BGE 103 II 277
 
47. Urteil der I. Zivilabteilung vom 29. November 1977 i.S. Vogel gegen Ebreichsdorfer Industrie GmbH
 
Regeste
Agenturvertrag, Entschädigung für die Kundschaft.
2. Art. 418u Abs. 1 OR. Anspruch des Agenten auf Entschädigung für die Erweiterung des Kundenkreises; Natur der Entschädigung; Beweislast des Agenten (E. 2).
3. Voraussetzungen der Entschädigung, insbesondere bei teilweiser Konkurrenzierung des früheren Auftraggebers durch den Agenten. Begriff des erheblichen Vorteils; Anforderungen an den Beweis (E. 3 und E. 4).
4. Umstände, die einen Anspruch auf Entschädigung als unbillig erscheinen lassen und solche, die ihn nicht ausschliessen (E. 5).
 
Sachverhalt


BGE 103 II 277 (278):

A.- Hans Jürg Vogel vertrieb seit 1963 in der Schweiz Kleidungsstücke, insbesondere Regenmäntel und Skijacken, welche die Firma Boehm in Ebreichsdorf (Österreich) nach Schnitten und Modellen ihrer Muttergesellschaft Val. Mehler AG, Fulda, in Lizenz herstellte und unter der Marke "Valmeline" auf den Markt bringen liess. Vogel war während Jahren für beide Gesellschaften tätig.
Im Sommer 1973 verkaufte die Val. Mehler AG ihre Mehrheitsbeteiligung an der Firma Boehm, die sich daraufhin "Ebreichsdorfer Industrie GmbH" nannte. Diese teilte Vogel im März 1974 mit, dass der Lizenzvertrag über die Marke "Valmeline" am Ende des Jahres ablaufe und die Marke dann nur noch von der Val. Mehler AG gebraucht werde. Sie fügte bei, dass sie ihm ab Frühjahr 1975 ihre eigenen Erzeugnisse unter der neuen Marke "Viennaline" zum Verkaufe übertrage, das Vertragsverhältnis aber als beendet betrachte, wenn er weiterhin die Produkte der Val. Mehler AG vertreiben wolle. Vogel weigerte sich mit Schreiben vom 15. April 1974, diesen Vertrieb aufzugeben, den er seit 1961 in der Schweiz aufgebaut habe; da sein Vertragsverhältnis mit der Industrie GmbH somit 1974 aufhöre, erhebe er Anspruch auf eine Entschädigung für die Kundschaft.
Die Industrie GmbH lehnte den Anspruch ab; sie hätte sich ausnahmsweise mit einer Doppelvertretung abfinden können, womit die Val. Mehler AG aber nicht einverstanden war. Sie bat daher Vogel nochmals, sich entweder für ihre Erzeugnisse oder für diejenigen der Konkurrenzfirma zu entscheiden. Vogel antwortete ihr am 24. Mai 1974, dass er seine Tätigkeit für die Val. Mehler AG unmöglich aufgeben könne und wegen der Auflösung des Vertragsverhältnisses mit ihr eine Abgangsentschädigung von Fr. 60'000.-- verlange. Die Industrie GmbH ging darauf nicht ein, sondern teilte ihrer Kundschaft in der Schweiz durch ein Rundschreiben vom 7. August 1974

BGE 103 II 277 (279):

