31. Urteil der I. Zivilabteilung vom 30. September 1969 i.S. Baratti gegen Gatzka.
|
Regeste
|
Verrechnung einer gepfändeten Forderung.
|
Art. 213 SchKG ist auf die Pfändung einer Forderung sinngemäss anwendbar (Erw. 4).
|
Verzicht des Schuldners der gepfändeten Forderung auf Verrechnung? (Erw. 5).
|
Sachverhalt
|
BGE 95 II 235 (236):
A.- Am 16. Juni 1964 schied das Bezirksgericht Zürich die Ehe des Alfredo und der Leonora Baratti-Giannoni und verpflichtete ersteren, der gewesenen Ehefrau eine Abfindung von Fr. 200'000.-- zu zahlen, wovon Fr. 50'000.-- in jährlichen Raten von je Fr. 10'000.-- vom 1. Januar 1965 an fällig wurden. Baratti blieb auch nach der Ehescheidung in dem unter der Firma "Arno-Immobilien Nora Baratti" in Zürich geführten Geschäft tätig. Er wirtschaftete in dieser Stellung nach Gutdünken.
|
Am 4. November 1966 pfändete das Betreibungsamt Zürich 6 in einer Betreibung des Stanislaus Gatzka gegen Alfredo Baratti von dessen Lohnforderung gegenüber Frau Baratti von monatlich Fr. 3000.-- mit Wirkung vom 1. November 1966 an monatlich Fr. 1214.50. Es zeigte Frau Baratti die Pfändung am 14. November 1966 an. Den Lohn für November 1966 lieferte sie dem Betreibungsamt ab, dagegen nicht die Beträge für die folgende Zeit. Das Betreibungsamt ermächtigte daher Gatzka am 23. Oktober 1967, für die Monate Dezember 1966 bis Mai 1967 monatlich Fr. 1214.50 und für Juni 1967 Fr. 1275.--, zusammen Fr. 8562.--, im Sinne des Art. 131 Abs. 2 SchKG gegen Frau Baratti auf eigene Rechnung geltend zu machen.
|
Gatzka liess Frau Baratti am 25. Oktober 1967 für Fr. 8562.-- nebst Zins zu 5% seit 10. Juli 1967 betreiben. Da sie mit der Begründung, es werde "Verrechnung geltend gemacht", Rechtsvorschlag erhob, klagte er gegen sie beim Bezirksgericht Zürich auf Zahlung von Fr. 8562.-- nebst Zins und Kosten des Zahlungsbefehls. Im Prozess verdeutlichte die Beklagte ihre Stellungnahme dahin, sie verrechne die eingeklagte Lohnschuld mit ihrer Forderung aus dem Ehescheidungsurteil, da Baratti seiner Pflicht, ihr vom 1. Januar 1965 an jährlich Fr. 10'000.-- zu zahlen, nicht nachgekommen sei.
|
B.- Das Bezirksgericht Zürich und auf Berufung der Beklagten auch das Obergericht des Kantons Zürich, letzteres mit Urteil vom 17. Dezember 1968, hiessen die Klage gut.
|
C.- ...
|
D.- Die Beklagte hat gegen das Urteil des Obergerichtes BGE 95 II 235 (237):
die Berufung erklärt. Sie beantragt, die Klage abzuweisen, eventuell die kantonale Instanz zur Neubeurteilung zu verhalten. Der Kläger beantragt, die Berufung abzuweisen, eventuell die Sache zur Abnahme von Beweisen an die Vorinstanz zurückzuweisen.
|
E.- ...
