BGE 96 II 18
 
4. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 12. Mai 1970 i.S. Leitplanken AG und Heimann gegen Brouwer.
 
Regeste
1. Art. 19 und 20 OR. Bestimmung des Vertragsinhalts, Nichtigkeit (Erw. 1).
 
Sachverhalt


BGE 96 II 18 (19):

A.- Der im Wallis wohnhafte holländische Geschäftsmann Adrian Brouwer schloss am 26. Juli 1965 mit der Leitplanken AG, Hergiswil, folgenden Vertrag:
"1. Herr Brouwer bezahlt der Leitplanken AG den Betrag von Fr. 12'500.--. Dieser Betrag ist gleichwertig wie Aktien (125 Stück im Nennwert à Fr. 100.--) hinsichtlich der Beteiligung am Geschäftsvermögen.
2. Herr Brouwer wird an die Aktionärversammlungen eingeladen und es stehen ihm die gleichen Rechte zu wie den Aktionären.
3. Dieser Vertrag gilt als Quittung für die Bezahlung des eingangs genannten Betrages.
4. Herr Brouwer erhält so bald als möglich für den Betrag von Fr. 12'500.-- Aktien, spätestens jedoch bei Neuauflage oder Aktienkapital-Erhöhung."
In einem Zusatzvertrag vom gleichen Tage vereinbarten die Parteien:
"Herr Brouwer bezahlt im Zusammenhang mit dem Beteiligungsvertrag den Betrag von Fr. 12'500.-- à fonds perdu."
Brouwer zahlte Fr. 25'000.--, wovon Fr. 12'500.-- in der Betriebsrechnung der Gesellschaft für das Jahr 1965 als "Agio aus Aktienvertrag" und Fr. 12'500.-- in der Jahresbilanz als "Aktienvorauszahlung Brouwer" verbucht wurden.
Brouwer wurde hierauf jeweils zu den Versammlungen der Gesellschaft eingeladen und nahm daran teil. Eine Kapitalerhöhung nahm die Gesellschaft nicht vor. Sie übergab Brouwer auch keine Aktien.
B.- Mit Klage vom 13. September 1967 belangte Brouwer die Leitplanken AG und deren Verwaltungsratsmitglied Oskar Heimann solidarisch auf Bezahlung von Fr. 25'000.-- nebst 5% Zins.
C.- Das Kantonsgericht und auf Appellation hin am 4. September 1969 auch das Obergericht Nidwalden hiessen die Klage gut und verpflichteten die Beklagten, dem Kläger solidarisch Fr. 25'000.-- nebst 5% Zins seit 26. Dezember 1966 zu zahlen.
Das Obergericht hielt die beiden Verträge vom 26. Juli 1965, die eine Einheit bildeten, nach Art. 20 OR für nichtig, weil sie einen widerrechtlichen und unmöglichen Inhalt hätten. Brouwer habe sich durch den Hauptvertrag in der Gesellschaft eine Beteiligung, die dem Besitz von 125 Aktien entsprach, verschaffen wollen, sei aber ohne Aktien geblieben, folglich nicht Aktionär

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geworden. Ziffer 1 und 2 des Vertrages seien unvereinbar mit den Grundsätzen des Aktienrechts. Auch Ziffer 4 des Vertrages sei nichtig, da die Gesellschaft nicht Aktien habe versprechen können, die sie nicht besass und die zu erwerben ihr das Gesetz verbot. Ebensowenig habe die Gesellschaft versichern können, dass das Grundkapital erhöht und von seiten der Aktionäre auf das Bezugsrecht verzichtet werde. Ob Brouwer beim Vertragsabschluss getäuscht worden sei oder sich in einem Irrtum befunden habe, könne offen bleiben.
D.- Die Beklagten haben gegen das Urteil des Obergerichts die Berufung erklärt mit den Anträgen, es aufzuheben und die Klage abzuweisen, eventuell die Sache zu neuer Beurteilung an das Obergericht zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Berufung abzuweisen und das Urteil des Obergerichts zu bestätigen.
 
Aus den Erwägungen:
Wie aus Ziffer 4 des Hauptvertrags erhellt, konnte die Gesellschaft dem Kläger diese Beteiligung dadurch verschaffen, dass sie ihm nach ihrer Wahl entweder 125 bestehende Aktien übergab oder im Falle einer Erhöhung des Aktienkapitals so viele neue Aktien zuteilte. Die Leistung der Gesellschaft war für Brouwer wirtschaftlich freilich nicht in beiden Fällen von gleichem

