BGE 103 II 75
 
11. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 25. Januar 1977 i.S. Müller gegen Bossard
 
Regeste
Art. 170 Abs. 1 OR; Übergang von Schiedsabreden.
2. Ob Schiedsabreden bei Abtretung der Forderung auf den Erwerber übergehen, hängt vom Charakter der Abrede und vom Inhalt des Vertrages ab. Frage offen gelassen, ob der Übergang ausschliesslich auf dem kantonalen Prozessrecht beruhe (Erw. 2 und Erw. 3).
3. Art. 170 Abs. 1 OR schreibt den Übergang nicht zwingend vor, schliesst also nicht aus, dass die Parteien etwas anderes vereinbaren (Erw. 4).
 
Sachverhalt


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Als Xaver Winiger dem Bossard die Liegenschaft Obemauerstrasse 86 in Kriens verkaufte, trat er dem Käufer unter anderem alle Ansprüche gegen Müller ab, der beim Bau des

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darauf stehenden Wohnhauses als Architekt mitgewirkt hatte. Bossard klagte in der Folge eine Forderung von Fr. 40'000.--, die er gegen Müller wegen Mängeln dieses Hauses zu haben behauptet, bei einem Schiedsgericht ein, indem er sich auf die im Architekturvertrag zwischen der Baugesellschaft TERBA und Müller enthaltene Schiedsklausel berief.
Durch Vorentscheid vom 15. Juni 1976 bejahte das Schiedsgericht seine Zuständigkeit.
Der Rekurs, mit dem Müller an der Einrede der Unzuständigkeit festhielt, wurde von der I. Kammer des Obergerichts des Kantons Luzern am 15. Oktober 1976 abgewiesen.
Müller hat gegen diesen Entscheid Kassationsbeschwerde an das Gesamtobergericht und staatsrechtliche Beschwerde eingelegt.
Er ficht ihn beim Bundesgericht auch mit der Berufung an, wobei er beantragt, der Entscheid sei aufzuheben und die Einrede der Unzuständigkeit des Schiedsgerichtes gutzuheissen.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
2. Nach der Auffassung des Obergerichtes erlangt die Forderung durch die Unterstellung unter die Zuständigkeit eines vertraglichen Schiedsgerichtes eine Eigenschaft, die bei einer Abtretung in der Regel auf den Erwerber übergehe. Es verneint den Übergang nur dann, wenn die Schiedsabrede lediglich im Hinblick auf das besondere persönliche Verhältnis zwischen den Vertragsparteien abgeschlossen wurde. Der dahin gehende Beweis obliegt seines Erachtens jener Partei,

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die den Übergang bestreitet. Im vorliegenden Falle hält es ihn nicht für erbracht. Es schliesst gegenteils aus dem Umstand, dass die Schiedsklausel in einem gedruckten Formular des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins enthalten ist und von den Vertragsschliessenden kommentarlos übernommen wurde, auf ihren durchaus sachlichen Charakter und bejaht daher den Übergang. Ob es diesen aus eidgenössischem oder aus kantonalem Recht ableite, sagt es nicht. Es begnügt sich mit der Verweisung auf von TUHR/ESCHER (S. 357), LEUCH (Kommentar S. 363), zwei kantonale Urteile und BGE 56 I 509
Der Beklagte bestreitet, dass die mit Winiger vereinbarte Schiedsklausel ein Vorzugs- oder ein Nebenrecht im Sinne des Art. 170 Abs. 1 OR sei. Er sieht in ihr einen Ausfluss seiner "engen persönlichen und gesellschaftlichen Verflechtung" mit Winiger, d.h. seiner Freundschaft und seines Gesellschaftsverhältnisses mit ihm, und wirft dem Obergericht Verletzung von Bundesrecht vor, weil es den besonderen persönlichen Charakter der Abrede verneint.
Nach OSER/SCHÖNENBERGER (N. 2 zu Art. 170 OR) fallen unter den Begriff des Vorzugsrechtes z.B. auch die durch Prozess oder Betreibung erworbenen Rechte, was bedeute, dass der Erwerber der Forderung in dem Stadium in den Prozess oder die Betreibung eintreten könne, in dem sie sich beim Abtretenden befunden hatten. VON TUHR (Allgemeiner Teil des schweiz. Obligationenrechts) rechnet zu den übergehenden Nebenrechten z.B. den Anspruch auf Betreibungsund Prozesskosten (S. 740). Von der Schiedsklausel sagt er, sie erzeuge kein Nebenrecht, sondern eine prozessuale Modifikation der Forderung (S. 18); er sieht in dem durch eine solche Klausel eintretenden Ausschluss der staatlichen Gerichtsbarkeit über die Forderung ein Vorzugsrecht (S. 741). Von TUHR/SIEGWART (S. 20, 803, 805) und von TUHR/ESCHER (Bd. I S. 21, Bd. II S. 356, 357) stehen auf dem gleichen Boden. BECKER führt in N. 1 zu Art. 170 aus, Vorzugs- und Nebenrechte im Sinne dieser Bestimmung seien nicht nur Privatrechte,

