BGE 94 II 197
 
33. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 8. Oktober 1968 in Sachen The Glens Falls Insurance Co. gegen Reederei Zürich AG und Mitbeteiligte.
 
Regeste
Bundesgesetz vom 23. September 1953 über die Seeschiffahrt unter der Schweizerflagge (SSG)
Das internationale Übereinkommen zur einheitlichen Feststellung einzelner Regeln über die Konnossemente vom 25. August 1924 ist auf Transporte der Binnenschiffahrt nicht anwendbar. Das in Art. 3 § 8 des Übereinkommens vorgesehene Freizeichnungsverbot gilt daher für den Rheinfrachtführer nicht (Erw. 9 und 10).
Die Haftungsvorschriften der Art. 103-105 SSG schliessen die Anwendung der Art. 447 und 448 OR aus (Erw. 11).
Beschränktes Freizeichnungsverbot nach Art. 117 SSG (Erw. 12).
Der Binnenschiff-Frachtführer bedarf keiner staatlichen Betriebsgenehmigung nach Art. 455 OR. Er unterliegt daher den Freizeichnungsbeschränkungen der Art. 100 Abs. 2 und Art. 101 Abs. 3 OR nicht (Erw. 13-15).
Vertragliche Haftungsbeschränkung. Verstoss gegen die guten Sitten? Rechtsmissbrauch? (Erw. 16).
 
Sachverhalt


BGE 94 II 197 (198):

A.- Die Dow Chemical International Inc. in Midland (USA) beauftragte die Reederei Zürich AG, 9000 Säcke Styron (Kunstharz zur Herstellung von Joghurt-Bechern), die am 21. Juni 1964 mit einem Seeschiff in Rotterdam eintreffen sollten, mit einem Rheinschiff von dort nach Birsfelden zu transportieren. Die Beauftragte bestätigte der Zürcher Tochtergesellschaft der Auftraggeberin (Dow Chemical International AG) die Annahme des Auftrages am 15. Juni 1964.
Am 17. Juni 1964 schloss die Reederei Zürich AG, handelnd durch H. Tromp in Rotterdam, mit Achiel Pijl in Gent zwecks Verfrachtung des Gutes auf dessen Motorschiff Sagitta 3 einen Chartervertrag (Charterparty) ab.


BGE 94 II 197 (199):

3430 Säcke der erwähnten Sendung Styron wurden in dieses Schiff umgeladen und vom Schiffer J. ten Napel nach Birsfelden geführt. Sie bilden Gegenstand eines auf einem Formular der Rheinreederei Zürich AG ausgestellten "Original-Rheinfrachtbriefes" vom 22. Juni 1964, der die Firma "N.V. Lehnkering & Co's Scheepvaartbedrijf" in Rotterdam als Absenderin und die Basler Zweigniederlassung der Reederei Zürich AG als Empfängerin angibt. Auf der Rückseite des Frachtbriefes sind die "Verlade- und Transport-Bedingungen (Konnossementsbedingungen)" der Reederei Zürich AG abgedruckt, die unter anderem folgende Bestimmungen enthalten:
"Ausschluss der Haftung der Reederei. § 16. Ausgeschlossen ist jede Haftung der Reederei oder des Schiffers für Verlust oder Beschädigung der Güter, Aufenthalt, Verspätung oder sonstige Nachteile, verursacht während der Reise, des Ein- und Ausladens oder Umschlags oder Aufenthaltes in einem Hafen, in Leichter oder an Land durch...
b) Natur- und Elementarereignisse, Hoch- oder Niederwasser, Überschwemmungen, Sturm, Eis, Frost, Gewitter, Regen, Hagel, Schnee, Sonne, Hitze, Kälte, Temperaturunterschiede, sowie Wasser und Feuer;
...
§ 17...
2 Ausgeschlossen ist auch die Haftung für jede schädigende Einwirkung des Schiffes auf die geladenen Güter, insbesondere durch...; sowie für alle Verluste, Beschädigungen, Aufenthalte, Verspätung oder Ruder-, Schrauben- oder sonstigen Defekte des Schiffes, Bruch der Rohrleitung, Mängel des Schiffes, der Maschinen oder Zubehör, selbst wenn diese Mängel schon vor Antritt der Reise vorhanden waren.
...
5 In allen Fällen der §§ 16 und 17 ist die Haftung der Reederei auch dann ausgeschlossen, wenn der Verlust, die Beschädigung, Verspätung oder sonstige Nachteile durch irgendwelches Verschulden des Schiffers, der Schiffsbesatzung, der Stauer oder aller übrigen Personen im Dienste des Schiffes oder der Reederei, oder durch ihr eigenes leichtes Verschulden verursacht worden sind. Der Verzicht auf Haftung und Schadenersatz erstreckt sich auch auf alle ausservertraglichen Ansprüche, die aus diesen Gründen den Ladungsbeteiligten zustehen könnten.
§ 18. Ausgeschlossen ist jede Haftung der Reederei oder des Schiffers für Verlust oder Beschädigung der Güter, Aufenthalt, Verspätung oder sonstige Nachteile infolge Zusammenstoss, Anfahrung, Festfahren, Scheitern, Bersten, Kentern, Strandung oder Untergang des Schiffes, Feuer, Explosion, Wellenschlag, Wasser, Eindringen von Wasser durch Leckage, Versagen der Pumpen, Ketten und Stränge, mangelhafte Stabilität oder Fahrtüchtigkeit wegen fehlerhafter