mit, dass sie nun selbständige Wege gehe und ihre eigene Kollektion durch einen andern Vertreter vertreiben lasse.
B.- Am 5. September 1974 erreichte Vogel, dass ein Guthaben der Ebreichsdorfer Industrie GmbH in Zürich verarrestiert wurde. Gestützt auf den Arrest liess er die Gesellschaft am 23. September betreiben und, als sie Rechtsvorschlag erhob, am 11. Oktober 1974 gegen sie auf Zahlung von Fr. 60'000.-- nebst Arrest- und Betreibungskosten klagen. Er verlangte zudem, dass ihm in der Betreibung Nr. 6921 des Betreibungsamtes Zürich 4 vom 23. September 1974 definitive Rechtsöffnung gewährt werde.
Das Bezirksgericht Zürich und auf Appellation hin am 12. April 1977 auch das Obergericht des Kantons Zürich, vor dem der Kläger seine Forderung auf Fr. 37'200.-- herabsetzte, wiesen die Klage ab. Das Obergericht ging von einem Agenturvertrag gemäss Art. 418a ff. OR aus und stellte fest, dass der Kläger den Kundenkreis der Beklagten durch seine Tätigkeit wesentlich erweitert habe, nach Beendigung des Vertrages aber weiterhin im Interesse der Val. Mehler AG tätig gewesen sei; aus dieser Geschäftsbeziehung ergebe sich kein erheblicher Vorteil für die Beklagte, weshalb eine Entschädigung gemäss Art. 418u OR entfalle.
Der Kläger führte gegen das Urteil des Obergerichts Nichtigkeitsbeschwerde, die vom Kassationsgericht des Kantons Zürich am 13. September 1977 abgewiesen wurde, soweit darauf einzutreten war.
C.- Der Kläger hat ausserdem die Berufung an das Bundesgericht erklärt. Er beantragt, das Urteil des Obergerichtes aufzuheben und seine Klage gutzuheissen oder die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung abzuweisen und das angefochtene Urteil zu bestätigen.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:


BGE 103 II 277 (280):

Da die Beklagte ihren Sitz in Österreich hat, stellt sich jedoch auch die Frage nach dem international anwendbaren Recht; sie ist vom Bundesgericht auf Berufung hin von Amtes wegen zu prüfen (BGE 100 II 20 und 205 mit Hinweisen). Massgebend ist dafür, dass sich das Tätigkeitsgebiet des Klägers in der Schweiz befand (Art. 418b Abs. 2 OR und dazu SCHÖNENBERGER/JÄGGI, OR Allg. Einleitung N. 284 und 297). Es ist deshalb schweizerisches Recht anzuwenden, was übrigens von keiner Seite bestritten wird.
2. Nach Art. 418u Abs. 1 OR kann der Agent eine Entschädigung für die Erweiterung des Kundenkreises beanspruchen, wenn dem Auftraggeber oder dessen Rechtsnachfolger aus der Geschäftsverbindung mit der geworbenen Kundschaft auch nach der Auflösung des Vertragsverhältnisses erhebliche Vorteile erwachsen. Die Entschädigung ist entgegen der Auffassung des Klägers kein nachträgliches Entgelt für Leistungen des Agenten während der Vertragsdauer, sondern ein Ausgleich für einen Geschäftswert, den der Auftraggeber nach Beendigung des Vertrages weiter nutzen kann. Dadurch unterscheidet sie sich denn auch von der Abgangsentschädigung des Arbeitnehmers nach Art. 339b OR. Der Anspruch auf eine Vergütung gemäss Art. 418u OR setzt dagegen nicht voraus, dass die wirtschaftliche Existenz des Agenten infolge der Vertragsauflösung gefährdet sei; es genügt, dass das Vertragsverhältnis nicht aus Gründen, die der Agent zu vertreten hat, beendet worden und der Anspruch auch sonst nicht unbillig ist (BGE 84 II 531 E. 1).
Die Vorinstanz führt zunächst aus, dass und warum der Kläger die Auflösung des Agenturverhältnisses nicht zu verantworten hat und eine wesentliche Erweiterung des Kundenkreises durch seine Bemühungen bis Ende 1974 anzunehmen ist. Die Beklagte hält dem entgegen, dass es schon an einer durch den Kläger geworbenen Kundschaft fehle. Damit versucht sie Indes, tatsächliche Feststellungen des Obergerichtes in unzulässiger Weise anzufechten. Die Vorinstanz folgert aus den stetig gewachsenen Umsätzen und Provisionen des Klägers, dass dieser während Jahren intensiv im Interesse der Beklagten gearbeitet, deren Kundenkreis in der Schweiz seit 1963 ständig vergrössert und bis zu seinem Ausscheiden im Jahre 1974 rund 200 regelmässige Kunden geworben habe. Das ist Beweiswürdigung, die das Bundesgericht bindet.


