BGE 100 II 368
 
56. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 17. Dezember 1974 i.S. Zivnostenska Banka gegen Schweizerische Kreditanstalt.
 
Regeste
Girovertrag mit Kontokorrentabrede, Ermächtigung.
2. Pflichtwidriges Verhalten einer Bank, die sich um diese Ermächtigung nicht kümmert (Erw. 4).
3. Art. 470 Abs. 2 OR. Widerruf der Anweisung gegenüber dem Angewiesenen, wenn offen ist, ob dieser die Gutschrift dem Begünstigten mitgeteilt hat (Erw. 5).
4. Art. 2 Abs. 2 ZGB. Wer für mangelnde Vertretungsmacht nicht einzustehen hat, handelt nicht missbräuchlich, wenn er sich darauf beruft (Erw. 6).
 
Sachverhalt


BGE 100 II 368 (369):

A.- Im August 1969 erkundigte sich Neumann bei der INTERVALOR in Frankfurt a.M., ob sie der Total Aviation Support Ltd. in Vancouver, Kanada (kurz TAS), ein Darlehen von vier Millionen DM vermitteln könne. Die INTERVA-LOR wandte sich an die Londoner Zweigniederlassung der Prager Zivnostenska Banka, die mit der Gewährung eines Darlehens von 2 Millionen DM an die TAS einverstanden war und am 20. August die Deutsche Bank in Frankfurt a.M. ersuchte, den Betrag für ihre Rechnung der Schweizerischen Kreditanstalt in Zürich zuhanden der Borgerin zu überweisen. Die Deutsche Bank erteilte der Schweizerischen Kreditanstalt am 21. August 1969 einen entsprechenden Zahlungsauftrag. Die Kreditanstalt überwies den Betrag an ihre Zweigniederlassung in Zug, wo Neumann ein Konto auf den Namen der TAS hatte eröffnen lassen und in der Folge zugunsten verschiedener Empfänger darüber verfügte.
Die TAS bestritt schon vor der Fälligkeit des Darlehens, ein solches erhalten zu haben. Da die Schweizerische Kreditanstalt dem nicht widersprach, wurde sie von der Zivnostenska Banka am 8. Januar 1970 aufgefordert, das Darlehen zu ihren Handen an die Deutsche Bank in Frankfurt zurückzuzahlen. Mit Schreiben vom 11. August 1970 an die Kreditanstalt stellte die Deutsche Bank fest, dass die Zivnostenska Banka den Zahlungsauftrag am 8. Januar widerrufen habe und dass sie diesen Widerruf ihrerseits bestätige. Am gleichen Tag trat die Deutsche Bank ihre Rechte gegen die Kreditanstalt aus dem streitigen Auftrag der Zivnostenska Banka ab.
B.- Im Dezember 1970 liess die Zivnostenska Banka durch ihre Londoner Zweigniederlassung gegen die Schweizerische Kreditanstalt Klage einreichen. Sie beantragte dem Handelsgericht des Kantons Zürich, die Beklagte zur Zahlung von DM 2 000 000.-- oder Sfr. 2 390 000.-- nebst 9% Zins seit 8. Januar 1970 zu verpflichten.
Das Handelsgericht wies die Klage am 3. Mai 1974 ab.
C.- Die Klägerin hat gegen dieses Urteil Berufung eingelegt mit dem Antrag, es aufzuheben und die Klage gutzuheissen; eventuell sei die Sache zur Ergänzung des Tatbestandes und neuer Entscheidung an das Handelsgericht zurückzuweisen.
Das Bundesgericht heisst die Berufung im Sinne des Eventualantrages gut.
 


BGE 100 II 368 (370):

