BGE 92 II 102 |
17. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 14. Juni 1966 i.S. Luisoni gegen Applications Electriques SA |
Regeste |
Anstellungsverhältnis der Handelsreisenden. |
2. Ein Reisender, dessen Aufgabe sich auf die Anbahnung der Verhandlungen mit den Kunden beschränkt, kann die Provision für die von ihm auf diese Weise vermittelten, aber erst nach seinem Austritt rechtsgültig abgeschlossenen Geschäfte auf jeden Fall dann beanspruchen, wenn der Kunde dem Dienstherrn die Bestellung vor der Beendigung des Anstellungsverhältnisses grundsätzlich zugesagt hat (Art. 17 Abs. 2 HRAG). |
2. ... c) ... Die Dauer und die Beendigung des Anstellungsverhältnisses gehören zu den Punkten, die gemäss Art. 3 Abs. 1 HRAG durch schriftlichen Vertrag zu regeln sind (lit. a dieser Bestimmung). Durch die stillschweigende Entgegennahme eines Schreibens, das eine auch den Empfänger verpflichtende Abmachung bestätigt, werden die Erfordernisse der Schriftform (Art. 13 Abs. 1 OR) nicht erfüllt. Wenn oder soweit das Anstellungsverhältnis nicht durch schriftlichen Vertrag geregelt ist, wird nach der gemäss Art. 19 HRAG zwingenden Vorschrift von Art. 3 Abs. 2 HRAG der in Absatz 1 umschriebene Vertragsinhalt durch die gesetzlichen Bestimmungen und im weitern durch die üblichen Anstellungsbedingungen geordnet. Die gesetzliche Vorschrift, die hienach im vorliegenden Falle eingreift, ist der gemäss Art. 2 HRAG mangels einer abweichenden Sondervorschrift dieses Gesetzes auch für die Handelsreisenden geltende Art. 348 Abs. 1 OR, wonach ein Dienstverhältnis, das über ein Jahr gedauert hat, vom Dienstherrn und vom Dienstpflichtigen auf das Ende des zweiten der Kündigung folgenden Monats gekündigt werden kann. Eine formlose Vereinbarung, die von der gesetzlichen Regelung der Vertragsdauer und der Kündigungsfrist abweicht, ist nach Art. 3 Abs. 2 und 3 HRAG unwirksam. Die lediglich mündliche Vertragsabrede gilt nach Art. 3 Abs. 3 HRAG nur für die Feststellung des Beginnes der Dienstleistungen, ferner der Art und des Gebietes der Reisetätigkeit, sowie für weitere Vertragsbestimmungen, die mit der gesetzlichen Regelung oder mit schriftlichen Vereinbarungen nicht im Widerspruch stehen. Bei diesen weitern Vertragsbestimmungen kann es sich, wie aus dem Zusammenhang mit Absatz 2 hervorgeht und durch die Ausführungen Gyslers, des Berichterstatters deutscher Sprache der Kommissionsmehrheit im Nationalrat (Sten. Bull. 1941 NR, S. 84), bestätigt wird, nur um Bestimmungen über Punkte handeln, die in Art. 3 Abs. 1 HRAG nicht genannt sind und daher von Art. 3 Abs. 2 nicht erfasst werden. |
3. ... a) ... Art. 17 Abs. 2 HRAG ist auf Reisende zugeschnitten, welche die Geschäfte mit den Kunden selbst abschliessen oder in der Weise vermitteln, dass sie von den Kunden fertige Bestellungen beibringen, mit deren Annahme durch den Dienstherrn der Vertrag zustande kommt. Daneben gibt es Reisende, deren Aufgabe sich darauf beschränkt, Interessenten für die Waren oder Leistungen des Dienstherrn zu finden und die Verhandlungen zwischen ihnen und dem Dienstherrn anzubahnen. Das kommt namentlich bei Reisenden vor, die für den Vertrieb grösserer technischer Anlagen, die den Bedürfnissen des einzelnen Kunden angepasst werden müssen, eingesetzt werden. Solche Reisende haben ihre Aufgabe gewöhnlich erfüllt, wenn sie den Kunden dazu bestimmt haben, beim Dienstherrn ein detailliertes Angebot einzuholen. Die Ausarbeitung dieses Angebotes, die Erstellung der zugehörigen Pläne und die Anpassung dieser Unterlagen an allfällige Abänderungs- oder Ergänzungswünsche des Kunden sowie die weitern Verhandlungen mit diesem sind meist Sache des Dienstherrn (oder seiner im Innendienst tätigen Mitarbeiter). So verhielt es sich mit den heute streitigen Aufträgen. Der Vertrag kommt bei derartigen Geschäften nicht dadurch zustande, dass der Dienstherr ein Angebot des Kunden annimmt, sondern dadurch, dass der Kunde einem Angebot des Dienstherrn zustimmt. Zwischen dem Abschluss der Tätigkeit des Reisenden und dem Vertragsschluss können viele Monate verstreichen. Würde in solchen Fällen der Provisionsanspruch davon abhängig gemacht, dass dem Dienstherrn während des Anstellungsverhältnisses ein festes Angebot des Kunden zugegangen ist, dessen Annahme durch ihn den Vertrag ohne weiteres zustande bringt, so ginge der austretende Reisende oft leer aus, obwohl er seine Aufgabe erfüllt und damit gemäss Art. 10 HRAG die Provision für den Fall des Zustandekommens des Geschäftes grundsätzlich verdient hat. Die Vorschrift von Art. 17 Abs. 2 HRAG, wonach der Provisionsanspruch für alle Geschäfte besteht, deren Offerten bis zur Beendigung des Dienstverhältnisses dem Dienstherrn zugehen und von ihm angenommen werden, gleichgültig wann letzteres geschieht, würde bei solcher Auslegung einem Reisenden in der Stellung des Klägers praktisch nie helfen, weil eben bei derartigen Geschäften der Vertrag nicht mit der Annahme eines Angebotes des Kunden durch den Dienstherrn, sondern auf dem umgekehrten Wege zustande kommt. |