BGE 103 II 277 (281):

Bei dieser Sachlage ist auch nicht zu beanstanden, dass die Zahl der geworbenen Kunden und die ständig gestiegenen Umsätze nach der Auffassung des Obergerichtes die Vermutung begründen, der Beklagten sei daraus auch nach Auflösung des Agenturverhältnisses ein erheblicher Vorteil erwachsen. Entgegen der Annahme der Vorinstanz und des Klägers darf man diesfalls aber nicht so weit gehen, dem Auftraggeber geradezu den Beweis des Gegenteils aufzuerlegen. Wo das Gesetz es nicht anders bestimmt, hat vielmehr derjenige das Vorhandensein einer behaupteten Tatsache zu beweisen, der aus ihr Rechte ableitet (Art. 8 ZGB). Dem Agenten obliegt daher der Beweis dafür, dass die Voraussetzungen seines Anspruches erfüllt sind; er hat nicht nur die Erweiterung des Kundenkreises, sondern auch den Vorteil darzutun, der sich daraus für den Auftraggeber ergibt (GAUTSCHI, N. 3d zu Art. 418u OR). Die irrtümliche Annahme der Vorinstanz wirkte sich hier indes nicht zum Nachteil der Beklagten aus, da diese die Vermutung nach Auffassung des Obergerichtes widerlegt hat.
Die Vorinstanz führt sodann aus, die Entschädigung des Agenten für die Kundschaft könne nicht davon abhangen, ob der Auftraggeber den ihm verbleibenden Vorteil auch wirklich wahrnehmen will, da er den Agenten nicht um seinen Anspruch prellen dürfe. Das ist an sich richtig. Im vorliegenden Fall wird indes nicht behauptet, dass die Beklagte darauf ausgegangen sei, dem Kläger die Entschädigung vorzuenthalten. Die Beklagte beruft sich auch nicht auf betriebliche Veränderungen oder andere wirtschaftliche Gründe, die allenfalls einen Verzicht auf Nutzung der Kundschaft rechtfertigen könnten (Kommentar BAUMBACH-DUDEN, Handelsgesetzbuch, 22. Aufl. S. 329 zu § 89b HGB, der inhaltlich dem Art. 418u OR entspricht; G. H. LEISS, Der Anspruch des Agenten auf Entschädigung für die Kundschaft in rechtsvergleichender Darstellung, Diss. Bern 1965, S. 260). Streitig und entscheidend ist vielmehr, ob die Beklagte den Kundenstock weiterhin zu ihren Gunsten nutzen konnte, wenn sie das wollte.
3. Obschon seine Feststellungen für einen bleibenden erheblichen Vorteil zugunsten der Beklagten sprechen, gelangt das Obergericht zum Schluss, dass von einem solchen Vorteil nicht die Rede sein könne. Es begründet seine Auffassung

BGE 103 II 277 (282):

insbesondere damit, dass der Kläger seit der Vertragsauflösung im Jahre 1974 die Erzeugnisse der Val. Mehler AG weiterhin unter der Marke "Valmeline" vertreibe, damit die gleichen Kunden bediene und die Beklagte konkurrenziere. Der Kläger hält dagegen daran fest, dass der Beklagten aus der Geschäftsverbindung mit der von ihm gewonnenen Kundschaft ein dauernder erheblicher Vorteil entstanden sei.
a) Die Vorinstanz geht zu Recht davon aus, dass ein Vorteil im Sinne von Art. 418u Abs. 1 OR nur anzunehmen ist, wenn der vom Agenten geworbene Kundenkreis dem Auftraggeber sehr wahrscheinlich treu bleibt und seinen Bedarf weiterhin bei diesem deckt (BGE 84 II 166; BIDEAU, in SJK 585 S. 13; LEISS, a.a.O. S. 129 und 259; BURNAND, Le contrat d'agence et le droit de l'agent d'assurance à une indemnité de clientèle, Thèse Lausanne 1977, S. 103 und 115). Auch muss es sich dabei um Waren eines wiederkehrenden Bedarfs handeln, was das Obergericht im Verhältnis zwischen dem Hersteller der Textilerzeugnisse und dessen Grosskunden ebenfalls bejaht (BGE 84 II 536). Der Vorinstanz ist auch darin beizupflichten, dass ein Vorteil zu verneinen ist, wenn der Agent den Kundenstamm im Falle einer neuen Vertretung in der gleichen Branche beibehalten, ihn also weiterhin selbst nutzen kann (LEISS, a.a.O. S. 130 und 260; BURNAND, a.a.O. S. 103 und 116; BAUMBACH-DUDEN, a.a.O. S. 329).
Der Kläger bestreitet dies an sich nicht, hält entgegen der Annahme des Obergerichtes aber nicht für entscheidend, ob der Vertreter diesfalls seinen früheren Auftraggeber konkurrenziere, weil die Erwerbsmöglichkeiten des Agenten sonst stark eingeschränkt würden. Einem Agenten für Textilerzeugnisse könne nicht zugemutet werden, von einem Tag auf den andern die Branche zu wechseln, nur um die Entschädigung zu erhalten. Aus Art. 418d Abs. 2 OR erhelle denn auch, dass das Konkurrenzverbot und die Kundschaftsentschädigung ganz allgemein auseinanderzuhalten seien.
Nach dieser Bestimmung hat der Agent für den Fall, dass schriftlich ein Konkurrenzverbot vereinbart worden ist, in der Tat einen unabdingbaren Anspruch auf ein angemessenes besonderes Entgelt, was allerdings nicht heisst, er dürfe zugleich noch eine Kundschaftsentschädigung verlangen (GAUTSCHI, N. 5d und 6d zu Art. 418d OR; LEISS, a.a.O. S. 280; BURNAND, a.a.O. S. 103). Wenn die Parteien jedoch

