86 II 398
Urteilskopf
86 II 398
60. Urteil der I. Zivilabteilung vom 13. Dezember 1960 i. S. Oberleitner gegen Huber.
Regeste
Grundstückkauf, Formmangel; Rechtsmissbrauch. Art. 216 Abs. 1 OR, Art. 2 ZGB.
Der Formmangel ist im Verhältnis zwischen den Vertragsparteien unbeachtlich, wenn seine Berücksichtigung gegen Treu und Glauben verstiesse (Erw. 1). Voraussetzungen hiefür (Erw. 2).
A.- Der Beklagte Oberleitner verkaufte an den Kläger Huber mit öffentlich beurkundetem Kaufvertrag vom 29. November 1956 eine Liegenschaft, bestehend aus Wohnhaus und Garten. Der Kaufpreis wurde mit Fr. 53'000.-- verurkundet, zu tilgen durch Übernahme der Grundpfandschulden von Fr. 45'000.-- und durch Barzahlung der Differenz von Fr. 8000.--. Bezüglich dieses Restkaufpreises von Fr. 8000.-- wurde in der Kaufsurkunde erklärt, er sei bereits bar bezahlt worden. Wie nicht streitig ist, hatte jedoch der Kläger nur Fr. 3000.-- in bar erlegt und dazu ein Gemälde im Werte von Fr. 2000.-- an Zahlung gegeben, d.h. also insgesamt Fr. 5000.-- bezahlt. Der Kaufpreis betrug somit in Wirklichkeit nicht Fr. 53'000.-- wie verurkundet, sondern lediglich Fr. 50'000.--.
Der Kläger bezog die Liegenschaft Anfang Dezember
BGE 86 II 398 S. 399
1956. In der Folge zeigten sich am Haus Feuchtigkeitserscheinungen, weswegen der Kläger am 24. Januar 1957 Mängelrüge erhob.
B.- Am 9./22. November 1957 reichte der Käufer Huber beim Vermittleramt Klage ein auf Wandelung des Kaufvertrages wegen Mängeln der Kaufsache und auf Zusprechung von Fr. 984.-- Schadenersatz; eventuell verlangte er Zusprechung des Betrages von Fr. 10'619.70 nebst Zins unter dem Titel der Minderung des Kaufpreises und des Schadenersatzes. Vor Gericht liess er dann aber das Hauptbegehren auf Wandelung fallen und beschränkte sich auf die Geltendmachung des Minderungs- und Schadenersatzanspruches.
Der Beklagte bestritt die Klage im vollen Umfang.
C.- Das Bezirksgericht St. Gallen wies mit Urteil vom 27. November 1958 die Klage mit der Begründung ab, Voraussetzung für einen Gewährleistungsanspruch sei das Vorhandensein eines gültigen Kaufvertrages. Ein solcher sei aber zwischen den Parteien nicht zustande gekommen, weil der öffentlich beurkundete Kaufpreis von Fr. 53'000.-- nicht dem tatsächlich vereinbarten von Fr. 50'000.-- entsprochen habe. Die Auseinandersetzung der Parteien habe daher nach den Bestimmungen über die ungerechtfertigte Bereicherung bezw. nach den Besitzesregeln ( Art. 938-940 ZGB ) zu erfolgen, was im vorliegenden Prozess wegen des Verbotes der Klageänderung nicht möglich sei. Übrigens hätte die Klage auch unter dem Gesichtspunkt des Währschaftsrechtes wegen verspäteter Mängelrüge abgewiesen werden müssen.
D.- Das Kantonsgericht St. Gallen pflichtete zwar der ersten Instanz darin bei, dass der Kaufvertrag wegen Nichtübereinstimmung des beurkundeten mit dem vereinbarten Kaufpreis an sich nichtig sei. Es erklärte die Nichtigkeit jedoch im vorliegenden Falle als unbeachtlich, weil die Berufung darauf gegen Treu und Glauben verstosse und daher einen Rechtsmissbrauch bedeute. Demgemäss behandelte das Kantonsgericht den Vertrag als rechtsgültig
BGE 86 II 398 S. 400
und trat auf das Preisminderungsbegehren ein. Es erachtete die Mängelrüge des Klägers als nicht verspätet, bejahte auf Grund eines von ihr eingeholten Expertengutachtens das Bestehen eines Preisminderungsanspruches und schützte mit Urteil vom 7. Juli 1960 die Klage im Betrage von Fr. 8770.-- nebst 5% Zins seit 29. November 1957.
