BGE 88 II 393 |
55. Urteil der II. Zivilabteilung vom 7. Dezember 1962 i.S. Sch. gegen V. |
Regeste |
Vaterschaftsklage; Blutprobe. |
Sachverhalt |
In Übereinstimmung mit dem Amtsgerichte OltenGösgen hat das Obergericht des Kantons Solothurn am 8. März 1962 die auf Vermögensleistungen gerichtete Vaterschaftsklage der Erika Sch. und ihres am 8. April 1959 geborenen Kindes gegen V. abgewiesen mit der Begründung, aus den Partei- und Zeugenaussagen könne zwar nicht mit Sicherheit geschlossen werden, dass sich die Mutter während der kritischen Zeit (12. Juni bis 10. Oktober 1958) ausser dem Beklagten auch noch andern Männern hingegeben habe; erhebliche Zweifel über die Vaterschaft des Beklagten im Sinne von Art. 314 Abs. 2 ZGB seien aber deswegen gerechtfertigt, weil der Beklagte nach dem Gutachten von Dr. med. A. Hässig, Direktor des Zentrallaboratoriums des Blutspendedienstes des Schweiz. Roten Kreuzes in Bern, vom 20. März 1961 auf Grund der Haptoglobineigenschaften Hp1 und Hp2 (Mutter und Beklagter Hp2-2, Kind Hp2-1) mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit als Vater des Kindes auszuschliessen sei. |
Gegen dieses Urteil haben die Klägerinnen die Berufung an das Bundesgericht erklärt mit dem Antrag, ihre Klage sei gutzuheissen; eventuell sei die Sache zur Durchführung einer anthropologisch-erbbiologischen Expertise an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Der Beklagte schliesst auf Bestätigung des angefochtenen Urteils.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: |
1. Wie die Vorinstanz zutreffend ausgeführt hat, rechtfertigt das Ergebnis einer naturwissenschaftlichen Untersuchung erhebliche Zweifel über die Vaterschaft des Beklagten, wenn es diese mit Sicherheit oder doch mit grösster, an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausschliesst (BGE 86 II 133 mit Hinweisen). Ob letzteres in einem bestimmten Falle zutreffe, ist eine naturwissenschaftliche Frage, die der Sachverständige zu beantworten hat. Lässt sich das obere kantonale Gericht von einem Gutachten, das diese Frage bejaht, überzeugen, so kann das Bundesgericht als Berufungsinstanz nur nachprüfen, ob die Annahme einer so hohen Wahrscheinlichkeit angesichts der Grundlagen, auf welche sie sich stützt, vertretbar sei oder ob sich diese Beurteilung des Grades der Zuverlässigkeit der Untersuchungsergebnisse nur damit erklären lasse, dass der Sachverständige und die Vorinstanz den Begriff der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit und damit die gesetzlichen Anforderungen an den zu leistenden Beweis verkannten (BGE 87 II 71 mit Hinweisen). So kann es sich z.B. dann verhalten, wenn die dem Gutachten zugrunde liegende Auffassung, dass eine Untersuchung der in Frage stehenden Art praktisch sichere Ergebnisse liefern könne, nur vereinzelt vertreten, von (andern) namhaften Autoren dagegen abgelehnt wird (vgl. BGE 87 II 72). |
Im vorliegenden Falle verweist der Experte hinsichtlich des Beweiswerts eines sog. Haptoglobin-Ausschlusses auf den von ihm gemeinsam mit Dr. R. Bütler verfassten Aufsatz in der Schweiz. Juristenzeitung 1961 S. 58 ff. Dort wird unter Bezugnahme auf die seit 1955 von Smithies und zahlreichen weitern Forschern angestellten Untersuchungen ausgeführt, die Dominanz des Erbgangs der Haptoglobineigenschaften Hp1 und Hp2 sei, soweit den Verfassern bekannt, bisher - auf Grund der Untersuchung von 742 Familien mit 2055 Kindern sichergestellt. Die Prüfung von 1859 "kritischen" Mutter/Kind-Kombinationen habe abgesehen von einem mit einer genetischen Anomalie zu erklärenden Falle, wo die Kinder von Schwestern mit dem Hp-Typ 1-1 einen schwach entwickelten Hp-Typ 2-2 zeigten, keinen dem angenommenen Erbgang widersprechenden Befund ergeben. Die Verfasser seien daher der Auffassung, dass die Haptoglobineigenschaften Hp1 und Hp2 "mit Sicherheit entsprechend den Mendelschen Erbgesetzen dominant von den Eltern auf die Kinder vererbt werden". Die Sicherheit einer forensischen Haptoglobingruppen-Bestimmung sei nach ihrer - von ausländischen Forschern geteilten - Auffassung "bei lege artis durchgeführter Untersuchung und bei Bestätigung durch einen zweiten Experten einer forensischen Blutgruppen-Bestimmung, z.B. der Faktoren M und N oder der Rhesus-Faktoren, gleichzustellen". Das heute vorliegende Untersuchungsgut und die Bestimmungssicherheit seien demnach ausreichend, "um einem lege artis untersuchten Ausschluss auf Grund der Haptoglobin-Eigenschaften Hp1 und Hp2 das Prädikat der'an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit'zuzuerkennen". (Vorausgesetzt ist dabei, wie der Zusammenhang zeigt, dass die Haptoglobineigenschaften bei den in Frage stehenden Personen nicht bloss schwach, sondern "regelrecht" ausgeprägt sind.) |
Diesen Schluss konnte die Vorinstanz übernehmen, ohne die Anforderungen an den vom Beklagten zu erbringenden Beweis zu missachten. Dem Experten und seinem Mitarbeiter kann angesichts der Begründung, die sie für ihre Auffasung geben, nicht vorgeworfen werden, den Begriff der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit verkannt zu haben. Wie ihre Literaturangaben zeigen, stehen sie mit ihrer Auffassung auch nicht etwa allein da. Dass von andern Fachleuten eine gegenteilige Ansicht vertreten werde, ist nicht dargetan.
