86 II 27
Urteilskopf
86 II 27
5. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 6. Januar 1960 i.S. Thomann gegen Mani.
Regeste
Gewährleistung im Viehhandel.
Die Vorschriften von Art. 198 und 202 OR gelten nicht nur für Krankheiten, sondern auch für funktionelle Mängel, z.B. Sprungunfähigkeit eines Zuchtstiers.
A.- Der Landwirt Thomann in Commugny (VD) kaufte am 14. Januar 1958 vom Viehzüchter Mani in Latterbach (BE) auf Grund vorgängiger Besichtigung den Zuchtstier "Harald" zum Preise von Fr. 4000.--. Der Verkäufer leistete schriftlich Gewähr für die Sprungfähigkeit des Stieres. Dieser wurde am 15. Januar 1958 dem Käufer abgeliefert.
In der Zeit zwischen dem 25. und dem 29. Januar 1958 weigerte sich der Stier wiederholt, Kühe zu springen, wovon Thomann dem Verkäufer telephonisch Kenntnis gab. Dieser kam am 7. Februar 1958 in Begleitung von zwei Bekannten, Lengacher und Wegmüller, nach Commugny zu Thomann. Nach erfolglosen Sprungversuchen schüttete Wegmüller dem Stier einen Trank ein, worauf der Stier den Sprung ausführte.
Spätere Sprungversuche blieben wieder erfolglos. Nachdem ein von Thomann beigezogener Tierarzt erklärt hatte, der Stier sei nicht fähig, einen normalen Sprung auszuführen, liess Thomann durch einen Anwalt mit Schreiben vom 24. Februar und 1. März 1958 dem Verkäufer mitteilen, er verlange Wandelung des Kaufes wegen Fehlens der zugesicherten Sprungfähigkeit, über welche ihn der Verkäufer absichtlich getäuscht habe.
Der Verkäufer bestritt eine Täuschung des Käufers und machte geltend, da dieser innert der gesetzlichen Frist von 9 Tagen weder Mängelrüge erhoben noch das Viehwährschaftsverfahren eingeleitet habe, sei der Verkäufer von der Gewährspflicht befreit.
B.- Mit Klage vom 17. Juni 1958 forderte Thomann von Mani den bezahlten Kaufpreis von Fr. 4000.-- nebst Zinsen und Kosten zurück.
Der Beklagte bestritt seine Zahlungspflicht.
C.- Der Appellationshof des Kantons Bern, III. Zivilkammer, wies nach Durchführung eines Zeugenbeweisverfahrens und Einholung eines Sachverständigengutachtens die Klage mit Urteil vom 19. Juni 1959 ab.
D.- Mit der vorliegenden Berufung beantragt der Kläger erneut Verurteilung des Beklagten zur Bezahlung von Fr. 4000.-- und Fr. 48.30, je nebst Zins zu 5% seit dem 15. Januar 1958, und einer Entschädigung für die Fütterung des Stieres ab 15. Januar 1958.
Der Beklagte beantragt Abweisung der Berufung und Bestätigung des angefochtenen Entscheides.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
2. Der Kläger weist aufBGE 70 II 48ff. hin, der betone, dass im Viehhandel der Verkäufer die Krankheiten, an denen ein verkauftes Tier leide, nicht immer kenne, und dass eine Krankheit kurz nach dem Verkauf ausbrechen könne, ohne dass der Verkäufer dafür einzustehen habe. Daraus will der Kläger ableiten, dass die strengen Vorschriften der Art. 198 und 202 OR auf die Fälle von Krankheit beschränkt seien, beim Vorliegen eines funktionellen Mangels, wie z.B. gerade bei Sprungunfähigkeit eines Stieres, dagegen keine Anwendung finden. Denn diesen Mangel könne der Käufer erst entdecken, wenn er den Zuchtstier zum Springen verwende; innert der Frist von 9 Tagen stehe aber nicht immer eine stierige Kuh zur Verfügung. Da ein solcher funktioneller Mangel nicht erst nach dem Verkauf des Tieres entstehen könne, entfalle auch der Grund, aus dem das Gesetz die den Schutz des Verkäufers bezweckende kurze Frist von 9 Tagen vorsehe. Bei derartigen Mängeln sei daher auf die allgemeinen Bestimmungen der Art. 197 und 201 OR abzustellen.
Dieser Auffassung kann nicht beigepflichtet werden.
a) Die Vorschriften der Art. 198 und 202 OR beschränken für den Viehhandel die dem Käufer im allgemeinen gemäss den Art. 197, 199, 201 und 203 zu Gebote stehenden
BGE 86 II 27 S. 30
Gewährleistungsansprüche. Sie bevorzugen eindeutig den Verkäufer; das lag aber in der Absicht des Gesetzgebers (BGE 70 II 51).b) Lediglich die Ansprüche aus Gewährleistung für Trächtigkeit sind nicht abhängig von der Einhaltung der neuntägigen Frist für die Mängelrüge und das Verlangen der amtlichen Untersuchung durch Sachverständige. Das ist die einzige Ausnahme, die Art. 202 OR vorsieht, und zwar deshalb, weil die Trächtigkeit in der ersten Zeit gar nicht mit Sicherheit festgestellt werden kann. Aber auch hier muss im Gegensatz zu den allgemeinen Bestimmungen des Kaufsrechts das Währschaftsversprechen schriftlich abgegeben werden.
