BGE 81 II 207
 
36. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 26. April 1955 i.S. Ryser gegen Bollinger.
 
Regeste
Liegenschaftskauf, Gewährleistung für zugesicherte Eigenschaften, OR Art. 197, 205 Abs. 1.
Preisminderung, Berechnung des Minderwertes bei Fehlen einer zugesicherten Eigenschaft (Erw. 3, 4).
 
Sachverhalt


BGE 81 II 207 (207):

A.- Durch öffentlich beurkundeten Vertrag vom 6. September 1952 kaufte Arthur Bollinger von Fritz Ryser das Wohn- und Geschäftshaus Baselstrasse 72 in Luzern zum Preise von Fr. 137 000.--. In den besonderen Bestimmungen wurde der Übergang von Nutzen und Gefahr auf den 1. Oktober 1952 festgesetzt und ausserdem verabredet:
unter Ziff. 3a: "Für die Kaufsache wird keine Nachwährschaft geleistet."
unter Ziff. 5: "Der Käufer hat von den bestehenden Mietverträgen Einsicht genommen, dieselben werden dem Käufer überbunden."
Als dann der Erwerber gestützt auf die Verfügung der Eidg. Preiskontrollstelle über Mietzinse für Immobilien vom 30. August 1950 eine Mietzinserhöhung vornehmen wollte, zeigte es sich, dass der frühere Hauseigentümer

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verschiedentlich ohne behördliche Genehmigung Mietzinsen verlangt und bezogen hatte, welche die kantonale Preiskontrollstelle in einem Schreiben vom 13. Januar 1953 als übersetzt bezeichnete. Daraufhin liess der Käufer am 21. Januar 1953 dem Verkäufer mitteilen, dass, wenn die Preiskontrolle eine namhafte Herabsetzung der Zinsen anordnen sollte, er sich "als absichtlich getäuschter Vertragspartner vom Geschäft zurückziehen, d.h. den Rücktritt vom Vertrage wegen absichtlicher Täuschung" erklären würde, und dass, wenn "eine nicht sehr bedeutende Reduktion der Erträge" erfolge, er sich ein Begehren um Ermässigung der Kaufsumme vorbehalte. Mittels Verfügung vom 8. Mai 1953 setzte die Preiskontrollstelle die zulässigen Mietzinsen für Wohnungen und sonstige Räumlichkeiten im Hause Baselstrasse 72 auf insgesamt Fr. 7140. - pro Jahr fest.
B.- Im August 1953 klagte Bollinger gegen Ryser auf Bezahlung von Fr. 27'400.-- für Minderwert der Liegenschaft und Fr. 162.20 als Schadenersatz. Die Gerichte des Kantons Luzern schützten beide Forderungen, das Amtsgericht Luzern-Land nebst Zins ab 23. Juli 1953, das Obergericht durch Urteil vom 9. Juni 1954 mit Zins seit 1. Oktober 1952.
C.- Der Beklagte legte Berufung an das Bundesgericht ein. Er beantragt gänzliche Abweisung der Klage, eventuell ihre Gutheissung nur im Umfange von Fr. 19'591.--. Der Kläger schliesst auf Bestätigung des kantonalen Entscheides.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Nach den tatbeständlichen Angaben im Urteil des Obergerichtes hat der Beklagte gegenüber dem Kläger sowohl durch Verheimlichung des Fehlens als auch durch Vorspiegelung des Vorhandenseins behördlicher Bewilligung der in den überbundenen Verträgen angeführten Mietzinsen und ferner durch den Hinweis auf deren mögliche Erhöhung bewusst unwahre Auskünfte über den Ertrag der Liegenschaft

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erteilt. Dann ist die Folgerung auf arglistige Täuschung zwingend. Was die Berufung dazu vorbringt, erschöpft sich in unzulässiger Kritik an der vorinstanzlichen Beweiswürdigung (Art. 55 Abs. 1 lit c. und 63 Abs. 2 OG). Es handelt sich um die Zusicherung einer Eigenschaft der Sache (BGE 63 II 79), die nach der allgemeinen Lebenserfahrung wie nach dem Ablauf der Parteibesprechungen für den Kaufsentschluss entscheidend war. Die Berufungseinwände, der Kläger habe nur eine "sichere Kapitalanlage" gesucht und würde auch gekauft haben, wenn der Beklagte "die Mietverträge vorgängig des Kaufes ihm nicht vorgelegt bzw. ihn darüber orientiert hätte, dass bezüglich der Genehmigung der Mietzinse bei der kant. Preiskontrolle sich eventuell noch gewisse Schwierigkeiten herausstellen" könnten, sind unbehelflich und nicht zu hören. Denn die Vorinstanz sagt ausdrücklich, dass der Kläger "ein Renditenobjekt erwerben wollte". Im übrigen steht fest, dass die hinterher von der Behörde erlaubten Mietzinsen die Höhe der versprochenen "bei weitem nicht erreichten". Die Gewährspflicht des Beklagten ist somit, ungeachtet der Wegbedingung in der Kaufsurkunde, gemäss Art. 197 und 199 OR zu bejahen, und der Kläger hat gemäss Art. 205 OR grundsätzlich den im Prozess geltend gemachten Anspruch auf Preisminderung.
a) Darüber, wie der Minderwert zu bestimmen sei, schreibt das OR nichts vor. Nach alter schweizerischer Rechtsprechung und Lehre, welche auf das gemeine Recht