Aus den Erwägungen:
a) Die Vorinstanz beruft sich dabei auf VON TUHR/SIEGWART, OR II S. 686 Ziff. 8 (= VON TUHR/ESCHER, OR II S. 243/4), wonach ein Vertrag zugunsten Dritter im Sinne von Art. 112 OR anzunehmen ist, wenn A auf einer für X bestehendes oder bei der Einzahlung errichtetes Konto Einzahlungen macht und dies nicht als Vertreter des X tut. Das Handelsgericht übersieht indes, dass Neumann der Filiale Zug keine Leistung zugunsten der TAS versprochen, sondern als Vertreter dieser Gesellschaft gehandelt hat. Es verkennt zudem, dass Neumann auf das von ihm errichtete Konto keine Einzahlungen zugunsten der TAS gemacht hat; er hat darüber bloss verfügt, nachdem die Beklagte glaubte, den ihr von der Deutschen Bank erteilten Auftrag durch Überweisung des Betrages auf das Konto der TAS erfüllt zu haben. Die Berufung auf VON TUHR/SIEGWART geht daher fehl.
b) Dazu kommt, dass Neumann nicht bloss ein Konto für die TAS errichten liess, sondern in deren Namen einen Girovertrag mit Kontokorrentabrede abschloss. Darunter ist ein allgemeiner auf die Dauer gerichteter Vertrag zur Besorgung von Geschäften zu verstehen. Die Bank erhält von einem Kunden den Auftrag, seinen Zahlungsverkehr zu übernehmen, insbesondere an seiner Stelle Zahlungen auszuführen, Überweisungen für ihn entgegenzunehmen und gegenseitige Forderungen zu verrechnen (ALBISETTI/BODMER/RUTSCHI, Handbuch des Bank-, Geld und Börsenwesens der Schweiz [kurz Handbuch], S. 296 und 391; H. SCHÖNLE, Bank- und Börsenrecht, S. 319 ff.; B. KLEINER, Die allgemeinen Geschäftsbedingungen

BGE 100 II 368 (371):

der Banken, Giro- und Kontokorrentvertrag, S. 18 ff. und 79). Wer im Namen eines andern mit einer Bank einen solchen Vertrag schliesst, muss entweder bevollmächtigt oder, falls er für eine juristiche Person handelt, dazu nach seiner Stellung befugt sein. Die Frage, ob Neumann als Einzelzeichnungsberechtigter Rechtshandlungen für die TAS vornehmen durfte, kann deshalb entgegen der Ansicht des Handelsgerichtes nicht offen gelassen werden.
Im Schrifttum wird denn auch nachdrücklich darauf hingewiesen, dass die Banken beim Abschluss eines Girovertrages gehalten sind, die Vollmachten des Vertreters eines Kunden zu prüfen; sie sind dazu entgegen der Meinung des Handelsgerichtes also nicht erst verpflichtet, wenn der Vertreter über das Konto verfügt (U. MEYER-CORDING, Das Recht der Banküberweisung, S. 15/6). Die Vorinstanz beruft sich zu Unrecht auf KLEINER, der betont, dass bei Personengemeinschaften und juristischen Personen regelmässig ein Handelsregisterauszug oder ein entsprechender Ausweis verlangt werden sollte und dass die Vollmacht einen Vertreter sinngemäss ermächtigen müsse, einen Girovertrag abzuschliessen (KLEINER, a.a.O. S. 22/3 mit Fussnote 54 und S. 28/9).
Diese Auffassung ergibt sich auch aus dem Schreiben der Schweizerischen Bankgesellschaft vom 28. Mai 1970 an die Klägerin. Diese Bank hat damit nicht, wie das Handelsgericht annimmt, schon die Verfügung über das Konto im Auge, wenn sie über des Bestehen einer Gesellschaft und die für sie zeichnungsberechtigten Personen die im Schreiben erwähnten Ausweise einzuholen pflegt. Die Auskunft der Bank bezieht sich nach ihrem klaren Wortlaut vielmehr auf die formellen Voraussetzungen, welche eine ausländische Gesellschaft für die Eröffnung eines Kontos ("for the opening of an account") erfüllen muss.
Aus ihrem Formular "Unterschriftenkarte" muss übrigens gefolgert werden, dass die Beklagte in der Regel gleich vorgeht. Auf der Rückseite des Formulars ist jedenfalls zu lesen, dass bei ausländischen Firmen die gemäss Landesrecht obersten Verwaltungsorgane unterschreiben müssen und dass gleichzeitig ein Auszug aus dem Handelsregister oder ein entsprechender Ausweis über die Zeichnungsberechtigung dieser Organe beizubringen ist. Die Filiale Zug war sich dessen auch bewusst. Das erhellt daraus, das sie in ihrem Schreiben vom

BGE 100 II 368 (372):