E.- Mit der vorliegenden Berufung beantragt der Beklagte erneut Abweisung der Klage, eventuell Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zu neuer Beurteilung.
Der Kläger beantragt Abweisung der Berufung und Bestätigung des angefochtenen Entscheides.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Wie beide Vorinstanzen zutreffend entschieden haben und im Berufungsverfahren auch seitens beider Parteien anerkannt wird, ist der Kaufvertrag über eine Liegenschaft formnichtig, wenn, wie im vorliegenden Fall, der öffentlich beurkundete Kaufpreis dem unter den Parteien vereinbarten nicht entspricht, und zwar gilt dies nach der gegenwärtigen Rechtsprechung des Bundesgerichts ohne Rücksicht darauf, ob der tatsächlich vereinbarte Kaufpreis höher oder niedriger ist als der verurkundete. Das ist die notwendige Folge daraus, dass die gesetzlich vorgeschriebene Form alle wesentlichen Punkte des Vertrages decken muss (BGE 86 II 36 und dort erwähnte Entscheide, sowie BGE 86 II 231, 260).
Die Formnichtigkeit ist durch den Richter an sich von Amtes wegen zu beachten. Daher ist belanglos, dass der Beklagte sie im erstinstanzlichen Verfahren nicht eingewendet hat, sondern sich erst nachträglich, nachdem das Bezirksgericht die Frage von Amtes wegen aufgegriffen und das Geschäft als nichtig erklärt hatte, dann vor der zweiten Instanz auf den Formmangel berief.
Nach der Rechtsprechung (BGE 78 II 226Erw. 2, BGE 84 II 375 Erw. 2, 641 Erw. 2, BGE 86 II 232 Erw. 6, 261 Erw. 3) ist die Formnichtigkeit im Verhältnis unter den Parteien
BGE 86 II 398 S. 401
unbeachtlich, wenn ihre Berücksichtigung gegen Treu und Glauben verstossen würde; auch diese Frage ist von Amtes wegen zu prüfen (BGE 78 II 227, BGE 86 II 232 Erw. 6). Dabei hat der Richter ohne Bindung an starre Regeln die gesamten Umstände nach freiem Ermessen zu würdigen (BGE 72 II 44,BGE 78 II 227, BGE 84 II 375, BGE 86 II 232). Von dieser Rechtsprechung abzugehen, besteht kein Anlass. Rechtstheoretisch bedeutet es zwar einen gewissen Widerspruch, die von Amtes wegen zu beachtende Nichtigkeit im Einzelfalle gleichwohl unberücksichtigt zu lassen und ein an sich nichtiges Geschäft so zu behandeln, wie wenn es gültig wäre. Allein über diese theoretische Unstimmigkeit darf, wie die I. Zivilabteilung des Bundesgerichts anlässlich eines Meinungsaustausches vom 6. November 1958 mit dem Kassationshof über diese Frage ausgeführt hat, aus praktischen, vom Gesichtspunkt der Billigkeit aus gebotenen Gründen hinweggesehen werden. Insbesondere kommt dem Umstand, dass bei dieser Lösung Grundbucheintrag und materielle Rechtslage nicht miteinander übereinstimmen, praktisch keine grosse Bedeutung zu, da eine ernstliche Beeinträchtigung der Grundbuchsicherheit deswegen nicht zu befürchten ist. Denn wer von dem im Grundbuch als Eigentümer Eingetragenen gutgläubig das Eigentum oder ein anderes dingliches Recht erwirbt, ist nach Art. 973 ZGB in seinem Erwerb geschützt, selbst wenn sein formeller Rechtsvorgänger zufolge Formmangels seines Erwerbsaktes materiell nicht Eigentümer gewesen sein sollte. Der als Eigentümer Eingetragene selber befindet sich allerdings insofern in einer ungewissen Rechtslage, als er mit der Möglichkeit rechnen muss, dass der zu seinen Gunsten bestehende Grundbucheintrag wegen Fehlens eines Rechtsgrundes dahinfallen könnte. Aber über diese Unsicherheit kann er sich nicht beklagen, wenn er um anderer Vorteile willen zu der Eintragung auf Grund eines ungültigen Kaufvertrages Hand geboten hat. Gegen unbillige Folgen dieser Ungewissheit ist er dadurch geschützt, dass dort, wo die Umstände es rechtfertigen, dem BGE 86 II 398 S. 402
Vertragsgegner die Berufung auf den Formmangel wegen Rechtsmissbrauchs verwehrt ist. Angesichts der praktisch geringen Bedeutung, welche der Nichtübereinstimmung von Grundbuch und materieller Rechtslage zukommt, besteht auch kein Anlass, als Folge des Formmangels statt der Nichtigkeit eine besonders geartete Ungültigkeit anzunehmen, die vom Richter nicht von Amtes wegen berücksichtigt werden müsste, sondern der Geltendmachung seitens einer Partei bedürfte, wie dies gelegentlich im Schrifttum vorgeschlagen worden ist (vgl. HAAB, ZGB Art. 657 N. 34/5; KELLERHALS, Simulation im Grundstückkauf, S. 74 ff.). Denn nimmt man an, dass die Frage, ob die Berücksichtigung der Nichtigkeit nicht gegen Treu und Glauben verstiesse, ebenfalls von Amtes wegen zu prüfen ist, so entfällt das Hauptbedenken der Vertreter der Ungültigkeitstheorie, dass die Nichtigkeit auch dort von Amtes wegen berücksichtigt werden müsste, wo dies stossend wäre.
