94 II 75
Urteilskopf
94 II 75
12. Urteil der II. Zivilabteilung vom 28. März 1968 i.S. H. und B. gegen M.
Regeste
Vaterschaftsklage.
1. Der naturwissenschaftliche Beweis, dass das Kind nicht vom Beklagten abstammt, rechtfertigt nicht bloss erhebliche Zweifel über die Vaterschaft des Beklagten im Sinne von Art. 314 Abs. 2 ZGB. Vielmehr wird dadurch die gemäss Art. 314 Abs. 1 ZGB durch die Beiwohnung während der kritischen Zeit begründete Vermutung der Vaterschaft des Beklagten unmittelbar und endgültig widerlegt (Bestätigung der neuern Rechtsprechung: BGE 90 II 222/223, 91 II 162). Bundesrechtliche Anforderungen an diesen Beweis (an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit). (Erw. 2).
2. Prüfungsbefugnis des Bundesgerichts mit Bezug auf die Frage, ob die Nichtabstammung des Kindes vom Beklagten mit genügender Sicherheit dargetan sei. Ungenügende Beweiskraft des Ergebnisses einer Blutuntersuchung, wonach das Kind und der Beklagte mit Bezug auf die Gammaglobulingruppen a und b und die Faktoren Duffy a und b entgegengesetzt reinerbig sind. (Erw. 3).
3. Rückweisung zur Abnahme weiterer Beweise. (Erw. 4).
A.- Frl. B. gebar am 9. Juli 1964 das Kind R. Als Vater bezeichnete sie M. Dieser gab zu, ihr in der kritischen Zeit beigewohnt zu haben. Durch einen am 15. September 1964 mit ihr und mit dem Beistand des Kindes abgeschlossenen "Vaterschafts- und Alimentationsvertrag" verpflichtete er sich zur Schadloshaltung der Mutter und zu Unterhaltsbeiträgen für das Kind, behielt sich aber das Recht vor, nach Ablauf von sechs Monaten seit der Geburt des Kindes eine Blutuntersuchung durchführen zu lassen. Im Falle eines für ihn günstigen Ergebnisses dieser Untersuchung sollte der Vertrag dahinfallen und die Sache gerichtlich ausgetragen werden. Die Vormundschaftsbehörde genehmigte den Vertrag und stellte das Kind unter die elterliche Gewalt der Mutter.
Das Gutachten, das PD Dr. med. A. Hässig am 4. Juni 1965 als Leiter der serologischen Abteilung des Gerichtlich-Medizinischen
BGE 94 II 75 S. 77
Instituts der Universität Bern abgab, kam zum Schluss, M. sei auf Grund der Bestimmung der Gammaglobulin-Serumgruppen Gma und Gmb "mit sehr erheblicher Wahrscheinlichkeit" als Vater des Kindes R. auszuschliessen. M. erklärte deshalb den Alimentationsvertrag als dahingefallen und weigerte sich, weitere Unterhaltsbeiträge zu zahlen. (Die zur Schadloshaltung der Mutter bestimmte Zahlung hatte er bereits geleistet.)
B.- Am 7. Juli 1965 reichten Mutter und Kind gegen M. Vaterschaftsklage ein mit dem Begehren, der Beklagte sei zur Leistung weiterer Unterhaltsbeiträge für das Kind zu verurteilen (monatlich Fr. 130.-- bis zum erfüllten 8. und hernach monatlich Fr. 180.-- bis zum erfüllten 18. Altersjahr des Kindes).
Das Amtsgericht verhörte vier Zeugen und ordnete eine Blutuntersuchung durch das Gerichtlich-Medizinische Institut der Universität Zürich an. Nach dem Bericht dieses Instituts (Dr. med. E. Hardmeier) vom 10. März 1966, das seinen Befund durch den Blutspendedienst des Schweiz. Roten Kreuzes in Bern (Dr. med. A. Hässig) überprüfen liess, konnte M. "auf Grund der Untersuchungen und der Erbgesetze der klassischen Blutgruppen ABO, der Untergruppen A1/A2, der Faktoren MN und Ss, der Rhesus-Eigenschaften, der Faktoren Kell, Duffy a und b und des Faktors P, der Haptoglobingruppen 1 und 2, der Gammaglobulingruppen a, b, x, der Gc-Gruppen 1 und 2 und der Inv(1)-Gruppe als Vater des Kindes R. B. nicht ausgeschlossen werden". Die Eigenschaft Gm(a) liess sich nach dem Untersuchungsprotokoll beim Kinde nicht bestimmen.