26. August 1969 an die TAS - wenn auch zu spät - u.a. die Vorlage einer "Resolution" verlangte. Die zuständigen Stellen der TAS hätten ihr damit bestätigen sollen, das Neumann für die Gesellschaft unterschreiben, sie also insbesondere verpflichten dürfe.
4. Die TAS unterhielt bei der Beklagten vor dem 21. August 1969 kein Konto. Um die ihr von der Deutschen Bank zugunsten der TAS erteilte Zahlungsanweisung pflichtgemäss ausführen zu können, hätte die Beklagte deshalb vorerst prüfen müssen, ob Neumann berechtigt war, an diesem Tage im Namen der TAS bei der Filiale Zug ein Konto errichten zu lassen und einen Girovertrag abzuschliessen; denn sie konnte den Zahlungsauftrag nur erfüllen, wenn der angewiesene Betrag der Begünstigten zuging. Indem sie diese Prüfung unterliess, handelte sie schuldhaft; sie nahm in Kauf, dass ein Unberechtigter über den Betrag verfügen konnte (vgl. KLEINER, a.a.O. S. 19; SCHÖNLE, a.a.O. S. 330). Hätte sich bei der Prüfung z.B. herausgestellt, dass Neumann nicht im Namen der TAS handeln durfte, so wäre die Überweisung des Betrages auf das von ihm errichtete Konto unwirksam gewesen (vgl. VON TUHR/ESCHER, OR II S. 21/2). Die Deutsche Bank hätte für die Auszahlung nicht belastet werden dürfen, weil die Zahlung zugunsten einer nicht verfügungsberechtigten Person erfolgt wäre (vgl. GAUTSCHI, N. 4a und 12b zu Art. 466 OR; KLEINER, a.a.O. S. 76). Diesfalls hätte es zudem an einem gültigen Girovertrag zwischen der Filiale Zug und der Begünstigten gefehlt, die Buchung des Betrages folglich auch keine Rechte der TAS begründen können (vgl. S. MASER, Nochmals: Gutschrift auf dem Konto pro Diverse, Neue Juristische Wochenzeitschrift 1959 II S. 1956 Spalte rechts).
Bis Neumanns Befugnisse abgeklärt waren, hätte die Beklagte daher den angewiesenen Betrag der TAS auf einem sog. Konto pro Diverse (kurz CpD) gutschreiben und zur Verfügung halten müssen. Das hat nach übereinstimmender Ansicht im Schrifttum immer dann zu geschehen, wenn Zahlungen oder Überweisungen zugunsten einer Person gemacht werden, die mit der betreffenden Bank keinen Giro- oder Kontokorrentvertrag abgeschlossen hat, mit ihr also noch in keinem Vertragsverhältnis steht (HANDBUCH S. 391/2, KLEINER, a.a.O. S. 76; SCHÖNLE, a.a.O. S. 321 und 328; MEYER-CORDING, a.a.O. S. 24/5; MASER, a.a.O.). Wieso eine solche Gutschrift

BGE 100 II 368 (373):

keinen Unterschied zum tatsächlichen Vorgehen der Beklagten ergeben hätte, wie die Vorinstanz meint, ist nicht zu verstehen, zumal sie selber beifügt, dass diesfalls der Betrag einstweilen zuhanden der Begünstigten hätte gebucht werden müssen, und dass es dann deren Sache gewesen wäre, sich bei der Verfügung über ihre Berechtigung auszuweisen. Es ist deshalb entgegen der Auffassung des Handelsgerichtes auch nicht bedeutungslos, dass der Kontobetrag nicht an die TAS weitergeleitet worden ist.
Die Beklagte wendet ein, sie habe gegenüber der TAS die Annahme der Anweisung dadurch erklärt, dass sie ihr die Gutschrift an die von Neumann angegebene Zuger Adresse mitgeteilt habe; die Klägerin habe deshalb die Anweisung nicht mehr widerrufen können. Nach kanadischem Recht hätte Neumann die Mitteilung übrigens selbst dann für die TAS entgegennehmen dürfen, wenn er nicht für die Gesellschaft zeichnungsberechtigt gewesen wäre. Das Handelsgericht stimmt dieser Auffassung zu und verweist auf Section 261 der COMPANIES ACT von Britisch Columbien. Danach dürfe ein Dokument einer Gesellschaft persönlich oder anderweitig zugestellt werden, sei es, dass es am Orte ihrer Adresse abgegeben oder durch die Post an diese Adresse gesandt werde, sei es, dass es einem Verwaltungsrat, Direktor oder anderen Angestellten der Gesellschaft übergeben werde. Als Mitglied des "Board of Directors" habe Neumann daher Mitteilungen an die TAS mit Wirkung für die Gesellschaft entgegennehmen dürfen.
Dem ist vorweg entgegenzuhalten, dass Neumann in der Schweiz auch kein Zustellungsdomizil der TAS für Mitteilungen über den Stand des Kontos begründen durfte, falls er nicht befugt war, im Namen der Gesellschaft bei der Zuger

BGE 100 II 368 (374):