BGE 94 II 197 (200):

Stauung oder aus anderen Gründen, sowie infolge sonstiger Unfälle der Schiffahrt, auch wenn diese Umstände oder Ereignisse durch irgendwelche Handlungen, Nachlässigkeiten oder Unterlassungen, falsch ausgeführte Bewegungen, Unvorsichtigkeit des Schiffers, der Schiffsbesatzung, des Lotsen, der Stauer oder aller übrigen Personen im Dienste des Schiffes, oder durch eigene leichte Fahrlässigkeit der Reederei, bei der Führung, Beladung oder dem Betriebe des Schiffes verschuldet worden sind, gleichgültig ob das schädigende Ereignis oder die fehlerhafte Handlungsweise während des Transportes oder vor Antritt der Reise oder beim Aufenthalt in einem Hafen eingetreten ist.
...
4 Der Verzicht auf Haftung und Schadenersatz erstreckt sich auch auf alle ausservertraglichen Ansprüche.
§ 19. In allen weiteren Fällen von Verlust oder Beschädigung der Güter, Aufenthalt, Verspätung oder sonstigen Nachteilen haftet die Reederei nur für eigenes grobes Verschulden, sowie für absichtliches Handeln ihrer dauernden Angestellten und Hifspersonen. Jede weitergehende Haftung ist ausgeschlossen. Der Verzicht auf Haftung und Schadenersatz erstreckt sich auch auf alle ausservertraglichen Ansprüche.
2 Auf jeden Fall aber ist die Haftung der Reederei ausgeschlossen, wenn sie nachweist, dass Verlust, Beschädigung, Verspätung oder sonstiger Nachteil die Folge von Umständen oder Ereignissen ist, die weder die Reederei noch ihre Angestellten und Hilfspersonen verschuldet haben. Ausgeschlossen ist ferner die Haftung für alle Schäden infolge unaufgeklärter oder unaufklärbarer Ursachen.
Am 3. Juli 1964 liess ten Napel in Basel Ware aus der Sagitta 3 löschen und hierauf während fünf Stunden das Deck waschen, wobei das Wasser durch eine Druckleitung floss, die auch zum Fluten der Laderäume und zum Aussaugen von Wasser aus diesen Räumen benützt werden kann. Am gleichen Tag fuhr das Schiff nach Birsfelden weiter. Dort bemerkte ten Napel am Abend, dass es ungefähr 20 cm tiefer im Wasser lag als am Mittag. Er stellte fest, dass der Laderaum 5, der die 3430 Säcke Styron enthielt, über die Hälfte mit Wasser gefüllt war. Er liess es sofort auspumpen. Das Schiff enthielt kein Leck. Das Wasser muss beim Deckwaschen durch die erwähnte Leitung in den Laderaum 5 geflossen sein. Es verursachte an der dort liegenden Ware erheblichen Schaden.
Der Schaden wurde durch die Firma The Glens Falls Insurance Co., New York, welche die Ware auf Grund eines mit der Dow Chemical International Inc. abgeschlossenen Vertrages versichert hatte, am 25. Januar 1965 durch Auszahlung von Fr. 72'013.20 an die Zürcher Tochtergesellschaft der