2. Die Vorinstanz hat angenommen, im vorliegenden Fall sei die Formnichtigkeit des Kaufvertrages nicht zu beachten, weil ihre Berücksichtigung gegen Treu und Glauben verstossen würde. Sie begründet diese Auffassung damit, der Beklagte wolle offensichtlich nur einer Auseinandersetzung über das Minderungs- und Schadenersatzbegehren des Klägers ausweichen; damit mache er aber die Formvorschrift des Art. 216 OR einem ihr fremden Zwecke dienstbar. Sein Interesse an der Berücksichtigung der Formnichtigkeit des bereits vollzogenen Kaufes verdiene keinen Rechtsschutz; er habe keinen Anspruch darauf, im Streit über die Frage der richtigen Erfüllung des Vertrages besser dazustehen als ein Verkäufer, der sich ordnungsgemäss an die Formvorschrift gehalten habe.
Diese Begründung hält jedoch der Prüfung nicht stand.
a) Wie das Bundesgericht wiederholt ausgesprochen hat, bedeutet es grundsätzlich keinen Rechtsmissbrauch, wenn eine Partei sich zu ihren Gunsten auf die Ungültigkeit eines Rechtsgeschäftes wegen Formmangels beruft;
BGE 86 II 398 S. 403
denn sonst würde die Formvorschrift praktisch ihrer Wirksamkeit weitgehend beraubt (BGE 53 II 165). Als rechtsmissbräuchlich kann eine solche Einwendung nur bezeichnet werden, wenn ihre Erhebung wegen besonderer Umstände gegen Treu und Glauben verstösst (BGE 86 II 261 und dort erwähnte Entscheide).b) Ein solch besonderer Umstand ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts, wie die Vorinstanz an sich zutreffend ausführt, z.B. darin zu erblicken, dass ein Verkäufer sich auf den Formmangel nur beruft, um einer Auseinandersetzung über die vom Käufer erhobenen Gewährleistungsansprüche auszuweichen; denn mit einem solchen Vorgehen macht der Verkäufer die Formvorschrift des Art. 216 OR einem ihr fremden Zweck dienstbar (BGE 78 II 229lit. b). Die Auffassung der Vorinstanz, dass es sich im vorliegenden Falle so verhalte, trifft jedoch nicht zu. Der Beklagte ist der Auseinandersetzung über das Minderungs- und Schadenersatzbegehren des Klägers keineswegs ausgewichen, sondern er hat sich vor erster Instanz darauf eingelassen. Die gegenteilige Annahme der Vorinstanz stellt keine tatsächliche Feststellung dar, an die das Bundesgericht gebunden wäre. Denn die Vorinstanz hat ihre Feststellung nicht aus Indizien gewonnen, die auf einen bestimmten inneren Willen des Beklagten schliessen liessen, sondern sie hat lediglich dessen Willenserklärung (die nachträgliche Berufung im Prozess auf die Nichtigkeit) ausgelegt. Zur Auslegung von Willenserklärungen ist das Bundesgericht aber befugt.