b) Angesichts dieser stossenden Auswirkungen einer wörtlichen Auslegung des Art. 17 Abs. 2 HRAG kann sich fragen, ob diese Vorschrift auf Fälle wie den vorliegenden, wo sich die Aufgabe des Reisenden im wesentlichen auf die Zuführung des Kunden beschränkt und das dem Vertrag zugrundeliegende Angebot vom Dienstherrn ausgeht, überhaupt anwendbar sei oder ob das HRAG in diesem Punkt eine Lücke aufweise. Eine solche Lücke liesse sich sachgemäss durch entsprechende Anwendung der für den Vermittlungsagenten geltenden Vorschriften ausfüllen. Gemäss Art. 418 g Abs. 1 und 418 b Abs. 1 in Verbindung mit Art. 413 Abs. 1 OR steht dem Vermittlungsagenten die Provision auf einem Geschäft, das er während des Agenturverhältnisses vermittelt hat, auch dann zu, wenn es erst nach dessen Beendigung abgeschlossen wird (BGE 84 II 542 ff.). Dass die Bestellung dem Auftraggeber noch während des Agenturverhältnisses zugegangen sei, ist nicht erforderlich. Ein psychologischer Zusammenhang zwischen der Vermittlungstätigkeit und dem Vertragsabschluss, wie er im vorliegenden Falle zweifellos vorhanden ist, genügt (BGE 84 II 548 Erw. 5). Die Heranziehung dieser Regeln läge auf der Linie der Rechtsentwicklung in andern europäischen Staaten (vgl. Art. 75 r und o des niederländischen Handelsgesetzbuches in der Fassung vom 5. November 1936, abgedruckt bei MAIER-MEYER-MARSILIUS). Der Handelsvertreter in der Europ. Wirtschaftsgemeinschaft, 1961, S. 276/77; Art. 29 n des französischen Code du travail in der Fassung vom 18. Juni 1937; §§ 65 und 87 Abs. 3 des deutschen HBG in der Fassung vom 6. August 1953; Art. 3 Abs. 2 des belgischen Projet de loi fixant le statut des représentants de commerce vom 20. August 1959, MAIER/MEYER-MARSILIUS S. 290/91). |
c) Ob eine Gesetzeslücke vorliege, die in der angegebenen Weise auszufüllen wäre, kann jedoch im vorliegenden Falle offen bleiben, weil hier auch ein anderer Weg zu einer befriedigenden Lösung führt. Will man nämlich annehmen, Art. 17 Abs. 2 HRAG gelte auch für Fälle, in denen der Reisende nur die Verhandlungen mit dem Kunden anzubahnen hat und der Vertrag mit der Annahme eines in der Folge vom Dienstherrn ausgearbeiteten Angebotes durch den Kunden zustande kommt, so darf der in dieser Bestimmung verwendete Begriff der Offerte nicht eng ausgelegt werden. Indem das Gesetz sagt, der Provisionsanspruch stehe dem Reisenden "auf allen Geschäften zu, ... deren Offerten bis zur Beendigung des Anstellungsverhältnisses dem Dienstherrn zugehen und von ihm angenommen werden", drückt es sich nicht streng juristisch aus. Der Gesetzeswortlaut zwingt nicht dazu, als Offerte im Sinne dieser Bestimmung nur einen verbindlichen Antrag zum Vertragsabschluss im Sinne von Art. 3 ff. OR gelten zu lassen. Vielmehr lässt sich auch eine Erklärung, mit welcher der Kunde dem Dienstherrn den Auftrag schon vor der endgültigen Festlegung aller Punkte grundsätzlich zusagt, zwanglos unter den fraglichen Begriff ziehen. Diesen so auszulegen, dass er eine solche Zusage umfasst, ist sachlich gerechtfertigt, wenn man nicht gemäss lit. b hievor annehmen will, in Fällen wie dem vorliegenden bestehe der Provisionsanspruch überhaupt unabhängig davon, wann die Bestellung dem Dienstherrn zugeht. Der Dienstherr, dem der Kunde den Auftrag in der erwähnten Weise versprochen hat, ist des Auftrages praktisch sicher, auch wenn der Vertrag erst später rechtsgültig zustande kommt. Zumal der Interessent für eine grössere Anlage, der vom Dienstherrn unter grundsätzlicher Zusage des Auftrags ein bereinigtes Angebot verlangt, ist in der Regel, obwohl noch nicht alle wesentlichen Punkte festgelegt sind und daher noch kein verbindlicher Vertrag vorliegt, tatsächlich doch nicht mehr frei, den Auftrag einem andern Unternehmer zu erteilen, weil er schon vor dem förmlichen Vertragsabschluss bauliche oder betriebliche Anordnungen treffen muss, die in Zusammenarbeit mit dem Ersteller der Anlage geplant werden müssen. Es rechtfertigt sich daher, dem mit der Anbahnung von Verhandlungen betrauten Reisenden die Provision für die in dieser Weise vermittelten Geschäfte auf jeden Fall dann zu gewähren, wenn die grundsätzliche Zusage des Kunden dem Dienstherrn vor der Beendigung des Anstellungsverhältnisses zugegangen ist. |