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sondern auch publizistische Rechte, die der abgetretenen Forderung zuzudienen bestimmt seien, z.B. eine Gerichtsstandsklausel, wenn sie sachlichen Charakter habe, sich also nicht nur auf die Vertragsschliessenden selbst beziehen solle. Auch nach VON BÜREN (Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil S. 327) begründet die Schiedsklausel ein Vorzugsrecht. Er erachtet sie als doppelgesichtig; als Vorzug des Anspruchs gehe sie im Zweifel, als Belastung dagegen in jedem Falle über. LEUCH (Kommentar zur ZPO für den Kanton Bern, 3. Aufl. S. 49) führt aus, die Gerichtsstandsvereinbarung binde, wenn sie nicht rein persönlichen Charakter habe oder besondere Umstände dagegen sprechen, auch den Rechtsnachfolger, z.B. den Zessionar. Von der Schiedsklausel sagt er auf S. 363, sie gehe als Bestandteil des Vertrages mit demselben auf die Rechtsnachfolger der Vertragschliessenden über. Ob das eine Folge des kantonalen oder vielmehr des eidgenössischen Rechtes sei, führt er nicht aus. Auch GULDENER (Schweizerisches Zivilprozessrecht, 2. Aufl.), der Schieds- und Prorogationsklauseln auch für den Rechtsnachfolger einer Partei für verbindlich hält, soweit nichts Abweichendes vereinbart oder nach den Umständen anzunehmen sei (S. 213) bzw. sofern das Gesetz nichts Gegenteiliges festlege (S. 580), spricht sich darüber nicht aus; er nennt als Beispiel einer gegenteiligen gesetzlichen Regelung immerhin Art. 398 Ziff. 4 des Zivilprozessgesetzes des Kantons Genf, eine Bestimmung, die den Tod einer Partei als Grund der Beendigung der Schiedsabrede vorsah, seit 1971 jedoch aufgehoben ist. Nach WIGET (in STRÄULI/MESSMER, Kommentar zur zürcherischen ZPO § 238 N. 15) ist die Schiedsabrede regelmässig für die Universal- und Singularsukzessoren der Vertragsschliessenden verbindlich, denn sie habe keinen höchstpersönlichen Charakter; doch sagt auch dieser Autor nicht, ob er den Übergang aus dem eidgenössischen oder aus dem kantonalen Recht ableite.
In BGE 22 S. 669 wurde entschieden, der Grundsatz des Art. 190 aOR betreffend Übergang der Vorzugs- und Nebenrechte auf den Zessionar gelte auch bei Subrogation, was zur Folge habe, dass die Vorteile einer vom alten Gläubiger angehobenen Betreibung auf den neuen übergingen, dieser also die Betreibung fortführen könne. In BGE 33 I 742 Erw. 3 und BGE 56 I 507 Erw. 1 bejahte das Bundesgericht den Übergang von