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zurückgeht, ist er nach der relativen Berechnungsweise zu ermitteln, d.h. der Kaufpreis ist auf denjenigen Betrag herabzusetzen, der - im Zeitpunkte des Vertragsschlusses - dem Verhältnis zwischen dem objektiven Wert der Sache ohne Mängel bzw. mit den zugesicherten Eigenschaften und ihrem objektiven Wert im tatsächlichen Zustande entspricht. Die Formel fusst auf der Erfahrung, dass der Kaufpreis häufig über oder unter dem objektiven Sachwerte liegt; sie will das vertragsmässige Verhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung erhalten (OSER/SCHÖNENBERGER, zu Art. 205 OR N. 18; BECKER, zu Art. 205 OR N. 15 ff.; vgl. § 472 DBGB und HECK, Grundriss des Schuldrechts, § 87 Ziff. 8).
b) Darum ist, zumindest als allgemeine Regel, jene Berechnungsart abzulehnen, die nach dem Unterschied im Werte der als mängelfrei gedachten und der mit Mängeln behafteten Sache, also nach der absoluten Wertdifferenz forscht. Sie ist freilich beim Viehkauf in Art. 11 Abs. 3 der VO betreffend die Gewährleistung im Viehhandel vorgeschrieben und führt dort oft zu richtigen, mitunter aber auch zu stossenden Ergebnissen (vgl. LIVER, Besonderheiten des Viehkaufes, in Festschrift für Guhl S. 138/40). Auf alle Kaufverträge lässt sich das Verfahren aus dem genannten Grunde nicht übertragen. Ebensowenig ist eine dritte (von ROSSEL, Manuel S. 280, vertretene) Methode zu billigen, die den zu erstattenden Minderwert in der Differenz zwischen dem Kaufpreise und dem Werte der mangelhaften Sache sieht. Sie hat zur Folge, dass eine Minderung nie Platz greifen kann, wo trotz Mangelhaftigkeit oder Fehlens einer zugesicherten Eigenschaft der objektive Wert der Sache den Kaufpreis erreicht. Das verträgt sich nicht mit dem Wortlaute und dem Sinne des Gesetzes, welches dem Käufer wegen jeden Mangels, der den Wert oder die Brauchbarkeit der Sache beeinträchtigt, und wegen jeden Fehlens einer zugesicherten Eigenschaft den Gewährleistungsanspruch gibt.
c) Bei einem dem vorliegenden analogen Tatbestande

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hatte sich der unveröffentlichte BGE vom 18. Dezember 1945 i.S. Bosshardt und Lieber c. Immobilien A.-G., ausser mit der soeben erörterten absoluten, noch mit einer anderen Minderwertsberechnung zu befassen. Sie besteht darin, dass die aus den zugesicherten Mietzinseinnahmen sich ergebende Bruttorendite des Kaufpreises festgestellt und der Zinausfall zu diesem Prozentsatze kapitalisiert wird. Das Bundesgericht bezeichnete sie als unzulässig, weil mit der Zusicherung einer zur Zeit des Kaufes erhältlichen Mietzinssumme nicht für die Zukunft der nämliche Ertrag garantiert werde. Es bekannte sich grundsätzlich zur relativen Berechnungsweise, liess es dabei jedoch nicht bewenden, sondern fügte bei:
"Allein auch diese verhältnismässige Herabsetzung, die bei der gewöhnlichen Mängelhaftung ihre Berechtigung hat und dem Umstand gerecht wird, dass die fehlende Preiswürdigkeit keinen Mangel im Sinne des Gesetzes darstellt, vermag nicht zu befriedigen in Fällen, wo die Haftung für zugesicherte Eigenschaften in Frage steht. Denn auch wenn eine solche Zusicherung nicht einer Garantieübernahme gleichgesetzt werden darf, so muss sie doch eine qualifizierte Haftung des Verkäufers begründen, die weiter reicht als die blosse Mängelhaftung im allgemeinen... Dies ist deshalb geboten, weil der Verkäufer durch seine Zusicherung das Vertrauen des Käufers geweckt und durch die Bekräftigung, dass die Kaufsache bestimmte Eigenschaften aufweise, auf den Entschluss des Käufers bestimmend eingewirkt hat. Es rechtfertigt sich daher, in Abweichung von der relativen Berechnungsmethode als Minderwert die Differenz zwischen dem Vertragspreis und demjenigen Betrag, den der Käufer in Kenntnis des wahren Sachverhaltes ausgelegt hätte, zuzusprechen."
An dieser Auffassung kann nicht festgehalten werden. Sie befürwortet, genau besehen, nur eine Abart der als untauglich verworfenen absoluten Berechnungsmethoden. Zudem läuft sie auf eine verschiedene Ordnung der Gewährspflicht für Wert- oder Gebrauchsmängel und für das Fehlen zugesicherter Eigenschaften des Kaufsgegenstandes hinaus. Hiefür ist weder ein Rückhalt im Gesetze noch ein sachliches Bedürfnis zu finden.
4. Das Vorgehen der kantonalen Gerichte, die einfach den vom Kläger für die Liegenschaft erlegten Kaufpreis um die Differenz von rund 20% zwischen dem zugesicherten

