ist der Zugang zu Dokumenten, die Teil der Verfahrensakten eines Strafverfahrens bilden, auch vom Geltungsbereich des kantonalen Öffentlichkeitsgesetzes ausgenommen (vgl. Art. 2 Abs. 1 des Gesetzes des Kantons St. Gallen vom 18. November 2014 über das Öffentlichkeitsprinzip der Verwaltung [Öffentlichkeitsgesetz, OeffG/SG; sGS 140.2]), wobei sowohl die hängigen als auch die abgeschlossenen Verfahren erfasst sind. Massgebend sind diesbezüglich die einschlägigen Spezialgesetze (Botschaft und Entwurf der Regierung des Kantons St. Gallen vom 21. Mai 2013 zum Informationsgesetz des Kantons St. Gallen, ABl 2013 1483; vgl. auch Botschaft vom 12. Februar 2003 zum Bundesgesetz über die Öffentlichkeit der Verwaltung [Öffentlichkeitsgesetz, BGÖ], BBl 2003 1989). Damit kommt gleichzeitig zum Ausdruck, dass die Verfahrensakten vom "Geist der Öffnung" (vgl. BBl 2003 1984), der dem Öffentlichkeitsrecht inhärent ist, nicht erfasst sind. |
Erwägung 3.3 |
Hat die Drittperson ein schützenswertes Interesse, muss dieses gegen öffentliche oder private Interessen abgewogen werden, die der Einsichtnahme entgegenstehen. Überwiegt das öffentliche oder private Interesse, hat die Drittperson kein Recht auf Akteneinsicht. Rechnung zu tragen ist dabei insbesondere dem öffentlichen Interesse an einer ungestörten Durchführung des Strafverfahrens (Urteile 1B_340/2017 vom 16. November 2017 E. 2.1; 1B_353/2015 vom 22. April 2016 E. 4.3; 1B_306/2014 vom 12. Januar 2015 E. 2.1; 1B_33/2014 vom 13. März 2014 E. 2; je mit Hinweisen).
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3.3.2 Vorliegend handelt es sich indes um ein abgeschlossenes Strafverfahren, in dessen Akten Einsicht gewährt werden soll. Nach Abschluss des Verfahrens richten sich das Bearbeiten von Personendaten, das Verfahren und der Rechtsschutz nach den Bestimmungen des Datenschutzrechts von Bund und Kantonen (Art. 99 Abs. 1 StPO). Auf die kantonalen datenschutzrechtlichen Grundlagen geht vorliegend weder die Vorinstanz noch die Beschwerdeführerin ein. Der Kanton St. Gallen hat in Bezug auf die Verfügung über Strafakten nach Abschluss des Verfahrens Art. 35 des Einführungsgesetzes des Kantons St. Gallen vom 3. August 2010 zur Schweizerischen Straf- und Jugendstrafprozessordnung (EG-StPO/SG; sGS 962.1) erlassen (vgl. Urteil 6B_979/2019 vom 28. Oktober 2019 E. 4.2). |
Gemäss Art. 35 Abs. 2 lit. g EG-StPO/SG werden an andere als die in den lit. a-f genannten Personen und Behörden Strafakten herausgegeben und Auskünfte erteilt, wenn ein schützenswertes Interesse glaubhaft gemacht wird und der Einsichtnahme keine überwiegenden öffentlichen oder privaten Interessen entgegenstehen. Die Anklagekammer regelt die Einzelheiten (Abs. 3). Gemäss Art. 3 lit. f der Weisung der Anklagekammer des Kantons St. Gallen vom 15. August 2012 über die Herausgabe von Strafakten und die Erteilung von Auskünften nach rechtskräftigem Abschluss des Strafverfahrens (nachfolgend: Weisung) können Strafakten nach rechtskräftigem Verfahrensabschluss Dritten dann zugänglich gemacht werden, wenn diese ein schützenswertes Interesse glaubhaft zu machen vermögen und der Einsichtnahme keine überwiegenden öffentlichen oder privaten Interessen entgegenstehen. Die verschiedenen öffentlichen und privaten Interessen sind gegeneinander abzuwägen (Art. 6 Abs. 1 der Weisung); gebotenenfalls sind die Einsicht in bzw. die Herausgabe von Akten und Entscheiden zu beschränken oder Hinweise auf Beteiligte unkenntlich zu machen (Art. 4 Abs. 2 und Art. 7 der Weisung). Den Betroffenen ist zudem Gelegenheit zur Stellungnahme zu bieten, sofern trotz Anonymisierung Rückschlüse auf deren Identität möglich sind (Art. 6 der Weisung).