BGE 94 II 197 (201):

Versicherungsnehmerin ersetzt. Die Empfängerin des Geldes erklärte in der Quittung, sie trete alle Rechte gegen die für den Schaden verantwortlichen Personen an die Versichererin ab.
B.- Am 2. Juli 1965 klagte die Firma The Glens Falls Insurance Co. gegen die Reederei Zürich AG auf Zahlung von Fr. 72'O13.20 nebst 5% Zins seit 10. Februar 1965. Sie behauptete, der Schaden sei dadurch verursacht worden, dass die Mannschaft der Sagitta 3 beim Deckwaschen unterlassen habe, den Hahn zum Laderaum 5 zu schliessen.
Die Beklagte beantragte, die Klage abzuweisen. Sie verkündete Pijl und ten Napel den Streit und stellte beiden gegenüber den Antrag, im Falle ganzer oder teilweiser Gutheissung der Klage seien sie zu verurteilen, ihr den entsprechenden Betrag nebst Kosten und Zinsen solidarisch zu ersetzen. Sie berief sich auf die Freizeichnungsklauseln ihrer Verlade- und Transportbedingungen. Zum schädigenden Ereignis behauptete sie, wahrscheinlich habe der Hahn der Wasserleitung zum Laderaum 5 vom Bau des Schiffes her - dieses befand sich auf seiner ersten Reise - ein Stück Abfall oder Schweissschlacke enthalten, weshalb ten Napel ihn, ohne sich dessen gewahr zu werden, nicht vollständig habe schliessen können.
Die Streitberufenen beantragten, auf die gegen sie gerichtete Rückgriffsklage nicht einzutreten. Dagegen unterstützen sie die Beklagte, indem sie beiden kantonalen Instanzen eine Vernehmlassung einreichten.
C.- Das Zivilgericht des Kantons Basel-Stadt und auf Appellation der Klägerin am 23. Februar 1968 auch das Appellationsgericht wiesen die Klage ab und traten auf die Rückgriffsklage gegen die Streitberufenen in Anwendung kantonalen Prozessrechtes nicht ein.
D.- Die Klägerin hat die Berufung erklärt. Sie beantragt die Aufhebung des appellationsgerichtlichen Urteils und die Gutheissung der Klage.
Die Beklagte und die Streitberufenen beantragen, die Berufung abzuweisen. Die Streitberufenen stellen ausserdem den Antrag, auf die Rückgriffsklage der Beklagten nicht einzutreten.
 
Aus den Erwägungen:
6. Das Bundesgesetz vom 23. September 1953 über die Seeschiffahrt unter der Schweizerflagge (SSG), das in seinem siebenten Titel auch Bestimmungen über die Binnenschiffahrt