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Die Klägerinnen machen freilich geltend, nach den von Dr. Hässig und Dr. Bütler angeführten Richtlinien des Königlich Dänischen Gerichtsärzterates vom Dezember 1957 seien hinsichtlich der Sicherheit eines Haptoglobinausschlusses gewisse Vorbehalte anzubringen, wenn eine oder mehrere der am Vaterschaftsfall beteiligten Personen im Zeitpunkt der Blutentnahme nicht bei guter Gesundheit gewesen seien. Aus dem auf dieses Zitat folgenden Hinweis darauf, dass der gleiche Gerichtsärzterat gemäss einer Mitteilung vom Oktober 1960 einem Ausschluss nach dem Haptoglobin-System nun eine Sicherheit von der Grössenordnung von 99,9% zuerkenne, darf jedoch geschlossen werden, dass auf Grund neuerer Forschungen auf den früher angebrachten Vorbehalt verzichtet werden konnte. Im übrigen ist nicht behauptet und bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass im vorliegenden Falle eine der beteiligten Personen zur Zeit der Blutentnahme nicht gesund gewesen sei.
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Es mag beigefügt werden, dass ein Urteil des Landgerichtes Koblenz vom 12. Dezember 1961 (Neue Juristische Wochenschrift 1962 S. 680 f.) Angaben enthält, die bestätigen, dass auch ausländische Fachleute einen Haptoglobin-Ausschluss heute ohne Vorbehalt als voll beweiskräftig anerkennen. In diesem Urteil wird nämlich ausgeführt, nach einer gutachtlichen Auskunft des Robert-Koch- Instituts seien für die Haptoglobintypen die Anforderungen dieses Instituts zur Zulassung der Bewertung eines Ausschlusses der Vaterschaft mit "Vaterschaft offenbar unmöglich" bereits weit überschritten. Das Institut sei zu dieser Feststellung auf Grund einer Verwendung der sog. Mutter-Kind-Statistik gelangt. An Hand einer vom Institut vorgenommenen Umfrage bei zahlreichen Sachverständigen hätten sich bisher 5717 Fälle feststellen lassen, in denen keine Ausnahme von der Erbregel festgestellt worden sei. Bei den Haptoglobintypen liege also ein Sicherheitsgrad von mindestens 1: 5717 vor. |
Dass die Bestimmung der Haptoglobineigenschaften bei den Parteien vom Experten bzw. seinem Mitarbeiter Dr. Bütler und von dem mit der Kontrolluntersuchung beauftragten P. D. Dr. Dr. H. Baitsch, Institut für Anthropologie und Humangenetik der Universität München, kunstgerecht durchgeführt wurde, steht nach den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz ausser Zweifel. Es darf aber auch unbedenklich angenommen werden, dass der Experte nicht erklärt hätte, die Vaterschaft des Beklagten V. sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschliessen, wenn die festgestellten Haptoglobineigenschaften nicht mit der nach seiner eigenen Auffassung erforderlichen Deutlichkeit ausgeprägt gewesen wären.
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Es bedeutet daher keine Bundesrechtsverletzung, dass die Vorinstanz angenommen hat, das Ergebnis der Ermittlung dieser Bluteigenschaften rechtfertige erhebliche Zweifel über die Vaterschaft des Beklagten und die Klage sei daher gemäss Art. 314 Abs. 2 ZGB abzuweisen (vgl. hiezu auch BGE 87 I 505).
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2. Die Klägerinnen haben sich allerdings nicht darauf beschränkt, die forensische Verwertbarkeit der Haptoglobinbestimmung zu bestreiten, sondern ausserdem geltend gemacht, auf jeden Fall müsste die durchgeführte Untersuchung durch eine anthropologisch-erbbiologische Begutachtung ergänzt werden, da das Bundesgericht diesem Beweismittel volle Beweiskraft zuerkannt habe. Im Entscheide BGE 87 II 65 ff., auf den die Klägerinnen sich offenbar berufen wollen, hat jedoch das Bundesgericht die Beweiskraft des von der Vorinstanz eingeholten Gutachtens nicht frei geprüft, sondern nur erklärt, die Vorinstanz habe auf die Schlussfolgerung des Sachverständigen, dass die Zweitklägerin mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vom Beklagten gezeugt worden sei, ohne Missachtung der bundesrechtlichen Anforderungen an den Beweis abstellen können. |
Die Blutuntersuchung hatte in jenem Falle (anders als im vorliegenden) die Vaterschaft des Beklagten nicht ausgeschlossen. Im Gegenteil stützte sich die erwähnte Schlussfolgerung des anthropologisch-erbbiologischen Gutachtens zu einem wesentlichen Teil darauf, dass allein schon der Blutbefund die Vaterschaft des Beklagten als sehr wahrscheinlich erscheinen liess (Wahrscheinlichkeit auf Grund des Blutbefundes mindestens 96,2%; vgl. S. 72). Wenn in Erwägung 4 (S. 73) erklärt wurde, bei positiv nachgewiesener Vaterschaft bleibe für die Einrede aus Art. 314 Abs. 2 ZGB kein Raum, so darf dies also keineswegs dahin verstanden werden, einem für die Vaterschaft des Beklagten sprechenden Ergebnis der anthropologisch-erbbiologischen Begutachtung komme gegenüber einem diese Vaterschaft ausschliessenden Ergebnis der Blutuntersuchung der Vorrang zu. Vielmehr wollte damit, wie dem Zusammenhang (insbesondere auch dem letzten Satze von Erw. 4) zu entnehmen ist, nur gesagt werden, dem Beklagten könne in einem solchen Falle der mit den dafür üblichen Beweismitteln geleistete Beweis nichts helfen, dass die Mutter in der kritischen Zeit ausser mit ihm auch noch mit andern Männern geschlechtlich verkehrt habe.
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Die Frage, ob im Vaterschaftsprozess der klagenden Partei von Bundesrechts wegen ein Anspruch auf Durchführung einer anthropologisch-erbbiologischen Begutachtung zustehe, wurde im angeführten Entscheide (Erw. 6 S. 74) und auch seither (BGE 87 II 287) offen gelassen.
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Sie braucht auch heute nicht grundsätzlich entschieden zu werden. Die Vorinstanz hat den Antrag des Beklagten auf Anordnung eines anthropologisch-erbbiologischen Gutachtens mit der Begründung abgelehnt, eine solche Ergänzung des Beweisverfahrens erübrige sich, nachdem festgestellt sei, dass einem Haptoglobin-Ausschluss eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit zuzuerkennen sei. Damit hat sie erklärt, ein solches Gutachten könnte am bisherigen Beweisergebnis nichts ändern. Gegen diese vorweggenommene Würdigung eines derartigen Gutachtens ist von Bundesrechts wegen nichts einzuwenden. Es kann keine Rede davon sein, dass die dem angefochtenen Entscheid zugrundeliegende Auffassung über das Verhältnis zwischen Blutprobe und anthropologisch-erbbiologischem Gutachten zu gesicherten Erkenntnissen der Wissenschaft im Widerspruch stehe. Sie deckt sich vielmehr mit der Ansicht angesehener Fachleute (vgl. BEITZKE, HOSEMANN, DAHR, SCHADE, Vaterschaftsgutachten für die gerichtliche Praxis, 1956, S. 20: "Auch ist das erbbiologische Gutachten wegen seiner geringern Beweiskraft erst dann einzuholen, wenn andere Beweismittel versagt haben", und S. 133: "Ist ein Mann durch Blutuntersuchung als Erzeuger des Kindes ausgeschlossen, so ist er im allgemeinen in die anthropologisch-erbbiologische Untersuchung nicht mehr einzubeziehen"; HEGNAUER N. 73 zu Art. 254 ZGB; vgl. auch das bereits zitierte Urteil des Landgerichts Koblenz, das auf Grund der eingeholten Gutachten und der gutachtlichen Auskunft des Robert-Koch-Instituts dazu gelangt ist, dem auf Grund der Haptoglobintypen festgestellten Vaterschaftsausschluss "eine absolute, jeden Gegenbeweis ausschliessende Beweiskraft" zuzumessen). Es leuchtet denn auch ein, dass ein auf der Prüfung von vererblichen Körpermerkmalen beruhendes Gutachten nicht wohl zum Schlusse führen kann, der Beklagte sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der Vater (wie dies für die Gutheissung der Klage auf Grund eines solchen Gutachtens erforderlich wäre), wenn eine zuverlässige Bestimmung vererblicher Bluteigenschaften das Ergebnis gezeitigt hat, die Vaterschaft des Beklagten sei mit eben diesem Grade der Wahrscheinlichkeit auszuschliessen. |
Demnach erkennt das Bundesgericht:
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