103 II 1
Urteilskopf
103 II 1
1. Urteil der II. Zivilabteilung vom 20. Januar 1977 i.S. P. gegen P.
Regeste
Grundbuchsperre als Sicherungsmassnahme im Scheidungsprozess.
1. Zur Sicherung des Anspruchs der Ehefrau auf ihren Anteil am Vorschlag sowie auf Ersatz des eingebrachten Gutes kann im Grundbuch nicht eine Verfügungsbeschränkung im Sinne von Art. 960 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB vorgemerkt werden (E. 2).
2. Eine zu diesem Zweck angeordnete Grundbuchsperre ist eine Massnahme des kantonalen Prozessrechts (E. 3b).
3. Ist eine solche Grundbuchsperre mit dem Bundesrecht vereinbar? (E. 3c).
Die Eheleute P. stehen in Scheidung. In dem vor Bezirksgericht Zürich hängigen Prozess stellte die als Klägerin auftretende Ehefrau das Begehren, es sei zur Sicherung ihres Vorschlagsdrittels gestützt auf Art. 145 ZGB eine Grundbuchsperre
BGE 103 II 1 S. 2
über die im Eigentum des Ehemannes stehende Einfamilienhaus-Liegenschaft an der Buechhalde 3 in W./AG anzuordnen. Diesem Begehren wurde mit Beschluss vom 2. Juli 1976 entsprochen.Das Gericht erwog, dass eine allfällige Veräusserung der Liegenschaft der Klägerin die Durchsetzung ihrer güterrechtlichen Ansprüche erheblich erschweren würde, während dem Beklagten aus dieser Massnahme kein Nachteil erwachse.
Der Beklagte rekurrierte gegen diesen Entscheid an das Obergericht des Kantons Zürich und verlangte die Abweisung des Begehrens um Anordnung einer Grundbuchsperre. Das Grundbuchamt Baden seinerseits, in dessen Amtsbezirk sich die in Frage stehende Liegenschaft befindet, gelangte mit einem Gesuch um Richtigstellung an das Gericht und stellte den Antrag, es sei in der richterlichen Anordnung der Verfügungsbeschränkung der Ausdruck "anmerken" durch das Wort "vormerken" zu ersetzen.
Mit Beschluss vom 25. August 1976 hiess das Obergericht den Rekurs gut und hob die von der ersten Instanz angeordnete Grundbuchsperre auf. Das Gesuch des Grundbuchamtes Baden schrieb es gleichzeitig als gegenstandslos geworden ab. Zur Begründung führte das Obergericht im wesentlichen aus, die in Frage stehende Grundbuch- oder Kanzleisperre sei ein Institut des zürcherischen öffentlichen Rechts; sie könne daher ausserhalb des Gebietes des Kantons Zürich nicht verhängt werden, und zwar umso weniger, als der Kanton Aargau dieses Institut nicht kenne.
Die Klägerin hat gegen den obergerichtlichen Entscheid gestützt auf Art. 68 ff. OG Nichtigkeitsbeschwerde an das Bundesgericht erhoben. Sie macht geltend, bei der Grundbuchsperre zur Sicherung der güterrechtlichen Ansprüche der Ehefrau im Scheidungsprozess handle es sich um eine vorsorgliche Massnahme gemäss Art. 145 ZGB und damit um eine Einrichtung des Bundesrechts. Das Obergericht habe dadurch, dass es die Grundbuchsperre ausschliesslich als Institut des kantonalen öffentlichen Rechts betrachtet und deren Anwendbarkeit dementsprechend auf das Kantonsgebiet beschränkt habe, den Nichtigkeitsgrund des Art. 68 Abs. 1 lit. a OG gesetzt (Anwendung kantonalen Rechts statt des massgebenden eidgenössischen Rechts).
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Nach Art. 68 OG ist die Nichtigkeitsbeschwerde zulässig gegen letztinstanzliche Entscheide kantonaler Behörden In Zivilsachen, die nicht der Berufung an das Bundesgericht unterliegen. Eine im Rahmen einer Zivilrechtsstreitigkeit getroffene vorsorgliche Massnahme ist als Zivilsache im Sinne dieser Bestimmung zu betrachten (BGE 86 II 294). Entscheide, die eine solche Massnahme zum Gegenstand haben, sind nach feststehender Rechtsprechung nicht berufungsfähig, da ihnen der Charakter von Endentscheiden im Sinne von Art. 48 OG fehlt (BGE 86 II 294, BGE 85 II 195, BGE 75 II 95 E. 1). Beim angefochtenen Beschluss handelt es sich sodann um einen letztinstanzlichen kantonalen Entscheid. Schliesslich entspricht die Beschwerdebegründung den Anforderungen von Art. 68 Abs. 1 OG, da im Sinne von dessen lit. a gerügt wird, statt des massgebenden eidgenössischen Rechts sei kantonales Recht angewandt worden. Auf die Nichtigkeitsbeschwerde ist daher einzutreten.