BGE 94 II 197 (202):

enthält, wurde am 14. Dezember 1965 teilweise abgeändert. Die neuen Bestimmungen, ausgenommen Art. 143 Abs. 3, sind auf den 1. Januar 1967 in Kraft getreten.
Art. 163 SSG, der anlässlich der Revision des Gesetzes nicht abgeändert wurde und daher auch für den Übergang vom alten zum gegenwärtigen Recht gilt, verweist auf die Vorschriften des Schlusstitels des schweizerischen Zivilgesetzbuches. Die rechtlichen Wirkungen von Tatsachen, die vor dem 1. Januar 1967 eingetreten sind, d.h. die Verbindlichkeit und die Folgen des vor diesem Zeitpunkt abgeschlossenen Vertrages mit der Beklagten unterstehen daher auch heute noch den alten Bestimmungen des SSG (Art. 1 SchlT ZGB).
Die Beklagte hat jedoch in ihren Verlade- und Transportbedingungen, die der Original-Rheinfrachtbrief vom 22. Juni 1964 auf der Rückseite wiedergab, auf die er ausdrücklich verwies und die er damit zum Vertragsinhalt erhob (vgl.BGE 77 II 156unten), die Haftung für die auf Wasser oder Mängel des Schiffes oder seiner Zubehör zurückzuführenden Schäden vollständig ausgeschlossen und die Haftung für andere Schäden insoweit wegbedungen, als sie nicht einem groben Verschulden der Beklagten oder einem absichtlichen Handeln ihrer dauernden Angestellten und Hilfspersonen zuzuschreiben sind. Da unbestritten ist, dass der Schaden, für den die Klägerin Ersatz verlangt, durch Wasser, allenfalls unter Mitwirkung eines zum Schiff gehörenden mangelhaften Hahns, verursacht und weder von der Beklagten noch von ihrem eigenen Personal, sondern höchstens vom Schiffer ten Napel oder der übrigen Besatzung des Schiffes verschuldet wurde, muss die Klage abgewiesen werden, wenn die erwähnte Freizeichnung zulässig war.
8. Art. 117 Abs. 1 SSG, der auch in der Binnenschiffahrt gilt (Art. 127 Abs. 2 SSG), erklärte schon in der alten Fassung grundsätzlich jede Abrede in einem Konnossement, welche die

BGE 94 II 197 (203):

gesetzliche Haftung des Frachtführers für Verlust oder Beschädigung der Güter aufheben oder beschränken oder die Beweislast für diese Haftung umkehren wollte, als nichtig. Die Klägerin machte im kantonalen Verfahren geltend, der "Original-Rheinfrachtbrief" vom 22. Juni 1964 sei ein Konnossement im Sinne dieser Bestimmung und das erwähnte Freizeichnungsverbot daher anwendbar.
Wie das Appellationsgericht zutreffend ausführt, trifft das indessen nicht zu. Die Beklagte war sich bei der Verwendung des Formulars "Original-Rheinfrachtbrief" des Unterschiedes zwischen einem blossen Frachtbrief und einem Konnossement durchaus bewusst, und auch die Abladerin, die festgestelltermassen in Rheinschiffahrtssachen Erfahrung hat, musste ihn erkennen, denn in § 2 der Verlade- und Transportbedingungen wurde unter Hinweis auf die rechtlichen Unterschiede der einen und der anderen Urkundenart ausdrücklich gesagt, für jede Sendung werde entweder ein Konnossement oder ein Rheinfrachtbrief ausgestellt. Dazu kommt, dass, für den Unterzeichner deutlich sichtbar, auf der Vorderseite des Schriftstückes ausgeführt wurde: "Dieser Rheinfrachtbrief ist kein Wertpapier, kann weder verpfändet noch übertragen werden und die Auslieferung der Güter erfolgt ohne Rückgabe bzw. Vorlage des Frachtbriefes."
Daher kann dahingestellt bleiben, ob, wenn ein Konnossement ausgestellt worden wäre, die Klägerin überhaupt die Rechte aus demselben geltend machen könnte oder ob sie nicht bloss die Rechte hätte, die der Abladerin zustanden.
Art. 1 lit. b setzt indessen ausdrücklich voraus, dass das Konnossement oder der gleichartige Titel "für die Beförderung von Gütern zur See" ausgestellt worden sei. Entsprechend versteht Art. 1 lit. d unter einem Schiff nur ein Fahrzeug, das für die Beförderung von Gütern zur See verwendet wird.