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3.3.3 Diese Regelung entspricht weitgehend der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu Art. 29 Abs. 2 BV: Dieser zufolge kann der Anspruch auf Akteneinsicht auch ausserhalb eines hängigen Verfahrens geltend gemacht werden. Eine umfassende Wahrung der Rechte kann es gebieten, dass die betroffene oder eine Drittperson Akten eines abgeschlossenen Verfahrens einsieht. Allerdings ist dieser Anspruch davon abhängig, dass die rechtsuchende Person ein besonderes schutzwürdiges Interesse glaubhaft machen kann. Dieses kann sich aus der Betroffenheit in einem spezifischen Freiheitsrecht wie etwa der persönlichen Freiheit oder aus einer sonstigen besonderen Sachnähe ergeben. Soweit die Verwaltung nicht dem sogenannten Öffentlichkeitsprinzip unterstellt ist, reicht die Berufung auf Art. 16 Abs. 3 BV nicht aus und bedarf es daher der Geltendmachung eines spezifischen schützenswerten Interesses im dargelegten Sinn. Das Akteneinsichtsrecht findet indes seine Grenzen an überwiegenden öffentlichen Interessen des Staates oder an berechtigten Interessen Dritter. Diesfalls sind die einander entgegenstehenden Interessen an der Akteneinsicht einerseits und an deren Verweigerung andererseits sorgfältig gegeneinander abzuwägen (zum Ganzen: BGE 129 I 249 E. 3; BGE 113 Ia 1 E. 4a; Urteile 1C_352/2018 vom 18. September 2018 E. 3.2; 4A_212/2015 vom 4. November 2015 E. 4.2.3; 2C_387/2013 vom 17. Januar 2014 E. 4.2.2; 5A_956/2012 vom 25. Juni 2013 E. 2.1; je mit Hinweisen; GEROLD STEINMANN, a.a.O., N. 54 zu Art. 29 BV). |
Dass die Vorinstanzen das Gesuch der Beschwerdeführerin hauptsächlich als Herausgabebegehren und nicht als Akteneinsichtsgesuch behandelt haben, bringt vorliegend - wenn überhaupt - lediglich einen marginalen Unterschied mit sich.
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5.3 Art. 17 BV schützt die Medienfreiheit. Danach ist die Freiheit von Presse, Radio und Fernsehen sowie anderer Formen der öffentlichen fernmeldetechnischen Verbreitung von Darbietungen und Informationen gewährleistet (Abs. 1). Zensur ist verboten (Abs. 2) und das Redaktionsgeheimnis garantiert (Abs. 3). Die Medienfreiheit gehört zu den zentralen Ausprägungen des allgemeinen Grundrechts freier Meinungsäusserung. Normativer Kern der Medienfreiheit ist die Sicherung des ungehinderten Nachrichtenflusses und des freien Meinungsaustauschs. Geschützt ist die Recherchetätigkeit der Journalisten zur Herstellung von Medienerzeugnissen und zu deren Verbreitung in der Öffentlichkeit ( BGE 143 I 194 E. 3.1 S. 200 mit Hinweisen). Als subsidiäres Auffanggrundrecht dazu gewährleistet die Meinungsfreiheit das Recht jeder Person, ihre Meinung frei zu bilden und sie ungehindert zu äussern und zu verbreiten (Art. 16 BV; BGE 144 I 126 E. 4.1 mit Hinweisen). |
Erwägung 5.4 |
Zu berücksichtigen ist weiter, dass die Staatsanwaltschaft und die Polizei am 7. März 2019 - und damit nach dem Akteneinsichtsgesuch der Beschwerdeführerin vom 1. März 2019 - eine Pressekonferenz abgehalten haben, in deren Rahmen die medial aufgeworfenen Thesen zu möglichen Ermittlungsansätzen thematisiert und unter Rückgriff auf die damaligen Untersuchungsergebnisse gewürdigt wurden. Inwiefern darüber hinaus ein relevantes öffentliches Informationsinteresse bestehen soll, geht aus den Vorbringen der Beschwerdeführerin nicht schlüssig hervor. Im Übrigen hat diese Einsicht in die vom Untersuchungsamt erlassenen Verfügungen erhalten, worin eine detaillierte Auseinandersetzung mit den Beweismitteln bzw. den von einem Melder vorgebrachten Thesen stattgefunden hat. Inwiefern die behaupteten Widersprüche und Ungereimtheiten damit nicht ausgeräumt worden wären, geht aus der Stellungnahme der Beschwerdeführerin nicht hervor. |
Inwiefern in der Zeit zwischen dem Erlass der Nichtanhandnahmeverfügung vom 11. Dezember 2018 und der Pressekonferenz vom 7. März 2019 anderweitige Ermittlungshandlungen getätigt worden sein sollen, wie dies die Beschwerdeführerin in ihrer Stellungnahme vom 22. Juni 2020 vermutet, ist nicht ersichtlich und geht auch aus ihren Vorbringen nicht hervor. Diese Zeitspanne dürfte schlicht darauf zurückzuführen sein, dass das mediale Interesse erst anfangs 2019 aufkam und darauf mittels Abhaltens der Pressekonferenz reagiert wurde.