BGE 103 II 277 (283):

wie hier kein solches Verbot vorsehen, bleibt es dem Agenten überlassen, ob er seinen früheren Auftraggeber nach der Vertragsauflösung konkurrenzieren will. Er kann z.B. altershalber seine Erwerbstätigkeit aufgeben, den Beruf, die Branche oder auch nur sein Vertretergebiet wechseln und damit eine Konkurrenzierung vermeiden. Er kann aber auch eine neue Vertretung in der gleichen Branche und im gleichen Gebiet übernehmen, die gewonnene Kundschaft also selber weiter bedienen. Diesfalls bietet die Kundschaft keine erheblichen Vorteile mehr für seinen früheren Auftraggeber, der ihm folglich nach dem Sinn und Wortlaut des Gesetzes auch keine Kundschaftsentschädigung zu bezahlen hat.
b) Der Kläger wendet ein, dass die Konkurrenzierung im vorliegenden Fall nicht berücksichtigt werden dürfe, weil er nicht eine neue Tätigkeit übernommen habe, sondern die Vertretung der Val. Mehler AG weiterführe, die er neben derjenigen der Beklagten schon während Jahren innegehabt habe; er habe nach erfolglosem Bemühen, die Doppelvertretung beizubehalten, sich verständlicherweise für die deutsche Firma entschieden.
Letzteres ist unerheblich, geht doch auch die Vorinstanz davon aus, dass der Kläger die Vertragsauflösung nicht zu verantworten hat (Art. 418u Abs. 3 OR). Das Obergericht hält zudem mit Recht für unbeachtlich, dass das Konkurrenzverhältnis schon durch die frühere Doppelvertretung vorgezeichnet war. Hätte der Kläger seine Tätigkeit für beide Firmen aufgegeben, so hätten gegebenenfalls beide eine Kundschaftsentschädigung zahlen müssen. Da er sich für die Val. Mehler AG entschloss, fehlt jede innere Rechtfertigung dafür, dass die Beklagte einen Teil der Kundenentschädigung auf die deutsche Firma hätte abwälzen sollen. Entscheidend kann nur sein, ob der Beklagten aus der Kundenwerbung des Klägers auch nach Vertragsauflösung ein erheblicher Vorteil verbleibt oder ob der Vorteil nun durch seine ausschliessliche Tätigkeit für die Val. Mehler AG aufgehoben oder bedeutungslos wird. Auch wer für mehrere Firmen tätig ist, hat als Agent nur insoweit Anspruch auf eine Kundenentschädigung, als dem Auftraggeber tatsächlich ein solcher Vorteil erwächst (GAUTSCHI, N. 5c zu Art. 418u OR).
4. Es ist daher nicht zu beanstanden, dass das Obergericht bei Anwendung von Art. 418u OR danach geforscht hat,