|
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
|
1. Ob Baratti für die Monate Dezember 1966 bis Mai 1967 zulasten der Geschäftskasse der Beklagten seinen vollen Lohn, also auch den gepfändeten Teil, bezogen hat, ist entgegen der Auffassung der Vorinstanz unerheblich. Wenn Baratti Zahlung angenommen oder sich eigenmächtig bezahlt gemacht haben sollte, hätte er über die gepfändete Forderung verfügt. Diese Verfügung wäre ungültig, soweit dadurch die dem Kläger aus der Pfändung erwachsenen Rechte verletzt würden (Art. 96 Abs. 2 SchKG). Das ergibt sich auch aus Art. 99 SchKG, wonach bei der Pfändung von Forderungen, für die nicht eine an den Inhaber oder an Order lautende Urkunde besteht, der Schuldner rechtsgültig nur noch an das Betreibungsamt leisten kann. Im vorliegenden Prozess muss daher über die angebliche Zahlung an Baratti hinweggesehen werden; sie hat als nicht geschehen zu gelten. Sie befreite die Beklagte nicht, hatte aber anderseits auch nicht zur Folge, dass die Verrechnung mit der Gegenforderung der Beklagten unmöglich geworden wäre. Im Verhältnis zum Betreibungsamt und zum Kläger ist die Verrechnung möglich geblieben, wenn die Pfändung der Lohnforderung sie nicht ausschloss.
|
|
Das Bundesgericht hat bisher nur einmal nebenbei ausgeführt, es sei selbstverständlich unrichtig, dass gegenüber einer BGE 95 II 235 (238):
gepfändeten Forderung jede Verrechnung ausgeschlossen sei (BGE 40 III 159Erw. 3 a.E.). Unter welcher Voraussetzung die Verrechnung zulässig sei und in welchem Zeitpunkt sie erklärt werden müsse, hat es nicht entschieden.
|
|
Nach Art. 169 OR können Einreden, die der Forderung des Abtretenden entgegenstanden, auch gegenüber dem Erwerber geltend gemacht werden, wenn sie schon zur Zeit vorhanden waren, als der Schuldner von der Abtretung Kenntnis erhielt. Unter den Einreden versteht diese Bestimmung auch die Verrechnung (Art. 169 Abs. 2 OR;BGE 25 II 323Erw. 4,BGE 44 II 260, BGE 85 II 113; OSER/SCHÖNENBERGER Art. 169 N. 3; BECKER Art. 169 N. 11; VON TUHR/SIEGWART § 96 VI). Der Schuldner einer gepfändeten Forderung kann diese daher unter den Voraussetzungen des Art. 169 OR auch dann noch mit einer Forderung gegen den Betriebenen verrechnen, wenn die gepfändete Forderung versteigert oder dem Betreibenden an Zahlungs Statt zugewiesen wurde.
|
Ob die Verrechnungseinrede zur Zeit, als der Schuldner von der Abtretung Kenntnis erhielt, schon "vorhanden war", hängt nicht davon ab, ob damals die Verrechnung schon zulässig und erklärt war. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts genügt es, wenn der Schuldner in diesem Zeitpunkt die Aussicht hatte, dereinst bei der Fälligkeit seiner Schuld verrechnen zu können, was insbesondere dann zutrifft, wenn seine Gegenforderung zu jener Zeit schon bestand und bei Eintritt der Fälligkeit seiner Schuld ihrerseits fällig war (BGE 25 II 325).
|
Wenn das Betreibungsamt im vorliegenden Falle die gepfän.. dete Lohnforderung versteigert oder dem Kläger an Zahlungs Statt zugewiesen hätte, könnte die Beklagte daher ihre Schuld auch heute noch mit ihrer Gegenforderung verrechnen. Es kann offen bleiben, ob unter dem Zeitpunkt, in dem sie im Sinne des Art. 169 "von der Abtretung Kenntnis erhielt", der Zeitpunkt zu verstehen wäre, da sie vom Übergang der versteigerten oder BGE 95 II 235 (239):
zugewiesenen Forderung erfahren hätte, oder - vgl. JAEGER Art. 131 N. 11 letzter Absatz - schon der 14. November 1966, an dem ihr die Pfändung angezeigt wurde. Ihre Gegenforderung aus dem Ehescheidungsurteil entstand vor dem 14. November 1966, und als die Lohnraten für Dezember 1966 bis Mai 1967 fällig wurden, waren auch schon zwei oder drei Raten der Gegenforderung fällig.
|
Daraus ergibt sich die Zulässigkeit der Verrechnung auch im vorliegenden Falle, wo die gepfändete Lohnforderung weder versteigert noch dem Kläger an Zahlungs Statt zugewiesen, sondern der Kläger nur im Sinne des Art. 131 Abs. 2 SchKG ermächtigt wurde, sie einzutreiben. Durch die Ermächtigung zur Eintreibung ging das Betreibungsamt weniger weit, als wenn es die gepfändete Forderung versteigert oder an Zahlungs Statt zugewiesen hätte. Gläubiger der Lohnforderung blieb Baratti, aber solange die Pfändung besteht, ist ihm das Verfügungsrecht über sie entzogen. Die Anzeige der Pfändung ist auch im vorliegenden Falle ohne Einfluss auf die Möglichkeit der Verrechnung, weil zur Zeit, als sie erging, die Gegenforderung der Beklagten schon bestand, und weil bei Eintritt der Fälligkeit der eingeklagten Lohnraten von der Gegenforderung ein diese Raten übersteigender Betrag fällig war.
|
|
Die Pfändung einer Forderung hebt das Recht des Betriebenen, über sie zu verfügen, in gleicher Weise auf wie die Konkurseröffnung (Art. 96 verglichen mit Art. 204 Abs. 1 SchKG). Auch kann der Schuldner des Betriebenen, nachdem ihm die Pfändung angezeigt wurde, rechtsgültig nur noch an das Betreibungsamt leisten, gleich wie der Schuldner des Gemeinschuldners dafür zu sorgen hat, dass seine Leistung in die Konkursmasse, also an die Konkursverwaltung gelangt, wenn die Eröffnung des Konkurses öffentlich bekannt gemacht oder dem Schuldner bekannt ist (Art. 99 verglichen mit Art. 205 SchKG). In der Pfändung liegt wie in der Konkurseröffnung eine amtliche Beschlagnahme der Forderung zugunsten des an der Vollstreckung beteiligten Gläubigers. Die Pfändung und deren Anzeige können daher das Verrechnungsrecht des Schuldners der gepfändeten Forderung nicht weitergehend beeinträchtigen als die Konkurseröffnung und deren Bekanntgabe BGE 95 II 235 (240):
die Verrechnung einer zur Masse gehörenden Forderung durch deren Schuldner ausschliessen. Wie der Schuldner des Gemeinschuldners seine Schuld trotz des Konkurses mit einer Gegenforderung verrechnen kann, die er schon im Zeitpunkt der Konkurseröffnung hatte (Art. 213 Abs. 1 und Abs. 2 Ziff. 1 SchKG), muss auch der Schuldner eines Betriebenen seine Schuld trotz der Pfändung mit einer im Zeitpunkt der Pfändung schon bestehenden Gegenforderung verrechnen können. Er muss dies umso mehr tun können, als die Pfändung seine Gegenforderung nicht beeinflusst, während im Konkurs grundsätzlich alle Forderungen gegen den Gemeinschuldner nach der Rangordnung des Art. 219 SchKG zu befriedigen wären. Sah sich der Gesetzgeber veranlasst, dem Gläubiger in Abweichung von dieser Bestimmung die Verrechnung der Gegenforderung im Konkurs des Schuldners zu gestatten, so kann er umso weniger beabsichtigt haben, sie zu versagen, wenn die Forderung des Schuldners nur gepfändet ist. Die Verrechnung muss jedenfalls zulässig sein, sobald die Gegenforderung fällig ist. Ob in sinngemässer Anwendung des Art. 123 Abs. 1 OR sogar nicht fällige Gegenforderungen verrechnet werden können, kann offen bleiben.