Filiale der Beklagten ein Konto errichten zu lassen und mit ihr einen Girovertrag zu schliessen. Die Mitteilung der Gutschrift an die von ihm angegebene Zuger Adresse der TAS könnte folglich auch nicht als Annahme der Anweisung durch die Beklagte ausgelegt werden. Aus diesem Grunde geht die Berufung auf Section 261 der COMPANIES ACT zum vorneherein fehl. Anders verhielte es sich, wenn die Beklagte den überwiesenen Betrag zuhanden der TAS auf einem CpD gebucht und ihr davon mit eingeschriebener Sendung an ihre Adresse in Kanada Kenntnis gegeben hätte. Wäre die Gutschriftanzeige dort von Neumann entgegengenommen worden, so läge eine ordnungsgemässe Zustellung und damit eine Annahme der Anweisung gegenüber der Begünstigten vor, gleichviel welches Neumanns Stellung in der Gesellschaft war. Nach schweizerischer Rechtsauffassung sind übrigens Angestellte einer Gesellschaft in der Regel ebenfalls befugt, Postsendungen mit geschäftlichen Mitteilungen für sie in Empfang zu nehmen; auch in der Schweiz gilt diesfalls die Sendung als an den Adressaten zugestellt (vgl. SCHÖNENBERGER/JÄGGI, N. 223, 404 und 412 zu Art. 1 OR). Das heisst aber nicht, ein Angestellter sei befugt, von sich aus ein vom Sitz der Gesellschaft verschiedenes Zustellungsdomizil zu begründen oder gar ausserhalb dieses Sitzes rechtsgeschäftliche Erklärungen zuhanden der Gesellschaft entgegenzunehmen.
Die Deutsche Bank könnte daher die Anweisung gemäss Art. 470 Abs. 2 OR widerrufen, wenn die Beklagte der TAS gegenüber nicht die Annahme erklärt hätte. Die Folge davon wäre, dass die Beklagte ihr den angewiesenen Betrag zurückerstatten müsste; denn es ist unbestritten, dass die Deutsche Bank mit Schreiben vom 11. August 1970 den Zahlungsauftrag widerrufen hat. Entscheidend ist deshalb, ob Neumann im Namen der TAS ein Konto errichten lassen und einen Girovertrag schliessen durfte oder nicht, was das Handelsgericht offen gelassen hat. Die Frage muss jedoch entschieden werden, weshalb das angefochtene Urteil gestützt auf Art. 64 Abs. 1 OG aufzuheben und die Sache zur Vervollständigung des Tatbestandes an die Vorinstanz zurückzuweisen ist.
6. Die Beklagte macht geltend, die Klägerin handle missbräuchlich, wenn sie sich auf mangelnde Vertretungsmacht Neumanns berufe; sie habe Neumann bei der Gewährung des Darlehens als vertretungsberechtigtes Organ der TAS

BGE 100 II 368 (375):

behandelt, unbekümmert darum, wie es sich damit tatsächlich verhielt. Das Handelsgericht werfe ihr denn auch mit Recht vor, sie könne sich nicht über die Ausführung des Auftrages beschweren, da sie das Darlehen unvorsichtig gewährt, sich also selber schuldhaft verhalten habe.
Das Handelsgericht übersieht dabei, dass die Klägerin nicht mit Neumann über die Gewährung des Kredites verhandelt hat. Nach dem angefochtenen Urteil wandte sich Neumann vielmehr an die INTERVALOR, die Kredite in Europa vermittelt. Diese bat daraufhin die Klägerin, der TAS ein Darlehen zu gewähren. Wer ein Darlehen für Dritte erwirkt und dabei in eigenem Namen auftritt, bedarf übrigens keiner Ermächtigung. Diesfalls liegt ein Vertrag zugunsten Dritter im Sinne von Art. 112 OR vor, der nach allgemeiner Rechtsauffassung zu irgendeinem Vertragsverhältnis hinzutreten kann (BECKER, N. 8 zu Art. 112 OR; VON BÜREN, OR Allg. Teil S. 179; vgl. BGE 96 II 95 /6 Erw. b und c, BGE 98 II 307 Erw. 1). Auch kann der Dritte die Leistung des Promittenten annehmen oder ablehnen; sie muss dagegen ihm, nicht dem Promissar angeboten und erbracht werden. Dieses Erfordernis ist hier mit Bezug auf die Klägerin und die Deutsche Bank erfüllt. Der Vorwurf des Rechtsmissbrauches entbehrt deshalb der Begründung.