BGE 103 II 277 (284):

wieweit der Kläger die Beklagte bei dem von ihm geworbenen Kundenkreis seit der Vertragsauflösung konkurrenziert. Streitig ist denn auch bloss, ob der Beklagten trotz der Konkurrenzierung noch ein erheblicher Vorteil verbleibt.
a) Die Beklagte wendet ein, die Vorinstanz habe diese Frage gestützt auf tatsächliche Feststellungen, welche das Bundesgericht binden, verneint. Das trifft an sich zu, zumal dem Obergericht weder ein offensichtliches Versehen noch eine Verletzung bundesrechtlicher Beweisvorschriften vorgeworfen wird. Vom Bundesgericht zu prüfen ist dagegen, ob die Vorinstanz aus den festgestellten Tatsachen rechtlich zutreffende Schlüsse gezogen oder den Rechtsbegriff des erheblichen Vorteils verkannt habe.
Nach der Annahme des Obergerichts ist mit Bezug auf Kleidungsstücke, welche die Beklagte früher in Lizenz herstellte, ein verbleibender Vorteil zum vorneherein zu verneinen. Dies leuchtet ein, da die Kundschaft, die der Kläger bisher für die Beklagte, aber unter der Marke und nach Modellen und Schnitten der Val. Mehler AG bedient hat, aller Wahrscheinlichkeit nach dem Kläger treu geblieben ist. Dass sie sich an den neuen Agenten der Beklagten gehalten habe, ist umsoweniger zu vermuten, als diese unter einer neuen Marke neue Erzeugnisse vertreiben liess; insoweit handelte es sich denn auch, wie die Vorinstanz richtig annimmt, um einen neuen Anfang für die Beklagte. Als Anspruchsgrundlage kommt daher nach dem angefochtenen Urteil nur in Betracht, dass die Beklagte daneben entgegen ihrer Behauptung weiterhin auch Erzeugnisse ihrer erfolgreichen eigenen Linie vertreiben liess. Dadurch blieb ihr ein bedeutsamer Vertriebsbereich erhalten, in dem sie sich an den bisherigen Kundenkreis wenden konnte.
b) Obschon das Obergericht darin grundsätzlich einen erheblichen Vorteil erblickt, hält es für entscheidend, dass die Beklagte in diesem Bereiche seit 1974 vom Kläger konkurrenziert wird, auch wenn die Erzeugnisse der beiden Firmen verschieden seien. Zwar habe der Kläger den von ihm geworbenen Kundenkreis nicht für sich allein; da sich beide Parteien an die gleichen Kunden wandten, ergebe sich indes zwangsläufig eine gegenseitige Konkurrenzierung, weshalb der Auftraggeber den vom Agenten gewonnenen Kundenkreis nicht mehr ungehindert benutzen und sein Vorteil nicht mehr als erheblich bezeichnet werden könne.


BGE 103 II 277 (285):