BGE 94 II 197 (204):

Transporte der Binnenschiffahrt unterstehen dem Übereinkommen also nicht.
lo. - Die Klägerin stellt sich denn auch in der Berufungsbegründung nicht mehr auf den Standpunkt, das Übereinkommen sei auf den vorliegenden Transport unmittelbar anzuwenden. Sie bringt nur vor, seine Grundsätze seien für die handeltreibenden Firmen "Allgemeingut ihres Denkens" geworden, weshalb die Abladerin bei der Erteilung des Transportauftrages habe annehmen dürfen, es werde keine Klausel aufgenommen, welche die normale Frachtführerhaftung in das Gegenteil verkehre, denn Art. 6 Abs. 3 des Übereinkommens schliesse eine Freizeichnung auch für die ohne Konnossement erfolgenden Transporte aus, wenn sie als "gewöhnliche Handelsverschiffungen im gewöhnlichen Handelsverkehr" erfolgten.
Dieser Auffassung kann schon deshalb nicht beigepflichtet werden, weil das Appellationsgericht verbindlich feststellt, weitgehende Freizeichnungen seien in der Rheinschiffahrt üblich. Die Klägerin schweigt sich denn auch darüber aus, wie ein ausdrücklich nur für die Beförderung zur See geltender Satz des internationalen Übereinkommens auch in der Rheinschiffahrt "Allgemeingut des Denkens" geworden sein könnte.
Zudem wurden in den Original-Rheinfrachtbrief die Freizeichnungsklauseln aufgenommen. Gegen diese ausdrückliche Vereinbarung vermöchte eine anderweitige Übung nicht aufzukommen. Die Klägerin muss sich die erwähnten Klauseln umso mehr entgegenhalten lassen, als die Person, die sie für die Beklagte ausbedang, den Frachtbrief zugleich im Namen der Abladerin unterzeichnete, so dass von einem Auseinandergehen der tatsächlichen Willen der Vertragschliessenden nicht die Rede sein kann. Dass der Doppelvertreter die ihm zustehende Vertretungsmacht überschritten habe, wird nicht behauptet.
Da die Haftung des See- oder Binnenschiff-Frachtführers für Verlust, Untergang, Beschädigung oder Verspätung in der Ablieferung des Gutes in Art. 103-105 SSG geregelt ist, sind jedoch die Art. 447 und 448 OR auf diese Frachtverträge nicht anwendbar. Aus dem gleichen Grunde versagt der Versuch der Klägerin, diese Normen wenigstens sinngemäss herbeizuziehen, indem sie sie als Ausdruck eines "Grundgedankens des schweizerischen Transportrechts" hinstellt.
Diese Bestimmung ist gemäss alt Art. 87 Abs. 1, 101 Abs. 2 und 127 Abs. 2 SSG auf den Binnenschiff-Frachtvertrag anzuwenden, da das SSG keine davon abweichende Bestimmung enthält.
Auch lässt sich die Auffassung, Pijl habe auf Grund des Chartervertrages gegenüber der Beklagten die Pflichten eines Frachtführers übernommen, durchaus vertreten. Dass Charterverträge mit Frachtverträgen verbunden sein können, ergab sich schon aus alt Art. 117 Abs. 3 SSG. In neu Art. 95 Abs. 3 SSG, der auch für die Binnenschiffahrt gilt (neu Art. 127 Abs. 2 SSG), wird denn auch der Verfrachter, der sich nach

BGE 94 II 197 (206):