Am 12. Mai 1966 schützte das Amtsgericht die Klage mit der Begründung, die Vaterschaft des Beklagten sei nach Art. 314 Abs. 1 ZGB zu vermuten; für Drittverkehr oder gar für einen unzüchtigen Lebenswandel der Mutter seien keine Anhaltspunkte vorhanden; die Vaterschaft des Beklagten sei nach dem Zürcher Gutachten möglich; die Feststellung von Dr. med. A. Hässig im Bericht vom 4. Juni 1965, der Beklagte sei auf Grund der Bestimmung der Gammaglobulin-Serumgruppen Gma und Gmb mit sehr erheblicher Wahrscheinlichkeit als Vater auszuschliessen, vermöge die Vaterschaftsvermutung des Art. 314 Abs. 1 ZGB nicht umzustossen; der Antrag des Beklagten auf Einholung eines anthropologisch-erbbiologischen
BGE 94 II 75 S. 78
Gutachtens sei abzulehnen, weil der Beklagte im Vertrag vom 15. September 1964 seine Leistungen nur vom Ergebnis der Blutuntersuchung abhängig gemacht und damit auf die Einholung eines anthropologisch-erbbiologischen Gutachtens verzichtet habe.
C.- Das Obergericht des Kantons Luzern, an das der Beklagte appellierte, ordnete eine neue Blutuntersuchung durch das Gerichtlich-Medizinische Institut der Universität Zürich an. Dieses Institut (Dr. Hardmeier) berichtete dem Obergericht am 23. Januar 1967, die Untersuchungen, deren Ergebnisse das Blutspendezentrum Zürich (Dr. Metaxas) auf Vorschlag von Prof. (früher PD) Dr. Hässig hinsichtlich der Faktoren Duffy a und b überprüft habe, seien diesmal auch beim Kind eindeutig ausgefallen; in bezug auf die Gammaglobulin-Serumgruppen a und b und die Faktoren Duffy a und b lauteten die Ergebnisse:
Mutter Gm(a+b+) Duffy(a-b+)
Kind Gm(a-b+) Duffy(a-b+)
Beklagter Gm(a+ b-) Duffy(a+ b-)
Sowohl bezüglich der Gammaglobulin-Serumgruppen a und b als auch der Faktoren Duffy a und b seien das Kind und der Beklagte entgegengesetzt homozygot, was den Erbgesetzen dieser Bluteigenschaften widerspreche. Es handle sich also um einen doppelten Vaterschaftsausschluss auf Grund von zwei wesensverschiedenen Blutgruppensystemen. Jeder dieser Ausschlüsse würde für sich allein nicht genügen, um erhebliche Zweifel im Sinne von Art. 314 ZGB zu rechtfertigen. Prof. Hässig, dessen Meinung der Gutachter sich anschliesse, sei jedoch der Auffassung, "dass im vorliegenden doppelten Vaterschaftsausschluss von einer sehr hohen, an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit gesprochen werden dürfe, die erhebliche Zweifel an der Vaterschaft des Beklagten rechtfertige".
In einem Ergänzungsgutachten vom 19. Juni 1967 erklärte Dr. Hardmeier in Beantwortung ihm gestellter Fragen:
"Die Fehlermöglichkeit beim Vaterschaftsausschluss auf Grund der Faktoren Duffy a und b dürfte bei höchstens 1 % liegen, wahrscheinlich wesentlich tiefer.
Die Fehlermöglichkeit beim Vaterschaftsausschluss auf Grund der Serumeigenschaften Gm(a) und (b) dürfte bei ca. 1 % bis höchstens 2% liegen.
Da das Duffy-Blutgruppensystem und das Gammaglobulinsystem sich völlig unabhängig voneinander vererben, entspricht beim vorliegenden doppelten Ausschluss die Fehlermöglichkeit dem Produkt der beiden einzelnen Fehlermöglichkeiten. Es ergibt sich also für diesen doppelten Ausschluss eine Fehlermöglichkeit von höchstens ca. 0.2 Promille (1% mal 1-2%).
Der in unserm Gutachten vom 23. Januar 1967 verwendete Ausdruck "sehr hohe, an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit" ist gleichwertig mit dem üblichen Prädikat "an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit"."
Auf Grund der Ergebnisse der neuen Begutachtung wies das Obergericht die Klage ab.
D.- Gegen dieses Urteil haben die (seit 14. Juni 1966 verheiratete) Mutter und das Kind die Berufung an das Bundesgericht erklärt. Sie halten an ihren Klagebegehren fest und beantragen eventuell die Anordnung oder die Rückweisung der Sache zur Anordnung einer anthropologisch-erbbiologischen Expertise.
Der Beklagte beantragt die Bestätigung des angefochtenen Urteils.
Der Instruktionsrichter hat den Berufungsklägerinnen ohne Präjudiz für die Zulassung des Aktenstücks im Prozess bewilligt, eine wissenschaftliche Meinungsäusserung von Prof. Dr. med. E. Krah, Direktor des Serologischen Instituts der Universität Heidelberg, vom 22. Januar 1968, über den Sicherheitsgrad von Vaterschaftsausschlüssen der hier in Frage stehenden Art einzureichen.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Ob das Schreiben von Prof. Krah als Gutachten allgemeiner Art über den Beweiswert einer naturwissenschaftlichen Untersuchungsmethode entgegengenommen werden könne (vgl. BIRCHMEIER, Handbuch des OG, S. 207 lit. dd), kann dahingestellt bleiben, wenn die Berufung auch bei Nichtberücksichtigung dieses - die Verwertbarkeit der Merkmale Duffy b und Gm(b) zurückhaltend würdigenden - Schreibens zu schützen ist.
2. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts ist das Ergebnis einer naturwissenschaftlichen Untersuchung dann und nur dann für sich allein geeignet, die auf der Beiwohnung während der kritischen Zeit beruhende Vermutung der Vaterschaft des Beklagten (Art. 314 Abs. 1 ZGB) zu entkräften,
BGE 94 II 75 S. 80
wenn es die Vaterschaft des Beklagten mit Sicherheit oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausschliesst (BGE 82 II 264 mit Hinweisen, BGE 83 II 104, BGE 84 II 675, BGE 86 II 133 Erw. 2 und 318 Erw. 3, BGE 87 II 70 Erw. 2, BGE 88 II 394 und 494 Erw. 2, BGE 89 II 68 lit. a und 359/60, BGE 91 II 163). Wie in BGE 90 II 222 /223 und BGE 91 II 162 ff. Erw. 5 ausgeführt wurde, liegt die Bedeutung eines solchen Untersuchungsergebnisses entgegen einer vom Bundesgericht früher vertretenen Auffassung (vgl. z.B. BGE 86 II 133 und 318, BGE 88 II 394 und 494) nicht bloss darin, dass es im Sinne von Art. 314 Abs. 2 ZGB erhebliche Zweifel über die Vaterschaft des Beklagten rechtfertigt, wie sie namentlich bei nachgewiesenem Mehrverkehr der Mutter während der kritischen Zeit bestehen, solange nicht die Vaterschaft des Beklagten positiv nachgewiesen oder wenigstens der Beweis geleistet ist, dass das Kind nicht vom andern (oder von einem der andern) Beischläfer gezeugt wurde. Vielmehr wird durch ein derartiges Untersuchungsergebnis bewiesen, dass die nach Art. 314 Abs. 1 ZGB zu vermutende Vaterschaft nicht besteht (BGE 90 II 222 /223, BGE 91 II 162; vgl. KUMMER N. 108 zu Art. 8 ZGB: "Beweis des Gegenteils" des nach Gesetz zu vermutenden Sachverhalts). Für diesen Beweis muss eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit genügen, weil auf diesem Gebiet nach der Natur der Sache ein absolut sicherer Beweis überhaupt nicht möglich ist (BGE 79 II 22, BGE 87 II 70 /71). Ein Ergebnis, das den Zuverlässigkeitsgrad der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit nicht erreicht, lässt dagegen die auf Grund der Beiwohnung während der kritischen Zeit zu vermutende Vaterschaft des Beklagten im Bereich des praktisch Möglichen bleiben und ist daher auf jeden Fall für sich allein nicht geeignet, die Vermutung des Art. 314 Abs. 1 ZGB zu beseitigen (B GE BGE 91 II 163).Der Vorinstanz ist demnach darin beizustimmen, dass das Ergebnis der Untersuchung des Blutes der Parteien zur Entkräftung der durch die zugegebene Beiwohnung begründeten Vermutung der Vaterschaft des Beklagten M. nur dann genügt, wenn es diese Vaterschaft mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausschliesst.
Offensichtlich unrichtig ist die Ansicht der Klägerinnen, an den Ausschlussbeweis seien in Fällen, wo wie hier kein Mehrverkehr nachgewiesen ist, "ganz besonders hohe Ansprüche" zu stellen. Wäre Mehrverkehr der Mutter in der kritischen
BGE 94 II 75 S. 81
Zeit nachgewiesen, so bedürfte es zur Beseitigung der Vermutung des Art. 314 Abs. 1 ZGB überhaupt keiner Blutuntersuchung, sondern fiele diese Vermutung nach Art. 314 Abs. 2 ZGB weg und wäre es Sache der Klägerinnen, die Vaterschaft des Beklagten nachzuweisen oder zu beweisen, dass das Kind nicht von dem (oder einem der) andern Beischläfer stammt.Den Klägerinnen kann nach der neuern Rechtsprechung auch nicht gefolgt werden, wenn sie unter Berufung auf BGE 86 II 319 behaupten, beim Beweis durch Blutuntersuchung liege "das Thema der Beweisführung darin, indirekt den vom Beklagten behaupteten, aber direkt nicht bewiesenen Mehrverkehr zu beweisen". Beweisthema ist, wie dargelegt, in Wirklichkeit die Nichtabstammung des Kindes vom Beklagten (BGE 90 II 222 /223, BGE 91 II 162). Ist dieser negative Sachverhalt bewiesen, so muss (von dem bei einer ledigen Frau höchst unwahrscheinlichen Falle der künstlichen Befruchtung abgesehen) freilich zugleich als erwiesen gelten, dass ein Dritter der Mutter beigewohnt hat. Der Beweis des Mehrverkehrs begründet aber, wie gesagt, als solcher nur erhebliche Zweifel im Sinne von Art. 314 Abs. 2 ZGB, die sich unter Umständen beheben lassen, während der Beweis der Nichtabstammung vom Beklagten die Vermutung des Art. 314 Abs. 1 ZGB unmittelbar und endgültig widerlegt.
Einen richtigen Gedanken enthält dagegen die Bemerkung der Klägerinnen, vom Beweis durch Blutuntersuchung werde "eine derart durchschlagende Beweiskraft verlangt, dass er auch durch ein AEG [anthropologisch-erbbiologisches Gutachten] nicht widerlegt werden kann". Der Grundsatz, dass ein rechtsgenügender serologischer Ausschlussbefund durch einen die Vaterschaft bejahenden AEG-Befund nicht widerlegt werden kann (BGE 91 II 164), setzt voraus, dass von einem serologischen Ausschlussbefund eine Beweiskraft verlangt wird, die derjenigen eines AEG-Befundes überlegen ist.
3. Welchen Grad der Zuverlässigkeit die Ergebnisse einer naturwissenschaftlichen Untersuchungsmethode aufweisen können und welcher Grad im konkreten Fall erreicht sei, ist eine wissenschaftliche Frage, die der Sachverständige zu beantworten hat. Der kantonale Richter hat die Expertise auf ihre Schlüssigkeit zu prüfen, soweit er dazu in der Lage ist. Findet der Sachverständige, der zu beweisende Sachverhalt sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit dargetan, und übernimmt
BGE 94 II 75 S. 82
der kantonale Richter diese Schlussfolgerung, so prüft das Bundesgericht auf Berufung hin, ob es angesichts der Grundlagen, auf welche der Schluss sich stützt, vertretbar sei, eine derartige Wahrscheinlichkeit anzunehmen, oder ob sich diese Beurteilung nur damit erklären lasse, dass der Sachverständige und die Vorinstanz den Begriff der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit und damit die bundesrechtlichen Anforderungen an den zu leistenden Beweis verkannt haben (BGE 86 II 320 Erw. 4 mit Hinweisen, BGE 87 II 71 Erw. 3, 88 394 und 494 Erw. 2, BGE 89 II 70 lit. c und 360).Mit welchem Grade der Zuverlässigkeit die Vaterschaft eines Mannes durch einen gegen sie sprechenden Blutbefund ausgeschlossen wird, hängt davon ab, wie sicher die fraglichen Bluteigenschaften bestimmbar und im konkreten Fall bestimmt worden sind und wieweit die Annahmen über den Erbgang dieser Eigenschaften, nach denen der betreffende Mann als möglicher Vater ausscheidet, als gesichert gelten können.
Im vorliegenden Falle stellte der Sachverständige, ein anerkannter Fachmann mit reicher Erfahrung, vorbehaltlos fest, die Bluteigenschaften, auf deren Ermittlung seine Schlüsse beruhen, hätten sich eindeutig bestimmen lassen. Daraus durfte die Vorinstanz schliessen, die Bestimmung dieser Eigenschaften könne heute zu einem praktisch sichern Ergebnis führen. Angesichts der fachlichen Qualifikation des Sachverständigen und der andern Wissenschafter, die seine Befunde überprüften, durfte sich die Vorinstanz auch darauf verlassen, dass die Untersuchung kunstgerecht durchgeführt wurde und dass ihr Ergebnis die Bezeichnung als eindeutig verdiente. Daher ist nicht damit zu rechnen, dass die Bluteigenschaften, auf die es im vorliegenden Fall ankommt, unrichtig bestimmt worden sein könnten.
Die Schlussfolgerungen des Gutachtens erwecken jedoch deshalb Bedenken, weil der Erbgang dieser Bluteigenschaften nach den eigenen Ausführungen des Sachverständigen noch nicht mit genügender Sicherheit feststeht.
a) Der Sachverständige erklärt in seinem Gutachten vom 23. Januar 1967, die Zuverlässigkeit eines Vaterschaftsausschlusses auf Grund der Erbgesetze der Gammaglobulin-Eigenschaften a und b sei nicht so gross wie jene eines Ausschlusses auf Grund der Erbgesetze des Faktors Kell oder des Faktors Duffy a [vgl. hiezu BGE 86 II 134 ff. Erw. 3-5 und 88
BGE 94 II 75 S. 83
II 494 ff. Erw. 2, 3]; "Ausnahmen von den Erbgesetzen scheinen vorzukommen"; ein solcher Vaterschaftsausschluss könne immerhin mit sehr erheblicher Wahrscheinlichkeit als richtig bezeichnet werden, würde aber für sich allein nicht genügen, um erhebliche Zweifel an der Vaterschaft zu rechtfertigen. In seinem Ergänzungsgutachten vom 19. Juni 1967 fügte der Sachverständige u.a. bei, das Material über den Erbgang der Eigenschaft Gm(b) sei nicht so gross, dass einem nur auf dieser Eigenschaft beruhenden Vaterschaftsausschluss das Prädikat der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit beigelegt werden dürfte; hier handle es sich um einen Ausschluss auf Grund entgegengesetzter Homozygotie [Reinerbigkeit] von Kind und angeblichem Vater in bezug auf die Eigenschaften Gm(a) und Gm(b); dieser Ausschluss sei nur möglich, wenn das Blut nicht bloss auf die Eigenschaft Gm(a), sondern auch auf die Eigenschaft Gm(b) untersucht worden sei; der Erbgang der Eigenschaft Gm(b) sei zwar weitgehend gesichert, aber noch nicht in dem Ausmass wie jener der Eigenschaften Gm(a) und Gm(x) [vgl. hiezu BGE 89 II 359 ff.]; ausserdem gebe es Ausnahmen von der Erbregel, dass unter den Eltern eines Kindes mit einem homozygoten Typus Gm(a) Gm(b) der entgegengesetzte homozygote Typus nicht vertreten sein könne; diese Ausnahmen seien aber zweifellos sehr selten; aus diesen Gründen (noch nicht sehr reichliches Material über den Erbgang des Faktors Gm(b), seltene Ausnahmen von der in Frage stehenden Erbregel) könne einem Vaterschaftsausschluss wie dem vorliegenden nur das Prädikat einer sehr erheblichen Wahrscheinlichkeit beigelegt werden; die Fehlermöglichkeit lasse sich nicht genau angeben; sie dürfte bei ca. 1% bis höchstens 2% liegen.Die Zuverlässigkeit eines Vaterschaftsausschlusses auf Grund entgegengesetzter Homozygotie bezüglich der Faktoren Duffy a und b entspricht nach dem Gutachten vom 23. Januar 1967 ungefähr derjenigen eines Ausschlusses auf Grund der Erbgesetze der Gammaglobulin-Serumgruppen Gm a und b. Dem Ergänzungsgutachten ist zu entnehmen, der zur Bestimmung der Eigenschaft Duffy b erforderliche Antikörper anti-Fyb sei sehr selten und stehe deshalb nicht immer zur Verfügung, so dass das Material für den Erbgang dieses Faktors auch heute noch nicht so gross sei wie dasjenige über den Erbgang des Faktors Duffy a zur Zeit des Entscheides BGE 88 II 494 ff., der einen
BGE 94 II 75 S. 84
Duffya- Ausschluss als beweiskräftig anerkannte; "auf Grund aller vorliegenden Erfahrungen" könne aber kein Zweifel bestehen, dass der Faktor Duffy b wie der Faktor Duffy a nach den Mende l'schen Gesetzen dominant vererbt werde und dass es sich bei den Genen für diese beiden Eigenschaften um sog. Allele [einander entsprechende Erbanlagen in einem Chromosomenpaar] handle; daraus folge u.a., dass ein Mann mit dem Typus Duffy(a+b-) als Vater eines Kindes vom entgegengesetzten Typus Duffy(a-b+) ausgeschlossen werden könne; ein Ausschluss auf Grund dieser Regel sei aber nur möglich bei Untersuchung des Bluts sowohl mit einem Testserum anti-Fya als auch mit einem Testserum anti-Fyb; da das Untersuchungsmaterial mit Testseren anti-Fyb "noch nicht so gross" sei und da anscheinend sehr seltene Ausnahmen von den Erbgesetzen vorkämen, könne ein Ausschluss nach der erwähnten Regel noch nicht den gleichen Sicherheitsgrad beanspruchen wie ein solcher auf Grund des Faktors Duffy a allein; immerhin dürfe einem derartigen Ausschluss das Prädikat einer sehr erheblichen Wahrscheinlichkeit beigemessen werden; die gegenwärtig noch bestehende Fehlermöglichkeit bei einem Duffy-Ausschluss der hier in Frage stehenden Art lasse sich nicht genau angeben, sie dürfte aber höchstens ca. 1% betragen, wahrscheinlich wesentlich weniger.Da der Sachverständige nach diesen Ausführungen einem Vaterschaftsausschluss wegen entgegengesetzter Homozygotie von Kind und angeblichem Vater bezüglich der Eigenschaften Duffy a und b oder Gm(a) und Gm(b) wegen der den Erbgesetzen der Eigenschaften Duffy b und Gm(b) anhaftenden Unsicherheit nur das Prädikat einer sehr erheblichen Wahrscheinlichkeit zuerkennt, ist nach der Rechtsprechung (Erw. 2 hievor) weder die eine noch die andere dieser Ausschlusskonstellationen für sich allein geeignet, die aus der festgestellten Beiwohnung sich ergebende Vermutung der Vaterschaft des Beklagten zu widerlegen. Der Sachverständige teilt diese Auffassung. Es kann nicht Sache des Richters sein, einem Untersuchungsergebnis auf Grund einzelner Bemerkungen des Sachverständigen einen höhern Grad der Zuverlässigkeit beizumessen, als der Sachverständige das bei der Gesamtbeurteilung des Ergebnisses getan hat (BGE 82 II 267 Erw. 3, BGE 84 II 675 vor b). Die Fehlermöglichkeiten, die nach den Ausführungen des Sachverständigen bei den erwähnten Ausschlussmethoden
BGE 94 II 75 S. 85
noch bestehen, sind denn auch wesentlich grösser als diejenigen, die bei der Anerkennung der Ausschlüsse auf Grund der Bestimmung und der Erbgesetze der Bluteigenschaften ABO (BGE 61 II 74: Fehlermöglichkeit weit unter 1: 1000), MN (BGE 66 II 68: höchstens 1:500-1000), Rhesus (BGE 80 II 13 : erheblich unter 1:1000), Kell (BGE 86 II 136 : wesentlich unter 1:1000), Hp1 und Hp2 (BGE 88 II 396 : Sicherheit in der Grössenordnung von 99,9%) und Duffy a (BGE 88 II 497 : Sicherheitsgrad in der Grössenordnung von 999) in Kauf genommen wurden. Auch die Zutreffenswahrscheinlichkeit von 99,73 oder 99,8%, die in der Bundesrepublik Deutschland gefordert wird, damit die Vaterschaft eines Mannes als "offenbar unmöglich" bezeichnet werden darf (P. DAHR in BEITZKE, HOSEMANN, DAHR, SCHADE, Vaterschaftsgutachten für die gerichtliche Praxis, 2. A. 1965, S. 106 ff.; J. GRUMBRECHT, Der Beweis der "offenbaren Unmöglichkeit" der Vaterschaft, 1967, S. 35 unter aa), ist nicht erreicht.b) Im vorliegenden Fall spricht freilich sowohl der Duffy a/bals auch der Gammaglobulin a/b-Befund gegen die Vaterschaft des Beklagten. Hieraus und aus der - von ihm offenbar als sicher erwiesen betrachteten - Tatsache, dass sich das Duffy- und das Gammaglobulinsystem völlig unabhängig voneinander vererben, schliesst der Sachverständige, beim vorliegenden doppelten Ausschluss entspreche die Fehlermöglichkeit dem Produkt der Fehlermöglichkeiten, mit denen jede der beiden Ausschlussmethoden für sich allein behaftet ist, so dass die Fehlermöglichkeit höchstens 1/100 mal 2/100 = 2/10'000 oder 1:5000 betrage; daher dürfe von einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit gesprochen werden, "die erhebliche Zweifel an der Vaterschaft des Beklagten rechtfertige".
Mit dieser letzten Wendung folgt der Sachverständige der frühern Praxis, die einen die Vaterschaft des Beklagten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausschliessenden Untersuchungsbefund als Grund zu erheblichen Zweifeln im Sinne von Art. 314 Abs. 2 ZGB berücksichtigte (vgl. Erw. 2 hievor). Indem die neuere Praxis zur Auffassung überging, durch einen solchen Befund werde schlechthin die Nichtabstammung des Kindes vom Beklagten bewiesen, änderte sie nichts an den Anforderungen, denen ein Untersuchungsergebnis genügen muss, um die Vermutung des Art. 314 Abs. 1 ZGB zu beseitigen. Aus der erwähnten Ausdrucksweise des Sachverständigen
BGE 94 II 75 S. 86
ist also entgegen der vom Anwalt der Klägerinnen heute vertretenen Ansicht nicht zu schliessen, der Sachverständige habe diese Anforderungen verkannt.Grundsätzlich ist auch nichts dagegen einzuwenden, dass der Sachverständige annahm, die Fehlermöglichkeit bei einem doppelten Ausschluss entspreche dem Produkt der bei den beiden einzelnen Ausschlussmethoden bestehenden Fehlermöglichkeiten. Wenn ein Fehler in einem von 100 Fällen und ein davon unabhängiger Fehler in einem bis zwei von 100 Fällen zu erwarten ist, so ist das Zusammentreffen beider Fehler nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung in einem bis zwei von 10'000 Fällen zu erwarten. Die Rechtsprechung hat denn auch derartige Überlegungen schon wiederholt gelten lassen (vgl.BGE 71 II 54ff.: Verbindung von ABO- und MN-Ausschluss;BGE 78 II 316: Verbindung von A1-A2- und Rhesusausschluss mit Fehlermöglichkeiten von höchstens je 1:500; BGE 89 II 357 ff.: Verbindung eines Gm(a und x)- Ausschlusses mit einem Gc-Ausschluss).
Bei einer Fehlermöglichkeit, die wirklich nur etwa 1:5000 bis 1:10'000 beträgt, darf angenommen werden, das Untersuchungsergebnis sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit richtig (vgl. lit. a hievor).