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Weshalb sodann das Vorgehen der Strafverfolgungsbehörden, allfälligen neuen Hinweisen aus der Bevölkerung nachzugehen und die meldende Person zu befragen, Fragen aufwerfen soll, ist nicht nachvollziehbar. Vielmehr könnte das gegenteilige Verhalten der Strafverfolgungsbehörden - allfällige neue Hinweise zu ignorieren - fragwürdig erscheinen.
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5.4.3 Entgegen der in ihrer Stellungnahme an das Bundesgericht vom 2. Juni 2020 vertretenen Ansicht ist auch mit der Nichtanhandnahmeverfügung des Untersuchungsamts vom 11. Dezember 2018 kein "Beleg für die Notwendigkeit einer Akteneinsicht der Medien" gegeben: Nach Eingang einer Meldung beim kantonalen Sicherheits- und Justizdepartement prüfte das Untersuchungsamt die einzelnen Vorbringen des Melders und verfügte anschliessend am 11. Dezember 2018: "Eine Wiederaufnahme des rechtskräftig eingestellten Verfahrens erfolgt nicht.", und dass es sich dabei um einen "Aktenentscheid" handle. Dass diese Verfügung als "Nichtanhandnahmeverfügung (Art. 310 StPO)" bezeichnet wurde, ist offensichtlich ein Versehen - verfügte das Untersuchungsamt doch ausdrücklich, dass eine Wiederaufnahme nicht erfolge -, im vorliegenden Zusammenhang aber nicht problematisch. Ob die eigentliche Nichtwiederaufnahmeverfügung hätte eröffnet werden müssen, braucht hier nicht geklärt zu werden; selbst wenn dem so wäre, könnte die Beschwerdeführerin alleine daraus nichts zu ihren Gunsten ableiten. |
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Erwägung 6 |
6.2 Die Beschwerdeführerin führt aus, im Zusammenhang mit den privaten Interessen der Beschwerdegegner sei zu berücksichtigen, dass der Fall und zahlreiche Details in der Öffentlichkeit bereits bekannt seien und nicht erst durch ihre Akteneinsicht an die Öffentlichkeit gelangten, was die entgegenstehenden privaten Interessen relativiere. |
6.5 Die Beschwerdegegner 1-3 äusserten sich im vorliegenden Verfahren wiederholt dahingehend, dass der Beschwerdeführerin keine Akteneinsicht zu gewähren sei. Eine erneute Berichterstattung über die tragischen Ereignisse aus dem Jahr 2007 nach über zehn Jahren würde alte Wunden wieder aufreissen und sie erneut schwer belasten. Ihr aus Art. 13 BV abgeleitetes privates Interesse an der Verweigerung der Akteneinsicht wiegt daher schwer und wird durch den Umstand, dass die Mutter im Namen ihrer verstorbenen Tochter eine Stiftung gegründet hat, nicht entscheidend relativiert: Die Stiftung bezweckt die Unterstützung benachteiligter Kinder. So wurden unter anderem zwei Schulen in den Philippinen aufgebaut. Mit der Stiftung soll mithin nicht die Erinnerung an das Verbrechen, sondern vielmehr an das Mädchen aufrecht erhalten und dessen Name positiv besetzt werden. Weiter ist zu berücksichtigen, dass die Beschwerdegegner selber auf eine Anfechtung der Einstellungsverfügung verzichtet haben. Sie halten im vorliegenden Verfahren ausdrücklich fest, nach wie vor volles Vertrauen in die Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden zu haben, ansonsten hätten sie eine Wiederaufnahme des Verfahrens selber in die Wege geleitet. |
Auch wenn der Beschwerdegegner 4, der vom mutmasslichen Täter am selben Tag im Jahr 2007 angeschossen worden sein soll, in der Zwischenzeit verstorben ist, hat auch er sich im Rahmen der Befragung zum Akteneinsichtsgesuch unmissverständlich gegen die Gewährung der Akteneinsicht ausgesprochen. Aus seiner schriftlichen Stellungnahme an das Untersuchungsamt geht sodann hervor, dass auch er volles Vertrauen in die Strafverfolgungsbehörden gehabt hat.