Massgabe des Chartervertrages zur Beförderung von Gütern über Meer verpflichtet, in Bezug auf seine Rechte gegenüber dem Ablader und Empfänger und seine Haftung für die Beförderung der übernommenen Güter ausdrücklich den Normen des Seefrachtvertrages unterstellt. Der Gesetzgeber wollte damit dem Umstande Rechnung tragen, dass die in der Praxis überwiegenden Reisecharterverträge in Wirklichkeit schon vor der Revision des Gesetzes nicht reine Charterverträge waren (Botschaft des Bundesrates in BBl 1965 II 298).
Wie dem aber auch sei, kann nicht davon die Rede sein, dass Art. 449 OR der Beklagten verboten habe, die Haftung für die Handlungen des Pijl und seiner Schiffsbesatzung vertraglich wegzubedingen. Diese Norm sagt nicht, sie sei zwingend. Dass die Bestimmungen des Obligationenrechts über die Verantwortlichkeit des Frachtführers grundsätzlich nicht zwingend sind, ergibt sich aus Art. 455 OR. Diese Vorschrift verbietet nur jenen Transportanstalten, zu deren Betrieb es einer staatlichen Genehmigung bedarf, durch besondere Übereinkunft oder durch Reglemente zu ihrem Vorteil von den gesetzlichen Bestimmungen über die Verantwortlichkeit des Frachtführers abzuweichen. Sie bestätigt somit die den andern Frachtführern zustehende Vertragsfreiheit. Das Bundesgericht hat denn auch als zulässig erachtet, dass der Spediteur - der in bezug auf den Transport der Güter den Normen über den Frachtvertrag untersteht (Art. 439 OR) - die Haftung für die Handlungen des Zwischenspediteurs wegbedinge (BGE 77 II 154ff.).
Art. 100 OR ist im vorliegenden Falle gegenstandslos, da die Organe der Beklagten kein Verschulden trifft, auch nicht ein bloss leichtes. Die Klägerin wirft der Beklagten insbesondere nicht vor, sie habe schuldhaft gehandelt, indem sie Pijl als Verfrachter auswählte und sich mit der Verfrachtung auf das von ten Napel geführte Schiff Sagitta 3 einverstanden erklärte.
Die Anwendung des Art. 101 OR sodann käme nur in Frage, wenn der Verfrachter Pijl, der Schiffer ten Napel und die übrige Besatzung der Sagitta 3 Hilfspersonen der Beklagten gewesen wären. Pijl kam diese Eigenschaft indessen weder dann zu, wenn

BGE 94 II 197 (207):

er die Pflichten eines Zwischenfrachtführers, also eines Unterbeauftragten (Substituten) hatte (BGE 77 II 159), noch weniger dann, wenn der Vertrag zwischen ihm und der Beklagten ein reiner Reisechartervertrag ohne frachtrechtlichen Einschlag gewesen sein sollte. Deshalb waren auch der Schiffer ten Napel und die übrige Schiffsbesatzung nicht Hilfspersonen der Beklagten im Sinne des Art. 101 OR. Die Klägerin behauptet nicht, dass diese Personen in einem Vertragsverhältnis zur Beklagten gestanden oder auch abgesehen von einem solchen beim Betrieb des Schiffes, namentlich beim Bedienen der Wasserleitungen anlässlich der Reinigung des Deckes, die Weisungen der Beklagten zu befolgen gehabt hätten.
Die erwähnte Frage ist indessen zu verneinen. Der Betrieb eines Binnenschiff-Frachtführers bedarf nicht der staatlichen Genehmigung. Davon kann auch nicht die Rede sein, weil der Betrieb der Rheinschiffe "durch polizeiliche Vorschriften geregelt" sei, wie die Klägerin vorbringt. Ob eine blosse Polizeierlaubnis einer obrigkeitlichen Konzession gleichkommt, ist unerheblich. Damit Art. 455 OR anwendbar wäre, müsste der Betrieb der Transportanstalt als solcher der Polizeierlaubnis bedürfen. Diese Voraussetzung ist nicht schon dann erfüllt, wenn beim Einsatz der Transportmittel polizeiliche Vorschriften befolgt werden müssen, ja nicht einmal dann, wenn dieser Einsatz nur mit vorgängiger polizeilicher Erlaubnis erfolgen darf. Sonst würde zum Beispiel jeder Inhaber eines Autotransportgewerbes dem Art. 455 OR unterstehen, weil er Fahrzeugausweise benötigt und an Verkehrsregeln gebunden ist. Selbstverständlich gilt Art. 455 OR für das Gewerbe eines Rheinreeders auch nicht deshalb, weil die Klägerin es zu den "schweizerischen Transportbetrieben im weitesten Sinne" rechnet. Ebenso wenig ist der Klägerin beizupflichten, wenn sie geltend macht, die Bestimmungen des Obligationenrechts über obrigkeitlich konzessionierte Gewerbe seien auch auf Betriebe anzuwenden, die, ohne konzessionspflichtig zu sein, eine