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und dem statthaften Mietertrage kürzten, entspricht nicht der anzuwendenden relativen Berechnungsweise.
Entgegen der Berufungsrüge brauchte zwar die Möglichkeit einer Steigerung des Ertrages nach Lockerung der Mietzinsbeschränkungen nicht berücksichtigt zu werden. Denn der Zeitpunkt, in dem eine zugesicherte Eigenschaft der Kaufsache vorhanden sein muss, ist der des Überganges von Nutzen und Gefahr (vgl. den erwähnten BGE vom 18. Dezember 1945).
Aber weder im erst- noch im zweitinstanzlichen Urteil ist die Rede vom objektiven Wert der Liegenschaft mit dem zugesicherten Ertrag einerseits und dem tatsächlichen Ertrag anderseits. Das Obergericht übernimmt die "zutreffende Berechnung" der Mietzinsdifferenzen durch das Amtsgericht und erklärt dann: "Der Minderwert der Liegenschaft ist somit nach der Praxis auf 20% des Kaufpreises von Fr. 137 000.-- = Fr. 27 400.-- anzuschlagen". Eine nähere Begründung ist auch im genannten, vom Instruktionsrichter beigezogenen kantonalen Präjudiz nicht gegeben. Denkbar ist, dass sich die vorinstanzliche Berechnung an gewisse Erläuterungen zum deutschen Recht anlehnt (vgl. etwa STAUDINGER 9. Aufl., zu § 472 BGB Anm. 2 lit. b; STAUB, HBG § 377 Anm. 80; RGE vom 22. Oktober 1904, teilweise veröffentlicht in der Zeitschrift "Das Recht" 1904 S. 602 unter Nr. 2598 und die vom Herausgeber verfassten Leitsätze). Aber wie dem auch sei, jedenfalls würde die Richtigkeit der Entscheidung voraussetzen, dass der objektive Wert der Liegenschaft mit dem zugesicherten Ertrage gleich dem Kaufpreise und mit dem wirklichen Ertrage gerade um 20% geringer ist. Dahingehende Feststellungen sind nicht getroffen worden. Auch das Amtsgericht hat jene objektiven Werte nicht beachtet. Nach Angabe der Ertragsunterschiede bemerkte es lediglich: "Der Kaufpreis von Fr. 137 000.-- ist daher um 20% herabzusetzen, weil die Rendite des Objektes für dessen Wert massgebend ist". Indessen bemisst sich der objektive Wert einer Liegenschaft wohl überwiegend,

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aber nicht ausschliesslich nach dem Ertrage (vgl. HÄGI, Die Bewertung von Liegenschaften, 2. Aufl., S. 28 ff.). Auch wenn feststeht, dass der Kläger ein Renditenhaus kaufen wollte, kann doch aus vielerlei Gründen der Preis höher oder tiefer gewesen sein als die anhand des Mietertrages bestimmte Summe.
Da die verfügbaren Aktenunterlagen in wesentlichen Belangen unvollständig sind, muss die Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen werden, damit sie die erforderlichen objektiven Liegenschaftswerte erhebe und nach der relativen Methode den Minderungsanspruch des Klägers errechne.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
In teilweiser Gutheissung der Berufung wird das ange fochtene Urteil aufgehoben und die Sache an die Vorin stanz zurückgewiesen zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen.