92 II 73
Urteilskopf
92 II 73
12. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 16. Juni 1966 i.S. X. gegen X.
Regeste
Art. 148 Abs. 2 ZGB, Scheidungsklage nach Ablauf der Trennung.
Dem schuldlosen, auf Scheidung beklagten Ehegatten kann nicht vorgeworfen werden, er verweigere die Wiedervereinigung, wenn der Kläger diese überhaupt nicht oder nicht ernstlich verlangt. Ein ernsthafter Wiedervereinigungsvorschlag liegt nicht vor, wenn der alleinschuldige Scheidungskläger zwar zur Wiedervereinigung bereit, aber nicht gewillt ist, sein ehewidriges Verhalten aufzugeben (Bestätigung der bisherigen Rechtsprechung).
A.- Am 2. Juni 1960 wurde die Ehe der Parteien X. auf Begehren der Ehefrau vom Bezirksgericht in Anwendung von Art. 142 ZGB auf unbestimmte Zeit getrennt; die Widerklage
BGE 92 II 73 S. 74
des Ehemannes auf Scheidung wurde gestützt auf Art. 142 Abs. 2 abgewiesen. Das Gericht war der Auffassung, der Beklagte sei "zum weitaus überwiegenden Teil" für das Scheitern der Ehe verantwortlich, weil er während einer langen Reihe von Jahren krass ehewidrige Verhältnisse mit andern Frauen, in der letzten Zeit namentlich mit Berta Y., unterhalten hatte.
B.- Am 18. Oktober 1963 fragte der damalige Anwalt des Ehemannes X., Dr. E., den Anwalt der Frau X., Dr. K., brieflich an, ob diese nun zu scheiden oder die eheliche Gemeinschaft wieder aufzunehmen gedenke. Am 4. November 1963 antwortete Dr. K., seine Klientin sei bereit, die Ehe wieder "aufzunehmen", und ersuchte um Mitteilung, wann X. (an den früheren Wohnort G) zurückkehren wolle, damit seine Klientin die nötigen Vorbereitungen treffen könne. Dr. E. schrieb dem Gegenanwalt hierauf am 15. Oktober 1963, sein Klient nehme von dieser Bereitschaft Kenntnis. Frau X. müsse aber darauf hingewiesen werden, dass X. als Haupt der Gemeinschaft als eheliches Domizil die Stadt A. bestimme, wo er Mieter einer einfachen Vierzimmerwohnung sei. Der Anwalt der Frau X. antwortete am 20. November, X. lebe in A. mit Berta Y. in wilder Ehe. Es sei unglaubhaft, dass er dieses Verhältnis aufgeben wolle, um mit seiner Ehefrau wieder zusammenzuleben. Wenn es ihm aber damit ernst sei, dürfe ihm zugemutet werden, wieder nach G. zurückzukehren. Die Berufung auf das Recht des Ehemannes, die eheliche Wohnung zu bestimmen, sei bei den gegebenen Verhältnissen offensichtlich rechtsmissbräuchlich.
C.- X. liess dieses Schreiben unbeantwortet. Am 20. Mai 1964 reichte er beim Bezirksgericht Scheidungsklage ein. Er stützte sich dabei auf Art. 148 ZGB und machte geltend, eine Wiedervereinigung sei bis zum Ablauf der Trennungszeit nicht erfolgt. Die Scheidung müsse auf sein Begehren ausgesprochen werden, da er an der Zerrüttung nicht allein schuldig sei. Aber selbst wenn das angenommen werden sollte, könne er die Scheidung durchsetzen, weil die Beklagte die Wiedervereinigung verweigert habe.
Die Beklagte begründete ihren Antrag auf Abweisung der Scheidungsklage damit, der Kläger sei an der Zerrüttung allein schuldig, und bestritt, dass sie die Wiedervereinigung unberechtigterweise verweigert habe.
D.- Im Gegensatz zum Bezirksgericht hat das Kantonsgericht die Scheidungsklage abgewiesen mit der Begründung, da der Kläger der alleinschuldige Teil sei, könne er die Scheidung gemäss Art. 148 Abs. 2 ZGB nur durchsetzen, wenn die Beklagte die Wiedervereinigung verweigert habe. Diese Voraussetzung liege hier jedoch nicht vor. Der Kläger habe in A. mit Berta Y. in der gleichen Wohnung gelebt und im gesamten Briefwechsel mit der Beklagten mit keinem Wort verlauten lassen, dass er sich von seiner Freundin gelöst oder sich wenigstens bemüht hätte, es zu tun. Da die enge Bindung zwischen dem Kläger und Berta Y. ehezerstörend gewirkt habe, könne er sich bei dieser Sachlage nicht darüber beschweren, dass die Beklagte sich nicht entschliessen konnte, zu ihm nach A. zu ziehen, bevor er in dieser Richtung seinen guten Willen bezeugt hätte.
F.- Gegen dieses Urteil richtet sich die vorliegende Berufung des Klägers mit den Anträgen, das Urteil sei aufzuheben, die Scheidung auszusprechen und die Sache zur Beurteilung der Nebenfolgen und Neuverlegung der Kosten an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. (Der Kläger muss als an der tiefen Zerrüttung, auch an der heute bestehenden, ausschliesslich schuldig im Sinne von Art. 148 Abs. 1 ZGB betrachtet werden).
2. Der Ausgang der Streitsache hängt somit nur noch davon ab, ob die Beklagte die Wiedervereinigung verweigert hat oder nicht, da bejahendenfalls die Scheidung trotz der Alleinschuld des Klägers gemäss Art. 148 Abs. 2 ZGB auszusprechen wäre.
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts kann indessen dem schuldlosen Ehegatten, der nach Ablauf der Trennungsdauer auf Scheidung beklagt wird, nicht vorgeworfen werden, er verweigere die Wiedervereinigung, wenn der Kläger diese überhaupt nicht oder nicht ernstlich verlangt (BGE 52 II 185, BGE 84 II 412, BGE 85 II 66). An dieser Auffassung ist trotz der Kritik HINDERLINGS (Ehescheidungsrecht S. 85) festzuhalten. Selbstverständlich genügt es, wie dieser Autor a.a.O. ausführt, wenn feststeht, dass sich der schuldlose Teil endgültig weigert, die eheliche Gemeinschaft "unter angemessenen Bedingungen" fortzusetzen. Das wurde auch vom Bundesgericht nie in Frage
BGE 92 II 73 S. 76
gestellt. Es wäre aber ein Widersinn, zu unterstellen, die beklagte Partei lehne im Sinne von Art. 148 Abs. 2 ZGB eine Wiedervereinigung ab, wenn zum vorneherein feststeht, dass der Kläger wohl einerseits dazu bereit, anderseits aber nicht gewillt wäre, sein ehewidriges Verhalten, das ihn im Trennungsprozess zum Alleinschuldigen gestempelt hatte, aufzugeben. Eine solche Gesetzesauslegung würde den nichtschuldigen Ehegatten zwingen, sich entweder der Scheidungsklage zu unterwerfen oder die eheliche Gemeinschaft wieder aufzunehmen, obwohl der Scheidungsgrund, der zur Ehetrennung geführt hatte, weiterhin bestände. Die Wahl der zweiten Möglichkeit hätte - zu Ende gedacht - zur Folge, dass der schuldlose Ehegatte schon am ersten Tag nach der Wiedervereinigung erneut die Trennung verlangen könnte. Wenn HINDERLING a.a. O. weiter sagt, die bundesgerichtliche Praxis mache in Fällen definitiv zerstörter Ehe die Anwendung von Art. 148 Abs. 2 ZGB weitgehend illusorisch, so ist ihm entgegenzuhalten, dass seine Auffassung der dem schuldlosen Ehegatten in Abs. 1 dieser Bestimmung gegebenen Stellung zuwiderläuft. Gerade die vom Autor weiter angestellte Erwägung zur Auslegung von Art. 142 Abs. 2 ZGB, wonach kein Ehegatte befugt sei, formell an der Ehe festzuhalten, materiell aber ihre Fortführung abzulehnen (weil ein solches Verhalten als ein venire contra factum proprium rechtsmissbräuchlich wäre), zeigt, dass seine Kritik bezüglich Art. 148 Abs. 2 unberechtigt ist. Unter dem Gesichtspunkt des Art. 142 Abs. 2 ZGB kann einem beklagten Ehegatten nur dann Rechtsmissbrauch vorgeworfen werden, wenn er sich gegen die Scheidung zur Wehr setzt, gleichzeitig aber nicht gewillt ist, die eheliche Gemeinschaft wieder aufzunehmen, auch wenn der Kläger dazu bereit wäre und sein ehewidriges Verhalten aufgäbe. Einem nach Art. 142 ZGB Beklagten, der sich gegen die Scheidung gestützt auf Abs. 2 wehrt, kann daher nicht ein rechtsmissbräuchliches Verhalten vorgeworfen werden, wenn er so lange von der Wiederaufnahme der Gemeinschaft nichts wissen will, als der Kläger ein ehebrecherisches Verhältnis, das die Zerrüttung der Ehe verursacht hat, nicht aufzugeben gewillt ist. Daran ändert der Umstand nichts, dass die Ehe "definitiv zerstört" ist. Das Zivilgesetzbuch kennt keine dem § 48 Abs. 2 des deutschen Ehegesetzes analoge Bestimmung, die erlaubt, die Scheidung auf Klage des einzig oder vorwiegend schuldigen Teils trotz Widerstands des BGE 92 II 73 S. 77
beklagten Teils auszusprechen, "wenn die Aufrechterhaltungg der Ehe bei richtiger Würdigung des Wesens der Ehe und des gesamten Verhaltens der Ehegatten sittlich nicht gerechtfertigt ist". Auf dem Wege der Rechtsprechung lässt sich de lege lata eine solche Lösung nicht verwirklichen. Es ist vielmehr EGGER, N. 9 zu Art. 147/48 ZGB, beizupflichten, der ausführt, es bedürfe eines Anbietens "mit dem ernsten Willen auf Aussöhnung und Wiederaufnahme des ehelichen Lebens unter Umständen, die, soweit sie beim Anbietenden liegen, diese Wiederaufnahme als möglich und zumutbar erscheinen lassen". Man mag de lege ferenda eine andere Auffassung vertreten und das Institut der Trennung - das die in es gesetzten Erwartungen im allgemeinen nicht erfüllt hat - überhaupt ablehnen; aber de lege lata lässt sich nicht anders entscheiden.b) (Es kann zum vornherein fraglich erscheinen, ob die Anfrage des Anwaltes des Klägers vom 18. Okt. 1963 an denjenigen der Beklagten überhaupt beim Kläger den Willen zur Wiederaufnahme der Gemeinschaft erkennen lasse...).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Kantonsgerichts St. Gallen, II. Zivilkammer, vom 20. November 1965 bestätigt.
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