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Wert, da sein Anteil im ersten Fall einem Viertel des Aktienkapitals von Fr. 50'000.-- entsprach, im zweiten aber von der Erhöhung des Aktienkapitals abhing. Diese Besonderheit des Vertrages, aus der Brouwer nichts zu seinen Gunsten abzuleiten scheint, hält sich indes innerhalb der Schranken des Gesetzes, ist folglich nach Art. 19 OR nicht zu beanstanden. Es steht den Parteien frei, eine Wahlobligation zu vereinbaren (Art. 72 OR), was nicht heisst, dass die Leistungen, zwischen denen der Schuldner wählen kann, gleichwertig sein müssen.
a) Wenn eine Gesellschaft in einem Fall, wie hier, dem Vertragspartner als Gegenleistung bestehende Aktien übergibt, so erfüllt sie einen Kaufvertrag. Ein solcher Vertrag erzeugt nach schweizerischem Recht bloss die Pflicht, Eigentum zu übertragen, weshalb er sich auch auf eine Sache beziehen kann, die sich zur Zeit des Vertragsabschlusses nicht im Eigentum des Verkäufers befindet. Ob und wie der Verkäufer diesfalls seiner Pflicht nachkomme, berührt die Gültigkeit des Vertrages nicht, sondern sind Fragen der Erfüllung. Das gilt insbesondere für den Fall, dass die Leistung hinterher unmöglich wird, sei es, weil der Verkäufer sich die Sache nicht verschaffen kann oder anderweitig darüber verfügte, sei es, weil ein Dritter sie dem Käufer nicht mehr übergeben will. Unmöglichkeit im Sinne von Art. 20 OR ist nur anzunehmen, wenn sie von Anfang an bestanden hat; die versprochene Leistung muss aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen überhaupt nicht erbringbar sein (BGE 95 II 554 Erw. b).
Dass die Leitplanken AG am 26. Juli 1965 keine Aktien besass, machte ihre Verträge mit dem Kläger daher nicht unmöglich. Die Vorinstanz hält Ziffer 4 des Hauptvertrages gleichwohl für nichtig, weil die Aktiengesellschaft nach Art. 659 Abs. 1 OR eigene Aktien weder zu Eigentum erwerben noch zu Pfand nehmen darf. Die Leitplanken AG konnte dem Kläger indes Aktien verschaffen, ohne sie selbst zu erwerben. Sie brauchte nicht persönlich zu erfüllen (Art. 68 OR), sondern konnte mit Aktionären, die Aktien abtreten wollten, vereinbaren, dass diese dem Kläger direkt zu übergeben seien. Ob eine Gesellschaft, die den Aktienerwerb zwischen Personen bloss vermittelt, Eigentümerin der Titel werde, wie SIEGWART (N. 17 zu Art. 659 OR) anzunehmen scheint, kann dahingestellt bleiben. Der Erwerb eigener Aktien ist der Gesellschaft vor allem verboten, weil sie sonst die Stimmrechtsverhältnisse in der Generalversammlung

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durch ihre Organe in unzulässiger Weise beeinflussen könnte (BGE 43 II 298,BGE 72 II 283). Die Leitplanken AG wollte die Aktien nicht für sich, sondern für Brouwer erwerben. Diesfalls hat das Verbot aber bloss den Sinn einer Ordnungsvorschrift, deren Missachtung das Erwerbsgeschäft nicht ungültig macht (BGE 60 II 314Erw. 2). Die Leitplanken AG konnte daher selbst dann, wenn sie sich über das Verbot hinwegsetzte, bestehende Aktien gültig erwerben und an den Kläger weitergeben.
b) Die Leitplanken AG konnte sich auch gültig verpflichten, dem Kläger bei der Erhöhung des Aktienkapitals 125 neue Aktien zukommen zu lassen. Der Entscheid über die Zuteilung neuer Aktien stand, was unbestritten ist, der Gesellschaft zu. Diese hatte dabei freilich auf das Bezugsrecht Rücksicht zu nehmen, das § 5 der Statuten den bisherigen Aktionären ausdrücklich im Sinne von Art. 652 OR vorbehielt. Deswegen bedurfte es entgegen der Annahme der Vorinstanz jedoch keiner Statutenänderung, um dem Kläger neue Aktien zuweisen zu können. Es genügte die Zusicherung eines oder mehrerer Aktionäre, dass sie bei der in Aussicht genommenen Kapitalerhöhung 125 neue Aktien dem Kläger überlassen, insoweit also auf ihr Bezugsrecht verzichten wollten.
Dass die Leistung der Gesellschaft damit von Dritten, nämlich vom Verzicht bisheriger Aktionäre auf die Ausübung ihres Bezugsrechtes abhing, ändert nichts. Nach Art. 111 OR kann einem andern auch die Leistung eines Dritten versprochen werden. Wer das tut, verpflichtet sich gültig und steht seinem Vertragspartner dafür ein, dass der Dritte die Leistung erbringt. Das trifft nach der Rechtsprechung z.B. zu, wenn eine Person, die selber kein Recht auf Alleinverkauf hat, einer andern dieses Recht zusichert (BGE 82 II 247). Gleich verhält es sich bei Zusicherungen, die eine Bank bei der Ausgabe von Anleihensobligationen gegenüber Zeichnern oder künftigen Inhabern von Obligationen abgibt (BGE 43 II 346).
Da die Gesellschaft im vorliegenden Fall die Übergabe von bestehenden oder die Zuteilung von neuen Aktien versprach, musste beiden Parteien klar sein, dass mit diesem Versprechen Leistungen von Aktionären gemeint waren. Dem Kläger insbesondere konnte als Geschäftsmann nicht entgehen, dass die Gesellschaft sich nur mit Hilfe von Aktionären alte oder neue Aktien verschaffen konnte. Mussten aber die Parteien selber

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Ziffer 4 des Hauptvertrages vernünftigerweise so verstehen, so kann der Inhalt dieser Vereinbarung weder als objektiv unmöglich noch als widerrechtlich bezeichnet werden. Die Verpflichtung, welche die Leitplanken AG damit einging, hält vor dem Gesetz stand und ist gültig.
Die Vorinstanz hat insofern recht, als die von den Parteien vereinbarte Beteiligung des Klägers an den Generalversammlungen der Gesellschaft mit dem geltenden Aktienrecht nicht zu vereinbaren ist. Ziffer 2 des Hauptvertrages sieht in der Tat vor, dass ein Nichtgesellschafter an den Generalversammlungen der Leitplanken AG teilnehme, obschon diese Versammlung sich gemäss Art. 698 Abs. 1 OR einzig aus den Aktionären zusammensetzt. Die Vereinbarung wäre indes, wie hievor ausgeführt worden ist, nur dann nichtig, wenn eine Gebots- oder Verbotsnorm diese Rechtsfolge ausdrücklich vorsähe oder sie nach ihrem Sinn und Zweck verlangte. Das trifft nicht zu. Wenn Personen, die zur Teilnahme an der Generalversammlung nicht befugt sind, bei einem Beschluss mitwirken, ist der Beschluss deswegen nicht nichtig. Art. 691 Abs. 3 OR gibt diesfalls den Aktionären bloss das Recht, den Beschluss mit Klage anzufechten, und selbst das nur unter der Voraussetzung, dass die Mitwirkung des Unbefugten die Beschlussfassung der Versammlung überhaupt beeinflusst hat. Das Anfechtungsrecht erlischt zudem, wenn die Klage nicht spätestens zwei Monate nach der Generalversammlung angehoben wird (Art. 706 Abs. 4 OR). Es steht den Aktionären daher frei, einen Dritten an den Verhandlungen und Beschlüssen der Gesellschaft mitwirken zu lassen. Wird dagegen von keinem Aktionär Einsprache und Anfechtungsklage erhoben, so behalten die unter Mitwirkung des Dritten gefassten Beschlüsse ihre Gültigkeit.
Das Recht des Aktionärs, einen vorschriftswidrig zustande

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gekommenen Beschluss der Versammlung anzufechten, gehört zu seinen wohlerworbenen Rechten im Sinne von Art. 646 OR. Das ist insbesondere anzunehmen, wenn der Beschluss unter Mitwirkung eines Unbefugten gefasst wird. Nach dem klaren Wortlaut von Art. 646 Abs. 1 OR kann der Aktionär jedoch dem Entzug eines solchen Rechts zustimmen. Er kann sich damit schon zum voraus einverstanden erklären (SIEGWART, N. 43 zu Art. 646). In diesem Sinne hat das Bundesgericht bereits in BGE 88 II 174 entschieden. Es hat dort die Gültigkeit einer Abstimmungsvereinbarung, die mit einer Sperrabrede verbunden war, ausdrücklich bejaht, obwohl die Vereinbarung zumindest auf eine erhebliche Beschränkung des Stimmrechts jener Aktionäre hinauslief, welche ihr zustimmten.
Auch im vorliegenden Fall führte die Verpflichtung der Gesellschaft, einen Dritten an ihren Beschlüssen mitwirken zu lassen, zu einer Einschränkung des Stimmrechts, da die Aktionäre ihren Einfluss, den die Aktie dem Gesellschafter verleiht, teilweise einbüssten. Die Leitplanken AG konnte die Verpflichtung indes gültig eingehen. Indem sie dem Kläger das Recht einräumte, an ihren Versammlungen wie ein Aktionär teilzunehmen, stand sie dafür ein, dass die Aktionäre damit einverstanden waren. Ziffer 1 und 2 des Hauptvertrages können daher ebenfalls nicht als widerrechtlich im Sinne von Art. 20 OR bezeichnet werden.
Die Gesellschaft hat die durch Ziffer 2 übernommene Verpflichtung übrigens erfüllt. Der Kläger ist nach den Feststellungen der Vorinstanz zu den Versammlungen eingeladen worden und hat daran auch teilgenommen. Er ist somit wie ein Aktionär behandelt worden. Mehr hat ihm die Gesellschaft bis zur Aushändigung von Aktien nicht versprochen.
(4. - Ausführungen darüber, dass die Sache insbesondere zur Beurteilung der Frage, ob der Kläger beim Vertragsabschluss getäuscht worden sei oder sich in einem Irrtum befunden habe, an die Vorinstanz zurückzuweisen ist.)