BGE 94 II 197 (208):

gewisse tatsächliche Monopolstellung einnähmen oder auf Grund kartellmässiger Organisation des Erwerbszweiges die Vertragsbedingungen "diktieren" könnten. Übrigens ist nicht zu ersehen, welche Tatsachen den Schluss auf eine Monopolstellung der Beklagten oder auf ein kartellmässiges Diktieren ihrer Vertragsbestimmungen zulassen würden; die Klägerin schweigt sich darüber vollständig aus.
Dass Freizeichnungsklauseln von der Art der vorliegenden allgemein wegen ihres Inhaltes den guten Sitten oder den Geboten von Treu und Glauben widersprächen, kann angesichts der gesetzlichen Regelung, welche die Freizeichnung im SSG und im OR erfahren hat, nicht gesagt werden. Namentlich ist nicht zu ersehen, weshalb die Wegbedingung der Haftung für Wasserschäden durch einen Binnenschiff-Frachtführer sich mit den guten Sitten nicht vertragen sollte. Dass der Transport auf dem Wasser erfolgt und daher der Eintritt eines dem Wasser zuzuschreibenden Schadens möglich ist, ändert nichts, zumal der Ablader sich gegen solche Schäden versichern kann. Desgleichen macht der Umstand, dass ein Binnenschiff-Frachtführer im internationalen Verkehr nicht ohne Hilfspersonen auskommt, die Wegbedingung der Haftung für solche nicht unsittlich. Übrigens haben im vorliegenden Falle nicht Hilfspersonen der Beklagten den Schaden verursacht.
Von einem Verstoss gegen die guten Sitten oder gegen die Gebote von Treu und Glauben könnte höchstens gesprochen werden, wenn besondere Umstände des vorliegenden Falles, namentlich die Art und Weise, wie die Freizeichnung zustande kam, die von der Klägerin beanstandeten Klauseln unerträglich machen würden. Aber auch in dieser Hinsicht versagt der Einwand der Klägerin. Dass die beanstandeten Klauseln in vorgedruckten Vertragsbestimmungen enthalten sind, welche die Beklagte auch in anderen Frachtverträgen auszubedingen pflegt, macht sie nicht unsittlich. Der Vertreter der Abladerin kannte sie und musste sich ihrer Bedeutung bewusst sein. Er musste auch damit rechnen, dass die Beklagte einen höheren Frachtlohn fordern würde, wenn sie die Haftung nicht wegbedingen könnte und sich deshalb gegen Schadensereignisse der

BGE 94 II 197 (209):

vorliegenden Art versichern müsste. Ob die Klägerin wusste, dass der Binnenschiff-Frachtführer nach schweizerischem Recht die Haftung teilweise wegbedingen kann und im vorliegenden Falle tatsächlich wegbedang, ist unerheblich. Die Klägerin kann gegen die Beklagte höchstens die Rechte geltend machen, die der Abladerin zustanden. Übrigens konnte sie sich vor dem Abschluss des Versicherungsvertrages über die Ver lade- und Transportbedingungen und die Rechtslage er kundigen.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Appellationsgerichtes des Kantons Basel-Stadt vom 23. Februar 1968 bestätigt.