BGE 95 II 391
 
54. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 21. November 1969 i.S. B. gegen H. und B.
 
Regeste
Anfechtung der durch nachfolgende Heirat erfolgten Legitimation eines ausserehelichen Kindes; örtliche Zuständigkeit (Art. 262 ZGB).
Lebt dieser Mann nicht mehr, so ist der Richter am Wohnsitz der Mutter zuständig; wenn auch diese nicht mehr lebt, der Richter am schweizerischen Wohnsitz des Kindes.
 
Sachverhalt


BGE 95 II 391 (391):

Aus dem Tatbestand:
Als B. im Jahre 1917 heiratete, wurde das im Jahre 1916 geborene aussereheliche Kind der Ehefrau legitimiert. In der Folge wurde die 1917 geschlossene Ehe geschieden. Die Ehefrau verheiratete sich wieder und wohnt heute in Zürich. B. schloss ebenfalls eine neue Ehe, der zwei Kinder entsprossen. Im Jahre 1968 starb er in St. Gallen, wo er zuletzt gewohnt hatte. Hierauf leiteten seine Kinder aus zweiter Ehe gegen die erste Ehefrau ihres Vaters und deren Kind in Zürich eine Klage ein, mit der sie die Ehelicherklärung dieses Kindes anfochten. Das Bezirksgericht Zürich wies die Klage wegen örtlicher Unzuständigkeit von der Hand. Das Obergericht des Kantons Zürich wies den Rekurs der Kläger gegen diesen Entscheid ab. Es nahm an, nach Art.262 Abs. 2 ZGB sei zur Beurteilung der Anfechtung einer Ehelicherklärung, die auf Grund von Art. 258 ZGB (Legitimation durch nachfolgende Heirat) erfolgt war, der Richter am Wohnsitz

BGE 95 II 391 (392):

der Eltern zuständig. Wenn diese an verschiedenen Orten Wohnsitz haben, sei der Richter am Wohnsitz des Vaters zuständig, da der Streit in erster Linie um die Abstammung des Kindes von diesem gehe. Dieser Gerichtsstand entfalle mit dem Tode des Vaters nicht.
Auf Berufung der Kläger hin erklärt das Bundesgericht das Bezirksgericht Zürich als örtlich zuständig.
 
Aus den Erwägungen:
2. Gemäss Art. 262 Abs. 2 ZGB ist zur Beurteilung der Anfechtung von Ehelicherklärungen der Richter am Wohnsitz der Eltern oder der Richter, der die Ehelicherklärung ausgesprochen hat, örtlich zuständig. Da es sich im vorliegenden Fall um eine Legitimation durch nachfolgende Heirat im Sinne der Art. 258/259 ZGB handelt, ist somit der Richter am Wohnsitz der Eltern zuständig. Aus den Gesetzesmaterialien ist nicht ersichtlich, aus welchen Gründen diese Bestimmung ins Gesetz aufgenommen worden ist. Art. 25 Abs. 5 und 41 des Bundesgesetzes betr. Feststellung und Beurkundung des Zivilstandes und die Ehe vom 24. Dezember 1874 stellten bloss den Grundsatz auf, dass voreheliche Kinder durch die nachfolgende Heirat ihrer Eltern legitimiert werden. Eine Anfechtung war nicht ausdrücklich vorgesehen. Sie hätte gemäss Art. 8 NAG nach dessen Inkrafttreten am Gerichtsstand der Heimat erfolgen müssen. Damit hätte es sein Bewenden gehabt, wenn im ZGB nicht eine abweichende Regelung getroffen worden wäre. Im Vorentwurf zum ZGB vom 15. November 1900 war die örtliche Zuständigkeit nicht bestimmt. Dessen Art. 286 regelte bloss das Einspracheverfahren. Erst der Vorentwurf des Eidg. Justiz- und Polizeidepartements von 1903 enthielt in Art. 286 Abs. 2 die Vorschrift über die Zuständigkeit, die unverändert in den Entwurf des Bundesrates von 1904 übernommen (Art. 272 Abs. 2 des Entwurfs) und im gleichen Wortlaut Gesetz wurde. Den Protokollen der Expertenkommission und der gesetzgebenden Räte kann über den Entstehungsgrund dieser Bestimmung nichts entnommen werden.
Da in der Regel eine Anfechtung der Ehelicherklärung kürzere Zeit nach der das Kind legitimierenden Heirat seiner angeblichen Eltern oder nach dem richterlichen Entscheid erfolgt, dachte offenbar der Gesetzgeber nicht daran, dass die Eltern im Zeitpunkt der Anfechtung geschieden sein oder

BGE 95 II 391 (393):

trotz Fortbestehens der Ehe einen verschiedenen Wohnsitz haben oder nicht mehr leben könnten. Bei getrenntem Wohnsitz der Mutter und des in den Zivilstandsregistern als Vater eingetragenen Mannes (des sog. Registervaters) ist es gegeben, den Richter an dessen Wohnsitz als zuständig zu erklären, wie auch die Vorinstanz annimmt (EGGER, N. 5, und HEGNAUER, N. 19 zu Art. 262 ZGB); denn es geht um die Abstammung des Kindes vom Registervater. Ist dieser jedoch gestorben und lebt nur noch die mit dem Kinde ins Recht zu fassende Mutter, dann ist nicht einzusehen, aus welchen Gründen entgegen dem Wortlaut des Gesetzes der Richter am letzten Wohnsitz des Registervaters zuständig sein sollte. Das Gesetz hat doch offenbar die örtliche Zuständigkeit für die Anfechtung der Ehelicherklärung infolge nachfolgender Heirat deshalb abweichend von Art. 8 NAG geordnet, um der allgemeinen Gerichtsstandsregel, wonach örtlich zuständig der Richter am Wohnsitz des Beklagten ist, Geltung zu verschaffen. Lebt nur noch ein Elternteil, so ist infolgedessen der Richter an seinem Wohnsitz örtlich zuständig (so auch F. L. ZWEIFEL, Du for en matière de filiation, Diss. Lausanne 1924, S. 58, und J.-F. AUBERT, Les actions de la filiation en droit civil suisse, Diss. Neuchâtel 1955, S. 149/50). Es besteht durchaus kein zureichender Grund, den letzten Wohnsitz des verstorbenen Registervaters als massgebend zu betrachten, etwa in analoger Anwendung des Art. 538 Abs. 2 ZGB, der für die Klagen aus Erbrecht diesen Gerichtsstand bestimmt. Für diese letztere Regelung bestehen triftige Gründe, die hier nicht im einzelnen darzulegen sind. Bei Anfechtung der Ehelicherklärung ist jedoch nicht einzusehen, weshalb die beklagte Mutter, die in einem andern Teil unseres Landes wohnt, gezwungen werden könnte, sich in den Prozess am letzten Wohnsitz ihres verstorbenen Mannes einzulassen. Daran ändert auch die von der Vorinstanz gemachte Überlegung nichts, wie es sich verhalte, wenn beide Elternteile bei Anhebung der Klage nicht mehr am Leben sind. Dann ist eben die Klage nicht am letzten Wohnsitz des zuletzt verstorbenen Elternteils, sondern am Wohnsitz des Kindes, sofern sich dieser in der Schweiz befindet, anhängig zu machen (ebenso AUBERT a.a.O. S. 150). Diese lückenausfüllende Auslegung des Art. 262 Abs. 2 ZGB ergibt sich aus dem Zweck dieser Bestimmung, nämlich dem Beklagten den Gerichtsstand seines Wohnsitzes zu sichern.