Es gibt allerdings noch weitere Mängel, die innert der Frist von 9 Tagen nicht immer festgestellt werden können, wie z.B. gerade die Zeugungsunfähigkeit männlicher Tiere, Euterfehler bei Kühen, die während der Galtzeit nicht feststellbar sind, periodische Augenentzündungen bei Pferden (vgl. GYGI, Der Viehkauf und die Viehwährschaft im schweizerischen Recht, S. 31 f.). Darauf wurde in der Gesetzesberatung hingewiesen; es blieb aber trotzdem bei der erwähnten einen Ausnahme hinsichtlich der Trächtigkeit (Sten. Bull. NR 1909 S. 570 f.).
c) Diese Ordnung ist in der Literatur gelegentlich als stossend und anfechtbar bezeichnet worden (LIVER, Besonderheiten des Viehkaufes, in Festschrift Guhl, S. 133,
BGE 86 II 27 S. 31
GYGI S. 32), und es wird (GYGI, a.a.O.) die Auffassung vertreten, die Zusicherung einer besonderen Eigenschaft (gesundes Euter, Zuchtfähigkeit eines Stiers) könne nach Treu und Glauben und vernünftigerweise nicht anders aufgefasst werden, als dass der Verkäufer dem Käufer für diese Eigenschaft bis zu dem Zeitpunkt einstehen wolle, in welchem sich ihr Vorhandensein oder Nichtvorhandensein überhaupt feststellen lasse. In der schriftlichen Zusicherung einer solchen besonderen Eigenschaft seien die Wegbedingung der gesetzlichen Frist von 9 Tagen und die Vereinbarung einer längeren Gewährsfrist von entsprechender Dauer zu erblicken.Diese Auffassung verträgt sich jedoch nicht mit der klaren gesetzlichen Regelung. Gewiss besteht nach Art. 202 Abs. 1 OR die Möglichkeit der Erstreckung der neuntägigen Frist durch Abrede zwischen den Vertragsparteien; auf grossen Zuchtstiermärkten soll dies sogar üblich sein (WIPRÄCHTIGER, Das Viehwährschaftsrecht in der Schweiz, 3. Aufl. S. 15). Eine solche Verlängerung muss aber nach dem eindeutigen Wortlaut von Art. 202 Abs. 1 OR und nach der Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift, vom Fall der Gewährrleistung für Trächtigkeit abgesehen, entweder schon in der ursprünglichen schriftlichen Zusicherung enthalten sein oder durch nachträgliche schriftliche Erklärung des Verkäufers vereinbart werden. Nur auf diesem Wege, nicht dagegen durch blosse Auslegung eines ohne Fristangabe abgegebenen schriftlichen Gewährleistungsversprechens ist eine Verlängerung der gesetzlichen Frist von neun Tagen möglich. An einer so vereinbarten Erstreckung der Gewährleistungsfrist fehlt es aber im vorliegenden Falle.
d) Selbst wenn man übrigens der von GYGI, a.a.O., vertretenen Auffassung folgen wollte, müsste im vorliegenden Falle ein Anspruch des Klägers aus Art. 202 OR verneint werden. Nach der eigenen Darstellung des Klägers wollte der gekaufte Zuchtstier die ihm in der Zeit vom 25. bis 29. Januar 1958 zugeführte stierige Kuh des
BGE 86 II 27 S. 32
Nachbarn Uhlmann nicht springen, und das gleiche soll sich einige Tage später mit einer andern Kuh wiederholt haben. Zur Wahrung eines Gewährleistungsanspruches hätte der Kläger nun nicht nur den Mangel dem Verkäufer anzeigen, sondern überdies unverzüglich bei der zuständigen Behörde die Untersuchung des Tiers durch Sachverständige verlangen müssen (Verordnung betreffend das Verfahren bei der Gewährleistung im Viehandel, Art. 3 Abs. 2). Die Untersuchung durch behördlich Sachverständige ist also auch durchzuführen, falls die gesetzliche Garantiefrist durch Parteiabrede verlängert worden ist (RIEDI, Der Viehhandel in der Schweiz, S. 43 Beispiel Nr. 63 Abs. 2, S. 44 Mitte). Die private Beiziehung eines Tierarztes genügt nicht (GYGI, S. 26 unten). Da der Kläger keine Untersuchung durch amtliche Sachverständige veranlasst hat, würde es auf jeden Fall an einer unerlässlichen Voraussetzung zur Geltendmachung eines Anspruches aus Art. 202 OR fehlen.e) Nach dem Gesagten kommen im Viehhandel hinsichtlich der Gewährleistung die Sondervorschriften der Art. 198 und 202 OR auch dort zur Anwendung, wo funktionelle Mängel in Frage stehen. Die Voraussetzungen des Art. 202 OR, die für eine Haftbarmachung des Verkäufers gegeben sein müssen, sind aber im vorliegenden Fall vom Käufer nicht erfüllt worden.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Appellationshofes des Kantons Bern, III. Zivilkammer, vom 19. Juni 1959 wird bestätigt.
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