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6.6 Unter dem Gesichtswinkel der entgegenstehenden öffentlichen Interessen ist zu berücksichtigen, dass Strafuntersuchungen bereits vor dem Inkrafttreten der StPO am 1. Januar 2011 grundsätzlich geheim geführt wurden. Die Einsicht in die Strafakten war nur in engen Grenzen zugelassen und auch für Parteien und Betroffene nicht absolut (vgl. Urteil 1P.330/2004 vom 3. Februar 2005 E. 3.3, in: Pra 2005 Nr. 70 S. 536, mit Hinweisen). Heute sieht die StPO in Art. 69 Abs. 3 lit. a ausdrücklich vor, dass das (vorliegend betroffene) Vorverfahren gemäss Art. 299 ff. StPO nicht öffentlich ist, wobei Mitteilungen der Strafbehörden an die Öffentlichkeit im Sine von Art. 74 StPO vorbehalten bleiben. Das Vorverfahren ist vom Untersuchungsgeheimnis geprägt (Botschaft vom 21. Dezember 2005 zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006 1153; SCHMID/JOSITSCH, Schweizerische Strafprozessordnung [StPO], Praxiskommentar, 3. Aufl. 2018, N. 8 zu Art. 69 StPO): Gemäss Art. 73 Abs. 1 StPO bewahren die Mitglieder von Strafbehörden, ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie die von Strafbehörden ernannten Sachverständigen Stillschweigen hinsichtlich Tatsachen, die ihnen in Ausübung ihrer amtlichen Tätigkeit zur Kenntnis gelangt sind. Es handelt sich dabei um eine absolute Verpflichtung, die sich aus dem Amtsgeheimnis im Sinne von Art. 320 StGB ergibt (vgl. Urteil 1B_435/2019 vom 16. Januar 2020 E. 3.1 mit Hinweis). Das Untersuchungsgeheimnis bezweckt einerseits die gezielte und reibungslose Durchführung von Strafverfahren und dient andererseits dem Schutz der vom Strafverfahren unmittelbar betroffenen Personen. Ebenso soll der Prozess der Meinungsbildung und der Entscheidfindung innerhalb eines staatlichen Organs vor Störungen geschützt werden. Schliesslich ist auch an die privaten Interessen weiterer Personen, namentlich an jene der Opfer einer Straftat zu denken, die durch die Geheimhaltungspflicht davor bewahrt werden, dass die Öffentlichkeit Details über ihre Intim- und/oder Privatsphäre erfährt (vgl. Urteil 1B_435/2019 vom 16. Januar 2020 E. 3.1 mit Hinweisen; BRÜSCHWEILER/NADIG/SCHNEEBELI, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung StPO, 3. Aufl. 2020, N. 1 zu Art. 73 StPO). Das Untersuchungsgeheimnis gilt im Grundsatz über den rechtskräftigen Abschluss eines Strafverfahrens hinaus. |
Dem Gesuch der Beschwerdeführerin um uneingeschränkte Einsicht in die gesamten Strafakten stehen damit gewichtige staatliche Geheimhaltungsinteressen entgegen, wären von einer solchen Einsicht doch unzählige, sowohl aus persönlicher wie auch aus behördlicher Sicht sensible Informationen betroffen. Einsichtsgesuche dürfen das gute Funktionieren der Strafjustiz sodann nicht gefährden (vgl. oben E. 3.1.2), was auch noch nach dem rechtskräftigen Abschluss eines Strafverfahrens zu bedenken ist. So kann seitens der Untersuchungsbehörden namentlich mit Blick auf künftige Verfahren ein Interesse daran bestehen, dass keine Angaben zu verfolgten Ermittlungstaktiken und Untersuchungsstrategien veröffentlicht werden. Zudem sollen die in eine Strafuntersuchung involvierten Personen davon ausgehen können, dass im Rahmen eines Vorverfahrens getätigte Ermittlungen und Untersuchungen in aller Regel nicht an die Öffentlichkeit gelangen. Insbesondere können gerade zu Beginn einer Strafuntersuchung auch Personen an einem Verfahren beteiligt sein, gegen die sich ein anfänglicher Verdacht nicht erhärtet.
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Insgesamt ergeben sich daraus gewichtige öffentliche Interessen, welche der Einsicht in die Strafakten entgegenstehen.
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7. Zusammenfassend überwiegen die privaten Interessen der Beschwerdegegner und die öffentlichen Geheimhaltungsinteressen das Interesse der Beschwerdeführerin an der Einsicht in die Akten des Strafverfahrens. Die Vorinstanz hat der Beschwerdeführerin daher zu Recht die Einsicht in die Strafakten verweigert. (...)
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