103 II 81
Urteilskopf
103 II 81
12. Urteil der II. Zivilabteilung vom 12. Mai 1977 i.S. A.
Regeste
Beiratschaft (Art. 395 ZGB)
Die Beiratschaft kann auch persönliche Fürsorge umfassen, doch darf die körperliche und psychische Gesundheit nicht alleiniges Schutzobjekt sein.
Gestützt auf einen Beschluss des Bezirksrates W. steht der Geschäftsmann A. seit dem 10. August 1972 unter Beiratschaft gemäss Art. 395 Abs. 1 und 2 ZGB . Grundlage jenes Entscheides bildeten ein psychiatrisches Gutachten von Dr. med. B. vom 15. Februar 1971, das im Zusammenhang mit dem Scheidungsprozess der Eheleute A. eingeholt worden war, und ein von der Vormundschaftsbehörde veranlasster Ergänzungsbericht des Stadtärztlichen Dienstes X. vom 15. Juni 1971. Am 29. Januar 1975 stellte A. ein Gesuch um Aufhebung der vormundschaftlichen Massnahme, das jedoch vom Bezirksrat am 12. Februar 1976 abgewiesen wurde.
Die kantonale Justizdirektion bestätigte diesen Entscheid mit Verfügung vom 22. November 1976.
Hiegegen liess A. sowohl Berufung als auch staatsrechtliche Beschwerde erheben. Letztere wurde am 28. Februar 1977 abgewiesen, soweit darauf hatte eingetreten werden können.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
Jede vormundschaftliche Massnahme ist aufzuheben, sobald der Grund ihrer Anordnung entfallen ist (Art. 433 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 397 Abs. 1 ZGB). War sie wegen einer Geisteskrankheit oder Geistesschwäche errichtet worden, muss durch ein psychiatrisches Gutachten festgestellt worden sein, dass der Bevormundungs-, Verbeiständungs- oder Verbeiratungsgrund nicht mehr bestehe (Art. 436 ZGB).
Der Anordnung der Beiratschaft über den Berufungskläger lag ein von den beigezogenen Fachärzten diagnostiziertes körperliches Gebrechen (teilweise Zerstörung von Hirnsubstanz) zugrunde, das die Gutachter in seinen Auswirkungen praktisch einer Geisteskrankheit gleichsetzten. Mit den Sachverständigen, die überdies auf eine nihilistisch-destruktive Grundtendenz hingewiesen hatten, gelangte der Bezirksrat zum Schluss, der Berufungskläger sei zu einer erspriesslichen Mitarbeit in der Geschäftsleitung des von ihm aufgebauten Unternehmens, der heutigen C. AG, nicht mehr imstande. Er hielt eine Beschränkung der Handlungsfähigkeit für notwendig, da sonst Erhaltung und Entwicklung der Gesellschaft, welche die Existenzgrundlage des Berufungsklägers bilde, gefährdet seien. Weil nach seiner Ansicht keine derart umfassende Schutzbedürftigkeit bestand, wie sie die Vormundschaft voraussetzt, ordnete der Bezirksrat eine kombinierte Beiratschaft an.
Bei der Beurteilung des Aufhebungsgesuches stützt sich die Justizdirektion auf ein Gutachten der Psychiatrischen Poliklinik des Kantonsspitals X. vom 19. Juni 1975 und auf deren ergänzenden Bericht vom 23. April 1976, welche sie in allen Teilen für schlüssig hält. Den Expertisen ist zu entnehmen, dass A. nach wie vor an den Folgen einer Gefässerkrankung des Gehirns leide, wobei immerhin eine Beruhigung des psychischen Befindens eingetreten sei. Der Sachverständige erachtet es jedoch für notwendig, den Berufungskläger weiterhin von einer Einflussnahme auf die Geschicke der C. AG fernzuhalten, da er angesichts seiner eingeschränkten Kritik- und Urteilsfähigkeit sowie seiner noch immer affektbetonten Einstellung (namentlich seiner früheren, in der Geschäftsleitung
BGE 103 II 81 S. 83
mitwirkenden Ehefrau gegenüber) durch eine aktive Mitarbeit überfordert wäre. Die Vorinstanz, die annimmt, A. würde nach einer Aufhebung der Beiratschaft alles daran setzen, wieder massgeblich an der Leitung des Unternehmens teilhaben zu können, leitet daraus ab, dass die Gutheissung des Gesuches einer Entwicklung den Weg ebnen würde, die seinem persönlichen Wohl ausgesprochen abträglich wäre. Sie ist der Ansicht, die Beruhigung, die dank der Auswirkungen der vormundschaftlichen Massnahme eingetreten sei, geriete derart stark in Gefahr, dass deren Aufhebung nicht verantwortet werden könne. Dagegen räumt sie ein, dass der Berufungskläger selbst dann, wenn er die C. AG zugrunde richten wollte, sich (offenbar in Anbetracht des Vermögens, das er inzwischen von seiner Mutter geerbt haben soll) nicht mehr in finanzielle Not bringen könnte. Dass er nicht in der Lage wäre, sein privates, ausserhalb der Gesellschaft liegendes Vermögen zu verwalten, ohne seine wirtschaftliche Existenz zu gefährden, nimmt die Vorinstanz zu Recht nicht an, zumal nach Ansicht des Sachverständigen nicht von vornherein die Vermutung besteht, A. könnte in diesem Bereich unzweckmässige Dispositionen treffen. Es geht ihr mit der Aufrechterhaltung der Beiratschaft demnach einzig darum, die Gesundheit des Berufungsklägers zu schützen, was sie denn auch ausdrücklich festhält.Ob aus den Ausführungen des Psychiaters tatsächlich auf eine erhebliche Gefährdung der Gesundheit von A. für den Fall der Aufhebung der vormundschaftlichen Massnahme zu schliessen sei, mag dahingestellt bleiben. Denn eine Schutzbedürftigkeit, die sich nicht auch und vor allem auf die wirtschaftlichen Interessen bezieht, reicht für eine Beiratschaft von vornherein nicht aus (vgl. BGE 96 II 373). Diese hat nur dort Platz, wo eine Person ohne Beschränkung der Handlungsfähigkeit ihre wirtschaftliche Existenz und allenfalls diejenige von Angehörigen, für die sie aufzukommen hat, ernstlich gefährden würde, für die Entmündigung jedoch kein genügender Grund vorliegt (BGE 89 II 179 E. 2; BGE 88 II 249 /50 E. 2). Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichts bedeutet dies freilich nicht, dass die Beiratschaft nicht auch persönliche Fürsorge umfassen könnte (BGE 96 II 374), doch darf die körperliche und psychische Gesundheit nicht alleiniges Schutzobjekt sein.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird gutgeheissen, die Verfügung der kantonalen Justizdirektion vom 22. November 1976 aufgehoben und dem Gesuch um Aufhebung der Beiratschaft entsprochen.