103 II 108
Urteilskopf
103 II 108
17. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 26. April 1977 i.S. Sidomat-Automaten AG gegen Seiler
Regeste
Art. 161 Abs. 1 und Art. 163 Abs. 3 OR .
Eine Konventionalstrafe ist nicht schon deshalb übermässig, weil sie den Betrag übersteigt, den der Gläubiger als Schadenersatz wegen Nichterfüllung verlangen könnte; Voraussetzungen der Herabsetzung.
Erwägungen:
Gemäss Art. 161 Abs. 1 OR ist die Konventionalstrafe selbst dann geschuldet, wenn dem Gläubiger kein Schaden erwachsen ist. Sie verfällt folglich auch, wenn ein Schaden schwierig zu beziffern oder gar nicht nachzuweisen ist; sie soll den Gläubiger gerade von diesem Beweis befreien (BGE 95 II 539). Von einer Strafe kann zudem nur insofern gesprochen werden, als ihr Betrag den ohnehin geschuldeten Schadenersatz übersteigt. (OSER/SCHÖNENBERGER, N. 1 zu Art. 161 OR; VON TUHR/ESCHER, OR S. 283). Daraus hat das Bundesgericht vor allem in der älteren Rechtsprechung gefolgert, dass die Strafe sich nicht nach dem Ausmass des entstandenen Schadens zu richten braucht (BGE 40 II 478, BGE 39 II 585; vgl. ferner BGE 25 II 614 und BGE 24 II 438 zum gleichlautenden Art. 182 aOR).
Nach der jüngeren Rechtsprechung und der Lehre ist eine Herabsetzung insbesondere gerechtfertigt, wenn zwischen der Konventionalstrafe und dem Interesse des Gläubigers an der Erfüllung ein krasses Missverhältnis besteht, was von den besonderen Umständen des einzelnen Falles abhängt. Hiezu gehören nicht nur die Art und Dauer des Vertrages, das Verschulden des Pflichtigen und die wirtschaftliche Lage der
BGE 103 II 108 S. 109
Beteiligten, sondern auch die Schwere der Verletzung, die gerade aus dem entstandenen Schaden erhellen kann (BGE 95 II 540, BGE 91 II 383, BGE 82 II 146; ENGEL, Traité des obligations en droit suisse, S. 581; VON TUHR/ESCHER, OR S. 285, OSER/SCHÖNENBERGER N. 15 und BECKER N. 12 zu Art. 163 OR). Es liegt deshalb nahe, das Interesse an der Einhaltung des Vertrages nach dem entstandenen Schaden zu beurteilen, namentlich wenn es dem Gläubiger um den Ersatz des Erfüllungsinteresses geht (BGE 51 II 445, BGE 25 II 614).Das darf aber nicht zur Meinung verleiten, dass der Gläubiger dieses Interesse ziffernmässig nachzuweisen habe; denn damit würde Art. 161 Abs. 1 OR umgangen (vgl. ZR 61/1962 Nr. 56). Ebensowenig darf der Richter bei der Prüfung der Frage, ob ein Missverhältnis vorliege und die Strafe deshalb herabzusetzen sei, sich mit dem eingetretenen Schaden begnügen. Das geht jedenfalls dann nicht an, wenn dieser nicht dem Erfüllungsinteresse des Gläubigers entspricht oder der Schaden teilweise nicht nachweisbar, aber wahrscheinlich ist (OSER/SCHÖNENBERGER, N. 14 zu Art. 163 Abs. 3 OR; VON TUHR/ESCHER, OR S. 285). In diesem Sinne hat das Bundesgericht im Entscheid BGE 68 II 175 denn auch geprüft, ob der höchstmögliche Schaden in einem Missverhältnis zur Strafe stehe (vgl. SJZ 37/1940 S. 287 Nr. 56). Dass der eingetretene Schaden nicht massgebend ist, erhellt ferner aus BGE 82 II 147 und BGE 63 II 249. Im ersten Entscheid hat das Bundesgericht eine Kürzung der Strafe von Fr. 10'000.-- trotz nachgewiesenem Schaden von nur Fr. 3'000-6'000.-- abgelehnt und im zweiten sie von Fr. 10'000.-- nur auf Fr. 7'000.-- herabgesetzt, obschon der eingetretene Schaden lediglich Fr. 4'000.-- ausmachte. Schliesslich ist zu beachten, dass die tatsächlichen Voraussetzungen einer Herabsetzung und damit auch das Missverhältnis zum Erfüllungsinteresse nicht vom Gläubiger, sondern vom Schuldner zu behaupten und nachzuweisen sind (Art. 8 ZGB; BGE 40 II 476; OSER/SCHÖNENBERGER N. 12 und Becker N. 19 zu Art. 163 Abs. 3 OR).
Eine Konventionalstrafe kann somit nicht schon deshalb als übermässig bezeichnet werden, weil sie den Betrag übersteigt, den der Gläubiger als Schadenersatz wegen Nichterfüllung beanspruchen könnte; diesfalls verlöre die Strafe ihren Sinn.
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