Eine Berechnung, wie der Sachverständige sie angestellt hat, verspricht jedoch nur dann brauchbare Ergebnisse, wenn die Annahmen über die bei den einzelnen Ausschlussmethoden höchstens vorhandenen Fehlermöglicheiten hinlänglich gesichert sind, und hieran fehlt es im vorliegenden Falle. Der Sachverständige sagt selber, die Fehlermöglichkeiten, die bei den beiden verwendeten Ausschlussmethoden bestehen, könnten nicht genau angegeben werden: sie "dürften" höchstens ca. 1% bezw. 1 bis höchstens 2% betragen. Diese Zahlen beruhen also offenbar auf einer blossen Schätzung. Die Grundlagen dieser Schätzung werden nicht genannt. Insbesondere wird (anders als z.B. im Gutachten über die Haptoglobineigenschaften im Falle BGE 88 II 393) nicht angegeben, wie gross das Untersuchungsgut ist, an dem die angenommenen Erbregeln überprüft wurden, so dass nicht feststellbar ist, ob es für eine Berechnung der Wahrscheinlichkeit des Zutreffens dieser Erbregeln ausreicht. Es wird auch nicht gesagt, wieweit sich diese Regeln bei der Prüfung des vorhandenen Untersuchungsguts bestätigten (zur Ermittlung des Sicherheitsgrades von Erbregeln vgl. P. DAHR a.a.O. S. 106/107 und J. GRUMBRECHT
BGE 94 II 75 S. 87
a.a.O. S. 64 ff.). Der Sachverständige erwähnt selber Ausnahmen von den angewendeten Regeln. Er bezeichnet diese Ausnahmen allerdings als sehr selten, gibt aber die Zahl der beobachteten Ausnahmen nicht an und sagt nichts darüber, ob sie sich allenfalls nach der Häufigkeit und der Art ihres Auftretens annähernd bestimmen lassen oder nicht (vgl. hiezu GRUMBRECHT S. 38).Es fehlen also genügende Grundlagen für die Annahme, beim Zusammentreffen eines Duffy a/b- und eines Gm a/b-Ausschlusses sei die Möglichkeit eines Fehlers wirklich so geringfügig, dass angenommen werden dürfte, die Vaterschaft des Beklagten sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen (und den Klägerinnen müsse aus diesem Grunde die Möglichkeit vorenthalten bleiben, die Vaterschaft des Beklagten durch ein AEG positiv zu beweisen). Dass der Sachverständige und die Vorinstanz das Bestehen einer solchen Wahrscheinlichkeit bejahten, muss darauf zurückgeführt werden, dass sie die bundesrechtlichen Anforderungen an den zu leistenden Beweis nicht voll beachteten.
Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben.
4. Neben der Blutuntersuchung hat der Beklagte auch die anthropologisch-erbbiologische Begutachtung beantragt. Zu diesem Antrag hat die Vorinstanz Stellung zu nehmen, nachdem sich ergeben hat, dass die Klage nicht schon auf Grund der Ergebnisse der durchgeführten Blutuntersuchung abgewiesen werden darf. Dass der Beklagte die Geltung des Vertrags vom 15. September 1964 lediglich vom Ergebnis der vereinbarten Blutuntersuchung abhängig machte, bedeutet entgegen der Ansicht des Amtsgerichts nicht ohne weiteres, dass er für den Prozessfall auf alle andern Beweismittel habe verzichten wollen; dies um so weniger, als zur Zeit des Vertragsabschlusses der Entscheid BGE 90 II 219, der den bundesrechtlichen Anspruch auf Einholung eines AEG bejahte, zwar gefällt, aber noch nicht veröffentlicht war.
Das Bundesrecht verbietet der Vorinstanz nicht, vor der Einholung eines AEG zu prüfen, ob sich die Vaterschaft des Beklagten allenfalls durch neue, im vorliegenden Fall noch nicht angewendete Methoden der Blutuntersuchung mit genügender Sicherheit ausschliessen lasse.
Die Klägerinnen scheinen den Anspruch auf Durchführung eines AEG zum Nachweis der Vaterschaft des Beklagten nach
BGE 94 II 75 S. 88
kantonalem Prozessrecht dadurch verwirkt zu haben, dass sie den ihnen durch Verfügung vom 13. Juli 1967 auferlegten Kostenvorschuss nicht leisteten.Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird dahin gutgeheissen, dass das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Beurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen wird.
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