2. Die Vorinstanz ist davon ausgegangen, dass in einem Fall wie dem vorliegenden die Voraussetzungen für die Vormerkung einer Verfügungsbeschränkung zur Sicherung streitiger Ansprüche gemäss Art. 960 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB nicht gegeben seien. Eine solche Vormerkung verleiht den durch die Verfügungsbeschränkung gesicherten Ansprüchen Wirkung gegenüber jedem später erworbenen Recht (Art. 960 Abs. 2 ZGB). Sie kann nach bisheriger Rechtsprechung und nach der herrschenden Lehre nur zur Sicherung solcher obligatorischer Ansprüche dienen, die sich auf das betreffende Grundstück selbst beziehen, wie namentlich von Ansprüchen auf Eigentumsübertragung, auf Errichtung einer Dienstbarkeit sowie auf Vormerkung persönlicher Rechte gemäss Art. 959 ZGB; es handelt sich bei diesen Ansprüchen durchwegs um solche, die sich im Falle ihrer Anerkennung grundbuchlich irgendwie auswirken (BGE 91 II 423; H. STRÄULI, Kantonalrechtliche Grundbuchsperre als vorsorgliche Massnahme im Zivilprozess, ZSR 1971 I S. 417; H.M. RIEMER, Zur Frage der Zulässigkeit von Grundbuchsperren, ZBGR 1976 S. 76, je mit Hinweisen). Das trifft für den Anspruch der Ehefrau auf ihren Vorschlagsanteil oder auf Ersatz für eingebrachtes Frauengut
BGE 103 II 1 S. 4
nicht zu. Die Klägerin wirft den kantonalen Instanzen denn auch nicht vor, sie hätten die Vormerkung einer Verfügungsbeschränkung gemäss Art. 960 ZGB anordnen sollen. Zu der von HINDERLING vertretenen Auffassung, dass zur Sicherung gefährdeter Ansprüche der Ehefrau eine Verfügungsbeschränkung mit gleicher Wirkung wie nach Art. 960 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB im Grundbuch vorgemerkt werden könne (Das schweizerische Ehescheidungsrecht, 3. Aufl., S. 201), muss somit hier nicht Stellung genommen werden.
3. In der Beschwerde wird vielmehr geltend gemacht, die gerügte Nichtanwendung von Bundeszivilrecht bestehe darin, dass nicht eine Grundbuchsperre als vorsorgliche Massnahme angeordnet worden sei; die massgebende Rechtsgrundlage der Grundbuchsperre im Scheidungsprozess bilde Art. 145 ZGB; diese Sperre sei daher als eine vorsorgliche Massnahme des Bundesrechts und nicht als eine Einrichtung des kantonalen Prozessrechts zu betrachten.
a) Die Zürcher Grundbuchverordnung vom 26. März 1958 umschreibt die Massnahme der Grundbuch- oder Kanzleisperre in § 29 folgendermassen:
"Von Strafverfolgungs- und Gerichtsbehörden erlassene Kanzleisperren nach kantonalem Prozessrecht sind im Grundbuch anzumerken und im Eigentümerverzeichnis zu erwähnen. Sie schliessen im Umfang der Anordnung jede Verfügung über das Grundstück aus."
Es handelt sich bei dieser Massnahme um eine unmittelbar an das Grundbuchamt gerichtete richterliche Anweisung, auf einem bestimmten Hauptbuchblatt bis auf weiteres oder während einer bestimmten Zeit keine Eintragung vorzunehmen (BGE 91 II 418 f. E. 3 b; STRÄULI, a.a.O. S. 417). Ihr Zweck besteht darin, eine Veräusserung oder Belastung des betreffenden Grundstücks durch dessen Eigentümer zu verhindern (RIEMER, a.a.O. S. 66). Die zürcherischen Gerichte pflegen in Ehescheidungsprozessen entsprechend den Bestimmungen der Zivilprozessordnung über die vorsorglichen Massnahmen (vgl. dazu RIEMER, a.a.O. S. 69) von der Grundbuchsperre Gebrauch zu machen, um güterrechtliche Geldforderungen der Ehefrau wie jene auf den Anteil am Vorschlag und auf Ersatz für eingebrachtes Frauengut sicherzustellen (vgl. ZR Bd 69, 1970, Nr. 135 und die Berichtigung des Kopfes dieses Entscheides in ZR Bd 70, 1971, Nr. 44; STRÄULI, a.a.O. S. 420/421; RIEMER, a.a.O. S. 72/73).