Ein erheblicher Vorteil ("notevole profitto", "profit effectif") liegt vor, wenn der Nutzen wirtschaftlich ins Gewicht fällt (LEISS, a.a.O. S. 131 und 163; BURNAND, a.a.O. S. 114 Anm. 14). Wie es sich damit hier verhält, kann nach den Feststellungen der Vorinstanz weder im einen noch im andern Sinne verlässlich beurteilt werden. Im angefochtenen Urteil ist bald von einer "gewissen", bald von einer "teilweisen" Konkurrenzierung die Rede, wobei der Beklagten nicht etwa keine Vorteile verblieben, sie nicht jeder Nutzung des Kundenstammes beraubt sei. Gewiss dürfen die Anforderungen an den Nachweis eines bleibenden Nutzens nicht überspannt werden (BGE 84 II 541; GAUTSCHI, N. 3c und 3d zu Art. 418u OR). Das enthebt den Richter jedoch nicht der Pflicht, sich mit den tatsächlichen Verhältnissen soweit möglich und zumutbar auseinanderzusetzen und darzutun, warum ein erheblicher Vorteil zu bejahen oder zu verneinen ist (GAUTSCHI, N. 3d zu Art. 418u OR; vgl. BGE 98 II 37, BGE 97 II 218 mit Hinweisen).
Eine Auseinandersetzung mit der Frage, wie stark die Beklagte in bezug auf Eigenprodukte durch die vom Kläger weiterhin unter der Marke "Valmeline" vertriebenen Erzeugnisse konkurrenziert wird, mag schwierig sein; immerhin liesse sich auch das besser abschätzen, wenn feststände, wieweit die Kollektionen übereinstimmen. Möglich und zumutbar sind dagegen genauere Angaben über den Umsatz bis zur Vertragsauflösung. Das angefochtene Urteil enthält zwar Zahlen über den gesamten jährlichen Umsatz des Klägers, sagt dagegen nicht, wieviel davon auf die Lizenzfabrikation der Beklagten und wieviel auf ihre Eigenproduktion entfiel. Die Vorinstanz begnügt sich mit der unbestimmten Wendung, dass es sich bei dieser Produktion um einen "wesentlichen Vertriebsbereich" gehandelt habe. Hier sind genauere Feststellungen unerlässlich, zumal der Beklagten nur im Bereiche der Eigenproduktion ein Vorteil erwachsen konnte. Entfiel der vom Kläger für die Beklagte erzielte Umsatz nur zum geringen Teil auf Eigenprodukte, so ist ein erheblicher Vorteil selbst dann zu verneinen, wenn die Konkurrenzierung durch "Valmeline"-Artikel vernachlässigt werden kann. Je grösser jedoch der Anteil dieser Produkte an den jährlichen Umsätzen war, desto eher erwuchs der Beklagten daraus nach Vertragsauflösung ein erheblicher Vorteil. Dieser könnte dann nicht ohne nähere Prüfung wegen Konkurrenzierung durch die neue Tätigkeit des Klägers verneint werden. Wenn sich die Eigenartikel der Beklagten

BGE 103 II 277 (286):

früher neben den gleichzeitig vertriebenen "Valmeline" Waren halten und durchsetzen konnten, ist jedenfalls nicht im vorneherein anzunehmen, dass dies später nicht mehr zutraf.
Es ist umstritten, ob der Richter deswegen eine im übrigen begründete Entschädigung verweigern oder bloss herabsetzen darf; letzteres wird namentlich von GAUTSCHI (N. 4 zu Art. 418u OR) befürwortet (vgl. auch FEHR, in ZSR 69/1950 S. 19; LEISS, a.a.O. S. 134 und 265; BURNAND, a.a.O. S. 117; BIDEAU, a.a.O. S. 14). Die Frage braucht im vorliegenden Fall nur entschieden zu werden, wenn nach den Vorbringen der Beklagten, welche dafür beweispflichtig ist, eine Unbilligkeit zu bejahen ist.
In Betracht kommen dafür namentlich Umstände, wie besonders hohe Vergütungen während des früheren Vertragsverhältnisses, dessen lange Dauer oder besonders günstige Fürsorgeleistungen des früheren Arbeitgebers (BGE 84 II 533 und 541 sowie das hiervor angeführte Schrifttum). Was die Beklagte vorbringt, fällt nicht darunter. Dass der Kläger seine Tätigkeit für die Val. Mehler AG uneingeschränkt weiterführen konnte, macht eine Entschädigung nicht unbillig; diese ist nicht Ersatz für Verdienstausfälle des Agenten, sondern ein Ausgleich für Vorteile, die dem Auftraggeber verbleiben. Das ist schon bei der Ermittlung der Vorteile zu berücksichtigen und fällt daher unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit ausser Betracht. Aus dem gleichen Grund geht auch der Einwand fehl, der Kläger käme in den Genuss einer doppelten Abgangsentschädigung, wenn sein Agenturverhältnis mit der Val. Mehler AG aufgelöst würde. Diesfalls könnte der Kläger eine weitere Entschädigung nur für die Kundschaft beanspruchen, die er mit "Valmeline"-Artikeln bedient; daraus entsteht der Beklagten aber kein Vorteil, folglich auch keine Pflicht zur Entschädigung.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird teilweise gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts (I. Zivilkammer) des Kantons Zürich vom

BGE 103 II 277 (287):

12. April 1977 aufgehoben und die Sache zur neuen Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen.