81 II 33
Urteilskopf
81 II 33
5. Urteil der II. Zivilabteilung vom 17. Februar 1955 i. S. Treichler gegen Lattmann.
Regeste
Klage auf Ungültigerklärung eines Testaments.
Aktivlegitimation (Art. 519 Abs. 2 ZGB).
Wirkungen des die Klage gutheissenden Urteils.
A.- Gustav Treichler-Schneider errichtete am 10. Juni 1939 eine eigenhändige letztwillige Verfügung, mit der er seine Ehefrau als Universalerbin einsetzte und anordnete, dass die andern pflichtteilsberechtigten Erben (Geschwister) nur den Pflichtteil erhalten sollen. Mit "Ersatzverfügung"
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vom 5. Juni 1945 bestimmte er, seine Geschwister seien auch beim Vorversterben seiner Ehefrau auf den Pflichtteil beschränkt; der übrige Nachlass solle in diesem Falle den Eheleuten Jakob und Marie Lattmann-Schneider (Schwager und Schwester seiner Ehefrau) zukommen. In einem vom 8. April 1949 datierten "Nachtrag" bestätigte er sein Testament vom 10. Juni 1939, widerrief dagegen "alle andern letztwilligen Verfügungen, insbesondere die Ersatzverfügung vom 5. Juni 1946" (gemeint offenbar: 1945) und verfügte für den Fall des Vorversterbens seiner Ehefrau, dass unter Vorbehalt des Pflichtteils der Geschwister sein Pflegesohn Jakob Lattmann-Kunz (Sohn der Eheleute Lattmann-Schneider) seinen Nachlass erhalten solle. Ein weiteres, ebenfalls vom 8. April 1949 datiertes Testament stimmt inhaltlich mit der eben erwähnten Verfügung überein.Am 30. Juni 1953 starb Gustav Treichler, nachdem ihm seine Ehefrau am 7. Februar 1953 im Tode vorausgegangen war. Als gesetzliche Erben hinterliess er drei Geschwister und zwei Nachkommen eines vorverstorbenen Bruders.
B.- Am 10. März 1954 leiteten die gesetzlichen Erben gegen Jakob Lattmann-Kunz Klage ein, mit der sie die Ungültigerklärung der beiden Verfügungen vom 8. April 1949 verlangten. Sie machten geltend, diese Verfügungen seien nicht richtig datiert und auch deswegen ungültig, weil der Erblasser schon lange vor 1949 urteilsunfähig gewesen sei. Der Beklagte bestritt in erster Linie die Aktivlegitimation der Kläger, indem er behauptete, sie seien an der Ungültigerklärung der angefochtenen Verfügungen als Erben nicht interessiert, weil im Falle, dass diese Verfügungen ungültig erklärt würden, für die Erbteilung das Testament vom 5. Juni 1945 massgebend wäre, das sie ebenfalls auf den Pflichtteil setze. Die Kläger brachten demgegenüber vor, sie seien als gesetzliche Erben an der Ungültigerklärung der streitigen Verfügungen moralisch interessiert, was nach Art. 519 Abs. 2 ZGB genüge; es stehe ihnen aber auch ein materielles Interesse zur Seite,
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weil sie mit den Eheleuten Lattmann-Schneider, die wie sie zur Auffassung gelangt seien, dass der Erblasser schon 1945 verfügungsunfähig gewesen sei, und daher bereit gewesen wären, eine Klage auf Anfechtung des Testaments vom 5. Juni 1945 anzuerkennen, in einem aussergerichtlichen Vergleich vom 8. September 1953 übereingekommen seien, dass im Falle der Ungültigerklärung der Verfügungen vom 8. April 1949 die verfügbare Quote zwischen den gesetzlichen Erben und den Eheleuten Lattmann-Schneider hälftig zu teilen sei...Am 19. Oktober 1954 hat das Obergericht des Kantons Zürich die Klage mangels Aktivlegitimation der Kläger abgewiesen mit der Begründung, bei Ungültigerklärung der Verfügungen vom 8. April 1949 fiele die verfügbare Quote nach dem unangefochtenen Testament vom 5. Juni 1945 den Eheleuten Lattmann-Schneider zu. Die Vereinbarung vom 8. September 1953 gebe den Klägern keinen erbrechtlichen, sondern nur einen schuldrechtlichen Anspruch auf Ablieferung der Hälfte dieser Quote. Ihr materielles Interesse an der Ungültigerklärung der angefochtenen Verfügungen sei daher nicht erbrechtlicher Natur. Die Erbeneigenschaft als solche genüge nicht, um die Klagelegitimation zu begründen. Ein ideelles Interesse - das auch erbrechtlicher Natur sein müsste - sei nicht glaubhaft gemacht.
C.- Gegen dieses Urteil haben die Kläger die Berufung an das Bundesgericht erklärt mit dem Begehren, ihre Aktivlegitimation sei zu bejahen und der Prozess zur materiellen Behandlung der Ungültigkeitsklage an die kantonalen Instanzen zurückzuweisen.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
2. Die Ungültigkeitsklage kann nach Art. 519 Abs. 2 ZGB von jedermann erhoben werden, der als Erbe oder Bedachter ein Interesse daran hat, dass die Verfügung für ungültig erklärt wird. Die Kläger legen diese Bestimmung
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in dem Sinne aus, dass das Interesse an der Ungültigerklärung der angefochtenen Verfügung nicht materieller Natur (in Geld abschätzbar) zu sein brauche, sondern dass ein ideelles Interesse genüge, und sind zudem der Meinung, dass die gesetzlichen Erben ein besonderes Interesse überhaupt nicht nachzuweisen haben, sondern kraft ihrer Stellung unter allen Umständen zur Testamentsanfechtungsklage legitimiert seien. Ob diese Auffassung zutreffe, kann dahingestellt bleiben, wenn sich ergibt, dass die Kläger an der Ungültigerklärung der Verfügungen vom 8. April 1949 als Erben materiell interessiert sind; denn wenn dies zutrifft, sind sie auf jeden Fall klageberechtigt.
3. Bei Beurteilung der Frage, ob jemand an der Ungültigerklärung einer bestimmten Verfügung als Erbe oder Bedachter ein materielles Interesse habe, ist von Bedeutung, welche Wirkung dem Urteil über eine Testamentsanfechtungsklage zukommt, insbesondere für welche Personen es Recht schafft.
Die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichts geht dahin, dass ein Urteil über eine solche Klage nur zwischen den Prozessparteien wirkt (BGE 40 II 192,BGE 44 II 116,BGE 57 II 152,BGE 78 II 183lit. b). An dieser Rechtsprechung, die ESCHER kritisiert (2. Auflage, N. 6 zu Art. 519), TUOR dagegen heute billigt (2. Auflage, Vorbem. zu Art. 519-521, N. 6 b) ist festzuhalten. Sie kann sich vor allem auf die Erwägung stützen, dass es im Belieben der Beteiligten steht, ob und allenfalls wieweit sie eine letztwillige Verfügung gelten lassen wollen. Im Unterschied etwa zu Klagen, die den Familienstand betreffen, kommt bei der Klage auf Ungültigerklärung eines Testaments kein öffentliches Interesse in Betracht, das verlangen würde, dass das die Klage gutheissende Urteil gegenüber jedermann wirke. Aus Art. 520 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 503 ZGB lässt sich entgegen der Auffassung ESCHERS (S. 408 oben) kein Argument gegen die bundesgerichtliche Rechtsprechung gewinnen. Auch wenn man nämlich davon ausgeht, dass die Ungültigerklärung nur unter den Prozessparteien
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wirkt, versteht sich keineswegs von selbst, sondern musste besonders gesagt werden, dass wegen der Mitwirkung von Personen, die selber oder deren Angehörige in der Verfügung bedacht sind, nur diese Zuwendungen für ungültig erklärt werden, d.h. dass die erwähnte Formwidrigkeit nicht dazu dienen kann, eine Klage auf Ungültigerklärung des ganzen Testaments zu begründen.Schafft das Urteil im Testamentsanfechtungsprozess nur im Verhältnis zwischen den Prozessparteien Recht, so können sich die Eheleute Lattmann-Schneider, welche die Verfügungen vom 8. April 1949 nicht angefochten haben, im Falle der Gutheissung der vorliegenden Klage weder gegenüber den Klägern noch gegenüber dem Beklagten darauf berufen, dass diese Verfügungen dahingefallen seien und dass demzufolge das durch sie widerrufene, zu ihren Gunsten lautende Testament vom 5. Juni 1945 wieder in Kraft getreten und zu vollziehen sei. Vielmehr bleiben die Verfügungen vom 8. April 1949, die das Testament vom 5. Juni 1945 aufgehoben haben, ihnen gegenüber massgebend. (Dies gilt wenigstens für solange, als sie nicht ihrerseits auf Ungültigerklärung der Verfügungen vom 8. April 1949 klagen, was heute nur noch unter den Voraussetzungen von Art. 521 Abs. 2 ZGB möglich wäre und im Hinblick auf die Vereinbarung vom 8. September 1953 praktisch nicht mehr zu erwarten ist. Die Möglichkeit, die Ungültigkeit dieser Verfügungen jederzeit durch Einrede gemäss Art. 521 Abs. 3 geltend zu machen, steht ihnen nicht zu Gebote, weil sie die Erbschaft nicht besitzen.) Erreichen die Kläger die Ungültigerklärung der Verfügungen vom 8. April 1949, so fällt also der Nachlass nicht den im Testament vom 5. Juni 1945 als Erben eingesetzten Eheleuten Lattmann, sondern den Klägern als den gesetzlichen Erben zu. Unter diesen Umständen steht ausser Zweifel, dass die Kläger an der Ungültigerklärung jener Verfügungen als Erben materiell interessiert und folglich zur Klage legitimiert sind.
Die Vereinbarung, welche die Kläger am 8. September
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1953 mit den Eheleuten Lattmann getroffen haben, vermag hieran nichts zu ändern. Wenn die Kläger und die Eheleute Lattmann, um einen Prozess zwischen ihnen zu vermeiden und den Eheleuten Lattmann die Führung eines Prozesses gegen den Beklagten zu ersparen, sich darauf einigten, das Ergebnis des Prozesses der Kläger gegen den Beklagten unter sich zu teilen, so war das ihre Sache. Den Beklagten geht das nichts an. Ihm gegenüber haben allein die Kläger auf das Erbe Anspruch, wenn sie den vorliegenden Prozess gewinnen.Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird gutgeheissen, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen.
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Artikel: Art. 519 Abs. 2 ZGB, Art. 503 ZGB, Art. 521 Abs. 2 ZGB