|
Art. 213 Abs. 2 Ziff. 2 SchKG schliesst die Verrechnung im Konkurse aus, wenn der Gläubiger des Gemeinschuldners erst nach der Konkurseröffnung Schuldner desselben oder der Konkursmasse wird. Diese Bestimmung kann dem Schuldner einer gepfändeten Forderung nicht schaden, denn die Pfändung setzt voraus, dass die Forderung bestehe. Es kann nicht gesagt werden, der Verrechnende sei erst nach der Pfändung Schuldner des Betriebenen geworden. Nur die Fälligkeit der Schuld ist im Zeitpunkt der Pfändung unter Umständen noch nicht eingetreten. Sie fehlte z.B. im vorliegenden Falle hinsichtlich der nach dem 4. November 1966 fällig gewordenen Lohnraten.
|
Die Ermächtigung des Betreibungsamtes an den Betreibenden, die gepfändete Forderung gemäss Art. 131 Abs. 2 SchKG einzutreiben, hebt die Möglichkeit der Verrechnung nicht auf. Sie bewirkt nur, dass der Schuldner allenfalls statt an das Betreibungsamt an den Ermächtigten zahlen darf oder muss. Im übrigen ändert sie an der Rechtsstellung des Schuldners nichts. Namentlich schliesst sie die sinngemässe Anwendung des Art. 213 SchKG nicht aus, wie ja auch im Konkurse die Ermächtigung an einen Gläubiger, die Forderung gemäss BGE 95 II 235 (241):
Art. 260 SchKG einzutreiben - es handelt sich nicht um eine zivilrechtliche Abtretung (BGE 43 III 163,BGE 49 III 124,BGE 51 III 34,BGE 57 III 99, BGE 84 III 43, BGE 86 III 158) - die Verrechnungsmöglichkeit nicht beeinträchtigt.
|
5. Der Kläger macht geltend - und hat es schon im kantonalen Verfahren getan - die Beklagte habe auf die Verrechnung zum voraus verzichtet (Art. 126 OR). Er hat jedoch nicht behauptet und dafür Beweis angeboten, dass sie Baratti erklärt habe, sie verzichte, jemals eine seiner Lohnforderungen mit ihrer Gegenforderung zu verrechnen. Er brachte nur vor, sie habe durch schlüssiges Verhalten stillschweigend auch für die Zukunft dadurch auf die Verrechnung verzichtet, dass sie Baratti als Geschäftsführer anstellte und ihn trotz ihrer seit 1. Januar 1965 fälligen Gegenforderung von Fr. 10'000.-- während des ganzen Jahres 1965 sowie vom Januar bis Oktober 1966 Lohn beziehen liess und den Lohn für November 1966, soweit er gepfändet war, an das Betreibungsamt ablieferte. Weder Baratti noch (seit der Pfändung) das Betreibungsamt oder der Kläger durften dieses Verhalten der Beklagten als Äusserung des Willens, auch auf die Verrechnung künftiger Lohnraten zu verzichten, auffassen. Sie durften umso weniger auf diesen Willen schliessen, als die Beklagte den Lohn nicht aus Mitteln auszahlte, die durch ihre Hand gegangen wären. Nach der Behauptung beider Parteien und der Feststellung der Vorinstanz liess sie es nur geschehen, dass Baratti auf ihren Namen ein Geschäft führte und darin nach Belieben schaltete und waltete. Sie wusste nicht, welche Rechtshandlungen er im einzelnen vornahm.
|
|
Wenn die eingeklagte Forderung nicht schon durch die summarische Begründung des Rechtsvorschlages der Beklagten untergegangen sein sollte, erlosch sie daher jedenfalls, als die Beklagte in der Sühneverhandlung und im Prozess erklärte, sie wolle mit ihrer Gegenforderung aus dem Ehescheidungsurteil verrechnen.
|
|
BGE 95 II 235 (242):
Demnach erkennt das Bundesgericht:
|
Die Berufung wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich (II. Zivilkammer) vom 17. Dezember 1968 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
|