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Original
 
Urteilskopf

94 II 292


45. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 23. Dezember 1968 i.S. Ott gegen Fussballclub Grenchen.

Regeste

Berufung gegen Zwischenentscheid; Art. 49 OG.
Vollstreckungsabkommen zwischen der Schweiz und Deutschland von 1929.
Unterschied zwischen Gerichtsstandsvertrag und Vollstreckungsabkommen.
Zuständigkeitsbestimmungen in Vollstreckungsabkommen sind nicht bundesrechtliche Bestimmungen über die örtliche Zuständigkeit im Sinne von Art. 49 OG.

Sachverhalt ab Seite 293

BGE 94 II 292 S. 293
Der Fussballclub Grenchen liess durch die in Wiesbaden (BRD) ansässige Firma Ott eine elektrische Flutlichtanlage zur Beleuchtung seines Sportplatzes erstellen. Mit der Behauptung, die Anlage sei mangelhaft, erhob er beim Amtsgericht Solothurn-Lebern gegen Ott Klage auf Verbesserung des Werks, eventuell auf Minderung des Werklohnes, sowie auf Schadenersatz. Für die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts berief er sich auf § 25 der damals noch geltenden soloth. ZPO von 1891, der für Klagen gegen Personen ohne Wohnsitz in der Schweiz unter anderm den Gerichtsstand des Erfüllungsortes vorsah. Die solothurnischen Gerichte verwarfen mit selbständigem Zwischenentscheid die vom Beklagten erhobene Einrede der örtlichen Unzuständigkeit.
Das Bundesgericht weist die Berufung des Beklagten ab.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

1. a) Der Beklagte macht nicht geltend, das Obergericht habe die Bestimmungen des kantonalen Prozessrechtes über den Gerichtsstand durch willkürliche Auslegung verletzt, was mit staatsrechtlicher Beschwerde zu rügen wäre. Er beschränkt sich darauf, diesen Bestimmungen des kantonalen Prozessrechtes diejenigen des Staatsvertrages zwischen der Schweiz und Deutschland von 1929 entgegenzuhalten. Daneben beruft er sich allerdings auch auf Art. 59 Abs. 2 BV. Aber diese Bestimmung, die lediglich für Ausländer die bezüglichen Staatsverträge
BGE 94 II 292 S. 294
vorbehält, hat keine selbständige Bedeutung. Die Rüge der Verletzung von Art. 59 BV deckt sich daher im vorliegenden Fall mit dem Einwand der Verletzung des schweizerischdeutschen Abkommens von 1929. Zudem bezieht sich Art. 59 BV, wie der Wortlaut seines Abs. 1 deutlich sagt, nur auf Schuldner, die in der Schweiz Wohnsitz haben. Ein im Ausland wohnender Beklagter kann daher nicht auf Grund von Art. 59 BV verlangen, dass er an seinem ausländischen Wohnsitz belangt werde (BGE 89 II 425).
b) Verletzung von Staatsverträgen kann nach Art. 43 Abs. 1 Satz 1 OG mit der Berufung geltend gemacht werden, sofern die weiteren Voraussetzungen dieses Rechtsmittels gegeben sind. Das trifft hier zu...
Auf die Berufung ist daher einzutreten.

2. Der Beklagte ist der Auffassung, die Verwerfung seiner Unzuständigkeitseinrede durch die Vorinstanzen verstosse gegen Art. 1 und 2 des schweizerisch-deutschen Abkommens vom 2. November 1929 über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen und Schiedssprüchen (BS 12 S. 359 ff.). Dieser Staatsvertrag regle den Gerichtsstand im internationalen Verhältnis der beiden Staaten, obwohl er nur ein Urteilsvollstreckungsvertrag sei. Da er ausdrücklich und abschliessend erkläre, in welchen Fällen ein Urteil, das im einen der beiden Staaten gefällt wurde, im andern Staat vollstreckbar ist, regle er gleichzeitig die örtliche Zuständigkeit der Gerichte der beiden Staaten im internationalen Verhältnis.
Diese Auffassung verkennt den Sinn des angerufenen Abkommens. Dieses ist, im Gegensatz etwa zum schweizerischfranzösischen Staatsvertrag von 1869 (BS 12 S. 347 ff.) kein Gerichtsstandsvertrag, der die Gerichtsbarkeit der Vertragsstaaten gegeneinander abgrenzt mit der Folge, dass seine Vorschriften über die Zuständigkeit der Gerichte die internen Bestimmungen jedes Vertragsstaates ersetzen würden und daher vom urteilenden Richter im Erkenntnisverfahren berücksichtigt werden müssten. Das Abkommen von 1929 hat, wie schon sein Titel besagt, nur die Anerkennung und Vollstreckung von im andern Vertragsstaat ergangenen Urteilen zum Gegenstand. Es umschreibt nur die Bedingungen, unter denen die von den Gerichten des einen Vertragsstaates gefällten Entscheide im andern Vertragsstaat anzuerkennen und zu vollstrecken sind.
BGE 94 II 292 S. 295
Staatsverträge dieser Art haben keine Bedeutung für das Erkenntnisverfahren. Die Vertragsstaaten bleiben frei, den Gerichtsstand nach ihrem Belieben zu ordnen. Ihre Gerichte entscheiden nach dem internen Recht, nicht nach dem Staatsvertrag, über ihre Zuständigkeit. Die im Staatsvertrag enthaltenen Bestimmungen über die Zuständigkeit erlangen erst Bedeutung, wenn zu entscheiden ist, ob ein bereits ergangenes Urteil im andern Vertragsstaat vollstreckt werden könne (BGE 92 II 84 Erw. 2; GULDENER, Das internationale und interkantonale Zivilprozessrecht der Schweiz, 1951, S. 118 ff., A. PANCHAUD, La technique législative des traités sur l'exécution de jugements étrangers, Separatabdruck aus der Festgabe für Ch. Fragistas, Saloniki 1969, S. 74).
Brauchte der solothurnische Richter den Staatsvertrag von 1929 nicht zu beachten, so verletzt der angefochtene Entscheid keine bundesrechtliche Vorschrift über die örtliche Zuständigkeit im Sinne des Art. 49 OG. Die Berufung ist daher abzuweisen, ohne dass zu prüfen wäre, ob der Beklagte im Sinne des Abkommens von 1929 stillschweigend oder durch schlüssiges Verhalten den solothurnischen Gerichtsstand anerkannt habe.

Inhalt

Ganzes Dokument
Regeste: deutsch französisch italienisch

Sachverhalt

Erwägungen 1 2

Referenzen

BGE: 89 II 425, 92 II 84

Artikel: Art. 49 OG, Art. 59 BV, Art. 59 Abs. 2 BV, Art. 43 Abs. 1 Satz 1 OG