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Gerichtsstandsabreden durch Vertragseintritt bzw. Abtretung einer Forderung, ohne ausdrücklich zu sagen, ob er vom Bundeszivilrecht oder vom kantonalen Prozessrecht beherrscht sei. Die Begründung von BGE 56 I 509, die BECKER (a.a.O.) als "eigenartig" bezeichnet, geht dahin, die Prorogationsklausel verschaffe jedem Anspruch aus dem Vertrag die "prozessuale Modalität", dass er unter allen Umständen am vereinbarten Gerichtsstand geltend gemacht werden könne und auch müsse. Um ein Nebenrecht im Sinne von Art. 170 OR handle es sich dabei wohl nicht, sondern um eine Eigenschaft der Forderung, die ähnlich der Schiedsklausel (hier wird auf VON TUHR S. 18 und 741 verwiesen) mit der Forderung auf den Erwerber übergehe. Der Übergang trete nur dann nicht ein, wenn jene prozessualische Eigenschaft der Forderung gerade nur mit Rücksicht auf die Person des Gläubigers bestehe, was im zu beurteilenden Falle nicht zutreffe, da hier die Klausel ausgesprochen sachlichen Charakter habe.
Das Bundesgericht scheint also in diesem Urteil den Übergang der Gerichtsstandsvereinbarung "ähnlich der Schiedsklausel" nicht aus Art. 170 OR ableiten zu wollen, sondern aus einer "prozessualen Modalität" oder "prozessualischen Eigenschaft" der abgetretenen Forderung, also aus einem Charakter, den ihr das kantonale Prozessrecht verleiht. Das leuchtet insofern ein, als es untersucht, ob die Abrede nur mit Rücksicht auf die Person des Gläubigers getroffen worden sei oder vielmehr sachlichen Charakter habe. Das hängt nämlich vom jeweiligen - ausdrücklich geäusserten oder sich aus den Umständen ergebenden - Parteiwillen ab, also vom Inhalt eines vom kantonalen Prozessrecht beherrschten Vertrages.
Der Appellationshof des Kantons Bern hat denn auch in einem in ZBJV 53 S. 462 veröffentlichten Urteil auf die Frage, ob durch Eintritt in einen Werkvertrag auch die darin enthaltene Schiedsabrede übergegangen sei, die Art. 164 ff. OR ausdrücklich nur als ergänzendes kantonales Recht angewendet.
Indem das Obligationenrecht in Art. 170 Abs. 1 die untrennbar mit der Person des Abtretenden verknüpften Vorzugs- und Nebenrechte nicht auf den Erwerber der Forderung

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übergehen lässt, stellt es nämlich in Fällen, in denen diese Verknüpfung sich aus dem Sinn einer Parteivereinbarung ergibt, auf den Parteiwillen ab und lässt damit dem kantonalen Recht den Vortritt, wenn die Vereinbarung diesem untersteht. Der gleichen Auffassung ist BECKER (a.a.O.). Er sagt, ob ein Vorzugs- oder Nebenrecht untrennbar an die Person des Abtretenden geknüpft sei, bestimme sich nach dem dieses Recht beherrschenden Gesetz; ob der Erwerber einer im Streite liegenden Forderung in den schwebenden Prozess eintreten könne, hange also vom Prozessgesetz ab (BECKER verweist hier auf ein in der Revue der Gerichtspraxis 19 Nr. 51 veröffentlichtes Urteil des Bundesgerichts), und ob die Fortsetzung einer Betreibung durch den Zessionar zulässig sei, bestimme das Betreibungsgesetz.
Wenn der Übergang der Schiedsabrede überhaupt von Bundesrechts wegen dem Art. 170 Abs. 1 OR untersteht, kann somit jedenfalls nicht gesagt werden, diese Bestimmung schreibe ihn zwingend vor, d.h. der Richter müsse im vorliegenden Falle die Zuständigkeit des Schiedsgerichtes bejahen. Vielmehr hängt der Übergang letzten Endes von einer Frage des kantonalen Prozessrechtes ab. Indem der Beklagte geltend macht, die Schiedsabrede sei ausschliesslich mit Rücksicht auf sein enges Verhältnis zu Winiger getroffen worden und folglich untrennbar mit dessen Person verknüpft, mutet er dem Bundesgericht zu, eine vom kantonalen Recht beherrschte Vereinbarung auszulegen. Das ist im Berufungsverfahren nicht zulässig.
In BGE 76 II 251 hat die I. Zivilabteilung denn auch ausgeführt, ob der durch Verstaatlichung eines Unternehmens eingesetzte Rechtsnachfolger sich auf einen vom Vorgänger vertraglich ausbedungenen Gerichtsstand berufen könne, hange vom Willen der Vertragsschliessenden ab, und diese Frage sei der Beurteilung durch das Bundesgericht als Berufungsinstanz entzogen.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Auf die Berufung wird nicht eingetreten.