c) Die Vorinstanz weist sodann darauf hin, dass das nichtige Geschäft seitens beider Parteien bereits vollzogen sei. Nun hat das Bundesgericht in seiner älteren Rechtsprechung freilich bei beidseitiger freiwilliger Erfüllung des von den Parteien in Wirklichkeit gewollten Vertrages die Berufung einer Partei auf die Formnichtigkeit als missbräuchlich zurückgewiesen mit der Begründung, die Beteiligten bedürften nach erfolgter Erfüllung des Vertrages des mit dem Formerfordernis der öffentlichen
BGE 86 II 398 S. 404
Beurkundung wesentlich bezweckten Schutzes gegen die Folgen unüberlegter Entschlüsse nicht mehr (BGE 50 II 147,BGE 53 II 165,BGE 54 II 331). Diese Betrachtungsweise verquickt aber die Motive des Gesetzgebers für die Aufstellung der Formvorschrift unrichtigerweise mit dem Schutzbedürfnis im Einzelfall. Wohl wurde der Grundstückkauf wegen des allgemeinen Schutzbedürfnisses vor unüberlegten Entschlüssen (aber nicht allein deswegen) unter die Formvorschrift gestellt; das zieht grundsätzlich die Nichtigkeit jedes dieser Form entbehrenden Kaufgeschäfts nach sich, ohne dass für jeden Einzelfall das Schutzbedürfnis der betreffenden Partei dargetan sein müsste. In der neueren Rechtsprechung wurde denn auch die Erfüllung des formungültigen Vertrages durch beide Parteien zwar als ein Umstand von erheblicher Bedeutung bezeichnet, jedoch wurde offen gelassen, ob er für sich allein die Erhebung der Nichtigkeitseinrede in jedem Falle ausschliesse (BGE 72 II 43,BGE 78 II 227, BGE 84 II 376, BGE 86 II 232). Es wurden vielmehr jeweils weitere Gesichtspunkte mit in Erwägung gezogen, wie z.B., ob die Anrufung des Formmangels auf der Verfolgung eines der Formvorschrift fremden Zweckes beruhe oder ob die den Formmangel einwendende Partei diesen in arglistiger Weise selber verschuldet habe. Von einer zweckfremden Anrufung der Formvorschrift kann aber, wie bereits ausgeführt wurde, im vorliegenden Falle nicht gesprochen werden. Dass der Beklagte die Nichteinhaltung der Formvorschrift in arglistiger Absicht selber herbeigeführt habe, ist nicht behauptet, geschweige denn dargetan. Es fehlt jeder Anhaltspunkt dafür, dass der Beklagte die unrichtige Beurkundung mit der Absicht veranlasst habe, sich hinterher auf die Formwidrigkeit des Geschäftes zu berufen.d) Wenn die Vorinstanz schliesslich ausführt, dass der Beklagte keinen Anspruch darauf habe, im Streit um die Frage der richtigen Erfüllung des Vertrages besser dazustehen als ein Verkäufer, der sich ordnungsgemäss an die Formvorschrift gehalten habe, so übersieht sie, dass nach
BGE 86 II 398 S. 405
BGE 78 II 229, welchen Entscheid sie offenbar im Auge hat, dies nur dem Verkäufer entgegengehalten werden kann, der den Formfehler gewollt und gefördert hat. Für eine solche Absicht des Beklagten liegt aber, wie bereits dargelegt, nichts vor.In Anbetracht aller Umstände kann daher entgegen der Vorinstanz nicht angenommen werden, es liege darin, dass der Beklagte nachträglich die ihm von der ersten Instanz zugeschobene Berufung auf den Formmangel übernahm, ein Verstoss gegen Treu und Glauben, der eine Berücksichtigung der Formwidrigkeit verbiete.
3. Muss es somit bei der Nichtigkeit des Kaufvertrages vom 29. November 1956 sein Bewenden haben, so ist für die vom Kläger geltend gemachten Minderungs- und Schadenersatzansprüche kein Raum, da diese einen gültigen Kaufvertrag voraussetzen. Das führt zur Abweisung der Klage. Es muss den Parteien überlassen bleiben, sich, ausgehend von der Nichtigkeit des Vertrages, über die gegenseitigen Rückleistungen auseinanderzusetzen. Nach den in Anwendung des kantonalen Prozessrechtes getroffenen und daher vom Bundesgericht nicht überprüfbaren Erwägungen des Bezirksgerichts war dies im vorliegenden Prozess nicht möglich. Aber auch das Bundesgericht könnte nach Art. 55 Abs. 1 lit. c OG auf eine solche Rückforderungsklage als auf einen neuen Anspruch nicht eintreten.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird gutgeheissen, das Urteil des Kantonsgerichts St. Gallen, II. Zivilkammer, vom 7. Juli 1960 wird aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Inhalt
Ganzes Dokument
Regeste:
deutsch
französisch
italienisch