b) Nach Bundeszivilrecht bestimmt sich, ob für einen sich daraus ergebenden Anspruch Rechtsschutz zu gewähren ist. Das gilt grundsätzlich auch für den Erlass vorsorglicher Massnahmen vor der rechtskräftigen Erledigung eines Prozesses (GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 2. Aufl., S. 384 f.), und zwar jedenfalls dann, wenn das Bundesrecht den Anspruch auf solche Massnahmen selber ausdrücklich regelt. Das ist hinsichtlich der vorsorglichen Massnahmen im Scheidungsprozess der Fall. Art. 145 ZGB schreibt vor, der Richter habe die für die Dauer des Prozesses nötigen vorsorglichen Massregeln, wie namentlich in bezug auf die Wohnung und den Unterhalt der Ehefrau, die güterrechtlichen Verhältnisse und die Versorgung der Kinder, zu treffen. Welches diese Massregeln im einzelnen sind, wird vom Gesetz im Unterschied zu Art. 169 ZGB (Massnahmen zum Schutz der ehelichen Gemeinschaft) offen gelassen (BGE 91 II 417 ff.). Insofern als sich die zu treffenden Massnahmen nicht unmittelbar aus dem Bundesrecht ergeben, was nur für einen Teil derselben zutrifft, ist es Sache des kantonalen Prozessrechts, die Formen und Mittel zu bestimmen, die dem Richter zur Verwirklichung des bundesrechtlichen Anspruchs zur Verfügung stehen (STRÄULI, a.a.O. S. 423; GULDENER, a.a.O. S. 385 oben). Soweit sich allerdings die vorsorglichen Massnahmen nicht darauf beschränken, einen bestehenden Zustand aufrecht zu erhalten, sondern für die Prozessdauer subjektive Privatrechte zu- oder aberkennen, bedürfen sie diesbezüglich einer Grundlage im Bundesprivatrecht (so GULDENER, Bundesprivatrecht und kantonales Zivilprozessrecht, ZSR 1961 II S. 11/12). Das trifft indessen für die Grundbuchsperre nicht zu. Diese soll die Verfügung über ein subjektives Recht während der Prozessdauer verunmöglichen und so die Aufrechterhaltung des bestehenden Zustandes gewährleisten (STRÄULI, a.a.O. S. 424 ff.). Sie erweist sich daher als eine Massnahme des kantonalen Prozessrechts und nicht des Bundesprivatrechts.
c) Das Bundesprivatrecht kennt eine - allerdings bloss teilweise - Grundbuchsperre nur in einigen wenigen besonders geregelten Fällen (vgl. dazu BGE 91 II 419 und RIEMER, a.a.O. S. 67). Von solchen Ausnahmen abgesehen ist die Grundbuchsperre eine dem Bundesrecht unbekannte Einrichtung. Als Mittel zum Schutz vor grundbuchlichen Verfügungen
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stellt das ZGB in den Art. 959-961 lediglich die Vormerkung zur Verfügung. Man kann sich unter diesen Umständen fragen, ob es den Kantonen überhaupt noch zustehen könne, die Grundbuchsperre als Mittel zur Aufrechterhaltung des bestehenden Zustandes vorzusehen. Auf diese kontroverse und vom Bundesgericht bisher noch nie in abschliessender Weise beantwortete Frage (vgl. dazu insbesondere BGE 91 II 420 ff. sowie RIEMER, a.a.O. S. 74/75 und 79/80 mit Hinweisen) muss hier jedoch nicht näher eingegangen werden. Für den Entscheid über die vorliegende Nichtigkeitsbeschwerde genügt es, im Sinne des bisher Ausgeführten festzuhalten, dass es sich bei der Grundbuchsperre als vorsorgliche Massnahme zur Sicherung der güterrechtlichen Geldforderungen der Ehefrau jedenfalls nur um eine kantonalrechtliche und nicht um eine bundesrechtliche Einrichtung handeln kann. Der Vorinstanz kann daher nicht vorgeworfen werden, sie habe die Frage, ob die prozessualen Voraussetzungen für die Anordnung dieser Massnahme gegeben seien, zu Unrecht nach kantonalem statt nach Bundesrecht beurteilt. Auf die materiellrechtlichen Voraussetzungen des Erlasses einer Grundbuchsperre musste unter diesen Umständen nicht näher eingegangen werden. Die Vorinstanz hat daher mit Recht offen gelassen, ob die Grundbuchsperre als vorsorgliche Massnahme im Sinne von Art. 145 ZGB mit dem Bundesrecht überhaupt vereinbar sei.